Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Viertes Kapitel.

Nachdem Serenissimus aufgebrochen, war die Gesellschaft, in Vachta nicht mehr lange beisammen geblieben. Den älteren Herrschaften hatte ein Teil der jüngeren notgedrungen folgen müssen, da Fräulein von Merbach in dem Wagen von Oberhofmarschalls, Lieutenant von Rörlach und Sommer mit Oberjägermeisters gekommen waren. So konnten zwei andre junge Leute, der Kammerjunker von Selbitz und der Assessor Graf Krügge, trotzdem sie ein eigenes Gefährt hatten, nicht wohl länger ausharren. Als die letzten hatte sich die Familie von Walschleben – Vater, Mutter und zwei Töchter, Astolfs nächste Nachbarn – verabschiedet, nicht ohne daß seine Damen einen gelinden Zwang auf den jovialen Herrn ausüben mußten, der aus einer fröhlichen Gesellschaft nicht leicht nach Haus finden konnte. Nun waren sie alle fort; Friedrich und Johann hatten die gewohnte Ordnung der Möbel wieder hergestellt, die letzten Tassen und Gläser abgeräumt, den Herrschaften eine wohlschlafende Nacht gewünscht; Astolf und Susi fanden sich allein zu Astolfs großer Genugthuung, während Susi den Moment noch gern hinausgeschoben gesehen hätte. Astolf ahnte ja nicht den tieferen Sinn der Zusage, die sie dem Herzog gemacht; aber sie hatte, als sie hernach – mit größter Unbefangenheit selbstverständlich – ihrer Gesellschaft den Wunsch der Herzogin mitgeteilt, die Oberhofmarschallin und Fräulein von Merbach ein paar Blicke wechseln sehen, bei denen sich nur ein ganz reines Gewissen nichts Arges hätte denken können. Sie hatte freilich eben, als ihr das Wort Gewissen in den Sinn kam, innerlich lachen müssen – mit dem atavistischen Spuk mochten sich andre graulich machen – aber die Welt, in der man lebte, wollte ernsthaft genommen sein; und wenn Fräulein von Merbach auch eine Gans und die alte Bartenstein eine Pute war – fangen Gänse und Puten an, Blicke auszutauschen, so ist es Zeit, sich vorzusehen.

Susi saß vor dem Kamin, in dem die letzten Kohlen verglimmten; Astolf ging hinter ihr auf und ab, seine Cigarre rauchend. Seltsam, daß er nicht sprach! er war doch sonst so redselig, besonders nach einer Gesellschaft, in der er stets eine Flasche oder so zu viel trank. Sollte er wirklich Argwohn geschöpft haben? Der Herzog mit seiner sentimentalen Pose am Kamin, während sie sang – das war ja auch ridikül gewesen. Sie hätte dem Herzog die Geschmacklosigkeit nicht zugetraut.

Hinter ihr hörte sie Astolf seine Cigarre in den Aschbecher schleudern und mit ein paar Schritten seiner langen Beine an ihren Stuhl kommen. Bei Gott, es würde eine Scene geben!

Und da kniete der große Mensch links neben ihr, hatte mit beiden Händen eine der ihren ergriffen, wieder und wieder geküßt und rief:

»Susi, geliebte Susi, ich muß, muß dir sagen, wie wahnsinnig schön du heute abend gewesen bist! und wie berauschend anmutig und zum Küssen liebenswürdig!«

»So küsse mich doch, du großes Baby! Du thust ja gerade, als ob du meinen Mund nicht finden könntest!«

Er brauchte sich nicht von den Knieen zu erheben, nur seine Arme um den schlanken Leib zu schlingen; und drückte so Kuß um Kuß auf die zarten, weichen Lippen, ohne zu merken, daß seine Leidenschaft nicht erwidert wurde. Aber an diesen, in ihren Augen verächtlichen Stumpfsinn war Susi gewöhnt.

»Du toller Mensch!« flüsterte sie, sich wie erschöpft in den Fauteuil zurücklehnend, »man ist ja bei dir seines Lebens nicht sicher!«

»Susi, ich liebe dich zu sehr!«

»Ja, leider, Baby.«

»Leider?«

»Erst stehe einmal auf! Deine armen neuen Beinkleider, zu denen ich dir übrigens nachträglich mein Kompliment mache! So! setze dich da hin! Das heißt: erst hole mir mal, bitte, mein kleines Tuch! Es liegt nebenan auf dem Sofa.«

Er hatte ihr das Tuch gebracht, das sie sich um die Schultern schlang.

»Wollen wir nicht lieber zu Bett gehen?« sagte er.

»Gleich. Bitte, setze dich doch! Dein Herumlaufen macht mich noch nervöser, als ich schon bin. So! Ach, Baby, mir ist das Herz so schwer!«

»Dir?«

»Als ob ich keins hätte! Baby, ich fürchte, wir haben eine große Dummheit begangen. Wir hätten dem Herzog nicht so ohne weiteres zu Willen sein sollen.«

»Ja, aber –«

»Laß mich aussprechen! Sieh, ich habe mir schon die größten Gewissensbisse gemacht, daß ich dich allein reisen lasse. Du sagst, Papa braucht nicht mich, sondern dich; ich könne ihm in der Sache gar nichts helfen. Das muß ich ja zugeben. Ihr habt über wirtschaftliche Dinge zu sprechen, von denen ich keine Spur verstehe, ich würde nur das fünfte Rad am Wagen sein; Papa hat mich auch nicht einmal eingeladen. Weiß denn übrigens der Herzog, warum Papa dich haben will?«

»Ich habe es ihm auseinandergesetzt, während ich ihn hinunterbegleitete; und dann haben wir wohl noch fünf Minuten am Wagen darüber gesprochen. Er war ganz meiner Meinung, daß ich es dem Papa nicht verweigern konnte.«

»Schade! Und ich wollte dich eben bitten, dem Papa abzuschreiben.«

»Abzuschreiben?«

»Abzutelegraphieren meinetwegen.«

»Ja, aber, Susi, warum denn?«

»Oder, wenn du durchaus hin mußt, so nimm mich wenigstens mit!«

»Das ist doch jetzt rein unmöglich, nachdem wir dem Herzog –«

»Das ist es eben! Ich will einen Vorwand haben, die Einladung abzulehnen. Oder meinst du, ich hätte es dir nicht angesehen, daß dir die Sache im Grunde genommen gar nicht recht ist?«

»Ach, Susi, du mußt das nicht so tragisch nehmen! Nun ja, ich hätte im ersten Augenblick gern nein gesagt. Aber nur, weil ich dachte, du müßtest nun jeden Tag in die Stadt und wieder heraus, und so an alle möglichen Unbequemlichkeiten, die ich dir nicht zumuten wollte. Davon kann nun keine Rede mehr sein. Und was Baby betrifft – ich meine diesmal nicht mich, sondern das wirkliche –«

»Das süße Geschöpf!« rief Susi.

Sie hatte auch nicht mit einem Gedanken an die Kleine gedacht. Ein wahres Glück, daß Astolf sie daran erinnerte!

»So brauchst du dir doch wahrhaftig deshalb keine Sorge zu machen. Auf die Poltrok kannst du dich verlassen – das sagst du selbst, und ich sage es auch. Und wenn du vielleicht einen Tag um den andern – meinetwegen, so oft du willst – eine Equipage steht dir im Schloß jeden Augenblick zur Verfügung. Oder besser noch: du behältst unsern Wagen – den Landauer natürlich – es könnte das Wetter doch umschlagen – den behältst du in der Stadt – August wird sich schon zu helfen wissen – und so bist du ganz unabhängig.«

Susi hätte den guten Jungen ausnahmsweise küssen mögen. Er räumte ihr die Hindernisse so glatt aus dem Wege – es war eine richtige Freude; wirklich zum Lachen!

Um so ernster war ihre Miene und um so nachdenklicher klang ihre Stimme, als sie jetzt, nachdem sie ein paar Sekunden starr vor sich hingeblickt, den Kopf hebend, mit einem leisen Seufzer sagte:

»Das ist alles so weit ganz gut, oder klingt doch so, und jedenfalls ist es so lieb von dir; aber an die diplomatische Seite der Sache scheinst du gar nicht zu denken.«

»Eine diplomatische?« rief Astolf, die Augen rollend; »was verstehst du darunter? Ach so! das bißchen Geklatsch und Cancan, den es geben wird! Du lieber Himmel, Susi, daran müßtest du dich doch mittlerweile gewöhnt haben. Das ist doch bei uns zu Lande, oder bei uns am Hofe – was übrigens so ziemlich auf dasselbe hinausläuft – ganz unvermeidlich, ganz selbstverständlich. Wenn man sich darüber graue Haare wollte wachsen lassen! Und wenn der Herzog dich und mich auszeichnet –«

»Verzeihe, lieber Junge,« sagte Susi, den Eifrigen mit Lebhaftigkeit unterbrechend. »Du nennst da zweierlei in einem Atem, was sehr weit voneinander geschieden ist. Wenn der Herzog dich in jeder Weise auszeichnet, so ist das nur in der Ordnung. Du bist sein Jugendfreund. Ihr habt euch früher gegenseitig du genannt; er nennt dich noch so und läßt es sich eben gefallen, daß du ihn mit Hoheit und so weiter anredest, seitdem er zur Regierung gekommen ist, nur, weil du darauf bestanden hast. Und nicht einmal, sondern zehnmal wenigstens hat er zu mir gesagt: er ist der einzige Zähler unter all den Nullen. Und das ist mein großes Baby auch. Aber ich! Ja, Kind, da liegt die Sache ganz anders. Ich habe schlechterdings kein Verdienst, als deine Frau zu sein, was hier, wo zwanzig Mütter und vierzig Töchter – mäßig gezählt – auf dich spekuliert hatten, einfach ein Verbrechen ist. Nun kommt noch gar der Herzog und beehrt mich mit seiner Gnade! Ja, wenn ich nicht wäre, was die Engländer good looking nennen! Aber ich bin es doch nun einmal – bitte! sitzen bleiben! Ich spreche von etwas sehr Ernstem; von etwas, das mir schon lange im Kopf herumgeht und ich dir immer habe sagen wollen, nur daß ich fürchtete, du würdest mich auslachen. Aber nach heute abend – dieser überraschende Besuch, der doch wahrhaftig wie ein Schuljungenstreich aussieht, und von unsern lieben Freunden – kann ich dich versichern – so angesehen wird; dazu das mehr als fürstliche Geschenk für die Kleine, wenn er auch freilich ihr Pate ist; – jetzt nun gar diese Einladung – ja, Bester, hast du denn nie daran gedacht –«

»Daß er sich in dich verlieben könnte!« rief Astolf mit einem herzlichen Lachen. »Ja, Susi, hältst du mich denn wirklich für ein Baby? Hunderttausendmal habe ich daran gedacht. Noch mehr – aber du mußt nicht böse werden, Schatz – ich bin überzeugt: er ist es – bis über die Ohren. Und ich muß sagen: ich halte es für ein großes Glück.«

Susi blickte ihn starr an. Er mußte toll sein.

Astolf war aufgesprungen, machte ein paar Schritte, dann wieder kehrt und sagte völlig ernst:

»Sperre deine großen, schönen, unschuldigen Augen noch so weit auf, es ist nicht anders: ich halte es für ein großes Glück; für ihn persönlich und für das ganze Land. Nichts auf der Welt adelt den Menschen so, hebt ihn so machtvoll in eine höhere Sphäre, befreit ihn so gründlich von dem Erdenrest, den uns zu tragen peinlich bleibt, als eine wahre, edle Liebe. Ich habe es an mir erfahren, erfahre es täglich von neuem. Ich glaube nicht schlimmer gewesen zu sein, als andre junge Leute; eher noch ein bißchen besser. Aber ich möchte mich tausend Fuß unter die Erde schämen, wenn ich daran denke, was und wie ich gewesen bin. Und er! Na, Susi, ich will nicht aus der Schule schwatzen; und es ist auch weiter nicht nötig: wir wissen alle, wie er es treibt. Wie oft habe ich da an Opheliens Worte denken müssen: ›O, welch ein edler Geist ist hier gestört!‹ Nun, so weit ist es, Gott sei Dank, noch nicht, noch lange nicht. Er hat so viel gute, herrliche Eigenschaften, auf die er sich bloß zu besinnen brauchte! Nur, daß er nicht zur Besinnung kommt; nie zur Besinnung hat kommen können in diesem elenden Leben, das so ein Fürstensohn zu führen gezwungen ist, umgeben von Speichelleckern, Schweifwedlern, würdelosen Kreaturen, denen es eine Wollust ist, den Hang zum Laster, den schließlich jeder von uns in sich trägt, auf alle Weise zu pflegen und zu nähren. Und, so geknetet und zugerichtet, muß das Püppchen aus Staatsraison eine Ehe schließen, die ihm vollends den Rest gibt. Allen Respekt vor der Herzogin! Sie hat manche treffliche Eigenschaften; aber unter uns: sie kann nicht dafür, daß sie häßlich ist; auch nicht dafür, daß sie langweilig ist; aber sie ist doch nun einmal beides in eminentem Grade. Ein böses Ding selbst für einen einigermaßen anspruchsvollen Herrn Schulze oder Müller; nun gar für einen Herzog, und für diesen! Mein Gott, ich will ihn nicht weißbrennen. Es ist und bleibt nicht in der Ordnung; auch die Libertinage muß ihre Grenzen haben. Aber schließlich ist er doch mehr zu beklagen als zu tadeln. Ich denke es mir gräßlich, sich an eine Reinerz wegzuwerfen, eine Person, die durch so viele Hände – well! Er fühlt das auch selbst in seinen besseren Momenten. Und die kommen jetzt viel öfter als sonst. Das habe nicht bloß ich gemerkt. Noch vorhin bei Tisch – ich machte – in aller Diskretion, kannst du dir denken – eine dahin zielende Bemerkung zur alten Bartenstein. Ich glaube, ich kann dir so ziemlich wörtlich wiederholen, was sie erwiderte: ›Und wem haben wir das zu danken, lieber Freund? Ihnen, und noch mehr Ihrer kleinen Frau Sie hat ganz unleugbar einen großen Einfluß auf ihn, der zweifellos mit der Zeit immer größer werden wird.‹ Siehst du, das waren ihre Worte; bloß, daß sie nicht ›kleine Frau‹, sondern ›kleine herrliche Frau‹ gesagt hat, was ich, um der Wahrheit ganz die Ehre zu geben, doch auch berichten muß. So steht die Sache. Und wissen Sie, kleine herrliche Frau, so etwas nennt man eine Mission, die man nicht von sich weisen kann. Noblesse obligè! Hinüber und herüber. Ich meine: wenn wir unsre Pflichten gegen den Herzog haben, so hat er seine Pflichten gegen uns: gegen mich, seinen Freund, gegen dich, seines Freundes Frau. Sei unbesorgt: er wird diese Pflichten heilig halten, wenn er auch, Schmetterling, der er ist, seine Flügel ein wenig an deiner Flamme verbrennt. Das soll er sogar, denn das reinigt, das läutert; das wird ihm geben, woran es ihm bis jetzt fehlt: den Ernst der Lebensführung, die Kraft der Entsagung, den Ekel vor allem Gemeinen, die Anbetung von allem, was edel, schön und groß ist; das wird ihn zu einem Manne machen.«

Astolf hatte sich immer mehr und mehr in Eifer gesprochen und immer größere, heftigere Schritte gemacht, von denen trotz des dicken Teppichs die Sevrestassen auf der Etagere klapperten und die Krystallbommeln an dem Kronleuchter klirrten. Dazu sein lautes Sprechen – es hatte Susi ganz nervös gemacht. Und während er sprach, hatte sie sich fortwährend gefragt: Ist es möglich? Ist es menschenmöglich, daß man so dumm sein kann? Den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen! Die alte Bartenstein ernsthaft zu nehmen! Ein Wort zu glauben, das durch ihre falschen Zähne geht!

Aber seine gutmütige Dümmlichkeit, über die sie vorhin heimlich gelacht hatte, ärgerte sie jetzt. Wenn einer so leicht hinter 's Licht zu führen ist, wo bleibt denn da der Spaß? Und in der Dümmlichkeit steckte doch auch eine tüchtige Portion Selbstgefälligkeit: ich bin der Unübertreffliche, Unüberwindliche! Ich fürchte mich vor keiner Konkurrenz! Das mußte er wenigstens zu hören bekommen.

»Gut!« sagte sie, sich in den Fauteuil zurücklehnend und die ersten Takte von ›Wie bist du meine Königin‹ auf den Armlehnen fingerierend; »für den Herzog hat es keine Gefahr, gar keine. Wenn es nun aber umgekehrt käme und ich mich in ihn verliebte – wie dann?«

»Aber, Susi!«

Er war jäh stehen geblieben.

»Ja, liebes Kind, es ist eben alles möglich in der Welt.«

»Nein, das ist nicht möglich!«

Er hatte es so heftig gesagt, daß sie mitten in einem Takt abbrach und den Kopf halb über die Schulter wendend ihn zärtlich anlächelte.

Es wäre nicht nötig gewesen, seine Heftigkeit hatte ihn sofort gereut.

»Verzeihe,« sagte er in fast demütigem Ton. »Ich bin wirklich zu stupid. Ich verstehe gar keinen Scherz. Ich falle auf alles rein.«

Susis Lächeln war noch zärtlicher geworden.

»Ja, mein großes Baby, du bist furchtbar reingefallen. Zur Belohnung dafür darfst du mir einen Kuß geben.«

Sie hatte sich erhoben; er war mit einem Sprunge bei ihr und hielt die zierliche Gestalt, sie fast vom Boden hebend, an seine Brust gepreßt.

»Susi! Susi, liebst du mich?«

»Du weißt es.«

»Und willst mich immer lieben?«

»Ja, Baby.«

»Komme, was da wolle?«

»Komme, was da wolle.«

Sie war aus seinen Armen geglitten, nahm das Tuch, das sie auf der Fauteuillehne hatte liegen lassen, über den Arm und ergriff eines der beiden noch auf der Etagere brennenden Lichter.

»Wollen wir zu Bett gehen?« fragte Astolf liebevoll.

»Du kannst ja doch noch nicht schlafen.«

»So plaudern mir ein wenig. Es plaudert sich so reizend im Dunkeln.«

»Nein, Schatz, heute nicht mehr. Ich bin zum Umfallen müde und weiß wirklich kaum, was ich sage. Rauch du nur in aller Ruhe deine zweite Cigarre, und wenn du zu Bett gehst, vergiß nicht die Lichter auszumachen!«

Ein holder Traum, in dem sich Astolf den ganzen Tag gewiegt hatte, war zerronnen. Aber freilich, wenn sie so müde war! Und sie sah so blaß aus! Es wäre unritterlich gewesen.

»All right, dearest!« sagte er.

Sie stand bereits an der Thür.

»Wann mußt du morgen früh fort?«

»Um halb acht von hier. Der Zug geht um viertel neun.«

»Deine Sachen sind in Ordnung?«

»Alles in Ordnung.«

»Gute Nacht also!«

Sie hatte ihm noch einmal mit müdem Lächeln zugenickt und die Thür hinter sich geschlossen, auf die Astolfs Blick starr gerichtet blieb.

Dann atmete er tief auf und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

»Mein Gott,« murmelte er; »wie kann man so wahnsinnig verliebt sein!«

Seine Blicke irrten durch das Zimmer. Wie war das plötzlich hier so öde, so leer! Und dunkel! als ob die Hälfte der Kerzen plötzlich erloschen wäre!

»Und sie nun vierzehn Tage entbehren zu sollen! vierzehn volle Tage! Wie willst du denn das aushalten, Mensch! Na, das hilft nun nicht. Rauchen wir also eine Friedenscigarre!«

Er hatte sich eine Cigarre angezündet. Dann fand er, daß er fürchterlich durstig war.

So ging er denn nach nebenan in das Speisezimmer, wo auf dem Buffett ein halbes Dutzend angeschenkter Weinflaschen standen. »Kein Sekt! Sekt bleibt nie übrig. Na, Steinberger Kabinett. Auch gut! Und noch beinahe voll! Desto besser.«

Er nahm ein Glas aus dem Schrank, hielt es an das Licht, das er in der Linken trug, steckte den Hals der Flasche zwischen zwei Finger der Rechten und begab sich mit seiner Beute in den Salon zurück.

So ließ sich die Sache schon eher ansehen.

Erst einmal mußte er das Gefühl der Beschämung hinunterspülen über den Unmut, den er vorhin empfunden, als sich Susi aus seinen Armen gelöst hatte. Mein Gott, wie blutsauer wird es doch einem Mann gemacht, ein Mensch zu werden, wenn er überhaupt jemals einer wird! Die Frau soll uns ums Paradies gebracht haben? Unsinn! Umgekehrt ist es gewesen, ist es bis auf den heutigen Tag. Eben noch! Richtige schwarze Ränder hatte sie um ihre süßen Augen. Und ich Barbar, ich Caliban – pah!

Er stürzte ein zweites Glas hinunter und mußte lachen. Es ist doch auch lächerlich, daß so eine kleine weiße Hand dem Brummbär nur über das Fell zu streichen braucht und das zottige Ungetüm brummt vor Wonne und tanzt gehorsam nach der Pfeife! Und die Frauen haben gewiß den vollen Humor davon, obgleich sie natürlich zu klug sind, es uns merken zu lassen. Sie sind tausendmal klüger als wir. Der Herzog will das freilich nicht zugeben. Was weiß er von den Frauen? Rein gar nichts. Das soll er erst noch lernen.

Seine Gedanken nahmen eine andre Richtung. Er hatte vorhin doch wohl den Mund etwas zu voll genommen. Wenn man so tief in die Libertinage hineingeraten ist wie der Herzog – das ist wie mit dem Trinken: man kann's nicht mehr lassen trotz aller guten Vorsätze und feierlichen Versicherungen, die man den Freunden gegeben hat. »Ich schwöre dir, Astolf, ich will ein andrer Mensch werden! – Ich gebe dir mein ritterliches Wort, Astolf, wenn der Teufel bei nächster Gelegenheit mich am Kragen nimmt, ich will ihm zeigen, mit wem er es zu thun hat.« – Und wenn die nächste Gelegenheit kam – und sie ließ niemals lange auf sich warten – waren die Schwüre und das ritterliche Wort zum Schornstein hinaus, und es blieb beim alten, wurde vielmehr nur schlimmer. »Eigentlich bin ihm dafür zu Dank verpflichtet. Hatte genug an dem abschreckenden Beispiel. Das freilich denn auch ich ihm wiedergab, wenn ich die Flaschen ausstach, bloß, damit er sich nicht betrank. Ach, Susi, Susi, es war ein tolles Leben dazumal in Bonn bei den Borussen, und meine einzige Entschuldigung ist, daß ich dich nicht kannte.«

Und nun wogte eine Flut von Erinnerungen aus der tollen Bonner Zeit heran: die halsbrechenden Ritte; die Champagnerfrühstücke auf den Zimmern des Erbprinzen; die Mensuren, bei denen sich der Prinz zu seinem Jammer nicht aktiv beteiligen durfte; die heimliche nächtliche Wanderung nach Altenahr zu den beiden braunäugigen Wirtstöchterlein, die der vorsichtige Alte, der Wind davon bekommen haben mußte, auf vier Wochen zu der Tante nach Bingen geschickt hatte! Und die Fahrt nach Bingen, auf der sie dicht unter der Loreley im Nebel mit dem thalwärts fahrenden Dampfer zusammenstießen, und es an einem Haar hing, daß das Herzogtum an eine Seitenlinie gefallen wäre!

Ja, es war eine tolle Zeit gewesen und hohe Zeit, daß eine andre kam, wo er – auf die Gefahr eines völligen Bruches mit dem prinzlichen Freunde – nach Berlin ging, seinen Doktor – cum egregia laude machte; in den preußischen Staatsdienst trat; fleißig als Referendar und Assessor in Stettin und Potsdam arbeitete, bis sein Vater und der regierende Herzog, die alten geschworenen Freunde, beinahe an einem Tage starben und er nach Vachta zurück mußte, das der joviale Papa gründlich verwirtschaftet hatte; und der Erbprinz das herzogliche Thrönchen bestieg, das auf einem enormen Berg von Schulden aus der Hinterlassenschaft des hoch seligen Herrn nicht ganz sicher stabiliert war. »Astolf, du mußt bei mir bleiben! – Wolf, ich habe außer dir keinen Menschen, dem ich auch nur über den Weg traue!« Da war er denn an die Scholle geheftet. Seit dreihundert Jahren und darüber – seitdem die Vachtas aus dem benachbarten Franken in das Land gekommen waren – hatten sie mit dem herzoglichen Hause Freud und Leid geteilt; ein Vachta wurde geboren, um im Dienst seines Herzogs oder seiner Herzöge – wie es nun kam – das Leben hinzubringen; wenn es sein mußte – und der Fall war mehr als einmal eingetreten – zu lassen. Die alte angestammte Loyalität wollte ihr Recht haben und erhielt ihr Recht.

»Für ein Amt bist du mir zu gut. Du kannst mir mehr nützen, wenn du hinter den Coulissen bleibst.«

Er war hinter den Coulissen geblieben und sonderbare Blicke hatte er da gethan. So sonderbare, daß er hundertmal auf dem Sprung gestanden hatte, seinem Lehnsherrn den Dienst zu kündigen, nur, daß es ein Treubruch gewesen wäre, den er nicht über sein loyales Herz bringen konnte. Und als Lohn seiner Treue sicherlich und tausendfache Entschädigung so mancher Entbehrung und süßer Trost so manches bitteren heimlichen Kummers war sie gekommen, die er, ein achtzehnjähriger Jüngling, schon angebetet hatte, während sie, ein achtjähriges, märchenhaft schönes Kind, mit ihren, dem alten Herzog befreundeten Eltern ein paar Wochen am Hofe zu Besuch gewesen war. Und die er dann vor drei Jahren in Ostende wiederfand, um sie abermals, jetzt nur mit der Leidenschaft des gereiften Mannes, anzubeten und das traumhafte Glück zu haben, ihr und ihrer Eltern Jawort zu erhalten, als er die rasende Kühnheit hatte, die von allen Seiten umschwärmte, umworbene, wie eine Königin gefeierte reiche Komtesse zu fragen, ob sie dem armen Freiherrn von Vachta die kleine Hand reichen wolle?

So zog Erinnerung an Erinnerung durch Astolfs Seele, der längst schon, die heiße Stirn zu kühlen, auf der Balustrade des Balkons lehnte, in die Nacht blickend, die in dieser Stunde alle ihre Zauber entfaltet hatte. Kaum ein Lüftchen regte sich; es war so still, daß er das Rieseln des Taus von Blatt zu Blatt hörte; weiter unten im Thal rauschte der Bach, den man während des Tages kaum vernahm, mit feierlicher Deutlichkeit sein altes ewiges Lied. Hoch am Himmel, den Glanz der Sterne rings um sich her verlöschend, stand der beinahe volle Mond; aus dem Garten zu seinen Füßen kam in wallenden Wolken der Duft der Reseda und Levkojen.

»O, du heilige Nacht! o, du meine geliebte Susi! o, ich seliger, seliger Mensch! Was habe ich gethan, das ungeheure Glück zu verdienen? Was kann ich thun, es mir zu erhalten? Nichts, nichts, als auf den da droben über dem Sternenzelt vertrauen, der mir nicht wieder nehmen wird, was er mir aus seiner Gnadenfülle geschenkt hat!«

Er hatte beide Arme hoch emporgehoben und ließ sie nun langsam sinken; schritt in den Salon zurück, die Thür hinter sich schließend; löschte die fast bis in den Sockel herabgebrannten Lichter; nahm das letzte und ging auf den Fußspitzen nach dem Schlafgemach, zu dem aus dem Speisesaal ein schmaler Korridor führte. Vor der Thür that er das Licht aus: Susi ließ immer die Nachtlampe brennen. Geräuschlos entkleidete er sich und schlüpfte in das Bett. Es krachte ein wenig, so daß er heftig erschrak. Susi war nicht aufgewacht. Sie lag, von ihm abgewandt; nur ein wenig von ihrem Kopf konnte er hinter dem aufgebauschten Spitzenkopfkissen sehen. Aber eine Strähne von dem goldenen Haar, das sie zur Nacht in zwei dicke Zöpfe flocht, hatte sich gelöst und war zum Teil über sein Kopfkissen geflossen.

So daß er erst seine Wange und dann seine Lippen auf das goldige Gespinst drücken durfte, bevor er es mit behutsamem Finger zu ihr zurückschob. Dann lag er, ohne sich zu regen.

Es hätte der Vorsicht nicht bedurft. Susi schlief nicht. Es gehörte nur zur Komödie, daß sie sich schlafend stellte.


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