Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Erlebnisse am Wahltage.

Bericht am Stammtisch.

Meine Herren! Ick kann Ihren Jubel nich theilen, ooch nich, wenn ick mir uf'n Kopp stelle. Et is ja anjenehm, det die Liberalen überall jesiegt haben, un det sich bloß 'ne Handvoll Pickenbäche in's Rathhaus, oder wie unsere Jegner sagen, in's Rothhaus erjießen werden. Na ob. Aber mir persönlich kann det, wie jesagt, nich veranlassen, in Ihren Jubel einzustimmen. Denn ick wurde überall, wo ick meine vornehmste Pflicht als Bürjer vollstrecken wollte, so schlecht behandelt, det ick sagen muß: So übel zujerichtet bin ick noch in meinem janzen Leben nich jelyncht jeworden.

Kurz un jut, wo ick mir zeigte, war ick der Jejenstand eines Jemetzels.

Sehen Sie meine Jarderobe an. Sie is neu. Ick habe sie mir nach dem letzten Jedicht der joldenen Hundertzehn jekooft, un die olle is derartig zerrissen, 79 det meine Jattin erklärt hat: Aus Rock, Hose, Weste un Hut zusammenjenommen kann für unsern Jüngsten nich mal 'ne Wintermütze herjestellt werden. Un da soll ick mir über den Sieg des Liberalismus freuen?

Ick weeß nich mehr, war't der dritte, oder der zweete, oder der erste Wahltag. Ick hatte mir zum Wählen anjezogen un war vom Hause wegjejangen. Da fiel mir ein: Du wirst heute den janzen Tag mit der Neubildung der Stadtverordneten beschäftigt sind, Du solltest also vorher zu jleicher Zeit frühstücken, Mittag un Abend essen, dann hast Du's aus'm Kopp. Ick setze mir also wo fest und esse was und drinke dazu in 'ne halbe Stunde zum Frühstück etliche Madeiras, zum Mittag 'ne Flasche Rothwein und zum Abend vier Seidel Bier, und dann mache ick mir an's Wählen. Meine Herren, un da habe ick Berlin von einer Seite kennen jelernt, die jar nich mehr Seite jenannt zu werden verdient.

Wenn ick dieselbe der Oeffentlichkeit überjeben würde, so würde meine Vaterstadt vor dem Ausland in 'n übles Licht kommen, un deshalb unterbleibt es.

Wissen Sie was, meine Herren? Wenn ick Jott weeß was bejangen hätte, so konnte 't mir nich schlimmer jehn.

Wie ick am andern Morjen nach Haus komme un meine Jattin fragt mir: Na, Muckenich, wie 80 war's? Wissen Sie, meine Herren, was ick antworten mußte? Ick sagte: Liebes Kind, wenn ick die Araukaner bestohlen hätte un die Synagoge in Stettin anjestochen, dann wäre ick mit heilere Haut davonjekommen. Un damit zeigte ick ihr meine Beulen un Hautabschürfungen. Jesammtsumme dreizehn! 'ne Unjlückszahl!

Also in der Straußbergerstraße, Jemeindeschule. Ick halte eine kurze Anrede. »Mitbürjer,« sage ick, »ick wähle den Mann, der aus dem Innersten heraus spricht un dessen Wahlspruch is: Eener für Alle, ick wähle den Bauchredner Lieutenant Walter Cole aus die Reichshallen!« Meine Herren, ick habe in Jemeindeschulen schon Manches erlebt, aber so was wie in diese doch noch in meine janze Jugend nich. Ick flog förmlich unter den Schutz der Jesetze, uf eenen Schutzmann zu, der mir mit blanker Faust in Sicherheit brachte. Da stand ick nu un besah meinen ersten Schaden. Det also war die Ausübung der vornehmsten Bürjerpflicht? fragte ick mir.

Aber die Zeit drängte, jeden Oogenblick konnten mir die Wahlakten vor der Nase zujeschlagen werden. Ick eile also in die Pallisadenstraße, wo in's Friedrich-Wilhelms-Hospital die feierliche Handlung der Wahl stattfand. Meine Herren, det war nich feierlich. Ick dränge nur durch un sage: »Mitbürjer! Wir 81 haben als Hauptstadt einen Mann zu entschädigen, der in Paris uf's Tiefste mit Koth beleidigt worden is, weil er in Deutschland ausjezeichnet wurde. Wählen Sie Alfonson zum Stadtverordneten, denn die Stadtverordneten sind Ihre Ulanen, un –«

Meine Herren, was nu jeschah, wird mir ewig unbejreiflich bleiben. Die Antwort uf meine jehaltvolle Rede erfolgte in Volapük, in der Weltsprache, die alle Menschen von Jefühl verstehen, nämlich in Haue. Et war dies die unbeliebte Sorte der Wanderhaue, indem man sie unterwegs beim Rauswerfen kriegt. Ick war so zujerichtet, det ick am liebsten in dem Friedrich-Wilhelms-Hospital jeblieben wäre, det können Sie mir jloben, aber einmal draußen, danke ick Jott, det ick, mit blauem Ooge förmlich bedeckt, meine Wahlpflicht weiter jenüjen konnte.

Also nach der Keibelstraße in die Jemeindeschule. Hier herrscht uf allen Stufen ein jroßer un alljemeiner Widerwillen jejen die Miethssteuer, und ick erjriff daher det erste beste Wort und sagte: »Mitbürjer, wählt Antoine!« Keener wußte, wen ick meinte, bloß Eener, der mir für anjerissen hielt, schien mir zu verstehen. Ick fuhr also fort: »Mitbürjer, Antoine is jener Metzer, der nich bloß Deutschland, sondern ooch Berlin vom Erdboden, respektive vom Erdball rasiren möchte. Jeben Sie 82 diesem Rasör Ihre Stimme, und er wird natürlich alle Steuern ufheben, denn nur uf diese Art kann Berlin wieder Unweltstadt werden und sich allmälig unter det frühere Fischerdorf herabschwingen. Wählen Sie Antoine un nich Häseke!«

Kaum hatte ich diesen Häseke über meine Lippen, als mir die Umstehenden in den Nothwehrstand erhoben und mir so förmlich raustrugen. Pünktlich wie immer folgte mir mein Hut uf dem Fuße nach, un da ooch der Schutzmann kam, so beeilte ick mir, die Turnhalle in der Jormannstraße zu erreichen, wo jleichfalls ein Wahlakt vor sich jing.

»Mitbürjer«, sage ick, wie die Thür mit mir in's Haus fällt, »Mitbürjer, wählen Sie Edison. Dieser Mann erfindet zu ville, det muß ufhören. Er hat die elektrische Jasanstalt erfunden, un Berlin is dadurch in jroße Ausjaben gestürzt. Am Ende erfindet er noch was, un Berlin muß abermals mit Jeld rausrücken, um sich zu verschönern. Mitbürjer, det geht nich. Wählen Sie den Mann in det rothe Schloß rin, machen Sie ihm zum Stadtverordneten, un denn hat er zum Erfinden keene Zeit mehr. Mitbürjer, wählen Sie Edison völlig brach un retten Sie so Berlin!«

Nu hatte ick weiter nischt zu dhun, sondern bloß zu sehen, wie ick 'raus kam. Meine Herren, nie in 83 meinem Leben stelle ick wieder Jemand in eine Turnhalle uf. Wie sie mit mir rausturnten, da spotte ick jeder Beschreibung. Ick kann nur sagen: Dem alten Jahn hätte det Herz im Leibe jelacht, wenn er det jesehen hätte. Ick persönlich fand et nich zum Lachen, sondern vielfach empörend. Erst machten sie mit mir 'nen Dauerlauf un zu juter Letzt, was man so juter nennt, war ick det Opfer einer jroßen Welle. Da lag ick.

Meine Herren, hier will ick abbrechen. Möge et unserm allverehrten Puttkamer nie wieder infallen, 'ne conservative Stadtverordnetenversammlung aus der Erde zu stampfen. So was stampft sich nich. Die Berliner Bürjerschaft jeht nich uf'n Leim. Wenn ick überhaupt noch Lust hätte zu singen, wie ick sie nich habe: ick, meine Herren, könnte een Lied davon singen!


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