Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Kapitel.

Wenn der Herzog Herrn von Brenken mitgenommen hatte, um eine Ansprache zu haben, so machte er vorläufig von der Gelegenheit keinen Gebrauch. Er saß in seiner Ecke des Coupés zurückgelehnt, von Zeit zu Zeit den Rauch der Cigarette, die er sich von Brenken hatte geben lassen, in einer dicken Wolke durch das offene Fenster blasend. Die herbstliche Nacht war zauberschön. Auf den bewaldeten Berghügeln zur Rechten träumte das Mondlicht, auf den Wiesen zur Linken, durch die der Bach von Schloß Bachta her seinen Lauf in die Ebene nahm, wallten leichte Nebelschleier. Der Herzog sah es und sah es auch wieder nicht. Vor seinen Augen stand die entzückende kleine blasse Frau mit dem goldenen Haar und den großen blauen Augen; in seinem Ohre klang die süße, weiche Stimme, und wieder und wieder ließ er die Melodie durch seine Seele ziehen und mit der Melodie die Worte: »Wie bist du, meine Königin, in deiner Güte wonnevoll«. Ja, wonnevoll, daß Worte es nicht aussprechen konnten! Wonnevoll, daß es alles Maß überstieg! daß er verrückt werden mußte, wenn er nicht bald seine Lippen auf die holden, weichen Lippen pressen durfte! Und da saß der Tropf von Brenken neben ihm, stumm wie ein Fisch, und wartete natürlich, bis er ihm Erlaubnis zum Sprechen gegeben haben würde! Als ob er ihn nicht mitgenommen hätte, damit er von ihr sprechen könnte!

Brenken wußte das sehr wohl; aber er war ausnahmsweise nicht in der Laune, dem Herrn gewärtig zu sein. Die Sache hatte eine Wendung genommen, die ihm aus mehr als einem Grunde äußerst mißfiel. Das konnte eine gefährliche Geschichte werden. Er wollte nichts mehr damit zu thun haben. Wenn der Herzog, wie es schien, ohne ihn zum Ziel kommen zu können hoffte – nun wohl, so mochte er sehen, wie er allein fertig würde. Und das mit dem Diamantkreuz war wirklich ärgerlich. Aber einen andern durch seine Etourderieen in die grausamste Verlegenheit setzen – das sah dem gnädigen Herrn ähnlich!

So hatten sie schweigend die Strecke Kommunalweg zurückgelegt und bogen in die Chaussee ein. Der Herzog richtete sich plötzlich aus seiner Ecke auf, schleuderte den Cigarettenrest hinaus und sagte in einem ärgerlichen Ton:

»Verzeihung, lieber Brenken! Glauben Sie, daß ich Sie mitgenommen habe, damit Sie schweigsam Mondscheinstudien machen sollen?«

»Ich hätte schon längst gesprochen, Hoheit,« erwiderte Brenken; »ich wußte nur nicht, ob, was ich etwa sagen möchte, Hoheit in der Stimmung, in der Sie sich befinden, gefallen würde.«

»In der Stimmung, in der ich mich befinde! Was wissen Sie von meiner Stimmung?«

»Mit Hoheit gnädigster Erlaubnis, ich müßte heute abend taub und blind gewesen sein, und Hoheit hätten mich nie mit Ihrem Vertrauen beehrt haben müssen, wenn ich nicht wenigstens ahnen sollte, was in Hoheits Seele in dieser Stunde vorgeht.«

»Schön! Also was geht in meiner Seele vor?«

»Hoheit setzen mich in bitterste Verlegenheit. Es ist so peinlich, einen gütigen Herrn kränken zu sollen; und ich bin überzeugt, es wird Hoheit kränken, wenn ich meine ehrliche Antwort sage.«

»So sagen Sie sie immerhin in Kuckucks Namen!«

»Hoheit wissen, daß an Ihrem Hofe – wie an jedem andern – die Gunstbezeigungen des gebietenden Herrn von den schärfsten Augen überwacht und auf den feinsten Wagschalen gewogen werden. Ich fürchte, man wird die eben den Vachtaschen Herrschaften bewiesene Gnade zu – zu –«

»Extravagant?«

»Da Hoheit es selber sagen! Bedenken Hoheit nur! Daß Prinz August heute vormittag nach dem Frühstück die Rückfahrt antreten würde, stand programmmäßig fest; dennoch hatten Hoheit Ihre Anwesenheit drüben auf zwei Tage zugesagt. Jetzt gehört kein besonderer Scharfsinn dazu, herauszufinden, warum und wem zu liebe Hoheit den Besuch abgebrochen haben.«

»Mein Gott, habe ich denn nicht wie jeder Privatmann das Recht, mich aus einer Gesellschaft zu eklipsieren, in der ich mich langweile?«

»Gewiß, Hoheit! Nur vielleicht nicht, aus der langweiligen Gesellschaft, so schnell Eisenbahn und ein Paar Rassepferde es möglich machen, in eine andre zu eilen, in der Hoheit sicher sind, sich nicht zu langweilen. Wenigstens dürfen Hoheit dann nicht erwarten, daß der Kausalnexus den Wißbegierigen verborgen bleibt. Sodann – aber ich weiß nicht, ob Hoheit mir erlauben, weiterzusprechen.«

»Ich bitte darum!«

»Sodann: diese ganz neue Idee, Frau von Vachta malen lassen zu wollen.«

»Das ist keine neue Idee. Die Herzogin redet davon schon, solange der Sommer im Schloß ist.«

»Hoheit äußerten noch vorgestern abend in Gegenwart Ihrer Hoheit Ihre höchste Unzufriedenheit mit Herrn Sommers Leistungen.«

»Bitte sehr! Ich habe nur gesagt, daß er keine Männerköpfe malen könne. Mit seinen Frauenporträts steht es ganz anders. Im Karlsruher Schloß sind drei von ihm – eines immer brillanter als das andre. Die Herzogin selbst ließe sich unbedingt malen, wenn ihr Zustand es erlaubte. Aber wenn der Mann auch gar nichts könnte –«

»So wäre doch Hoheits Wunsch und Absicht, Frau von Vachta auf ein paar Wochen in Ihrer unmittelbaren Nähe zu haben, immer erreicht. Verzeihen, Hoheit, das kühne Wort! Aber ich fürchte, man wird diese Absicht merken.«

»Mag man sie merken!«

»Dann habe ich freilich nichts mehr zu sagen.«

Eine peinliche Pause in dem Gespräch entstand. Der Herzog war wütend. Wäre ihm in diesem Augenblick Brenkens Todesurteil vorgelegt worden, mit einem Federzuge hätte er es unterschrieben. Die Frechheit des Menschen überstieg ja jedes Maß! Dieses Menschen, den er erst vor acht Tagen aus den Händen seiner Gläubiger gerettet hatte! Dieses Baurien, der ohne ihn auf dem Pflaster lag? Aber welche Blöße mußte er sich gegeben haben, daß der Mensch es wagen durfte, so frech zu sein! Die Einladung! Nun, Vachta schien damit einverstanden, und ganz gewiß war es die kleine Frau selbst. Aber die Herzogin! Sie wußte von nichts; ahnte nichts; es würde ihr doch am Ende überraschend kommen. Und der Mensch da neben ihm war ihre rechte Hand; hatte so großen Einfluß auf sie! Ein Wort von ihm, so oder so gestellt, konnte Amalien verstimmen, stutzig machen oder sich für die Idee begeistern lassen!

Der hohe Herr hatte beinahe laut aufgestöhnt. Die Pferde griffen mächtig aus; die Chausseebäume flogen nur so vorüber. Da war schon die Porzellanfabrik, mit der ihm der Esel von Kommerzienrat Müller die ganze schöne Villenvorstadt verschimpfiert hatte; in zehn Minuten würde der Wagen in den Schloßhof fahren, und er mußte Brenken zum Thee mit hinaufnehmen, wenn die Sache mit der Herzogin glatt gehen sollte.

»Brenken!« sagte er.

»Hoheit?«

»Brenken, ich bin vielleicht vorhin ein wenig lebhaft geworden; aber mit Ihrem ewigen Einreden und Zweifeln können Sie auch wirklich die Geduld eines Heiligen erschöpfen. Ich denke. Sie werden damit wenigstens die Herzogin verschonen und ihr die Sache in dem richtigen unverfänglichen Licht zeigen. Ich kann doch den Sommer nicht haben kommen lassen, um das Geld reinweg zum Fenster hinauszuwerfen; ich will doch etwas davon profitieren. Nun, und ein gutes Porträt der Baronin, das ist etwas; das ist sogar sehr viel, wenn man es vom Standpunkt einer Freundin und Kennerin der Kunst sieht, die die Herzogin doch ganz unzweifelhaft ist. Und wenn der alte Herr da hinten in Ostpreußen seinen Schwiegersohn durchaus auf vierzehn Tage haben muß, braucht sich deshalb die arme kleine Frau draußen in dem einsamen Vachta zu Tode zu langweilen? Die Herzogin ist die erste, die das begreift. Meinen Sie nicht?«

»Zweifellos, Hoheit.«

»Nun, sehen Sie! Ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich es anfangen sollte, der Herzogin eine kleine Zerstreuung zu verschaffen, die sie gerade jetzt so nötig braucht. Hier hat sie die angenehmste, die sich denken laßt. Die Baronin ist so unterhaltend; es wird der Herzogin über manche langweilige Stunde hinweghelfen. Und die Sitzungen – Stellung, Toilette – das ist so was für Damen! Und wenn ich dann wirklich auch auf eine Minute oder so den Sitzungen beiwohne – nun, mein Gott, entweder ist die Herzogin selbst zugegen, oder Fräulein von Merbach, oder eine der andern Damen – das ist dann doch wahrhaftig unverfänglich genug, man mag die Augen so weit aufreißen wie man will. Ist es nicht wahr?« »Gewiß, Hoheit. Ich bin schon ganz zufrieden, wenn Hoheit mir nur darin beipflichten, daß man die Augen weit aufmachen wird. Offen gestanden: ich habe weniger an die in unmittelbarer Umgebung der Herrschaften als an ein paar andrer gedacht.«

»Die der Reinerz? Ich habe sie satt und übersatt.«

»Das weiß niemand besser als Fräulein Reinerz selbst. Und gerade deshalb möchte ich Hoheit dringend bitten, sich nach der Seite hin vorzusehen.«

»Ich will Gott danken, wenn ich die langweilige Person endlich einmal los bin. Treibt sie es zum Bruch – tant mieux

»Da verlangen Hoheit doch vielleicht zu viel. Sie es zum Bruch treiben? Sie wird sich hüten. Hoheit, behauptet sie, sind nun einmal ihre grande passion, hinter der freilich, wie ich einräumen muß, unmittelbar ihre andre grande passion für Brillanten kommt. Sie wird es schmerzlich empfinden, daß der Schmuck, den sie sich so sehnlichst wünscht und den Hoheit ihr auch zugesagt hatten, jetzt an eine andre Adresse gelangt ist. Eine unendlich würdigere, ich gebe es zu; aber doch eine andre.«

»Das kommt von Ihrer Indiskretion,« rief der Herzog. »Weshalb mußten Sie ihr sagen, daß ich Sie deshalb nach Berlin geschickt habe? Die Sache konnte ja sekret bleiben, bis ich mich über die Verwendung des Schmucks entschieden hatte.« Kein Vorwurf konnte frivoler sein. Der Herzog selbst war es gewesen, der seiner Geliebten in Gegenwart Brenkens alles das gesagt hatte, was jetzt Brenken gesagt haben sollte. Die Ungerechtigkeit war zu flagrant. Brenken durfte deshalb schweigen und sich den gnädigen Herrn über die neue Dummheit, die er begangen, in der Stille weiter ärgern lassen.

Der Herzog hörte das aus dem Schweigen so deutlich heraus, als ob Brenken es laut gesagt hätte. Er ärgerte sich fürchterlich und mußte nun natürlich in seinem Aerger sich noch tiefer in das Dummheitsnetz verstricken.

»Ich will Ihnen was sagen, mon cher,« rief er; »Sie selbst sind in die Baronin verliebt.«

Brenken mochte sich in der Dunkelheit seiner Coupéecke ein höhnisches Lächeln erlauben. Da hatte der hohe Herr ausnahmsweise einmal ins Schwarze getroffen! Aber seine Stimme klang völlig gelassen, beinahe bieder, als er nach einer Pause von ein paar Sekunden erwiderte:

»Ich würde mir nie verstatten, Hoheit, auf der Jagd nach einem Stück auch nur zu visieren, von dem ich sehe, daß es Hoheit schußgerecht kommen wird.«

Der Herzog brach in ein Lachen aus, das nicht sehr natürlich klang. »Na, Brenken,« rief er; »geschmackvoll ist Ihr Vergleich gerade nicht, und falsch obendrein. Schußgerecht! Und das in Beziehung auf – es ist gut, daß es außer mir keiner gehört hat! Wahrhaftig, Brenken, Sie sind ein mauvais sujet. Haben Sie noch eine Cigarette bei sich?«

»Zu Befehl.«

»Und stecken Sie sich auch noch eine an! Sie können Sie oben bei mir ausrauchen. Hernach begleiten Sie mich zur Herzogin. Ich glaube, sie hat ein paar Leute zum Thee. Sie haben doch sonst nichts vor?«

»Niemals, wenn ich Hoheit zu Dienst sein kann.«

Der Wagen hielt im Schloßhof vor der Nebenthür, durch die man, eine Treppe aufwärts, zu den Privatgemächern des Herzogs gelangte.


 << zurück weiter >>