Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Eine Candidatenrede.

(Vorläufig noch Manuscript.)

Mitbürjer!

Et könnte ja so aussehen un sieht ooch am Ende so aus, det ick aus Ejoismus mit aller Jewalt mang die Stadtverordneten will. Aber Ejoismus liegt mir so fern wie Tonking oder Warnemünde. Was mir veranlaßt, det Rednerpult zu erjreifen un Sie um Ihre Stimme zu bitten, det is erstens det Wohl der Stadt, zweetens meine Jattin, die mir nich hoch jenug steijen sehen kann, un drittens, weil ick noch'n Paar Stunden in der Woche frei habe, die ick jerne mit Jesetzjeben ausfüllen möchte.

Mitbürjer! Ick komme jetzt zu meinen Jejenstand. Jejenstand heeßt ja eijentlich Jeliebte. Darum jrade sage ick Jejenstand. Denn die Metropole is meine Jeliebte. Wenn Bismarck die jroßen Städte nich jerne hat, sondern im Jejentheil denselben die Corpulenz nehmen un sie deresidenziren möchte, so 74 is det der eenzigste Punkt, wo ick dem jroßen Staatsmann nich unterstützen kann. Er kommt wohl ooch allmälig dahinter, det et sehr leicht jesagt is: »Schweninger, nehmen Sie mir mal meine Corpulenz!« Aber det jeht nich so geschwind. Was mal jroß un jewaltig is, det läßt sich nich so leicht kleen machen wie'n Dhaler, un wie ick höre, hat er ooch schon seinen Hausarzt aus Berlin kommen lassen, weil er im Jejentheil Schweninger dick bekommen hat. Also, Mitbürjer, Berlin kann nich wieder Fischerdorf werden un wenn wir uns uf'n Kopp stellen, sondern wir haben Allens zu thun, damit die Stadt immer jrößer un immer asphaltirter un elektrisch beleuchteter wird. Dies is mein Projramm, von dem ick nich abjehe.

Is det aber 'n Projramm? frage ick Sie. Nein, Mitbürjer, det is noch jar keens. Det is ein Miniatur-Projramm, det is 'n einaktiges Projramm, womit man keenen Wähler aus'm Ofen lockt. Mit'n Mundvoll Asphalt un'n Paar Kilojramm Jlühlicht bilde ick mir nich in, det ick'n Stehplatz im Rathhaus kriege un'n Sitz nu erst recht nich. Nee, meine Mitbürjer, det muß noch viel besser kommen. Un was Ihnen die reactionären Herren versprechen, det langt mir noch lange nich. Da würde ick mir ja schämen, Tausende oder jar Hunderte von Mitbürjern 75 in allen Jrößen nach'm Lokal hinzubemühen und sich polizeilich überwachen zu lassen, bloß um det Bisken versprechen zu hören. Det finde ick, unter uns jesagt, knotig.

Mitbürjer, keene Steuern, det is noch nich jenug. Da fange ick lieber jar nich erst an. Ick will, det jeder Bürjer ohne Unterschied des Jeschlechts die Stadtkasse inschätzt un sie besteuert un det ihm der Betrag in monatlichen Raten in's Haus jebracht wird. Die Bürjer sind lange jenug besteuert jeworden, un muß ooch mal der Fiscus dran, der sich immerzu von unserem Jelde jemästet hat, det er eijentlich jeden Sommer nach Karlsbad jeschickt werden müßte.

Ick verlange ooch Schulen mit freies Entree. Keen Schuljeld mehr, meine jeliebten Mitbürjer, det is selbstverständlich. Aber damit bin ick noch nich zufrieden, ick will ooch freie Bücher un Tornister un für die Kinder jeden Morjen freies Frühstück in die Trommel. Der Primaner muß Jehalt haben un, wenn er im Examen durchfällt, Pensionen, damit er mit Vater un Mutter vor Noth jeschützt is, dajejen müssen kinderlose Eltern, die also keenen Nutzen von diese Nassauerei haben, in anjemessener Weise entschädigt werden.

Mitbürjer, die Hundesteuer muß fallen! Ick 76 werde die Stadt verhindern, jeden Hund auszusaugen un sich von den Hundemarken zu mästen. Det Pudelchen des armen Mannes, der Pinscher der jreisen Jungfrau darf nich vertheuert werden! Der Maulkorb muß ufhören, oder höchstens vom Hundebesitzer über'n Arm jedragen werden. Und wer sich einen Cesar oder 'ne Minca wünscht un hat nich det nöthige Jeld, der muß von der Stadt seinen Hund jeliefert kriejen.

Die Pferdebahn, meine Mitbürger, soll verstadtlicht werden und muß Jeden kostenfrei befördern. Denn wir können nischt dafür un et is ins Jejentheil Schuld des Majistrats, det die Stadt so furchtbar anjewachsen is. Da muß ooch dafür jesorgt werden, det der Bürjer nich darunter zu leiden hat. Sonst hört Allens uf. Berlin hat sich schon in Bachem's Volksmund den Kosenamen Wasserkopp zujezogen, Andere nennen et Millionenstadt, Metropole, Häusermeer und lejen ihm andere Schimpfworte bei, die ick nich wiederhole, weil mir hier am Rednerpult der nöthige Raum fehlt. Det kommt von der verdammten Jröße Berlins. Entweder also Berlin wird wieder injeschrumpft, oder der Berliner muß umsonst fahren. Wenn der Berliner bei die doppelten Touren, die er zu loofen hat, die Zeit vertrödelt und die Stiefel runjenirt, denn nutzt et ihm nischt, det unsereener die Steuern abschafft.

77 Mitbürjer, ick verlange noch und werde dafür wirken, det die nothwendigsten Lebensmittel möglichst wenig Jeld verschlingen. Brod, Pilsener, Eier, Petroljum, Panorama, Jemüse, Zoologischer Jarten, Butter, Mehl, Bilse, Würste, Salz, Velocipeden, Käse, Cijarren und Telephöne müssen entweder wenig, oder noch etwas weniger kosten, det verspreche ick!

Is Ihnen det nu noch nich jenug, meine verehrten Mitbürjer, so bitte ick, keen Blatt vor den Mund zu nehmen. Ick bin entschlossen, Allens, was man verlangt, zu versprechen, un wenn ick noch 'ne Stunde hier stehen müßte. Wenn Sie mir aber dann nich in die Stadtverordnetenversammlung wählen, nun, meine Mitbürjer, diese Jemeinheit traue ick Ihnen vorläufig noch jar nich zu!


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