Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Maßregeln gegen die Cholera.

Muckenich ist gegen Morgen nach Hause gekommen und schleicht in sein Schlafzimmer. Frau Muckenich ist erwacht.

Guten Abend, sagst Du? Was bezweckst Du mit dieser unerhörten Unterschlagung? Ich glaube, Du willst mir einreden, es sei heute erst noch gestern und nicht schon morgen.

Ich soll nicht reden, damit ich nicht trinken muß, denn die Feuchtigkeit sei gefährlich? Aber ich darf nicht schweigen. Wenn ich das Unglück habe, einen Gatten zu besitzen, der wie ein beliebter Roman in der Leihbibliothek nie zu Hause ist –

Beliebter Roman ist gut, und Du freust Dich, – selbstverständlich im Dativ – daß Du eine so aufgeweckte Frau hast? Zwiefach aufgeweckt, willst Du wohl sagen, denn ich lag im sanften Morgenschlaf, als ich die Treppenstufen unter 19 Deinen schwankenden Schritten dröhnen hörte. Ich wachte auf und hatte in der Hand ein thränenfeuchtes Tuch.

Um Gotteswillen kein feuchtes Tuch? Was willst Du damit sagen? Du erschreckst mich, Du hörst wohl nicht, was Du sprichst, Deine Zunge geht mit Dir durch. Was soll denn das heißen, daß die Feuchtigkeit so gefährlich ist?

Koch sagt, Trockenheit vernichtet den Kommabacillus der Cholera, und man müsse sich vor Feuchtigkeit in Acht nehmen? Da hättest Du doch vor allen Dingen zu Hause bleiben und nicht wieder alle Berliner Weinstuben durchmachen sollen. Es ist ja gerade, als löstest Du Dir Abends ein Rundreisebillet und führest nun die ganze Nacht von einer Rothweinstation zur andern.

Koch sagt? Was sagt denn Koch? Er kann unmöglich vorschreiben, daß ein Mann seine Frau allein zu lassen und sich mit Rothwein vollzufüllen hat. Das kann kein Choleraprophylacticum sein.

Doch, doch, sagst Du? Koch will Isolirung? Das ist ja eine empörende Auslegung. Wenn Koch dafür war, daß die Franzosen ihr Nationalfest vertagen sollten, um eine Ansammlung großer Menschenmassen und das Einschleppen des Choleragiftes aus den Provinzstädten zu verhindern, 20 so mag das vernünftig sein, aber die Ehe ist ja doch keine Anhäufung von Menschenmassen, und wenn Du mal einen Abend zu Hause bleibst, so schleppst Du damit doch nicht den Choleraheerd aus der Provinz in Deinen Familienkreis. Oder verlangt Koch, daß Deine Frau eine ewige Strohwittwe sein soll? Und wenn Du die Nächte beim Rothwein zubringst und Skat dazu spielst, das nennst Du doch am Ende nicht Isolirung.

Du trinkst keinen Rothwein? Du könntest mir mit demselben Recht erzählen, das Du nicht athmest. Du trinkst wohl Wasser?

Um keinen Preis Wasser? Koch sagt, Wasser sei ein Bacillenträger? Das ist Dir natürlich eines der geflügeltsten Worte, welches die Literatur kennt, und wegen dieses Einen Satzes hältst Du Koch selbstverständlich für den größten Dichter aller Zeiten.

Allerdings? Nun, und der Rothwein ist kein Bacillenträger? Du schrecklichster Mensch hast mir aber eben gesagt, die Trockenheit vor Allem tödte den Kommabacill.

Auch Säure, sagt Koch, und nun trinkst Du, um Dich der Familie zu erhalten, sauren Kutscher? Dem Anschein nach hast Du heut oder richtiger gestern ungeheuere Quantitäten 21 Moselwein genossen, denn ich sehe ja, daß Du jetzt mit dem Hausschlüssel Deine Uhr aufziehen willst. Das kommt nicht allein vom Moselwein, soviel verstehe auch ich vom Trinken.

Das freut Dich – natürlich wieder mit Deinem eisernen Dativ – und Du hättest dazwischen eine Flasche Champagner getrunken? Ich möchte nur wissen, womit Du den Champagner erklärst. Den hast Du doch nicht etwa wegen Beförderung der Trockenheit oder wegen der Säure getrunken.

Natürlich nur »wejen die Kohlensäure«, weil Koch Kohlensäure empfiehlt? Es ist ja merkwürdig, wie Du plötzlich so folgsam gegen die Aerzte bist. Als aber unser Doctor sagte, Du solltest nicht mehr trinken, da meintest Du, er habe keine Ahnung von der Medicin. Also Kohlensäure? Nun, von der bist Du doch auch nicht in diesen sinnlosen Zustand versetzt worden.

Bravo, ich hätte Recht, Du hast zuletzt einen Punsch getrunken, und der hat Dich total ruinirt? Also auch das noch, nun, und jetzt willst Du mir vorreden, Koch, dieser ernste Mann der Wissenschaft, empfehle auch den Punsch als ein Mittel gegen das Bacillen-Ungeheuer. Es fehlt nur noch, daß Du Dir den schlechten Witz erlaubst, mir 22 weiß zu machen, Du ließest Dir einen Punsch von Carbol machen.

Das nicht, aber der Punsch entwickelt Wasserdämpfe, und Wasserdampf, sagt der Minister, ist zum Desinficiren sehr nöthig? Muckenich, mache Dich keiner Beleidigung des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten schuldig, indem Du behauptest, dieser hohe Staatsbeamte habe an die Regierungspräsidenten, Landdrosteien und an den Polizeipräsidenten von Berlin die Verfügung erlassen, sie sollten anordnen, daß die Staatsangehörigen Punsch trinken. Ich habe diese Verfügung gelesen. Kleidungsstücke der Cholerakranken sind mit heißen Wasserdämpfen, deren Temperatur mindestens 100 Grad Celsius betragen muß, zu behandeln, und jetzt trinkst Du warmen Punsch und berufst Dich auf die Instruktion des Ministers. Es ist unerhört!

Was? Ich solle nun endlich still sein und wieder einschlafen? Nein, ich muß reden, denn sonst glaubst Du, ein Recht zu haben, auf Grund von Vorsichtsmaßregeln gegen die drohende Epidemie Deinen untugendhaften Lebenswandel fortführen zu können.

Wie nennst Du mich? Dein Bacillchen, Deine einzige Mikrobe? Ich werde Dich mikroben, 23 Du! Ich bin eine unglückliche Frau und keine Mikrobe. Du aber bist ein Mensch, der, oder besser kein Mensch, der jeden Tag ein anderes Ereigniß in eigennützigster Weise ausbeutet . . . Was, er schläft? . . . Er schnarcht? . . . Nun, wozu rede ich denn noch . . . (Sie schläft gleichfalls ein.)


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