Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Ein Wohlthätigkeitsspieltag.

Sie. Muckenich? Himmel, wie bin ich erschrocken! Bist Du's?

Er. Wenn ick mir nich irre, so bist Du uf die richtige Fährte.

Sie. Daran merke ich, wo Du wieder gewesen bist, daß Du auf lallenden Füßen in mein Zimmer kommst. In welcher Verfassung Du erscheinst!

Er. Meine Verfassung is bekanntlich janz unverletzt, bloß ein Paar Parajraphen müssen revidirt werden.

Sie. Schrecklicher Gedanke! Während ich zu Hause sitze und mir in angeborener Sparsamkeit kein Billet zur Lucca gönne, obschon ich mir so gerne die Widerspenstige bezähmt hätte, bist Du den ganzen Tag fortgewesen und hast gewiß das letzte Bimetall verthan!

Er. Verthan? Det nennst Du verthan? Aber Du weeßt doch, meine Puppe, det heut im janzen 115 Vaterland für die Nothleidenden jespielt worden is un det ick als Skat-Johanniter mitjewesen bin.

Sie. Für die Nothleidenden! Weißt Du, wer nothleidend ist? Ich bin die nothleidendste Frau des deutschen Kaiserreichs!

Er. Dann werde ick morgen ooch vor Dir einen Skat machen.

Sie. Höhne nur, zertritt mein Herz mit rauher Sohle, dann bin ich erlöst, ich, die ich bei lebendigem Gatten jahrein, jahraus Strohwittwe bin und die Nächte damit kürze, daß ich dann und wann auf die Uhr blicke.

Er. Det denke ick mir allerdings uf die Dauer etwas langweilig. Aber ick habe mir jleichfalls nich amüsirt, tröste Dir man, meine Puppe. Un det sage ick Dir: Wenn morjen die Sündfluth kommt un ick werde injeladen, in die Arche mit Noah 'nen Skat für die Ueberschwemmten zu machen, nich mit zehn Pferde kriegt er mir dazu.

Sie. Welche überflüssige Reden! Bei einer Sündfluth bleiben ja keine zehn Pferde übrig.

Er. Du hast schon wieder Deine jebildete Nacht, meine Puppe. Also höre zu, wie schrecklich mir's jejangen is. Ick komme bekanntlich zu Piper un denke für die Nothleidenden ordentlich wat zusammenzukejeln. Da sagen sie, et wäre zum Kejeln 116 zu kalt. Wat? sage ick, zu kalt? Schämt Ihr Euch nich? Det is ja verhältnißmäßig! Ick sollte det nich noch mal sagen. Nu jrade, rufe ick, ick find't verhältnißmäßig, irjend 'ne Athmungsphäre zu kalt zu finden, wenn et jilt, für Nothleidende etwas zusammenzukejeln. Un det hatte ick noch nich ausjesprochen, da waren sie schon wieder drinnen.

Sie. Wie soll ich das verstehen?

Er. Na, sie hatten mir bekanntlich vor die Thür jebracht un waren wieder rinjejangen. Da stand ick nu kejelseelenalleene, bis ick mir nischt mehr draus machte un zu Riesel jehe. Da sitzen die Samariter un ick sage: Na, wie is et mit'n Fluthskat? Nee, sagen sie, sie wollen eenen – wie heeßt doch bekanntlich det Spiel mit Seine Excellenz dem Accent-Jrafen zwischen die beiden Anfangsbuchstaben?

Sie. L'Hombre. Wie oft soll ich Dir das wiederholen?

Er. So oft Dir's Spaß macht, meine Puppe, Du weeßt, ick lasse Dir in solche Dinge vollkommene Freiheit. Also sie machen einen sojenannten L'Hombre, un da war ick außer mir. Wie? rufe ick, Ihr wollt wat spielen, wat ick nich kenne, un mir dadurch zur Hartherzigkeit zwingen? Da denke ick mir mein Theil. Nu ruft Knappe, det sollte ick zurücknehmen, det wäre 'ne persönliche Beleidijung, un wenn er un ick 117 Offiziere wären, denn müßten wir uns duelliren. Ick wäre zwee janz jewöhnliche Briefsäcke –

Sie. Was soll das nun wieder heißen?

Er. Det soll natürlich heeßen, det ick ihm jestohlen werden kann, weil doch bekanntlich neulich zwee Briefsäcke bei Varzin jestohlen worden sind. Die wollte ick nu nich uf mir sitzen lassen, un ick trank daher noch 'ne Flasche Rothwein.

Sie. Noch eine?

Er. Na ja, bei Piper hatte ick ja schon zwee Jlas Bier jetrunken, un wie ick nu den Cognac runter hatte –

Sie. Den Cognac?

Er. Natürlich, denn nach der Flasche Rothwein ließ ick mir'n Cognac jeben, un denn bezahlte ick den Punsch –

Sie. Den Punsch?

Er. Nach dem Cognac trinke ick bekanntlich immer'n Punsch, und denn sage ick zu dem Apotheker –

Sie. Mensch, so sprich doch nicht so in die Nacht hinein! Wie kommt denn der Apotheker hierher?

Er. Sehr einfach, ick jing zu ihm, um mir Kühlsalbe zu koofen. Denn wie ick mit Jewalt Skat spielen will un det Wort: »Da denke ick mir mein Theil« nich um die Welt zurücknehme, da wurden wir handjemein, un weil ick mir doch schon lange mal 118 Kühlsalbe koofen wollte, so bekam ick eens mit der Faust, und da hatte ick denn 'ne Ausrede, un diesen Fingerzeig benutzte ick und jing bekanntlich in die Apotheke.

Sie. Und das nennst Du für die Verunglückten spielen?

Er. Nee. Zum Jlück is aber drei Straßen weiter Schwarzsauer sein Lokal janz in die Nähe, un da jing ick denn rin un wollte mir an den Ueberschwemmungs-Whist betheiligen. Wie ick aber drinnen bin, sind da jar keene Jäste, sondern bekanntlich blos Stiefel. Ick sage: Aber lieber Schwarzsauer, wat haben Sie jetzt für'n komischen Frühstückskeller! Unsinn, sagt Schwarzsauer, ick heeße Lehmann un bin Schuhmacher, Schwarzsauer is längst ausjezogen. Det jing mir denn doch zu weit. Ick sage, det ließe ick mir nich jefallen, ick wollte 'n Whist für die Verunjlückten machen, un nu heeßt Schwarzsauer Lehmann un is Schuster, da hört allens uf. Det sah er ooch in un sagte, er wollte 'n Schutzmann holen. Schön, sage ick, denn machen wir 'n Whist mit'n Blinden. Kaum hatte ick den Blinden über die Lippe jebracht, so kommt ooch schon der Schutzmann un jeht mit mir weg.

Sie. Das ist ja haarsträubend.

Er. Det jloobe ick nich, Deine Frisur liegt da 119 janz ruhig uf'n Tisch, un der Schutzmann hatte die Pickelhaube uf'n Kopp behalten un sagte: »Verlassen Sie den Keller, sonst machen Sie sich eines Hausfriedensbruches schuldig!« Ick sage, wir wollen drum würfeln, ob ick den Kellerfrieden breche oder nich, der Jewinn is bekanntlich für die Ueberschwemmten. Da erklärt er mir amtlich für betrunken, woruf ick ihn amtlich für nüchtern erkläre, un so trennten wir uns. Er hat mir nich wiederjesehen, (weinerlich) un wer weeß, ob er mir jemals wieder zu Jesicht kriegt.

Sie. Thu mir die Liebe, Muckenich, und weine nicht, das ist ein erbärmlicher Anblick.

Er. Nich? Et is aber ooch sehr traurig. Nu hatte ick den janzen Tag im Schweiße meines Anjesichts rumjetrunken un konnte nirgends meine Mildthätigkeit anbringen. Ooch bei Knickow's Nachfolger nich, wo ein Puff anjesagt war. Ick setze mir nieder, trinke einen Stehseidel nach dem andern Jilka und wecke dann immer den Kellner un frage, wann der Puff losjeht. Ach, sagte er endlich, der is ja schon um zehn Uhr ausjewesen un nu is et halb drei, un weil ick nu wußte, det der Wirth zum joldenen Eisenhammer ne richtig jehende Uhr hat, jehe ick dahin. Da saß denn ooch die janze Blase un wie ick mir am Domino für die Rheinufer betheiligen will, da wollten sie blos noch Go mit mir spielen.

120 Sie. Go? Was ist das?

Er. Det weeßt Du nich? Hast Du denn nich die Zeitungen jelesen, meine Puppe? Det is ja bekanntlich det Jahrtausende alte Nationalspiel der Japanesen, welches mit 181 weiße und 181 schwarze Steine jespielt wird. Un wie ick nu merke, det die Kerls mir ufziehen wollen, da setzen sie mir vor der Thür in 'ne Droschke un da bin ick. Wat sagst Du, meine Puppe? Sieh mal, ick habe 'n Schneeball mitjebracht, setze Dir im Bett zurecht, wir wollen Ball spielen, sonst jeht der deutsche Spieltag vorüber un ick habe absolut nischt für die Nothleidenden jethan . . . Du schnarchst, meine Puppe? . . . Denn bin ick der unjlücklichste Mensch uf diesem Stuhl . . . (Er schläft ein.)


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