Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Siebzehntes Kapitel.

Für Astolf lag die Welt in Trümmern.

Er hatte so völlig nichts von dem Unheil geahnt, das über ihn hereinbrechen sollte, der furchtbare Schlag ihn so jäh getroffen – die Wut, die ihn gepackt und dem Elenden, den er für den Angreifer hielt, an die Kehle springen ließ – es war nur eine erste instinktive Reaktion gewesen. Aus der Betäubung, die im übrigen, wie eine schwere Narkose, auf sein Denken, Empfinden, auf seine äußeren Sinne selbst gefallen war, sollte er erst allmählich zum Bewußtsein des Entsetzlichen, das man ihm angethan, erwachen. Aber zu fassen war es ja auch dann nicht. Da war sie, die er schon geliebt, als er noch ein halber Knabe war; an die er seitdem immer gedacht hatte, wie an einen goldigen Morgentraum, bis der Traum Wirklichkeit und sie sein Weib wurde, sein geliebtes, angebetetes Weib; – die Heilige, vor der er kniete; der Tempel der Reinheit und Unschuld, dem er sich immer nur in banger Ehrfurcht nahte in dem demütigen Gefühl, daß sein Fuß nicht wert sei, die heilige Schwelle zu berühren; die Jungfrau, die makellose, die ihn dennoch ihrer Liebe gewürdigt hatte, und daß sie die Mutter seines Kindes wurde – sie, der Inbegriff für ihn von allem, was schön und gut und göttlich war auf dieser Erden – eine Dirne! Eine Dirne, die ihr Wesen nicht einmal mit naiver Schamlosigkeit offen trieb – nein: mit allem Brimborium der raffiniertesten Heuchelei, der ausgefeimtesten Lüge, wie eine Schlange lautlos im Verborgenen sich an ihr Opfer heranwindend, bis sie ihm die Giftzähne ins Fleisch hacken konnte! Gab es einen Gott, der das zuließ? Wo blieb dann der Glaube an seine Güte, seine Gerechtigkeit? Welcher irdische Künstler brächte es über das Herz, sein schönstes Werk in eine Fratze umzuwandeln? Und der Schaffer aller Kreatur sollte ihm dazu das Beispiel geben?

Auf dem Wege lag Wahnsinn.

Aber lag er auf dem andern nicht? – auf dem Wege zu dem Rätsel, wie es sich reimte, daß jemand einen Freund verriet, mit dem er in feierlicher Stunde Blutsbruderschaft getrunken; ein Fürst sein konnte, der sich von seinen Unterthanen Treue schwören ließ und selber keine hielt; und keine Peers anerkannte als solche, in deren Adern Fürstenblut rollte, und trotz alledem und alledem in der untersten Plebs nach seinesgleichen in der Schlechtigkeit lange vergeblich suchen mochte?

Des alten mißhandelten Königs: »O, schützt vor Wahnsinn mich, vor Wahnsinn, Götter!« war Astolfs tägliches, stündliches schmerzliches Gebet.

Und über die Trümmer, in die sein Glaube an die Menschheit zerfallen war, gelangte er erst allmählich zur Empfindung der Schmach, die man ihm persönlich zugefügt, des Schmutzes, mit dem man ihn besudelt hatte.

Hier konnte, hier mußte abgerechnet werden.

Nicht mit ihr! Sie war ein Weib. Sie fiel aus der Rechnung aus. Eine Frau, die ihrem Gatten das gethan, kann er nur verachten. Vermutlich ist es keine Strafe für sie; aber eine andre hat er nicht.

Mit ihrem Buhlen geht man ins Gericht.

Aber dieser Buhle ist ein Fürst. Die Person eines Fürsten ist unverletzlich. Die des Landesherrn doppelt und dreifach.

Von seinem Landesherrn kann man keine Satisfaktion fordern. Er könnte sie nicht geben, selbst wenn er wollte.

Dem Mann gegenüber war er machtlos.

Das erdrückende Gefühl seiner Ohnmacht, die Schmach zu rächen, die man auf ihn gehäuft, senkte sich schwerer und schwerer auf Astolfs Seele, so daß er, ihm zu entrinnen, keinen andern Ausweg sah, als den Tod.

Einen unverfänglichen Tod, der keine Spur zurückließ, welche die Geschichtenträger deuten konnten.

Das war die unumgängliche Bedingung.

Kein Mensch sollte auftreten und sagen dürfen: er hat sich das Leben genommen, weil er vor der Welt nicht als ein Entehrter dastehen wollte, der verdammt ist, die Hände in der Tasche zu ballen; ja, nicht einmal die Dirne, die er sich aufgehalst, wieder los werden konnte, ohne ihrem Vater das Herz zu brechen.

Das würde dem Grafen das Herz gebrochen haben. Gab es einen Edelmann, des Namens würdig – er war es: der wahre Ritter ohne Furcht und Tadel. Ein Mann, aus dessen Munde kein unwahres Wort kam; der lieber seine rechte Hand ins Feuer gelegt, als etwas gethan hätte, das den strikten Geboten der Ehre auch nur im geringsten zuwiderlief. Der die höchsten politischen Stellungen ausgeschlagen hatte, weil er kein Kompromiß schließen mochte zwischen der Ehrlichkeit eines, dessen Wort »Ja, ja« und »Nein, nein« ist, und der elastischen Weite eines diplomatischen Gewissens; und ihm der Schacher verächtlich war, sei es um alte Kleider und silberne Löffel oder um Provinzen und Kronen.

Und dieser kindlich fromme Mann liebte seine Tochter, liebte sie abgöttisch. Sein hoher Geist, seine tiefe Bildung waren nicht im stande gewesen, das ganz gemeine böhmische Glas von dem unschätzbaren Diamanten zu unterscheiden. Gegen eine Welt in Waffen würde er behauptet haben, daß sie rein sei, wie das Herz der Wasser!

Vor diesen Mann sollte er hintreten und ihm sagen: Du und ich, wir haben unsre Herzen in eine Pfütze geworfen!

Das wäre dann das Pendant zu der Scene vor zwei Jahren, als der Mann ihre kleine weiße Hand in seine große braune Hand legte mit den Worten: »Sehen Sie, lieber Vachta, wäre ich ein altbiblischer Patriarch und nicht ein moderner ostpreußischer Krautjunker, müßte ich jetzt rufen: Nun darf ich in Frieden zur Grube fahren. So kann ich nur sagen: Es ist der schönste Tag meines Lebens, der, an dem ich mein Herzenskind, mein Liebstes in dieser Welt, dem Einzigen gebe, den ich wert gefunden habe, es sein eigen zu nennen. Und, Vachta, wenn ich etwas gebe, so gebe ich es ohne Rückhalt und Reservation. Sie ist nun dein und nur dein. Mein Glück an ihr habe ich in reichen Zügen genossen. Wißt ihr aber, was ich für sehr möglich halte, mit eurem Glück nicht zu bleiben, nun, so tragt, was ihr nicht konsumieren könnt, hierher – ich will schon mit den paar Brosamen fertig werden.«

O, der gräßlichen Ironie!

Und der Qual, gegen den Einzigen, der seinen Jammer verstanden haben würde, stumm sein zu müssen, wie das Grab! Sehen zu müssen, wie der beste aller Väter ihn, den Verstummten, Verstörten, von Tag zu Tag mit sorgenvollerer Miene beobachtete! Nicht zu fragen wagte und endlich doch mit bebender Stimme: »Astolf, ist es – ist es etwas – mit Susi?« Und dann mit dem Kopf schütteln und Unbestimmtes von gewissen politischen Plänen murmeln zu müssen, mit denen sich sein Herzog trage, und die er ihm als Ueberfracht in sein Reisegepäck gelegt habe!

Sein Herzog! Aber doch des Grafen nicht, der ebenso grauenhaft beleidigt war, wie er, und dessen geschändete Ehre er rächen mußte, wenn er die seine nicht rächen durfte!

Ja, Rache! Rache! Rache, wie man sie eben fand, wie man sie eben haben konnte, wenn nicht im ehrlichen Zweikampfe, der hier durch einen Zufall ausgeschlossen war und den die Gesetze verboten, so denn nach einem Gesetze, das die ewige Natur sanktionierte, und das da lautete: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Um mein Leben, das, so wie so, dem Tode verfallen ist, obgleich ich schuldlos bin, dein schuldiges Leben!

An dies Gesetz hatten früher und später Menschen appelliert, denen die geschriebenen Satzungen ihr Recht vorenthielten; früher und später hatten selbst Kaiser und Kaisersöhne erfahren müssen, daß auch sie nicht ungestraft die Dämonen wecken durften, welche, wie tief immer, unter den darüber gebreiteten Schichten der Civilisation und Sitte in der Nacht der Menschenbrust wesenlos – wesenmächtig hausen.

Kain und Abel!

Nein und tausendmal nein! Abel war schuldlos, hatte Kain nie beleidigt! Seine Schuld lebte nirgends, als in Kains finsterer, neidischer Seele! Und dieser hatte ihm sein Teuerstes geraubt, ihn ehrlos gemacht vor den Menschen, mit seinem Gotte selbst entzweit.

Und doch wieder Kain und Abel!

Sie waren ja gewesen wie Brüder; er hatte ihn so sehr geliebt, den schönen, schlanken Jüngling mit der hinreißenden Anmut, der übersprudelnden Laune, der vornehmen Sicherstelligkeit! Hatte ihn geliebt, just wie ein älterer Bruder den jüngeren, körperlich und seelisch reicher begabten, neidlos liebt, bis in seine offenbaren Schwächen hinein, die er ihm kaum abgewöhnen möchte, weil sie so graziös sind!

Die Erinnerung daran sollte ihm nicht die Hand lähmen, wenn er sie aufhob zum tödlichen Streiche?

Und ein andres noch.

Wie er es sich auch vorstellte – es konnte doch kein Tellschuß aus dem Hinterhalte sein; keine Schlinge, dem ahnungslosen Opfer über den Hals geworfen; kein Stoß mit plötzlich gezücktem Dolch. Und wär's mit den Waffen, welche die Natur dem Menschen gab: Aug in Aug mußte es geschehen – er mußte um sein verwirktes Leben kämpfen können.

Dennoch kein ehrlicher Kampf.

Das ist keiner, in dem die Chancen von vornherein wie drei zu eins stehen, der Ausgang gar nicht zweifelhaft sein kann, weil der eine Gegner dem andern an Körperkraft dreifach überlegen ist.

Also auch hier die Rache abgeschnitten, kein Ausweg aus diesem Irrsal als der eigene selbstgewählte Tod.

Er ist nicht so leicht zu haben, wenn kein leisester Verdacht des Selbstmords auf den Toten fallen darf. Man verwundert sich, wenn ein notorisch ausgezeichneter Reiter, renommierter Jäger so kopflos das Pferd führt, so unvorsichtig die Büchse handhabt, daß es ihm das Leben kostet; man pflegt nicht blindlings in ein Loch zu rennen, das die Fischer in das Eis des großen Gutssees gehauen haben – die Leute stehen herum und schütteln verwundert die Köpfe: Wie ist das möglich gewesen? Das kann nicht mit rechten Dingen zugegangen sein!

Und die Sache war auch schon zu weit herum: Brenken wußte davon, die Reinerz, der junge Gärtner, der Diener, der auf den Lärm im Salon herbeigelaufen kam, und mit ihm die ganze Dienerschaft in der Villa. Wer mochte nicht noch sonst davon wissen, der, wenn er starb, die Achseln zucken und sagen würde: Der arme Tropf! Es blieb ihm ja nichts andres übrig!

Je mehr der Unglückliche sich bestrebte, abmühte, qualvoll rang, Licht in dies Chaos zu bringen, desto dunkler wurde es um ihn, wie um den Schwimmer, der nach oben strebt, während er doch rettungslos in die purpurne Tiefe sinkt.

Dann konnte es wieder geschehen, daß er nachts erwachte in völliger Vergessenheit des Geschehenen, ganz in dem Bann des ungetrübten Glücks von einst, und die Hand ausstreckte, ob es ihm gelänge, die geliebte Hand zu fassen, ein wenig nur ihres seidenen Haares zu berühren, das sich zu ihm herüber verirrt hatte, um jäh aus dem holden Traum emporzuschrecken und, die Hände in die Augen drückend, in der Stille um ihn her leise zu weinen und zu schluchzen wie ein verlassenes Kind.

Einmal, nur einmal noch sie in seinen Armen zu halten und dann sterben! Nachdem er vorher sie getötet!

Und so für sein Teil die Katastrophe in dem Romane der affaire Clémenceau nachgeäfft hatte, dem widerlichen, von dem raffiniertesten Pinsel gemalten Schandbild der Wollust, die mit der Grausamkeit die gräßliche Ehe eingeht; dem Produkt der Fäulnis einer bis in das innerste Mark angefressenen Hyperkultur, von dem es ihm stets ein unlösbares Rätsel gewesen war, wie man es aus dem Buch noch hatte auf die Bühne zerren mögen, um die nackte Gemeinheit im Lichte der Lampen spazieren zu führen, vor einem Publikum, für das, wenn es dies goutierte, die elendeste Karikatur der Poesie gerade gut genug war.

Nein, was auch geschah – sie durfte, sie wollte er nicht wiedersehen.

Und sein Kind?

Seine großen blauen Unschuldsaugen würden ihn an die ihren erinnert haben. Das durfte nicht sein; das mochte ihn in seinen Entschlüssen wankend machen. Es sterben ja auch andern Kindern ihre Väter früh; und daß dies bei der Mutter nicht verderbe, dafür würde sie schon selber sorgen. Sie würde es sobald als möglich dem Großvater bringen; der mochte dann sehen, wie er mit ihm fertig wurde. Es war das schlechteste Los nicht, das es treffen konnte. Und wenn seine Mutter auch eine herzlose Dirne ist, ein weibliches Herz, das sich seiner in Liebe erbarmt, läßt Gott ein so armes verwaistes Geschöpf doch immer wohl finden. –

Die Woche, welche Astolf bei dem Schwiegervater hatte verweilen wollen, war vergangen, ohne daß er einem festen Entschluß um ein Haarbreit näher gekommen wäre, als in der Stunde, nachdem er die entsetzliche Entdeckung gemacht hatte.

Da brachte ihm ein expresser Bote aus dem benachbarten Städtchen das Telegramm des Herzogs, am folgenden Tage den im Telegramm versprochenen Brief:

»Mein lieber Astolf!

Ich kann wirklich nicht dafür, daß der elektrische Draht noch immer keine Briefe befördert; sonst würdest Du diesen bereits seit achtzehn Stunden in Händen haben, anstatt Dich ebenso lange mit einer dürren Depesche begnügen zu müssen, wie sie freilich für meine fürstlichen Vettern und Lieben in Nord und Süd, West und Ost tausendmal gut war. Bin ich doch gewohnt, mit Dir, meinem ältesten, meinem einzigen wahrhaften Freunde, so Freud wie Leid zu teilen – das letztere mit Schmerzen, das erstere von Herzen, und Du weißt, daß mir keine größere Freude werden konnte, als die Geburt eines Erbprinzen, der, wenn Gott ihn am Leben erhält, sollte mir meine Frau auch weiter keine Kinder schenken, meine Nachfolge sichert und mir den Kummer erspart, das Erbe meiner Väter an eine Seitenlinie übergehen zu sehen, die ich mir die Freiheit nehme, für sehr viel minderwertiger zu halten.

Jetzt können wir auch mit freierem Mut die Schulter ans Rad stemmen, um den Staatskarren – ›Racker‹ nannte ihn des hochseligen Königs von Preußen Majestät – aus dem – sit venia verbo! – Dreck zu ziehen, in dem ihn meine lieben getreuen Landstände so gründlich festgefahren haben.

Aber, mein lieber alter Freund, wirst Du es noch wollen? Wird Pylades noch zu seinem Orest stehen wollen, das Bild der Göttin aus den Wäldern der Barbaren in das sonnige Land der Griechen zu retten?

Du weißt, Astolf, ich habe mir von Anfang an zum Prinzip gemacht, von dem, was an meinem Hofe um mich herum geschieht, nichts zu sehen und zu hören, als was ich unbedingt sehen und hören muß. Nur so ist es möglich, sich den Gleichmut der Seele zu bewahren, den Horaz – oder ist es Properz? – als den kostbarsten Besitz des Lebens preist, und ohne den ein Fürst schon gar nicht auskommen kann.

Nun aber, was habe ich sehen und hören müssen! Wie ist mir dieser schöne Gleichmut so arg erschüttert worden!

Wie gern legte ich hier die Feder nieder! Ich darf es nicht. Und Du darfst mir nicht zürnen: Hast Du Freud und Leid mit mir getragen, ist es mein Recht, mein Teil zu fordern von dem, das Du zu befahren hast, sei es in Freud, sei es in Leid.

Mein armer Freund, ein größeres konnte Dir nicht werden, wenn Dein ärgster Feind es Dir ausgesucht hätte!

Und den Elenden, der es Dir angethan, hast Du Freund genannt! Hundertmal hat er sich die Kniee an Deinem gastlichen Herde gewärmt, dessen heiliges Feuer er nun auseinandergezerrt, um Dir das Haus Deines Glückes über dem Kopf anzuzünden!

Ich weiß alles – aus dem Munde des Elenden selbst.

Er hat zu lange an einem Hofe gelebt, um die Intensivität der dort herrschenden Akustik nicht zu kennen. Wie durfte er auch annehmen, daß die Leute in der Villa – mochte er sie durch Versprechungen und Drohungen zur Verschwiegenheit noch so dringend verpflichten – reinen Mund halten würden! – Auch scheint die Reinerz – ich weiß nicht wie – in die unglückselige Affaire eingeweiht zu sein – genug, er hat es vorgezogen, mir, seinem Herrn, ein volles, und glaube ich, reuiges Geständnis abzulegen.

Du magst Dir mein Entsetzen vorstellen! Der Untergang der Welt würde mich nicht mehr überrascht, nicht so erschüttert haben! Eine Frau, die Tochter eines solchen Vaters, die Gattin eines solchen Mannes – ja, mein Gott, was auf Erden steht, wenn das möglich war, noch fest? an welches Heilige soll man dann noch glauben!

Es fehlte nur ein Geringes und ich hätte meine Hand mit dem Blut des Elenden besudelt.

Ich muß aus dem Schweigen, in das Du Dich hüllst, aus Deiner Inaktivität, die Dir so gar nicht ähnlich sieht, schließen, daß Du entweder noch keinen Beschluß gefaßt, oder beschlossen hast, einer Beleidigung gegenüber, die so ungeheuer ist und für die gerade deshalb eine wirkliche Genugthuung nicht existiert, Dich in Deinen Stolz zu hüllen, die Schuldigen der Strafe ihres eigenen Gewissens überlassend und der Verachtung der Welt, in der Deine Position zu fest ist, um durch irgend etwas erschüttert werden zu können.

Nichtsdestoweniger kann ich den trüben Gedanken nicht los werden: ich habe nicht den Freund – das wäre ja unmöglich, – aber den treuen Berater und Helfer in meinen politischen und ökonomischen Nöten verloren. Du wirst die Orte nicht wieder betreten wollen, die für Dich so schmerzliche Erinnerungen bergen.

Freilich sähe und spräche ich Dich gern, bevor Du Dich definitiv in Deine ostpreußische Einsamkeit versenkst. Es wäre zu einer möglichst ungenierten Aussprache, nach der doch wohl uns beide gleich verlangt, gerade in diesen Tagen – am Mittwoch – eine günstige Gelegenheit. Ich mußte der Herzogin den Gefallen thun, wieder einmal auf die Jagd zu gehen, und habe an dem genannten Tage ein Treibjagen auf Schwarzwild im Nödaer Revier befohlen. Da es nur eine halbe Stunde Fahrt von da nach Vachta ist, könnte ich Dir dort ganz inkognito auf dem Wege nach Hause einen Besuch abstatten; oder aber, was vielleicht noch besser wäre, Du kommst zur Jagd selbst, zu der ich nur wenige Herren eingeladen habe, und bei der wir uns nötigenfalls, ohne daß es auffiele, auf eine halbe Stunde, oder so, absentieren könnten.

Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß Dir der Anblick des Verräters erspart bleiben wird.

Gib mir telegraphisch Nachricht und bleibe, was Du auch beschließest, unter allen Umständen meiner innigen Teilnahme und treuen Freundschaft versichert!

Heinrich.«

Als Astolf den Brief gelesen hatte, stand sein Entschluß fest: Der Mensch, der nicht einmal den Mut seiner Schlechtigkeit hatte, der feig genug war, seine Schuld einem seiner Sklaven aufzuwälzen, dessen schnöde Pflicht es unter anderm mit sich brachte, das bißchen Ehre und Leben für den Gebieter in die Schanze zu schlagen, der verdient nicht zu leben, den durfte man totschlagen wie einen tollen Hund.

Er telegraphierte an den Herzog:

»Ich werde mich an dem genannten Tage rechtzeitig auf dem Jagdrevier einfinden und danke Hoheit für die mir gewährte Gelegenheit zu einer gegenseitigen Aussprache.«


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