Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Vierzehntes Kapitel.

Das neben der Fahrstraße zum Bahnhof hinlaufende Stück Promenade war bald durchschritten. Er stand an dem Punkt, wo die Fahrstraße in den Villenweg überging, in dessen Mitte ungefähr sein Haus lag, und zugleich die breite Allee mündete, die den herzoglichen Park – hier in seiner geringeren Ausdehnung – durchschnitt. Drei Minuten hätten ihn zu seinem Hause gebracht. Aber das Schlafzimmer lag an der Hinterseite nach dem Garten – nicht einmal den schwächsten Schimmer von ihrer Nachtlampe hätte er sehen können, in deren mattem Schein sie nun wohl sanft schlummerte, seine süße Susi, sein geliebtes Weib, sein größter Schatz, sein alles. Acht Tage sollte die Trennung dauern, dann kehrte er heim als erster Minister des Herzogtums!

Und Astolf lachte sein behagliches Lachen bei dem Gedanken, welche Miene seine Susi wohl machen würde, wenn sie zum erstenmal Excellenz angeredet würde. Seine kleine Susi mit den weichen blauen Kinderaugen und ihrem holden schämigen Erröten bei jeder möglichen Gelegenheit – Excellenz! Wenn das nicht zum Lachen war! Und er selbst! Na ja – wie der Inspektor sagte – er wollte den Leuten zeigen, daß er sich den Adler nicht für nichts und wieder nichts hatte schenken lassen! ihnen zeigen, was ein Mann leisten kann, der den guten Willen hat, und mit dem der Prinz »vollständig einverstanden« war! Beim Himmel, der Herzog wußte recht gut, was er that, als er ihm telegraphierte, was ihm der schärfste Ansporn zur wackern Initiative und zum mutigen Ausharren sein mußte; aber lieb von ihm war es doch, daß er es that. Es war wieder einmal ein Beweis von seinem edeln Herzen, wenn er auch so viel andre Dinge im Kopf hatte: seine Jagden – seine – na ja! sagte der Inspektor. Am Ende läuft sich doch so ein verwöhnter fürstlicher Herr die Hörner ab. Und wenn es bei diesem so schnell ging, wie es augenscheinlich der Fall war – Kopf und Kragen wollte er darum wetten, daß es zum nicht geringsten Teil auf Susis Konto kam. Er hatte es ihr prophezeit: eine edle Liebe! Ja, die macht einen Mann zu etwas; macht ihn überhaupt erst zum Mann. Er war jetzt einer, auf dem besten Wege, einer zu werden. Das möge Gott walten! Mit ihm, für meinen Herzog und meine Susi! da will ich die Welt in die Schranken fordern.

So stand er ein paar Minuten, in ernstes Sinnen verloren. Das aber nichts Trübes hatte! Ganz und gar nicht. Ihm war so leicht und frei zu Mut. Fliegen hätte er mögen, wenn er auch merkte, daß ihm von dem Stillstehen auf dem gefrorenen Erdboden die Füße kalt wurden und es novemberrauh durch die große Allee aus dem Park herauswehte.

Er knöpfte, sich in den Park wendend, noch einen oberen Knopf an seinem Pelz zu und fuhr mit den Händen tief in die Taschen. Was war denn das da in der rechten? Habe ich den Hausschlüssel mitgenommen? Nun, sie haben noch einen. Dumm ist es doch.

Er wollte, etwas ärgerlich, den Schlüssel wieder in die Tasche stecken, als ihm einfiel: Himmel, das ist ja der Schlüssel, den mir das Frauenzimmer neulich abends in die Hand gedrückt hat, als ich aus dem Kasino kam! Richtig! Ich habe seitdem den Pelz nicht wieder angehabt; mit keinem Gedanken wieder an die kuriose Geschichte gedacht. Hatte wirklich Besseres zu thun.

Aber nun hatte er nichts Besseres zu thun und dachte an die kuriose Geschichte, während er, fest in seinen Pelz gehüllt, langsam – er hatte so viel Zeit! – die Allee hinaufschritt, durch deren kahle Riesenbäume oben der Wind pfiff, manchmal von den Aesten und Zweigen Stücke Glatteis ablösend, die klirrend auf den harten Boden fielen. Unter dem hoch am Himmel stehenden halben Mond jagten nach Westen dunkle Wollen. Doch wurde es niemals so völlig schwarze Nacht, daß es Astolf im Vorwärtsschreiten auf dem völlig ebenen, ihm so wohlbekannten Wege hätte behindern können.

Eine kuriose Geschichte wirklich! Und, wenn er es recht bedachte, doch auch wieder gar nicht: eine, wie sie in dem Klatschnest, wer weiß wie oft, schon gespielt hatte und noch spielen würde. Den identischen Brief hatte die Person – die jedenfalls keine andre als die Reinerz war – zweifellos mindestens an ein halbes Dutzend Gatten hochgestellter Damen der Stadt geschrieben. Nach ihrer gemeinen Denkungsart mußte doch eine die Nachfolgerin geworden sein; vielleicht traf sie die rechte. Und wenn nicht, und sie ganz sicher in diesem Kreise vergeblich ihre Beute suchte, und die Person das auch sehr wohl wußte – was that es ihr? Rederei und Skandal gab es immer. Weiter hatte es keinen Zweck. Und war gar einer der belästigten Männer dumm genug, auf den Unsinn hineinzufallen – so hatte sie vollends ihr Mütchen gekühlt.

Und daß sie ihn mit in ihre Kollektion genommen – er stand dem Herzog so nahe – er durfte nicht fortbleiben. Und der Herzog verkehrte in seinem Hause so viel, wie in keinem andern – das mußte verwertet werden – das gab der Sache ein Relief in den Augen eines Publikums, dessen Grundsatz: credo quia absurdum. Wie sagt doch Hamlet zur Ophelia: »Sei so keusch wie Eis, du wirst der Verleumdung nicht entgehen.« Und daß die Person ihn und Susi besonders aufs Korn genommen, bewies ja der Schlüssel, der doch sicherlich von ihr kam – der Schlüssel zur Villa, auf die sie in ihrem Uriasbrief so deutlich hingewiesen, und den keine andre haben konnte, als sie, die aus der Villa allerdings etwas brüsk an die Luft gesetzte. Für wie albern aber mußte ihn die Person halten! Die Absicht war so klar: er sollte auf den Hamen anbeißen, mit Hilfe des Schlüssels in der Villa herumspionieren, dabei womöglich sich abfassen lassen und – unsterblich blamieren! Das wäre so ein Fressen für die Bierphilister und Kaffeeschwestern. Gelt, Madame?

Er war zu dem Quergang gelangt, der zu dem vom Park ausgesparten freien Platz führte, auf welchem die Villa stand. Ein Stück der Fronte war in der Oeffnung zwischen den Bäumen sichtbar. Eben glitt ein Streifen des wechselnden Mondlichts darüber weg. Dann der schwarze Schatten einer dunklen Wolke, der sie dem Blick völlig entzogen haben würde, wäre nicht durch die Vorhänge der Fenster des Salons ein rötlicher Dämmerschein gefallen. So hatte also Brenken nicht geprahlt: der Herzog hatte ihm wirklich die Villa geschenkt, sie ihm wenigstens zum Bewohnen überlassen. Das wäre doch ein Hauptspaß, wenn er den edlen Junggesellen in seinem Buen retiro überraschte und für einen armen, sitzen gebliebenen Reisenden um das Almosen eines Curaçao oder so was bäte, den frierenden Magen zu wärmen! Sollte das Haus verschlossen sein, um so besser – den Schlüssel hatte er ja. Ueberdies, der Giro durch den dunklen Park war doch ungemütlicher, als er ihn sich gedacht hatte. Hernach konnte ihn Brenken zum Bahnhof zurückbegleiten – so hatte er zugleich noch Gesellschaft.

Er war bereits – als gälte es, sich an ein Wild heranzupirschen, – immer dicht an den Baumstämmen des Weges hin an das Ende des Ganges, der Villa schräg gegenüber, gelangt, als er, in sich hineinlachend, stehen blieb:

Dieser Unsinn! Schäme dich, Excellenz! Wenn Susi dich hier sähe! Wer weiß auch, ob man dem galanten Herrn nicht mehr als ungelegen käme? am Ende gar in genau die Falle ginge, die mir die Person gestellt hat! Er soll ja mehr als intim mit ihr sein. Und ich träfe das edle Paar im tête-à-tête! Dann hätte ich die Bescherung.

Schon wollte er sich wenden, als er die Gestalt eines Menschen erblickte, der eben aus dem Schatten, welchen die Villa nach links warf, herausgetreten sein mußte, und nun mit raschen Schritten gerade auf ihn zukam. Vermutlich ein Parkwächter, der ihn hatte stehen sehen und zu wissen wünschte, was er hier so spät am Abend zu suchen habe. Aber der Mensch wollte entschieden nichts von ihm, hatte ihn auch nicht gesehen: als er nur noch kaum ein Dutzend Schritte von ihm war, machte er eine Wendung nach rechts und stellte sich an den Waldrand, fast in ein Gebüsch hinein, das da ein wenig vorsprang.

»Das ist doch seltsam,« dachte Astolf.

Der Mensch, der so nahe bei ihm stand, daß er ihn beinahe mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können, regte sich nicht. Das Gesicht hatte er starr nach der Villa gewandt, auf die seine ganze Aufmerksamkeit gerichtet schien – offenbar der Grund, weshalb er seinen Nachbar auch jetzt noch nicht bemerkte.

»Entweder ein Dieb,« dachte Astolf, »oder ein Verliebter, der sich hier mit der Küchennymphe aus der Villa ein Stelldichein gegeben hat. Wahrscheinlich das letztere. Er könnte sonst nicht so blind sein.«

Und plötzlich schoß ihm ein andrer wunderlicher Gedanke durch den Kopf:

Wenn dies doch ihm galt? Die Reinerz, die ja keine Ahnung davon haben konnte, daß er seit einer Stunde unterwegs sein sollte, ihm auflauern ließ, schon alle diese Abende hatte auflauern lassen, ob er in die mit dem Schlüssel gestellte Falle gehen würde? Das wäre doch interessant, zu wissen. Das mußte er wissen.

Mit einem langen Schritte war er bei dem Menschen und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt:

»Was treiben Sie hier?«

Der Mensch war so erschrocken, daß er fast zusammenknickte. Als er sich dann aufraffte und fliehen wollte, war es zu spät: Astolf hatte ihn jetzt auch am Handgelenk gepackt mit einem Griff, aus dem es kein Entrinnen gab.

»Werden Sie antworten!«

»Ach, Herr Baron, thun Sie mir nichts. Ich habe ja keine Schuld daran.«

»Kennen Sie mich?«

»Ja, Herr Baron.«

»Und Sie sind?«

»Der Sohn von dem Hofgärtner Müller – Bernhard Müller.«

»So, Herr Bernhard Müller; und wollen Sie mir nun gefälligst sagen, woran Sie keine Schuld haben?«

»Ach, bitte, bitte, Herr Baron, lassen Sie mich gehen! Ich will es auch gewiß nicht wieder thun.«

»Was nicht wieder thun?«

»Hier aufpassen.«

»Auf wen? Auf mich?«

»Ach, nein.«

»Auf wen denn?«

»Wenn ich es sagen muß – und der Herr Baron wissen es ja auch schon: auf die Frau Baronin.«

»Die Baronin Vachta?«

Der Mensch antwortete nicht. Er mußte toll sein.

»Wie soll denn die Baronin Vachta hierher kommen?«

»Sie ist schon einmal hier gewesen.«

»Wirklich! Wann denn?«

»Heute vor acht Tagen – um diese Stunde.«

»Allein?«

»Mit –«

»Nun?«

»Herrn von Brenken,« stammelte Bernhard.

Ohne einen Namen zu nennen, kam er nicht weg. Das war ihm klar. Aber sich an Hoheit vergreifen, durfte er doch nicht. Und Herr von Brenken war ja auch dabei gewesen.

»Sie sind Ihrer Sache ganz sicher?«

»Ja, Herr Baron.«

»So nimm das für deine Sicherheit!«

Er hatte die Faust erhoben, um sie auf den Burschen niederschmettern zu lassen, als er auf dem Wege von der großen Allee her, den er selbst gekommen war und an dessen Ausgang er unter den Bäumen mit dem Burschen stand, ein Knistern bereits aus der Nähe vernahm, wie wenn ein flüchtiger Fuß eine der dünnen, von den Aesten herabgewehten Eisscherben zertreten hätte. Unmittelbar darauf, jetzt ganz nahe, dasselbe Geräusch, in seiner Eigenheit sonderbar deutlich trotz des Windesbrausens durch die Wipfel, das der Kommenden sein mit dem jungen Menschen im unterdrückten Tone geführtes Gespräch verdeckt haben mochte.

Aus dem leichten, kurzen Schritt hatte Astolf schon herausgehört, daß, wer da kam, eine Frau sein mußte. Jetzt trat sie in das hellere Licht des freien Platzes, ging eilends auf die Villa zu und verschwand in der Seitenpforte so schnell, daß diese vorher schon für sie geöffnet sein mußte, wenn sie jetzt auch klirrend ins Schloß fiel.

»Das war die Frau Baronin,« flüsterte aufatmend Bernhard.

»Sie sind heil verrückt, mein Freund,« sagte Astolf; »und nun machen Sie, daß Sie von hier fort und nach Hause kommen!«

Der junge Mensch hatte sich das nicht zweimal sagen lassen; raschen Ganges, fast laufend, hatte er sich entfernt und war hinter der Villa verschwunden.

Astolf lehnte an dem Stamm desselben Baumes, unter dem sie gestanden, unfähig, ein Glied zu rühren, als habe ihn ein Blitzstrahl getroffen. Nur die Brust arbeitete unter schweren, leise stöhnenden Atemzügen.

Es war Susi gewesen. Sie hatte, wohl um in der Dunkelheit des Waldes besser sehen zu können, den schwarzen Schleier zurückgeschlagen gehabt. Ueberdies war die Entfernung, in der sie an ihm vorübergeschritten, so gering gewesen. Er hatte sie vollkommen deutlich erkannt.

Vollkommen deutlich. Und doch war alles ein böser Traum; mußte ein Traum sein – eine Hallucination – das Wahnbild eines Verrückten.

Aber er war doch nicht verrückt. Er hatte doch noch eben mit dem Bernhard Müller soweit ganz vernünftig gesprochen. Und wußte, wie er hierher gekommen, und der Baum, an dem er stand, eine Buche, und was er da mit der Hand in der Tasche seines Pelzes berührte, ein Schlüssel war. Der Schlüssel zu dem Hause da drüben, in dem er mit dem Herzog, als er noch Erbprinz war, so manche Maibowle geleert, und das der Herzog Brenken geschenkt hatte, und in das eben seine Susi geschlüpft war, um mit Brenken – Das eben noch stagnierende Blut pulste ihm in den Adern, als wollte es seine Schranken sprengen, die schlaffen Glieder spannten sich; mit den Sprüngen eines Löwen, der auf seine Beute stürzt, war er von dem Baum weg über die Lichtung vor dem Seitenpförtchen. War es nicht verschlossen, kam er so am schnellsten in das Haus. Es war verschlossen. Die starke eiserne Thür hätte selbst seiner Kraft gespottet. Er rannte um das Haus herum nach der Hauptthür, die vier Stufen, die zu ihr hinaufführten, mit einem mächtigen Schritte nehmend. Auch sie verschlossen. Nun mußte der Schlüssel sein Werk thun. Er that es leicht, geräuschlos; geräuschlos schlug der Flügel zurück, den wieder anzudrücken er sich keine Zeit ließ. In dem Flur eine dämmerige Helle, die von einer Lampe an der Decke ausging; dann, von Wandlampen kräftiger beleuchtet, die breite, teppichbelegte Treppe, welche in einer starken Windung auf den oberen Vorraum führte, wo ihm aufdringlicher noch als unten und auf der Treppe der süßliche, ihm widerliche Duft entgegenkam, mit dem die herzoglichen Gemächer parfümiert waren. Er zuckte zusammen, als er plötzlich die in Pelz gehüllten Gestalten von drei oder vier Männern um sich sah. Aber es war nur seine eigene, von den großen Spiegeln über den Wandsofas in hellem Lichte der zwischen ihnen brennenden Kandelaber reflektierte Gestalt. Er ließ den Pelz von den Schultern auf den Teppich gleiten; er wollte seine Arme frei haben. Dann trat er – der dicke Teppich machte seine Schritte unhörbar – an die Fensterthür zum Salon. Die Portiere drinnen war zugezogen, aber nicht so sorgfältig, daß nicht ein Spalt zwischen den beiden Teilen geblieben wäre. Zum erstenmal in seinem Leben wurde er zum Späher und Lauscher. In der Mitte des Salons, voll bestrahlt von dem Licht des Kronleuchters über ihr, an einem goldenen Rokokotisch in einem üppigen Fauteuil, noch im Mantel, den sie aufgeknöpft hatte, aber ohne Hut und Schleier, die neben ihr auf dem Tisch lagen, den Kopf zurückgelehnt, die Füße auf einen Puff so weit vorgestreckt, daß sie völlig unter dem Kleidsaum sichtbar waren, spielte sie mit einer roten Blume, die sie aus einem großen Bouquet in einer Schale neben ihr genommen haben mochte. Ueber die Blume, die sie wiederholt an die Nase führte, lachten ihre großen glänzenden Augen zu dem Manne herüber, der, beide Ellbogen auf die Kniee gestützt, von einem niedrigeren Sessel zu ihr emporstierte. Er sprach sehr eifrig, und, was er sagte, mußte sehr interessant sein. Sie hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu und lächelte wiederholt so amüsiert, daß ihre weißen Zähne zwischen den feinen Lippen hervorblitzten. Plötzlich ließ er sich von dem Sessel herabgleiten auf die Kniee, ihre Hände, die sie gerade mit der Blume im Schoß hielt, ergreifend und sein Gesicht darauf drückend.

Astolfs Hand faßte nach dem Thürgriff; der Griff gab nach, nicht so die Thür. Er rüttelte daran; dann einen Schritt zurücktretend, hatte er sie mit einem Fußtritt aufgesprengt, daß beide Flügel gegen die Portiere flogen, von der die zersplitterten Scheiben herunterklirrten. Hereinstürzend, sah er nur noch eben, wie sich eine Tapetenthür hinter Susi schloß, Brenken hatte ihr offenbar folgen wollen, war aber nur bis in die Nähe der Thür gelangt, von der er sich, da er seinen Fluchtversuch vereitelt sah, umwandte, ein klägliches Lächeln auf den bleichen Lippen, das jäh erstarb, als sein furchtbarer Gegner jetzt mit vor Zorn glühenden Augen und gespreizten Händen vor ihm stand.

»Lieber Vachta!« stammelte er.

Er kam nicht weiter. Im nächsten Moment hatte ihn eine der mächtigen Hände an der Brust, die andre an der Kehle gepackt. Mit der Kraft eines Verzweifelten sich wehrend, konnte er sich noch ein paar Augenblicke auf den Beinen halten. Dann war er in die Kniee gedrückt und wieder emporgerissen und auf den Boden geschmettert, daß sein Kopf mit dumpfem Dröhnen auf den Teppich schlug, während die entsetzlichen Hände sich wie Eisenringe um seine Kehle schlossen. Vor seinen Ohren brauste es wie von einem Wasserfall, vor seinen Augen tanzten große rote Kugeln. Da ließen die Eisenklammern um seinen Hals los; seine Brust, die das Knie des Gegners so entsetzlich zusammengepreßt hatte, war wieder frei.

Es gelang ihm, sich auf den Ellbogen aufzurichten; er glaubte zu sehen, daß Astolf den Diener eben durch die Portiere der zertrümmerten Thür hinausschob, hinter dem Manne ein paar Worte herrufend, die er mit seinen noch halb betäubten Ohren nicht verstand. Dann sah er Astolf an der andern Seite des Salons hinter dem Tische in der Mitte mit langen Schritten auf und ab gehen. Die wirkliche, die Todesgefahr war vorüber. Der da konnte wohl in der ersten Wut zum Mörder werden, jetzt nicht mehr. Nein, jetzt gewiß nicht mehr, wenn er das erst gelesen.

Astolf hatte auf dem Tisch neben Susis Schleier ein Blatt liegen sehen – ein Telegramm – wahrscheinlich das, mit dem der Mensch sie oder sie den Menschen zum Rendezvous bestellt hatte.

»Aufgegeben Berlin, drei Uhr zwanzig nachmittags.«

Was war das?

»Schwerwiegende politische Gründe ... Seien Sie der Ueberbringer ... eine Stunde hinausgeschoben zu sehen, nach der meine Seele ... Heinrich.«

War denn heute die ganze Hölle los? Aber das war doch ganz unmöglich! Er! – er! – Und der Bursch vorhin hatte ja gesagt, daß sie schon einmal hier war – mit Brenken!

»Was heißt das?« fragte er, das Blatt in der Hand, um den Tisch herum auf Brenken zugehend, der jetzt, obgleich an allen Gliedern zitternd, wieder auf den Beinen stand.

Brenken war von dem Moment, als er Astolf das Telegramm zur Hand nehmen sah, entschlossen gewesen, den Herzog preiszugeben. Am Ende ist sich doch jeder selbst der nächste, besonders wenn man es mit einem Verrückten zu thun hat.

»Das heißt,« sagte er mit einer seltsam rauhen Stimme, die ihm gar nicht wie die eigene klang, »daß Sie um ein Haar das Leben eines Unschuldigen auf dem Gewissen hätten.«

»Sie sind unschuldig?«

»Bis auf den Kniefall, den Sie vermutlich vorhin durch die Thür gesehen haben, und der andern Menschen, die sich um diese Stunde mit einer schönen Frau allein befunden hätten, wahrscheinlich auch passiert wäre – ja.«

»Sie können das auf Kavalierehre beschwören?«

»Auf Kavalierehre!«

»Sie waren also nicht heute vor acht Tagen ungefähr um diese Stunde – mit der Baronin Vachta hier?«

»Ich war hier mit der Frau Baronin; aber nur auf vielleicht zehn Minuten; nur so lange, als ich brauchte, um mich mit Anstand zurückziehen zu können.«

»Während –«

»Während Hoheit, der Herzog, blieb.«

»Das geht alles noch auf Ihre Kavalierparole?«

»Jedes Wort, das ich sage, gesagt habe oder noch sagen werde.«

»Wissen Sie von andern Zusammenkünften, die die Baronin mit dem Herzog gehabt hat?«

»Bestimmte Angaben kann ich nicht machen; aber ich habe sehr gewichtige Gründe anzunehmen, daß deren bereits mehrere und sehr intime wahrend des Besuches der Frau Baronin im Schloß stattgefunden haben.«

Astolf ging wieder auf und ab, Brenken, der sich nicht mehr halten konnte und eine Ohnmacht herannahen fühlte, hatte sich in einen Sessel fallen lassen. Plötzlich schnellte er wieder in die Höhe; Astolf hatte die Portiere gefaßt, augenscheinlich im Begriff, zu gehen. Daß er gegangen sein möchte, wünschte Brenken von ganzem Herzen; aber vorher mußte ein sehr dunkler Punkt aufgeklärt sein.

»Vachta! lieber, bester Vachta!«

»Was beliebt?«

»Sie haben mich auf Kavalierehre befragt; ich habe auf Kavalierehre antworten müssen, so schwer es mir, bei Gott, angekommen ist. Aber Vachta, Sie haben mich einst Ihren Freund genannt. Ich bin es auch, bin es in dieser ganzen unglückseligen Affaire gewesen. Gott ist mein Zeuge: ich habe zum Guten zugeredet – es hat nichts geholfen. Ich hätte ebenso gut ein Rudel Hirsche, das durch die Lappen bricht, mit meinen nackten Händen aufhalten können. Was ich Ihnen gesagt habe, ich habe es gesagt, nicht aus Furcht, sondern weil Sie es waren, vor dem mir eine Lüge nicht über die Lippen wollte. Gut! Ich habe es gesagt, und Sie haben mich in den Händen. Sie können mich morgen, wann er zurückkommt, oder wann Sie wollen, ihm ausliefern; das heißt mich und meinen Bruder und meine unschuldige Schwester zu Bettlern machen. Sie kennen meine Situation und wissen, daß ich, wenn der Herzog die Hand von mir zieht, auf dem Pflaster liege. Werden Sie mir das anthun?«

Er war dicht an Astolf herangetreten mit ausgestreckter Hand. Astolf verschränkte die Arme auf dem Rücken.

»Ich werde meine Angelegenheit mit dem Herzog ordnen, ohne seine Helfershelfer ins Spiel zu bringen.«

»Das wollten Sie? wollten Sie wirklich?«

»Ich pflege mein Wort zu halten.«

Er war fort. Brenken starrte auf die Portiere, die hinter dem Riesen zusammengefallen war.

»Das war ja eine verfluchte Geschichte! Welcher Satan hatte ihn nur hierher geführt? Er sollte doch seit zwei Stunden unterwegs sein! Ob er jetzt wohl hingeht und der kleinen Hexe die weiße Kehle eindrückt? Verdient hätte sie's. Schade wär's aber doch. Und Serenissimus! Der wird schöne Augen machen, wenn er die Bescherung erfährt! Ich gönne es ihm. Wie ich es ihm gönne! Und ich bleibe aus dem Spiel! Ich habe kein Wässerchen getrübt! Ich nicht! Er pflegt sein Wort zu halten! Dumm genug ist er dazu!«

Er drückte auf den Knopf der elektrischen Leitung, Es dauerte nicht lange, bis der Diener kam mit einer sehr verstörten Miene.

»Der Herr Baron ist fort?«

»Ja, gnädiger Herr. Ich habe ihm noch den Pelz angeholfen.«

»Sie haben also auf dem Flur gehorcht?«

»Ich dachte, die Herren könnten mich noch brauchen.«

»So! brauchen! Brauchen ist gut. Und die Dame, die hier war?«

»Sie ist unten auf dem Flur an mir vorbeigelaufen – zum Hause hinaus. Die Thür stand weit auf. Weiß nicht, gnädiger Herr, wie das möglich ist. Ich habe sie, wie der gnädige Herr befohlen haben, immer verschlossen gehalten.«

»Darauf kommt es nicht an. Sie kennen die Dame nicht?«

»Ei, wie werde ich, gnädiger Herr!«

»Es war eine andre, als die neulich mit Hoheit hier Thee getrunken hat?«

»Na ob! gnädiger Herr! Die war ja einen Kopf größer!«

»Sie sind ein verständiger Mensch, Adolf. So heißen Sie ja wohl? Adolf Ritter – ganz recht! Wenn Sie von dieser Sache Ungelegenheiten mit Seiner Hoheit haben sollten – möglich wäre es doch, obgleich Sie nichts gesehen und gehört haben – verstehen Sie? nichts, schlechterdings nichts! – so kann ich für Leute, die zu schweigen wissen, immer etwas thun. Sie kapieren das? Und nun holen Sie mir aus dem Speisezimmer unten eine Flasche Wein! oder Cognac! Oder was es ist!«


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