Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Achtes Kapitel.

Es hatte wirklich wenig über zehn Minuten gewährt, bis sie im Wagen saßen, demselben, in welchem Brenken gekommen war. Susi auf dem Rücksitz, Brenken ihr gegenüber, so weit zur Seite, wie es die Schicklichkeit verlangte. Die im Salon angefangene intime Unterredung mochte hier ungestört fortgesetzt werden, und die beiden hatten einander noch so viel zu sagen. Dennoch herrschte im Anfang ein fast verlegenes Schweigen, das erst, als man aus dem Walde heraus auf den Weg durch die Wiesen gelangte, von Brenken unterbrochen wurde:

»Ich hätte noch eine private, aber große Bitte an Sie, gnädige Frau.«

»Sie möchten eine Cigarette rauchen.«

»Vielleicht hernach, wenn gnädige Frau es gestatten und der Regen nachläßt, daß wir ein Fenster öffnen können. Nein, eine wirklich große Bitte, durch deren Erfüllung Sie mir einen ungeheuren Dienst leisten würden, der auch Ihnen zu gute käme.«

»Das war also die Vorrede. Nun zur Sache!«

»Die Sache ist die. Gnädige Frau haben vielleicht bemerkt, wie Ihnen ja auch sonst nichts entgeht: ich hatte gestern abend unmittelbar nach dem Konzert eine kurze Unterredung mit dem Herzog, die ich wohl – sauf le respect – eine Dispüte nennen darf. Hoheit beliebten, das Programm abominabel und den Gesang der Reinerz einfach ridikül zu finden. Unter uns, gnädige Frau, ich konnte im stillen Hoheit nur beipflichten. Leider hatte es dabei nicht sein Bewenden: Hoheit verlangte nicht mehr und nicht weniger, als daß ich Pauli – Verzeihung: Fräulein Reinerz wegschicken solle. Wenn ich sage: ›ich‹, so wissen gnädige Frau, daß ich seit dem Heimgange unsres guten alten Hofrats mit der interimistischen Leitung der Intendantur betraut bin – will sagen, alles zu thun und zu besorgen habe, was dem Herzog, der sein eigener Intendant ist, aus diesem oder jenem Grunde lästig fällt. Entlassungen von Theatermitgliedern gehört zu diesen lästigen Dingen, besonders wenn ihr Kontrakt, wie hier der Fall, noch ein paar Jahre läuft. Dazu kommt: passée, wie die Reinerz ist, wir haben schlechterdings weder für den Augenblick, noch für die nächste Zukunft einen Ersatz für sie. Hoheit wollen einmal wieder nach ihrer leidigen Gewohnheit mit dem Kopf durch die Wand. Ein Wort von Ihnen, gnädige Frau, und er läßt Wand Wand sein.«

»Sie sagten vorhin, der Herzog sei außer sich über mein abscheuliches Betragen. Leuten, die außer sich sind, ist schlecht Vernunft reden.«

Brenken lächelte:

»Ich wiederhole, gnädige Frau, es kostet Sie ein einziges Wort.«

»Und wenn ich es gerade in Ihrem Interesse nicht sprechen möchte?«

»In meinem Interesse?«

»Allerdings. Aber um das zu erklären, müßte ich Dinge und Verhältnisse berühren, die etwas sehr delikater Natur sind.«

»Ich glaube zu wissen, worauf die gnädige Frau hinauswollen.«

»Es sollte mich nicht wundern. Offen gestanden, Herr von Brenken, ich habe über die Sache schon längst einmal mit Ihnen sprechen wollen; vielmehr, meinen Mann gebeten, es zu thun. Aber er sagt: zwischen Männern sei das so ein eigen Ding. Ich weiß nicht, warum, und was das Geschlecht damit zu thun hat, wenn es sich darum handelt, einen Freundschaftsdienst zu leisten. Und ich halte es für einen wahren Freundschaftsdienst, daß Ihnen einmal offen gesagt wird, wie man im Publikum über die Rolle denkt – Sie müssen schon das häßliche Wort verzeihen –, die Sie in dieser unglückseligen Affaire spielen.«

»Sie meinen, daß ich vor den Augen der Leute als Liebhaber von Fräulein Reinerz gelte?«

»Während doch alle Welt weiß, daß es der Herzog ist, und daß die Villa im Park, welche die – die Dame bewohnt, nicht Ihnen, sondern dem Herzog gehört.«

Brenken antwortete nicht gleich. Er fand, in Anbetracht aller einschlägigen Verhältnisse, Susis Vorgehen reichlich unverschämt. Sie sich als Tugendspiegel aufspielen! Aber dann wieder: welchen Mut sie hatte! Es war bewunderungswürdig.

»Ich danke Ihnen aufrichtig, gnädige Frau,« sagte er. »Sie haben recht: zwischen Freunden sollten solche Sachen nicht unbesprochen bleiben. Und auch darin haben Sie leider doppelt und dreifach recht: es ist eine unwürdige Rolle, zu der ich mich da hingebe. Aber, was soll ich thun? Sie kennen meine Verhältnisse; vielmehr Sie kennen sie nicht; wissen nicht, daß ich in einer kläglichen Weise von dem Herzog abhänge, ohne ihn sur le pavé bin und schlimmer als das: criblé de dettes. Sie haben mich nie besonders gedrückt; erst jetzt, wo ich nach dem Tode unsres Papas für meinen Bruder auf der Fähnrichspresse zu sorgen habe und für meine Schwester, die sich als Stütze in adeligen Häusern herumdrücken muß – das liebe Geschöpf! Ach, gnädige Frau, ihr reichen Leute, ihr wißt ja nicht, wie Armut thut und zu welchen schlimmen Dingen sie die zwingt, die sie in den Klauen hat!«

Brenken zog das Batisttuch mit dem großen eingestickten Monogramm aus der Brusttasche seines Paletots und tupfte damit, sich zum Fenster wendend, als wolle er nach dem Wetter sehen, flüchtig auf Augen und Mund. Es war natürlich Komödie; aber er spielte sie so allerliebst. Susi war entzückt. Wenn er sie jetzt um einen Kuß gebeten hätte, er würde ihn bekommen haben.

Brenken hatte sich wieder zu ihr gekehrt. Seinem schnellen Blick war der eigentümliche Ausdruck in dem Gesicht der jungen Frau aufgefallen. Sollte es doch noch möglich sein? eine Hoffnung sich realisieren lassen, die er im stillen immer genährt? die schöne Beute dem Herzog in der elften Stunde abgejagt werden können?

»Gnädige Frau, ich erlaubte mir vorhin zu bemerken, daß Ihre freundliche Intervention in der Angelegenheit auch Ihnen zum Vorteil ausschlagen würde. Darf ich mir verstatten, freimütig zu sagen, wie ich das verstehe?«

»Sie machen mich unendlich neugierig,« sagte Susi.

Um ihren Mund spielte ein erwartungsvolles Lächeln, die großen blauen Augen blickten unschuldig wie eines Kindes Augen.

»Nun denn!«

Brenken rückte ein ganz klein wenig näher und sagte, die Unschuldsaugen scharf fixierend:

»Sie wissen, der Herzog liebt Sie.«

Susi errötete bis in die Schläfen; ihre Brauen zogen sich drohend zusammen. Brenken ließ sie nicht zu Worte kommen.

»Verzeihen Sie,« sagte er schnell, »es kam ein wenig brüsk heraus; aber es hat keinen Sinn, eine Thatsache zu verschleiern, die leider nicht nur mir bekannt ist. Oder es würde mich sehr wundern, wenn man Sie bei Hofe mit zarten Anspielungen auf ein so überaus interessantes und ergiebiges Thema verschont hätte. Man hat es nicht gethan; ich sehe es Ihnen an. Was ich darunter leide, will und kann ich Ihnen nicht sagen. Was Sie selbst dabei leiden, können wiederum Sie mir nicht sagen. Ich habe nicht das Glück, Ihr Gatte zu sein; und auch einem Gatten gegenüber hält eine kluge Frau mit dergleichen Enthüllungen zurück. Ich hoffe zu Gott, Sie werden aus dieser Katastrophe hervorgehen, ich sage nicht: rein und unschuldig – das versteht sich von selbst, sondern: ohne daß es zu für Sie unliebsamen Scenen kommt. Dafür bürgt mir Ihre Klugheit. Das wahrhaft Aergerliche und bis zu einem nicht geringen Grade positiv Gefährliche ist der Cancan, der sich an dergleichen pikante Leckerbissen herumsetzt wie Fliegen um den Zucker; das Getuschle und Gezischle, das jetzt schon im besten Gange ist, und sich hundertfach verstärken wird, wenn der Herzog die Reinerz – Sie wissen, was ich meine. Das würde selbst die Unbefangenen stutzig machen. Alle Welt weiß: der Herzog kann nicht ohne eine Leidenschaft leben; alle Welt wird sagen: wer ist es nun? Und, gnädige Frau, ich bin außer mir; aber es ist nicht anders: Sie werden das schuldlose Opfer des schändlichen Geredes werden.«

»Und das würde vermieden, wenn Fräulein Reinerz bleibt?«

»Es würde Ihnen wenigstens die Rückzugslinie decken.«

»Dann verstauen Sie mir eine Frage: wie ist es möglich, daß Sie, der Sie für Deckung dieser Rückzugslinie so freundschaftlich besorgt sind, vorhin Ihre ganze Beredsamkeit aufgeboten haben, mich in das Lager des Feindes – um im Bilde zu bleiben – zurückzulocken?«

Brenken empfing die zerschmetternde Wucht der Frage, ohne mit einer Wimper zu zucken.

»Ja, mein Gott, gnädige Frau,« rief er, »darf ich denn, kann ich denn in meiner sklavischen Abhängigkeit von dem Herzog der Thäter meiner Thaten sein? Habe ich denn nur verhindern können, daß er die – die – ich finde den Ausdruck nicht – daß er sich den Mangel an Delikatesse zu schulden kommen ließ. Ihnen die Gemächer anzuweisen, die sein hochseliger Herr Urgroßvater für seine Geliebte, das schöne Hoffräulein Gabriele von Linden, einrichten ließ? Alte, längst vergessene Geschichten, werden Sie sagen. Freilich! Aber doch nicht so völlig vergessen, daß man ungestraft daran rühren dürfte. Ich versichere Sie: ich bin empört gewesen und bin es noch. Wenn eine so flagrante Indiskretion – verzeihen Sie meiner Aufregung das respektwidrige Wort! – die hämischen Zungen nicht in Bewegung setzt, so weiß ich nicht, was da noch geschehen soll.«

Susi war tief erschrocken. Womit ihre Phantasie heute morgen nur eben gespielt, trat plötzlich als Wirklichkeit vor sie hin. Hatte der Herzog ihr die von der Geliebten seines Vorfahrs bewohnten Gemächer anweisen lassen, war es sicher nicht ohne eine bestimmte Absicht geschehen; gab es auch zweifellos einen Weg, der von seinen Gemächern zu jenen führte – schwerlich über die offenen Korridore. Dieser geheime Weg mündete an der Wand ihres Schlafzimmers, wo sie heute morgen gesucht und etwas gefunden hatte, was einer nur von außen zu öffnenden porte derobée verdächtig ähnlich sah. Kein Zweifel mehr: da war eine Thür! Bis zu dieser Thür hatte sich heute nacht – wahrscheinlich nicht zum erstenmal – der Herzog gewagt! Wer anders als er sollte es gewesen sein?

Das ging mit Blitzesschnelle durch Susis Kopf. Aber ihr Erschrecken hatte einen andern Grund. Sie hatte es ja halb und halb geahnt; das schnelle Eintreffen ihrer Ahnung war eigentlich sehr spaßhaft und schmeichelhaft für ihren Scharfsinn, ganz abgesehen von den interessanten Folgerungen, welche sich an die Entdeckung knüpften.

Nur der Mann da ihr gegenüber! Kannte er das Geheimnis des Weges und der Thür? Hatte der Herzog ihn bis zu diesem Grade zum Vertrauten seiner Leidenschaft gemacht? War, was er da eben gesagt, eine Anspielung gewesen? ein Versuch, zu erfahren, wie weit er auch ihr Vertrauen habe? eine Hindeutung auf seine Mitwissenschaft? eine indirekte Aufforderung, ohne Scheu gegen ihn mit der Sprache herauszugehen?

Darüber mußte sie unter allen Umständen Gewißheit haben.

»Wahrhaftig, lieber Freund,« rief sie lachend, »Sie können einem angst und bange machen. Wie wollen Sie es verantworten, wenn mir heute nacht der hochselige Herr erscheint mit Haarbeutel und Jabot, an seiner Hand die schöne Gabriele in Reifrock und Stelzenschuhen? Oder drohen mir noch andre Gefahren? Wenn Sie sie kennen, so wahr Sie ein Ritter sind. Sie müssen sie mir nennen!«

»Wer spricht von Gefahren?« rief Brenken; »mir ist es Gefahr genug, wenn auch nur die Möglichkeit vorhanden ist, daß Ihr guter Ruf unter derartigen herzoglichen Indiskretionen leidet.«

Ihre Lustigkeit hatte ihn sichtlich verletzt. Susi atmete innerlich auf: offenbar wußte er nicht, daß es in dem alten Schloß nächtlich umging.

»Seien Sie mir nicht böse,« sagte sie, ihm mit ihrem süßen Lächeln die Hand reichend. »Ich weiß. Sie meinen es aufrichtig gut mit mir. Aber ich bin eine trotzige kleine Person, und es fängt gleich in mir zu zucken an, wenn ich sehe oder zu sehen glaube, es zweifelt jemand daran, daß ich mich unter allen Umständen selbst zu schützen weiß. Sagen Sie mir, daß Sie nicht daran zweifeln!«

»Müßte ich daran zweifeln, ich wäre der unglücklichste Mensch unter der Sonne,« rief Brenken, Susis kleine Hand, die sie ihm gelassen, mit Küssen bedeckend.

»Aber Brenken!« sagte Susi.

Da schlugen die Hufe der Pferde auf die Zugbrücke zum Rosenstein; der Wagen donnerte durch das enge gotische Thor und hielt auf dem Schloßhof, wo er eben noch Platz neben den sechs Wagen fand, aus denen die Herrschaften mit ihrem Gefolge vor fünf Minuten ausgestiegen waren.


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