Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am ersten Januar 1884.

Muckenich ist an einer Haltestelle der Pferdeeisenbahn in der Leipzigerstraße angelangt und redet einen dort wartenden Herrn an: Also, wie jesagt, ick sitze im Landsknecht, als Jemand Prosit Neujahr! zu mir sagt. Ick verbitte mir das. (Der Herr steigt in einen Wagen, Muckenich wendet sich zu einem andern Wartenden.) Warum? sagt er. I, sage ick, det ewije Jratulationswünschen bringt bloß Pech. Heute vorn Jahr hat man mir meinen janz neuen Cylinder entzweijewünscht, un ick hatte das janze Jahr Unanjenehmes. Wieso? fragt er. (Der Herr steigt gleichfalls ein, Muckenich spricht mit einem Dritten weiter.) Det will ick Ihnen erklären. Ick bin in's vorichte Jahr 36 mal an die Luft jesetzt, 12 mal rausjeschmissen und 15 mal wurde ick jebeten, das Local zu verlassen. Macht monatlich 5¼ Stühle, die mir vor die Thüre jesetzt sind. Det is doch für einen Mann, der jerne sein Jlas in Ruhe austrinkt, 50 ein etwas reichliches Amöblemang, jar nich zu reden von die anderen Male, wo man mir zeigte, wo der Zimmermann das Loch jelassen hat, obschon ick jar nich neujierig war. (Der Angeredete ist längst eingestiegen, Muckenich geht weiter.) Da aber der fremde Herr immer wieder Prosit Neujahr sagte, so wurde er handjemein mit mir, un ehe er sich's versah, erhoben sie mir, nämlich der fremde Herr un zwee Kellner, in den Stand der Nothwehr un setzten mir erst uf die Straße wieder zu Boden. Da beeilte ick mir denn, hierher zu kommen, damit Sie wissen, was aus mir jeworden is. (Schreit.) Ick weeß et selber nich!

Schutzmann. Verhalten Sie sich ruhig!

Muckenich. Sie sollen mir aber nich Jlück wünschen, ick sagte Ihnen ja schon, det ick vorichtes Jahr über un über beprostet wurde un in Folge dessen furchtbar ville Pech hatte. Bloß een Jlück hatte ick, ick konnte keen Jeld uf Renten lejen, un so bin ick denn wenigstens vor der Kapitalrentensteuer sicher.

Schutzmann. Machen Sie, daß Sie weiterkommen!

Muckenich. Det is bei diesem Steuerjestöber nich möglich. (Er stolpert vorwärts.) Jestern lese ick, bei Haußmann hat Jemand Muscheln jejessen un 51 in eine hat er drei Perlen jefunden. Da könnte man sich ja leicht zum Milljonär ruffrühstücken, aber wo kriegt man die Muscheln? Denn bei Haußmann werden sie natürlich schon jestrichen sind. (Redet eine Dame an.) Wissen Sie vielleicht, wo man die Muscheln mit Perlen bekommt? (Dame eilt vorüber.) Aha, die jeht selber Muscheln essen un wird mir natürlich nich ihre Quelle anjeben. Et is übrijens vernünftig, det sie die Sache jeheim hält, denn wenn die Jrenzboten davon hören, denn kriegen wir 'ne Miesmuschelsteuer, die eben so mies is wie all die anderen, un wer mag abjestempelte Muscheln genießen? Mit die kann man mir jagen! (Er läuft davon und fällt hin.) In die Leipziger Straße sind nu ooch wieder bloß Pferde un keen Sand jestreut. Das werde ick Wagner sagen, der mal wieder die liberale Stadtverordneten verleumden muß, sonst sinkt dies Berlin immer mehr in die Weltstadt 'ruf. (Ein Dienstmann hilft ihm auf die Beine.) Ueberall hebt sich die Industrie. Danke schön, lieber Freund, un wenn Sie bei Kasse sind, denn lade ick Ihnen zum Frühstück ein. Ick habe nämlich meine alte Münzen sämmtlich ausjejeben un die mit dem neuen Stempel habe ick noch nich. So wäre mir denn 'ne Bestechung Ihrerseits anjenehm, un die würde ick nich zurückweisen, weil ick bekanntlich keen Kritiker bin.

52 Dienstmann. Bekneipt sind Sie. Jehen Sie nach Haus, sonst werden Sie reif für den Schutzmann. (Geht fort.)

Muckenich. Schutzmann? Unsinn! Der hat zu ville zu thun, daß er die Juwelendiebe nich kriegt, der kann sich um eenen allein dastehenden Betrunkenen nich kümmern. Wenn Sie noch mal sagen, det sich der Schutzmann wejen mir jraue Haare wachsen läßt, denn denuncire ick Ihnen wegen Beamtenbeleidijung, denn Petzen kann ick wie'n erwachsener Breslauer oder Braunschweiger. (Geht auf einen Schutzmann zu.) Herr Schutzmann, Sie sind da eben jröblich beleidigt worden –

Schutzmann. Kommen Sie mal mit, ich beobachte Ihren Unfug schon seit einer halben Stunde.

Muckenich (folgt ihm). Wie die Zeit verjeht! Is det schon 'ne halbe Stunde her? Oder irren Sie sich in die Person? Wir haben im Proceß Dickhoff jesehen, wie leicht ein schon mehrfach bestrafter ehrlicher Mann für 'nen Commissionär jehalten werden kann. Uebrijens is heute Festtag, un da darf nich gejagt werden, machen Sie also nich so jroße Schritte, ick kann meine eijenen Beene nich sehen. Sie arretiren ja förmlich per Rohrpost. Wenn wir langsam jehen, denn erwischen wir vielleicht die Juwelendiebin, die am Ende jar nich weiblich is, sondern mehrere Männer. 53 (Nach einer Pause.) Waren Sie schon in Nanon? (Singt.) »Was ist denn heut wohl für ein Tag, daß mir so froh zu Sinn?« Richtig, der erste Januar. Nee, det Pech! Ick sagte't aber schon: Dat verdammte Jratuliren! (Er wird in das Polizeibureau gebracht.)


 << zurück weiter >>