Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Neuntes Kapitel.

Die auf dem Rosenstein seit Generationen aufgespeicherten antiquarischen Schätze seinen hohen Gästen persönlich zu zeigen und zu erklären, gehörte zu den mancherlei Liebhabereien des Herzogs. Die Hofleute seufzten, wenn sich dazu wieder einmal eine Gelegenheit bot. Unter anderthalb Stunden pflegte die Sache nicht abgethan zu sein, und die Aussicht, das ein dutzendmal Gehörte mit der schuldigen Andacht noch einmal – schwerlich zum letztenmal – hören zu sollen, erfüllte selbst ausdauernde Gemüter mit Schauder. Dafür zirkulierten unter ihnen Glossen zu des Herzogs Erklärungsweise, die nicht immer von Respekt zeugten. Man behauptete, daß er es mit Namen und Daten keineswegs genau nähme; diesen Harnisch bald von Otto Eberhard im Turnier von Worms 1462, bald von Heinrich Eberhard in der Schlacht von Mühlberg 1527 getragen sein lasse, und in Fällen, wo sein Gedächtnis völlig pausiere, die Laküne mit einer Ingenuität ausfülle, die etwas geradezu Verblüffendes habe. Auch ging man Wetten darauf ein, ob der hohe Herr diesmal, wenn man an die Gemäldegalerie gelangte, wiederum einen Hustenanfall bekommen, oder irgend eine Veranlassung herbeizaubern werde, um Brenken heranzuwinken und zu bitten, den Herrschaften die paar, übrigens ganz sehenswerten Lukas Kranach, Albrecht Dürer, Hans Holbein e tutti quanti vorzuführen. Daß seit dem Tode des alten Hofrats Nebeling, seines früheren Intendanten und Kunstorakels im allgemeinen, die Münzensammlung regelmäßig überschlagen wurde, war eine Thatsache. Desto länger hatte man dann in den Kammern der prähistorischen Altertümer und Funde zu verweilen, bei welchen der Herzog eine Kenntnis der einschlägigen Wissenschaften und eine Phantasie entwickelte, die zum Erstaunen waren.

Trotz alledem hatte man dem diesmaligen Besuch auf Rosenstein mit geringerer Sorge entgegengesehen, ja sich von ihm eine erquickliche Unterhaltung versprochen, die man sogar von zwei Seiten erwartete.

Einmal von der des Prinzen. Er war längst nicht zum erstenmal der Gast seines Vetters und Freundes, hatte infolgedessen die Rosensteinexpedition wiederholt mitgemacht, kannte die kleinen Schwächen des erlauchten Wirtes genau so gut wie die geprüftesten Hofleute, und war in der glücklichen Lage, nicht schweigend dulden zu müssen wie sie, sondern humoristischen Anwandlungen, wenn sie ihm kamen – und sie pflegten ihm häufig zu kommen – souveräne Freiheit lassen zu dürfen. Das war denn erfahrungsmäßig Veranlassung ergötzlichster Scenen, an deren Erinnerung man sich baß weidete: wie der hohe Herr, nachdenklich den mächtigen blonden Bart streichelnd, ruhig dagestanden sei, während der Herzog, den er durch eine verfängliche Frage in die bitterste Verlegenheit gebracht, sich bald auf diesen, bald auf jenen Fuß gestellt und die größte Mühe gehabt habe, die nötige Höflichkeit zu bewahren, ja, nicht einfach grob zu werden.

Indessen der Spaß, den man sich von diesen allerhöchsten Reibereien versprechen durfte, war schließlich nicht neu. Von ganz anders einschneidender Wichtigkeit war die Frage: Wird sie kommen oder nicht?

Die Unterhaltung, welche die Herrschaften bei der Frühstückstafel über das Thema geführt, war schon nach einer Stunde durch sämtliche Hofkreise durchgesickert, und die Kunde von der Entsendung Brenkens nach Vachta zu dem schönen Flüchtling hatte sich mit Blitzesschnelle durch das ganze Schloß verbreitet. Selbst in den Kastellansräumen wurde die große Frage ventiliert; die Diener in den Vorzimmern und Korridoren tuschelten sie sich einander in die Ohren, von den Kavalieren und Hofdamen gar nicht zu reden, die sich zur bevorstehenden Fahrt mit fieberhafter Hast zurecht machten, nur, um ein paar Minuten früher wieder zusammenzukommen und den Austausch ihrer Ansichten über die Chancen für und wider fortsetzen zu können.

Darüber war man sich so ziemlich einig, daß die plötzliche Entfernung der Baronin weniger einer Flucht gleiche, als vielmehr eine in optima forma sei. Besonders Fräulein von Merbach trat mit aller Schärfe für diese Auffassung ein. Eine andre sei gar nicht möglich; und sie rechne es sich zum Verdienst an, die Baronin zu einem Schritt gedrängt zu haben, der, wie die Dinge zuletzt lagen, von ihr nicht einen Tag länger hinausgeschoben werden konnte. Sie glaube über den Verdacht der Prüderie erhaben zu sein; aber alles habe seine Grenzen, und die junge unbedachtsame Frau sei in der Art und Weise, wie sie den Avancen des Herzogs mit offenen Armen sozusagen entgegengekommen, weit, viel zu weit über die Grenzen hinausgegangen. Das habe sie ihr denn gestern nach der Sitzung frank und frei gesagt. Und, wie die Thatsachen bewiesen, mit der gewünschten Wirkung. Sie wisse mit voller Bestimmtheit: nicht Herr Sommer habe die Sitzung heute morgen abgesagt, sondern nehme die Absage nur auf sich, die in Wirklichkeit von der Baronin ausgegangen sei, als erster Beweis ihres erwachten, wenn man wolle: erweckten Gewissens. Zweiter und entscheidender, endgültiger Beweis: ihre Abreise nach Vachta, von wo sie auch nicht wieder zurückkommen werde, und wenn Hoheit zehn Brenkens hinsandte. Sie für ihr Teil sei bereit, darauf jede Wette einzugehen.

Es hatte niemand die Dame beim Wort nehmen wollen, was indes keineswegs verhinderte, daß der Herzog bei der Erklärung seiner geliebten Waffensammlung bereits zu der Rüstung Otto Eberhards (alias Heinrich Eberhards) gelangt war, ohne die pflichtschuldige Aufmerksamkeit auch nur eines Mitgliedes seines Gefolges im mindesten fesseln zu können. Wieder und wieder richteten sich die verstohlenen Blicke von den Harnischen, Schildern, Schwertern und Lanzen weg nach der Saalthür, durch die doch nun Brenken jeden Augenblick eintreten mußte. Ob allein oder mit ihr? Man erwartete es in atemloser Spannung.

Es hatte für das Paar bei ihrer Ankunft einen Aufenthalt gegeben. Auf dem engen Hofe hatte ihr Wagen, von den andern behindert, nicht sofort an dem Portal vorfahren können. Dann war Susi, als man endlich aussteigen durfte, mit der Schleppe ihres Kleides am Tritt hängen geblieben und hatte ein viertel Meter Saum abgerissen, worauf sie natürlich in der Kastellanstube auf zehn Minuten verschwinden mußte, die Brenken, der draußen wartete, eine Ewigkeit dünkten.

Nicht, daß er es so eilig gehabt hätte, vor dem Herzog als der glückliche Vollstrecker seiner allerhöchsten Befehle zu erscheinen! Von der lästigen Gepflogenheit, sich moralische Vorwürfe zu machen, war er für gewöhnlich nicht geplagt; in diesem Augenblick kam er sich sehr erbärmlich vor, nannte sich einen ganz gemeinen Schuft. Was anders war er denn, als ein Kuppler? Und er war es nicht bloß in seinen Augen, er war es auch in ihren – sie hatte es ihm ja ganz deutlich gesagt! In ihren Augen! Himmel und Hölle! In ihren wundersamen Augen, in die er eben noch so tief geblickt hatte – einen unermeßlichen Abgrund von Wonne und Seligkeit! Und diese Wonne und Seligkeit, im Vergleich zu der alles, was er bis jetzt an Lust gekostet, ein erbärmliches Nichts erschien, ihm lassen sollen, der so schon jeden Schaum von dem Champagner des Lebens abschlürfte, und den er haßte – haßte, daß es nur die aufeinander knirschenden Zähne sagen konnten! Warum hatte er nicht schon in Vachta im Salon den Mut gehabt, der ihm in der letzten Minute der Fahrt gekommen war! Aber er war und blieb der elende Feigling, mit dem courage d'escalier, während andre das Glück bei der Stirnlocke fassen und in die Arme pressen und küssen, küssen – küssen! Pah, schließlich ist eine wie die andre!

Susi tauchte aus der Kastellansloge auf.

»Da bin ich wieder. Seien Sie froh, wir haben so hoffentlich einen Akt der Tragikomödie geschwänzt.«

Sie hätten es beinahe. Als sie eintraten, war der Herzog mit seiner Gesellschaft bereits an das andre Ende des vierfensterigen Saales gelangt und demonstrierte eben, wie es durchaus falsch sei, die Gestalten unsrer Altvordern als über das Maß der Menschen von heute hinausgehend anzunehmen. Von sämtlichen Rüstungen im Saale hätte er nur höchstens zwei tragen können, während für Seine Königliche Hoheit erst eine angefertigt werden müßte. Worauf Seine Königliche Hoheit erwiderte: man möge das hübsch bleiben lassen; er habe an dem Kürassier- oder Garde-du-Corps-Panzer, wenn er ihn einmal anlegen müsse, gerade genug; um dann mit seinem trockenen Humor, der das Gaudium der Hofleute war, hinzuzufügen: »Indessen überrascht mich die Sache nicht. Ich bin gewohnt, hinter alles, was mir vom Mittelalter erzählt wird, ein großes Fragezeichen zu machen.«

Der Herzog wollte, sichtlich pikiert, etwas erwidern, als er Susi, die mit ihrem Begleiter schon ganz nahe gekommen war, bemerkte. Das Wort blieb ihm in der Kehle, und mehr als ein spähendes Auge bemerkte, daß er sich jäh verfärbte. Der königliche Prinz, der so viel Blicke plötzlich in dieselbe Richtung gewandt sah, hatte sich auf den Hacken umgedreht und kam nun, aus dem Knäuel der um ihn gescharten Herren und Damen heraus, mit ein paar langen Schritten auf Susi zu, ihr schon von weitem die mächtige Hand entgegenstreckend, lustig rufend:

»Na, endlich! Darf man wissen, wie sich Baby befindet?«

»Sehr gut, Königliche Hoheit,« erwiderte Susi, mit Decenz in den munteren Ton einstimmend; »ich hätte auch sonst nicht vom Hause fortgekonnt.«

Der große Moment war so vorübergegangen, ohne daß die Späheraugen – bis auf das plötzliche Erblassen des Herzogs – etwas Verdächtiges hätten wahrnehmen können. Die beiden fürstlichen Damen waren, wie gestern abend, sehr gnädig gegen Susi, ebenso der benachbarte Herzog; die Herren vom Hofe grüßten verbindlich; die Oberhofmarschallin lächelte ihr gütig zu, und Fräulein von Merbach benutzte die nächste Gelegenheit, die ihr ein ungeheurer Eichenschrank aus dem fünfzehnten Jahrhundert bot, um sie heimlich zu umarmen und ihr ins Ohr zu flüstern: »Sie böses, böses Kind! Ich habe mich ja so gräßlich um Sie geängstigt! Gott sei Dank, daß Sie wieder bei uns sind!«

Der Rundgang durch die Sammlungen hätte jetzt ohne weitere Störung fortgesetzt werden können, aber der Besitzer selbst schien heute an seinen Schätzen kein rechtes Wohlgefallen zu haben. Je länger die Besichtigung dauerte, desto merklicher trat bei dem sonst Unermüdlichen eine Abspannung hervor; er erklärte, infolge einer leichten Migräne sich heute auf sein Gedächtnis nicht unbedingt verlassen zu können; und während er es noch stets sehr ungnädig bemerkte, wenn der um ihn versammelte Kreis nicht dicht geschart blieb, hatte er für die Nachzügler kein Stirnrunzeln, sogar für Voraneilende nicht sein stereotypes: »Bitte unterthänigst, sich noch einen Augenblick gedulden zu wollen.«

So war denn keine halbe Stunde vergangen, als sich ziemlich jede Ordnung gelöst hatte und nur ein kleinerer, hauptsächlich aus den beiden Fürstinnen und den Damen bestehender Teil um Brenken, den ständigen Vertreter des Herzogs in der Bildergalerie, versammelt war. Der Herzog war anfangs dem Prinzen und dem andern Fürsten zur Seite geblieben; dann, als die beiden Herren in der Bewunderung eines Kunstschrankes aus der besten Nürnberger Zeit kein Ende finden konnten, erst langsam und bald schneller vorausgegangen; endlich, als er sah, daß niemand ihm folgte, in einen schmalen Seitengang abgebogen, der in ein nach dem unteren Stockwerk führendes Wendeltreppchen auslief. Er glaubte sich zu erinnern, daß Susi nicht mit den andern Damen in den oberen Stock hinaufgekommen war und er sie zuletzt mit dem Kammerjunker von Selbitz in dem Fayencenzimmer gesehen hatte. Das Glück begünstigte ihn: er konnte, ohne daß ihm jemand begegnet wäre, das Zimmer erreichen. Sie war nicht mehr da; aber in einem Nachbarraum, der eigentlich nur ein Erker war, in welchem einige ältere, besonders merkwürdige Thongefäße standen, hörte er sprechen: die laute, näselnde Stimme des Junkers, dann eine leise, weibliche – ihre Stimme. Das Herz schlug ihm bis in die Kehle. Vor den Augen wurde es ihm dunkel; er fühlte sich einer Ohnmacht nahe und mußte sich, um nicht zu fallen, an einen Schrank lehnen. Aber das währte nur Momente; dann hatte er die Schwäche überwunden, richtete sich strack in den Hüften auf und betrat den Erker, nachdem er den kleinen Zwischenraum mit schnellen Schritten durchmessen hatte.

»Sie hier, gnädige Frau?« rief er mit einem Erstaunen, dessen Ausdruck ihm in seiner Erregung nur übel gelang; »wollen Sie sich auch von den Strapazen dieses Kunstgenusses erholen, den einem die Leute, die keine Ahnung von Kunst haben, so gründlich verleiden? Ich meine Sie nicht damit, lieber Selbitz. Bleiben Sie in Gottes Namen hier: ich habe keine Geheimnisse mit der gnädigen Frau. Oder wenn Sie mir einen Gefallen thun wollen, lassen Sie durch meinen Jäger den Kutschern sagen, daß sie die Wagen in einer Viertelstunde bereit halten.«

Der junge Mann, für den es eines so direkten Winkes gar nicht einmal bedurft hätte, war davongeeilt. Der Herzog wandte sich zu Susi, die an einer der beiden schmalen Fensternischen stand. Sie wußte, der entscheidende Augenblick war da. Aber keine Spur von Erregung auf ihrem seinen, blassen Gesicht. Die großen blauen Augen blickten ruhig dem Herzog entgegen. Nur ein seines, kaum bemerkbares Lächeln um den kleinen reizenden Mund schien andeuten zu sollen, daß sie sich in seiner Gesellschaft fühlte.

Vor dieser souveränen Sicherheit war dem Manne aller Mut entsunken. Ja, er wünschte, er hätte sie nicht aufgesucht. Nun war er einmal hier; er wollte wenigstens, wenn er den Liebhaber fallen lassen mußte, den Herzog retten.

»Ich hoffe, die gnädige Frau haben zu Hause alles nach Wunsch gefunden.«

»Ganz nach Wunsch, Hoheit.«

»Die Fahrt hat Sie nicht angegriffen?«

»Nicht im mindesten, Hoheit.«

»Sie werden uns doch auch den Abend schenken?«

»Ganz, wie Hoheit befehlen.«

»Das Wort klingt nicht hübsch in Ihrem Munde; Sie wissen, daß ich Ihnen nichts zu befehlen habe.«

»Ich bitte Hoheit um Verzeihung. Ich habe mir sagen lassen, in Rom solle man wie die Römer sprechen.«

Der Herzog lächelte verächtlich.

»Römer! Diese Bedientenseelen! Diese ausgepreßten Zitronen! Wie können Sie die und sich in einem Atem nennen? Was ich immer zumeist an Ihnen bewunderte, war der freie Mut, mit dem Sie jederzeit furchtlos Ihre Meinung sagten. Wo ist denn der geblieben?«

»Ich glaube, ich habe ihn seit gestern abend verloren.«

Der Herzog zuckte zusammen.

»Seit gestern abend?« rief er mit bebenden Lippen. »Was ist denn gestern abend geschehen?«

»Nichts von Belang, Hoheit. Ich war nur zum Papagei geworden, der, zu Hoheits Verdruß, gehorsam nachplappern mußte, was Fräulein von Merbach mir vorgesagt hatte.«

Der Herzog, der etwas ganz andres, viel Schlimmeres erwartet hatte, fühlte eine große Erleichterung.

»Ach, die alberne Sitzungsgeschichte!« sagte er lachend. »Die Merbach ist wirklich eine alte Schulmamsell. Mit jedem Jahre wird sie unleidlicher.«

»Hoheit werden sie doch nicht wegschicken können, wie die Reinerz.«

Der Herzog stutzte.

»Was soll das nun wieder?« fragte er verstimmt.

»O, Herr von Brenken sprach mit mir nur davon. Er ist in Verzweiflung. Er behauptet, die Dame sei unersetzlich.«

»Unersetzlich?« rief der Herzog, verlegen und trotzig wie ein Schulknabe. »Unersetzlich? Brenken ist ein Narr. Sie kann gar nichts mehr, hat nie etwas gekonnt; sie gehört in ein Café chantant

Er fühlte, daß er unfürstlich heftig geworden war und sagte, einlenkend, in ruhigerem Ton:

»Mag sein, ich bin gegen die Dame nicht ganz gerecht. Die Sache ist, seitdem ich Sie jetzt wiederholt habe singen hören – besonders seit dem letzten Abend in Vachta – ist mir jede andre Stimme verleidet.«

Susi lächelte.

»Das ist sehr schmeichelhaft für mich, Hoheit,« erwiderte sie, »und auch sehr traurig. Ich lebe gern den Menschen zu Gefallen und finde nun, ich thue nichts weiter, als auf Personen, die sich sonst Eurer Hoheit Gnade erfreuten, die allerhöchste Ungnade herabziehen. Ja, Hoheit, da ist es doch meine Pflicht, das Feld zu räumen. Ich hatte gestern einen Brief von meinem Gatten. Der Papa will uns durchaus bei sich haben, nicht vorübergehend – nein, für immer. Ich fand den Gedanken absurd. Jetzt muß ich gestehen: er scheint mir sehr plausibel, sehr vernünftig; als das, was ich Eurer Hoheit und mir selbst schuldig bin.«

Der Herzog war bei ihren in nachdenklichem Ton mit niedergeschlagenen Augen gesprochenen Worten erblaßt, dann schoß ihm eine jähe Röte in Wangen und Stirn.

»Unmöglich!« rief er. »Das darf nicht sein! Das wäre unerhört! Ein Vachta gehört hierher, ist hier festgewurzelt. Ich werde das niemals zugeben! Niemals! Ich –«

Er konnte vor Erregung nicht weiter sprechen. Die zornige Röte auf seinem Gesicht war wieder der Blässe gewichen. Und als er jetzt von neuem zu reden anhub, erkannte Susi seine Stimme kaum wieder, so leise und stockend kamen die heiseren Worte:

»Die Sache ist: Sie wollen fort. Mein Gott, mein Gott, wird Ihnen das wirklich so leicht? Denken Sie denn dabei gar nicht an – mich? Regt sich denn wirklich in Ihrem Herzen nichts, gar nichts für – Susi, ich liebe Sie! Ich bete sie an! Ich kann nicht mehr leben ohne Sie! Ich werde wahnsinnig, wenn Sie mich verlassen! Ich bin es schon.

Ich –«

Er war ganz nahe an sie herangetreten und flüsterte hastig, kaum noch verständlich:

»Heute nacht – ich habe vor Ihrer Thür gestanden – erschrecken Sie nicht! Bei allem, was mir heilig ist, niemand außer mir weiß von dieser Thür – nicht erst heute nacht – alle diese Nächte – weinend, betend, verzweifelt. Seit sieben Nächten ist kein Schlaf in meine Augen gekommen – ich bin mit meiner Kraft zu Ende.«

Susi sah es: er sprach die volle Wahrheit. Und mit der Kraft, sagte sie sich, endet auch die Leidenschaft.

Sie hob langsam die Augen zu den seinen auf, die sie anstarrten wie eines Angeklagten, der den Richterspruch erwartet; und langsam und leise sagte sie:

»Ich kenne die Thür, sie ist sehr dünn: man kann durch sie jemand, der an der andern Seite steht, atmen hören. Wenn diese Thür vergangene Nacht und die andern Nächte nicht geschlossen geblieben wäre, was wäre ich dann heute in Eurer Hoheit Augen?«

»Was Ihr stolzes Lächeln sagt,« flüsterte der Herzog; »mein Alles. Meine gütige, wonnevolle, angebetete Königin! Susi, zweifeln Sie daran?«

»Nein,« sagte Susi.

Sein heißer Atem streifte ihre Wange; die flüsternde Stimme war dicht an ihrem Ohr. Er hauchte ein paar Worte, auf die keine Antwort kam. Erschrocken bog er den Kopf zurück. Ihre Blicke ruhten ineinander. Ihre lächelnden Augen sagten, was ihr lächelnder Mund verschwieg.

Er hatte einen langen, glühenden Kuß auf ihren Mund gedrückt und war davongestürzt.

Langsam folgte Susi. Zwischen ihren Brauen stand ein seines Fältchen. Es schien ihr, als habe sie eben ihre Rolle um eine Nuance zu viel auf die ingénue hinausgespielt.

Doch das ließ sich wieder gutmachen.


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