Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Zwölftes Kapitel.

Susi bereute es fast, dem Drängen ihres Liebhabers nachgegeben und die Villa im Park betreten zu haben. Sie hatte zu viele französische Romane gelesen, um nicht zu wissen, mit welchen Augen ein Mann auf eine Frau blickt, die er in einem eigens zu diesem Zweck eingerichteten »kleinen Hause« empfängt. Der Luxus der Einrichtung, für den der Herzog auf ein freundliches Wort der Anerkennung gerechnet haben mochte, war ihr als eine Beleidigung erschienen. Wo war das Geheimnis hingeschwunden, das ihre nächtlichen Zusammenkünfte in den historischen Schloßgemächern so poetisch umdämmert hatte? In Brenkens Gegenwart gab es kein Geheimnis und keine Poesie. Diese widerwärtige Empfindung war so stark gewesen – zu des Herzogs maßlosem Erstaunen hatte sie seinen Kavalier ernstlich zum Dableiben aufgefordert. Dann, als der geschmeidige Mann, unaufschiebbare Geschäfte vorschützend, sich nach einigen Anstandsminuten doch entfernte, war es zwischen dem Paar zu einer förmlichen Scene gekommen. Susi hatte mehr als angedeutet, daß eine derartige Situation für eine Dame unmöglich sei; worauf der Herzog replizierte, daß die wahre Liebe keine Unmöglichkeiten kenne, er folglich aus ihren Aeußerungen schließen müsse: sie empfinde diese Liebe nicht. Susi wünschte zu wissen, welche größeren Beweise, als sie gegeben, eine Frau für ihre Liebe geben könne? Er habe diese Beweise entgegengenommen – freilich! Aber damit sei nichts bewiesen. Das thue selbstverständlich jeder Mann, der nach einer Frau begehre. Aber welches Opfer, welches kleinste, habe er ihr gebracht? ihr, die ihm alles geopfert: ihren guten Ruf, der verloren war in dem Augenblick, da Brenken in das Geheimnis gezogen wurde, und was ihr mehr als ihr guter Ruf gelte – die Ruhe ihrer Seele!

Das war so pathetisch herausgekommen, sie hatte sich selbst darüber gewundert, am meisten über die lächerliche Thräne, die ihr bei den tragischen letzten Worten plötzlich in der Wimper hing. Und die von dem Herzog mit einem Thränenstrom beantwortet wurde und den auf den Knieen unter Schluchzen gestammelten Worten: »Ich schwöre dir, ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, jedes! Ich werde meinen Schwur einlösen. Nur Unmögliches darfst du nicht verlangen! Nur Zeit mußt du mir lassen! O, sei so gut, wie du klug! wie du die erste deines Geschlechts, wie du die Einzige bist, ohne die ich nicht mehr leben kann! Wenn du wüßtest, in welchem namenlosen Jammer ich alle diese Tage verbrachte, du würdest Erbarmen mit mir haben!«

Sie hatte sich des Reuigen erbarmt; aber in dem süßen Kelch der Versöhnung, den sie geschlürft, war ein bitterer Tropfen geblieben.

Bitter für Susi; bitterer für den Herzog.

Nicht, daß seine Leidenschaft eine Einbuße erlitten hätte – er verlangte nun, da es so viele Hindernisse zu überwinden gab und das Beisammensein mit der Geliebten von dem Minutenzeiger abgemessen wurde, heißer nach ihr als je. Für ihn, den sonst seine Liebespfade so leicht zum nahen Ziele führten, umwitterte den steilen, dunklen Weg, den er jetzt emporzuklimmen hatte, ein dämonischer Zauber. Ein Zauber, der ihn anzog, reizte, bestrickte, gefangen hielt, und vor dem er doch in der Tiefe seiner Seele ein Grauen empfand, das von Tag zu Tag zunahm. Er, der gebietende Herr und Herzog, hatte mit der landläufigen Phrase sich ihren Sklaven genannt; er sah zu seinem wachsenden Erstaunen, bald zu seinem Entsetzen, daß er es war. Daß er weiches Wachs war in dieser kleinen starken Hand, seine bisherigen Anschauungen nach den ihren ummodeln mußte, nur noch mit ihren Gedanken dachte, Welt und Menschen nur noch mit ihren Augen sah. Die Herzogin war ihm immer gleichgültig gewesen; jetzt haßte er sie, ja, es kamen ihm verzweifelte Momente, wo er ihren Tod wünschte. Es hatte ihm Kummer bereitet, daß das erstgeborene Kind ein Mädchen war, dem jetzt möglicherweise abermals ein Mädchen folgte, welches dann vielleicht das letzte Kind blieb, wovon die legitime Konsequenz die Succession der Nebenlinie auf den durch seinen Tod ledig gewordenen Herzogsstuhl. Die Vorstellung dieser Eventualität, ihm früher ein Greuel, jetzt ließ sie ihn kalt; Herzogtum, und gesicherte Thronfolge und alles, was damit zusammenhing – mit Freuden hätte er es hingegeben für die Idylle eines privaten Lebens an der Seite der Geliebten. Nur daß darauf ihr Sinn nicht stand; nur daß sie sich mit ganz andern Hoffnungen trug, und er sich mit heiligen Eiden verschworen hatte, diese Hoffnungen zu Wirklichkeiten zu machen. Wie sollte er das gegebene Wort einlösen? Jeder nüchterne Moment sagte ihm, daß es unmöglich sei.

Und nun fehlte ihm der, zu dem er bei allen kleinen und großen Aergernissen und Schwierigkeiten bisher seine Zuflucht genommen: der Freund, der jetzt sein Todfeind war, sein würde, in dem Augenblick, wo er erfuhr, welch ungeheuren Verrat man an ihm begangen hatte. Konnte der Augenblick jemals kommen? Ja, was konnte denn nicht kommen? Welches Geheimnis war denn sicher in dieser Welt vor Gebärdenspähern und Geschichtenträgern? Brenken? Er war seine Kreatur; aber er hatte ihn schon wiederholt in Verdacht gehabt, daß er in dieser Angelegenheit ein doppeltes Spiel spiele, und während er sich den Anschein gab, im Dienst seines Herrn aufzugehen, im stillen für sich selber arbeitete. Pauline? Er hatte das Weib tödlich beleidigt und kannte ihre vor nichts zurückschreckende Bosheit und ihren das Verborgenste ausspürenden Scharfblick. Brenken oder sie, oder ein andrer von dem Gesindel, oder ein barer plumper Zufall, und der gräßliche Augenblick war da. Vor ihm stand Astolf, wie er ihn damals auf der Landstraße oben im Walde gesehen, als er, die Augen lodernd in Berserkerzorn, mit den eisernen Händen den Karrenführer an der Gurgel packte, ihn zu Boden schmetternd, daß der Chausseestaub hoch aufwirbelte. Und es hatte sich um einen Hund gehandelt! einen elenden Hund!

Aber er hatte ja noch einen Freund: den Prinzen. Es war doch am Ende gut, wenn er in der Domänensache, über die er schon wiederholt mit ihm konferiert hatte, seinen Rat einholte, bevor er einen definitiven Entschluß faßte. Dabei ließen sich dann vielleicht gewisse andre Dinge zur Sprache bringen. Man würde eben sehen. Der Prinz und die Prinzessin waren zu Hause; er erschien ihnen immer, auch unangemeldet, ein willkommener Gast.

Am nächsten Morgen wurde der Hof durch die Nachricht überrascht, Hoheit sei gestern abend spät mittels Extrazug nach Berlin gefahren. Er hatte gegen niemand aus seiner Umgebung von seiner Absicht ein Wort fallen lassen. Nur der Kammerjunker von Selbitz war im letzten Augenblick zur Eskorte befohlen worden.

Indessen konnte keiner mit größerem Recht erstaunt sein als Astolf. Der Antrag, den ihm der Herzog gemacht, ging ihm sehr im Kopf herum; tagsüber, halbe Nächte hindurch wälzte er ihn in seiner Seele. Galt es hier doch eine Entscheidung, die so tief in sein Leben eingriff, auf Jahre hinaus, vielleicht für immer seinem Leben eine andre Wendung geben würde! Seinem Leben und Susis, die seltsamerweise in einer Sache, die sie doch so nahe anging, eine Zurückhaltung beobachtete, welche sie in geschäftlichen Dingen sonst nicht zeigte; weder ja, noch nein sagte; alles in seine Hand legte. Und handelte es sich hier doch nicht allein um sein und Susis Wohl und Wehe! So klein das Herzogtum war und welche geringe Rolle es in der neuen deutschen Staatsordnung spielte – Tausenden mußte sein Regiment zu gute kommen, Tausende mußte es schädigen, je nachdem er das Richtige traf oder es verfehlte. Das war eine große Verantwortung, um so größer, als er vom Herzog nichts zu erwarten hatte, als ein jäh aufflackerndes und ebenso schnell wieder verlöschendes Interesse an den öffentlichen Dingen.

Und der Herzog war abgereist, ohne sein Versprechen einer nochmaligen eingehenden gemeinschaftlichen Verhandlung über die Ministerfrage gehalten zu haben! In drei Tagen aber – am Sonnabend – mußte er selber seine Reise nach Ostpreußen antreten. Der Termin, der seine Anwesenheit dort notwendig machte, war auf den folgenden Montag festgesetzt. Würde der Herzog binnen dieser drei noch restierenden Tage zurückkehren?

Nur eines war ihm bei der Lage der Dinge tröstlich: er glaubte zu wissen, was den Herzog Hals über Kopf nach Berlin getrieben hatte. Der Prinz war sein politisches Orakel, das er bei allen wichtigen Angelegenheiten zu Rate zog, freilich, um meist das Gegenteil zu thun von dem, was ihm geraten wurde. So war es erklärlich genug, daß er diesmal, wo die Dinge ungewöhnlich ernst lagen, zu der alten Gewohnheit zurückgegriffen hatte. Blieb nur zu wünschen – und Astolf wünschte es von ganzem Herzen –, er möchte diesmal ausnahmsweise sich gesagt sein lassen, was ihm der ebenso treuherzige als verständige prinzliche Freund sagen würde.

Susi gehörte nicht zu den Erstaunten; sie war nur auf etwas neugierig. Sie hatte sich entschieden geweigert, bevor Astolf abgereist sei, dem Herzog ein zweites Rendezvous in der Villa zu geben; aber auf sein Bitten und Flehen versprochen, ihm noch an dem Abend der Abreise, die um neun Uhr stattfand, eine Stunde zu schenken. Würde er bis dahin zurück sein? War diese Berliner Eskapade nur ein Vorwand, von dem Stelldichein wegbleiben zu können? Das Wegbleiben nur das Vorspiel zu einer allmählichen Lockerung des Verhältnisses, bis man den Mut fand, definitiv zu brechen? Denn ihr fürstlicher Held war ein Feigling – das stand bei ihr fest, und sie hatte ihm neulich mit ihren Zukunftsplänen bange gemacht. Es that ihr das nachträglich leid; aber schließlich mußte man doch wissen, ob diese Liebschaft als eine Episode ihres Lebens zu andern früheren und späteren Episoden rubriziert werden sollte oder dazu bestimmt war, sich zu einem regelrechten Drama mit dem glänzenden Schlußtableau eines herzoglichen Hochzeitsfestes aufzugipfeln. Es gab Stunden, in denen sie sich das Schlußtableau mit allen Einzelheiten ausmalte; es kamen aber auch solche, in denen sie der Episode den entschiedenen Vorzug gab.

Inzwischen hatte der Herzog in Berlin keine leichten Tage, trotzdem er diesmal von dem ihm höchst widerwärtigen Zwange, am allerhöchsten Hofe erscheinen zu müssen, befreit war. Er hatte allerdings noch von der ersten Station aus an den Prinzen telegraphiert, aber um die Erlaubnis gebeten, nicht im Schlosse Quartier nehmen, sondern im Kaiserhofe, unter Wahrung des strengsten Inkognitos, als einfacher Herr von Schwanburg (dem Namen eines seiner Jagdschlösser) absteigen zu dürfen.

Der gutmütige Prinz, der selbst der Etikette, wo es irgend anging, ein Schnippchen schlug, war es zufrieden und empfing den ihm persönlich sehr sympathischen Freund und Vetter mit offenen Armen; zeigte sich auch, trotz mancher trüber Erfahrungen, die er mit seinen Ratschlägen gemacht, sehr bereit zu einer eingehenden Diskussion der Maßregeln, welche der Herzog bei dieser Lage der Dinge in seinem Ländchen zu treffen habe. Dabei bekam denn der Ratsuchende einige, ihm wenig erfreuliche Dinge zu hören. Die Unzufriedenheit, die notorisch bei ihm zu Hause herrsche, sei nicht ohne triftigen Grund. Besonders in der Domänenfrage habe er, wenn nicht gerade unfair, so doch keineswegs eigentlich fair gehandelt: wichtige Aktenstücke seien sekretiert, verbriefte Rechte der Landschaft offen mißachtet worden. Einen kleineren Teil der Schuld an diesen Unregelmäßigkeiten trage sicher auch der Herzog; den weitaus größeren freilich sein Minister, ein völlig unfähiger und noch dazu nicht einmal zweifellos integrer Mensch, vor dem er ihn immer gewarnt habe.

Der Herzog mußte das einräumen, räumte es wenigstens ein. Er habe dem Mann längst einen Nachfolger geben wollen; aber woher nehmen, ohne zu stehlen? Bis er denn endlich auf einen naheliegenden und, wie er glaube, vortrefflichen Gedanken gekommen sei.

Und er teilte dem Prinzen die Verhandlungen mit, die er mit Astolf gepflogen hatte, wobei er aus der einen kurzen Unterredung, die er mit dem Freunde über das Thema gehabt, drei lange Konferenzen machte.

Der Prinz war entzückt.

»Das ist der rechte Mann,« rief er, »der, oder keiner, wie die Ingenues in der Komödie sagen. Er ist ein echter deutscher Mann vom Scheitel bis zur Sohle und der Grütze im Kopf hat, was man bekanntlich nicht von allen unsern Edelleuten weder diesseits noch jenseits des Mains behaupten kann. Und wenn er mit seinem Latein zu Ende kommen sollte, braucht er nur bei seiner kleinen Frau anzufragen. Daß sie just viel Latein versteht, mag man mit Fug bezweifeln. Aber daß sie eine der gescheitesten und liebenswürdigsten Damen ist, die man nicht bloß bei uns zu Lande, sondern in allen Landen an einem langen Sommertage finden kann, das will ich gegen eine Welt in Waffen verteidigen, meinetwegen in einer deiner berühmten Rüstungen, wenn ich sie auch erst zum Schneider schicken und weiter machen lassen muß.«

Der Herzog ließ ein Thema nicht fallen, das ihm so gelegen kam. Er brauchte darüber nicht warm zu werden; er glühte innerlich, obgleich er sich anfänglich Mühe gab, ruhig und gelassen zu erscheinen. Aber mit dieser Ruhe, dieser Gelassenheit, war es bald zu Ende. In immer wärmeren, zuletzt von Leidenschaft bebenden Worten pries er Susis Reize: die Zierlichkeit ihrer sylphenhaften Gestalt, ihrer weißen kleinen Hände; die Schönheit ihrer regelmäßigen Züge; den matten Glanz ihrer Farbe, zu der das üppige blondrötliche Haar und das himmliche Blau der großen Augen so köstlich stimme; die Anmut ihrer Bewegungen; den unsäglichen Zauber, der ihr holdes Wesen wie eine Morgenwolke umschwebe. Daß er sich zuerst gegen diesen Zauber gewehrt habe, um zu erkennen, daß hier jeder Widerstand vergeblich sei. Und er nun in diesen Banden schmachte ohne Hoffnung, ja, ohne den Wunsch, sich jemals wieder aus ihnen lösen zu können.

So ging es noch eine Zeit lang fort, während eine Ueberschwenglichkeit die andre jagte. Als er endlich, mehr vor Erschöpfung, als weil ihm der Stoff zu seiner Rhapsodie ausgegangen wäre, schwieg, wäre er der letzte gewesen, anzugeben, was er nun eigentlich gesagt habe.

Der ganz ehrliche Enthusiasmus, mit dem der Prinz sich vorhin über Susi geäußert, war die Schlinge gewesen, in die er blindlings gerannt war. Hätte er in seinem Uebereifer den Wandel beobachten können, der, während er sprach, in der Miene seines Zuhörers stattfand: wie einer ersten freundlichen Zustimmung bald ein ironisches Lächeln folgte, dieses in Erstaunen überging, das Erstaunen in ernsten Unwillen – er würde die Hälfte von dem, was er gesagt, verschwiegen haben.

So war er denn zuerst nicht wenig erstaunt und bald bestürzt, als der Prinz, nachdem er eine halbe Minute still vor sich hin geraucht, plötzlich den Kopf hob und mit Nachdruck sagte:

»Du mußt schon erlauben, dir nicht zu verhehlen, daß mir alles, oder doch so ziemlich alles, was ich da eben von dir gehört habe, recht unerfreulich gewesen ist. Einiges, was deine speziellen Familienangelegenheiten betraf, will ich sogar nicht einmal gehört haben, weil ich überzeugt bin: Du hast dir nichts Reelles dabei gedacht, und es war nur eben eine façon de parler, mit der hochgradig verliebte Leute es nicht so genau nehmen. Es bleibt ohne das genug übrig, das ich dir nicht ins Verdienstkonto schreiben kann. Und wohlbemerkt: dabei supponiere ich noch immer das beste: daß deine famose Phantasie dir wieder einmal einen ihrer gewöhnlichen Streiche spielt und dir deine Wünsche als Wirklichkeiten vorgaukelt. Ich meine aber, es sollen sich alle Menschen vor gewissen Wünschen in acht nehmen, und wir auf einem Thron oder in der Nähe eines Thrones Geborenen noch ganz besonders. Es ist unser trauriges Privilegium, daß uns die Erfüllung unsrer Wünsche so leicht gemacht wird, und was bei andern Gedankensünde bleibt, bei uns sich in nackter Thatsächlichkeit prostituiert. Unter diesem Fluch haben du und ich, haben wir alle gelitten. Manchen hat er zu Grunde gerichtet. Exempla odiosa lägen, meine ich, nahe genug. Und wenn die Fürsten in letzter Zeit, wenigstens in den Augen der Verständigen, einigermaßen im Wert gestiegen sind, ist es in erster Linie, weil sie ihre Begierden zu zügeln gelernt haben. Du wirst von der schönen Regel keine Ausnahme machen wollen, die noch dazu eine qualifiziert häßliche wäre. Der Mann, nach dessen Weibe du begehrst, ist dein Freund; du hast auf Erden keinen besseren. Du stehst im Begriff, einen großen Dienst von ihm zu fordern, den er dir von ganzem Herzen mit Aufbietung aller seiner Kräfte leisten wird. Und zum Dank für seine Freundschaft, seine Treue, seinen Opfermut könntest du – bei Gott, Heinrich, es will mir nicht über die Lippen; ich mag nicht daran denken. Und nun gib mir die Hand darauf als ein ehrlicher Mann und Fürst, daß der Hausfrieden deines Freundes von dir nicht getrübt, geschweige denn verwüstet werden soll!«

Der Prinz hatte, vorbei an dem Champagnerkühler, der zwischen ihnen auf dem kleinen Tisch stand, seine mächtige Hand herübergereicht. Der Herzog schlug ein.

Man kam an dem Abend wohlweislich nicht wieder auf das Thema zurück, auch nicht am folgenden Tage.

Nun war der letzte Tag in der Woche da, der für Astolfs Abreise nach Ostpreußen bestimmte, und für den er selbst sich in der Villa des Parkes das Rendezvous mit der Geliebten gegeben hatte.

Der Morgen weckte ihn nach einer halb schlaflos verbrachten Nacht. Seine Unruhe wuchs von Stunde zu Stunde. Zehnmal wollte er den Befehl geben, den Extrazug für ihn zu bestellen; zehnmal schreckte er davor zurück. Er hatte anfänglich sein dem Prinzen gegebenes Versprechen nichts weniger als tragisch genommen und sich gesagt: Was sollte ich thun? Ich war in einer Zwangslage. Eine Weigerung hätte soviel bedeutet als: was du für eine bloße Möglichkeit hältst, ist bereits fait accompli; das heißt, ich würde, ganz abgesehen von mir, Susi preisgegeben haben. Wozu eine, noch dazu ganz nutzlose Barbarei?

Heute dachte er anders. Sonderbar! Die Rede des Prinzen, auf die er nur mit halbem Ohre hingehört, die er am nächsten Morgen schier vergessen hatte – jetzt kam sie ihm wieder Wort für Wort. Im Leben hatte er den jovialen Mann so ernst nicht sprechen hören. Und, wenn man es recht betrachtete: ernst genug war die Sache. Er würde so weit nie gegangen sein, wäre die Gelegenheit nicht so verteufelt günstig gewesen. Und sie hatte denn auch redlich das ihre dazu gethan, die verführerische kleine Hexe! Warum mußte sie an dem Abend auf Rosenstein ja sagen? Wer zwang sie dazu! Ich nicht. Ich hatte ihr eine Liebeserklärung gemacht. Wenn man das nicht mehr darf, so hört eben alles auf; aller Spaß hätte ein Ende; da thäte man doch besser, gleich in ein Kloster zu gehen. Bei Licht besehen, hat sie zehnmal mehr Schuld als ich, zehnmal mehr. Sie hatte einen Mann, den sie respektieren mußte, schon um meinethalben, den sie so in die schiefste Lage brachte. Das ist es. Sie hat bei dem allen immer nur an sich gedacht; nie an mich. Und ihre exorbitanten Ansprüche! Das ist denn doch einfach lächerlich. Ich kann es doch darum nicht mit allen Fürsten Deutschlands und Europas verschütten, mich vor aller Welt als Blaubart und ich weiß nicht was ausschreien lassen. Der Prinz hat Fischblut in den Adern. Für immer wäre das nicht mein Geschmack. Nur manchmal sollte man allerdings sich eine Dosis davon anschaffen, oder man gerät in Situationen, die man seinem ärgsten Feind nicht wünschen möchte.

Und dann trat wieder Susis reizendes Bild vor seine Augen; der Gedanke, daß er heute abend das entzückende Geschöpf in seinen Armen halten könnte, machte ihm das Herz schlagen und die Adern in den Schläfen pochen – er mußte bereits die Minuten berechnen, oder es wurde selbst mit dem schnellsten Extrazug zu spät – da ließ sich der Prinz melden, trat dann auch sofort in das Zimmer, schon von der Schwelle her rufend:

»Bei Gott, Heinrich, es ist nicht meine Schuld! Meine Frau und ich haben uns die erdenklichste Mühe gegeben, dein Inkognito aufrecht zu erhalten. Es ist uns nicht gelungen. Man hat allerhöchsten Ortes erfahren, daß du hier bist; findet es mehr als seltsam, daß du dich nicht präsentiert hast – enfin: du mußt heute noch bleiben und zum Thee antreten. Es geht wahrhaftig nicht anders. Was ist denn auch an dem einen Tag gelegen? Um mit Vachta weiter zu konferieren, kommst du heute doch schon zu spät. Telegraphiere an ihn, daß ich vollständig einverstanden bin, und ihr, sobald er zurück ist, ans Werk gehen wollt. Er wird dann beruhigt reisen. Also: abgemacht!«

»Wenn es denn sein muß,« sagte der Herzog.

Er schickte zwei Telegramme ab: das eine an Astolf, ganz im Sinne des Prinzen; das andre an Brenken:

»Schwerwiegende politische Gründe zwingen mich, heute noch hier zu bleiben. Seien Sie der Ueberbringer meines unterthänigsten Grußes und meiner Verzweiflung, eine Stunde hinausgeschoben zu sehen, nach der meine Seele schmachtet.

Heinrich


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