Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Dreizehntes Kapitel.

Brenken hatte seine Depesche um vier Uhr nachmittags erhalten. Nachdem er sie sorgfältig zweimal durchgelesen, zuckte ein höhnisches Lächeln um seine schlaffen Lippen. Wenn ihn nicht alles täuschte: dies war der Anfang des Endes, vielleicht das Ende selbst. Er kannte seinen Herzog: in diesem Augenblick Feuer und Flamme, im nächsten war das Stroh verbrannt und auf dem Boden glimmte höchstens noch ein bißchen Asche. Schon bei der letzten Zusammenkunft in der Villa hatte er auf den Mienen des liebenden Paares Wolken beobachtet, die ein heraufziehendes Gewitter verkündigten. Susi war so trotzig und hochfahrend gewesen – das konnte der Herzog nun schon gar nicht vertragen. Natürlich hatte es dann eine Versöhnung gegeben – man kennt das – aber der Keim zum Zwiespalt war gelegt und während der Berliner Tage in der stets geteilten Seele des Herzogs herrlich ins Kraut geschossen. Was da vorgegangen – er sah es, hörte es, als wäre er dabei gewesen: der Herzog hatte nicht reinen Mund halten können, sich nach seiner Gewohnheit in Worten übernommen, der Prinz ihm gehörig ins Gewissen geredet. Dann die obligate Spiegelfechterei zwischen Hölle und Himmel, dem Wüstling und dem braven Mann, zwischen Gier und Feigheit, und das Ende vom Liede – diese Depesche!

Wenn das nicht zum Lachen war!

Aber was mit der Botschaft beginnen? Sie der schönen Adressatin überbringen? Die Pflicht gegen den gnädigen Herrn gebot es, und unausführbar war die Sache nicht. Er hatte während der letzten Wochen von den Launen des Herzogs so viel zu leiden, mit der ihm über Nacht aufgehalsten Theaterintendantur so viele Scherereien, so viele Unannehmlichkeiten gehabt, war des tröstenden Zuspruchs treuer Freunde so bedürftig gewesen! Wo sollte er den finden als bei seinen lieben Vachtas? Astolf hatte jetzt freilich ungebührlich viel zu thun, fast vom Morgen bis in die Nacht hinein vergraben in diesen langweiligen Regierungsakten – der Himmel mochte wissen, zu welchem für sterbliche Augen unfindbaren Zweck – nun, so war doch noch die gütige gnädige Frau da, die gern dem armen, in der Wüste des Hoflebens verschmachtenden Wanderer den Labetrunk eines ermutigenden Wortes gönnte! Astolf hatte ja nichts dagegen, ihm vielmehr in Susis Gegenwart gesagt: »Kommen Sie, so oft Sie wollen, lieber Freund! Meine Frau ist vor Langerweile schon ganz melancholisch geworden – gelt, Susi? – Plaudern Sie ihr die Grillen weg, Sie verstehen das meisterlich. Wenn ich irgend kann, erscheine ich hernach und wir machen eine Partie Whist mit dem Strohmann, das heißt: mit zwei Strohmännern, von denen der eine ich unter allen Umständen bin. Gelt, Susi?«

Er hatte es sich nicht zweimal sagen lassen: George Dandin wollte es ja! Er war gekommen und hatte manches intime Plauderstündchen mit der reizenden Frau gehabt, ohne daß des Herzogs Erwähnung geschah, oder doch höchstens einmal im Vorübergehen. Ein galanter Mann berührt gewisse heikle Dinge im vertraulichsten Gespräch so wenig wie eine Fledermaus im tiefsten Dunkel die aufgespannten Fäden.

So wäre er auch heute sicher gewesen, Susi entweder allein sprechen und ihr das Telegramm des Herzogs vorlesen, oder, hätte die Begegnung ausnahmsweise in Astolfs Gegenwart stattgefunden, ihr einen Wink geben zu können, der ihr heute abend den zwecklosen Weg zur Villa ersparte. Konnte man sich doch mit ihr durch ein Augenzwinkern verständigen!

Aber er wollte ihr den Weg nicht ersparen – im Gegenteil! Sie sollte kommen und ihn allein finden. Das Eintreffen des Telegramms ließ sich ja auf ein paar Stunden später verlegen, als es völlig unmöglich geworden war, sie zu benachrichtigen. Oder wenn er bei dieser Lüge zu viel riskierte – mon dieu, um eine Ausrede, die einem wirklichen Grunde aufs Haar glich, war er doch noch nie verlegen gewesen! Und wenn es einer solchen Ausrede gar nicht einmal bedurfte, die schöne Frau mit dem Quiproquo ganz zufrieden war, Humor genug hatte – und sie hatte Humor, die kleine süße Hexe – den Spaß zu goutieren – er fühlte ein Rieseln durch den ganzen Leib bei dem Gedanken.

Eins war freilich möglich, sogar wahrscheinlich: der Herzog hatte an Astolf ebenfalls depeschiert, vielleicht gar geschrieben. In dem Verhältnisse, in welchem jetzt die beiden standen – Susi hatte darüber einige, von ihm jedenfalls richtig interpretierte Andeutungen gemacht – wäre es von seiten des Herzogs nur schicklich gewesen. Indessen, das stand nun nicht zu ändern. Darauf mußte er es ankommen lassen.

Auch Astolf hatte seit vier Uhr sein Telegramm in Händen. Er war damit sofort zu Susi gestürzt.

»Habe ich es nicht gesagt, Susi, er läßt mich nicht ohne irgend eine Nachricht reisen. Da, lies! Genau das, was ich zu hören wünschte, wenn ich doch einmal diese gräßliche Last auf meine Schultern nehmen soll. Na, was sagt Ihre Excellenz? Der Prinz ist vollständig einverstanden – sobald ich zurück bin, wollen wir ans Werk gehen! Weiß Gott, Susi, hätte ich es dem Papa nicht so fest versprochen und wäre ich da oben nicht wirklich notwendig, ich bliebe hier. Aber da der Herzog gegen meine Reise kein Veto einlegt – er hat freilich keine Ahnung davon, wie dick der Berg von Hirsebrei ist, durch den ich mich in das ministerielle Schlaraffenland essen muß. Na, wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er ja auch den Verstand. Ich will nur mein Memoire noch fertig schreiben, das der Herzog vorfinden soll, wenn er zurückkommt – so eine Art Programm, weißt du, mit dem ich vor den Landtag treten will. In einer Stunde, höchstens zwei bin ich fertig. Wir können dann noch immer ein rechtschaffenes Stück plauschen. Adieu so lange, lieber Schatz!«

Er hatte Susi geküßt und war davongestürmt mit langen Schlitten, die ein paar Gläser auf dem Buffett im Speisezimmer klirren machten.

Susi hielt sich die empfindlichen Ohren zu.

»Er ist schrecklich,« murmelte sie.

Sie war in ihrem Salon auf der Chaiselongue geblieben und saß da, zusammengekauert, den Kopf in die Hand gestützt, geraume Zeit, die Situation überdenkend. Er konnte nicht kommen. Unsinn! Warum sollte er nicht können, wenn er wollte? Also er wollte nicht kommen. Erster Punkt. Zweiter: warum wollte er nicht kommen? War er ihrer überdrüssig? Es hatte das letzte Mal, als sie beisammen waren, diesen Anschein wahrlich nicht gehabt. Im Gegenteil: er war kindischer gewesen als je. Wollte er ihr nur nach der Scene von neulich zeigen, daß er auch schmollen und trotzen könne? Das ist so die Art ungezogener Kinder; aber sie laufen auch wieder nach dem Zuckerbrot. Er sollte es ja haben, und er wußte recht gut, daß er es haben würde. Sodann, lag wirklich ein unüberwindliches Hindernis vor – er war doch zu sehr Kavalier, sie in dieser saloppen Weise abzufertigen: mit einem Telegramm an ihren Mann, aus dem sie sich das Nötige herauslesen mochte. Er würde sicherlich Brenken avisiert, durch Brenken sich haben entschuldigen lassen. Brenken konnte jeden Augenblick kommen.

Aber kein Brenken kam. Ihre Unruhe wuchs mit jeder Minute. Stand sie wirklich vor einer Thatsache, gegen die sich nicht ihr Herz empörte – das, wußte sie, bereitete ihr keine Emotionen – aber ihr Stolz und ihre Eitelkeit sich desto heftiger sträubten.

Auf einmal schlug sie sich an die Stirn.

Gott, wie dumm sie war! das Ganze war ja nichts weiter als eine Finte! Sand in die Augen des guten Astolf, obgleich es dessen für ihn gar nicht bedurfte, er in seiner Vertrauensseligkeit ruhig abgereist wäre, und wenn er auch zehn Herzöge hinter sich gelassen hätte!

Susi war von der Chaiselongue in die Höhe gefahren und ging, die Melodie von »Wie bist du, meine Königin« summend, in dem Salon auf und ab. Plötzlich bekam sie Migräne.

Sie mußte durchaus Migräne bekommen, vielmehr schon beim Aufstehen heute morgen gehabt und nur nichts gesagt haben. Daß sie nicht früher darauf verfallen war! Wie sollte sie denn, wenn sie Astolf auf die Bahn begleitete, zur rechten Zeit auf der Villa sein, abgesehen davon, daß es schwer halten würde, einen Grund zu finden, weshalb sie Wagen und Leute nach Hause schickte? Bei der Villa vorfahren konnte sie doch nicht.

Also das Migränegesicht! Sie hatte es ganz in ihrer Gewalt. Eine flüchtige Probe vor dem Spiegel genügte.

Astolf erschrak, als er, in Begriff, seine Akten definitiv zuzuklappen, Susi bei sich eintreten sah. Das arme Kind! Warum hatte sie es denn nicht früher gesagt! Sich um seinetwillen so zu quälen! Natürlich mußte sie sich sofort zu Bett legen. Es war ja das Einzige, was ihr half oder doch Linderung schaffte. Um ihn brauchte sie sich nicht zu sorgen. Er würde schon allein auf die Bahn kommen. Mitgenommen hätte er sie bei dem greulichen Wetter so wie so nicht. Soll ich dich zu Bett bringen? Nein? Nun, dann geh, meine süße Seele! Ich sage dir natürlich noch adieu.

Susi ging, die Hand auf die linke Schläfe pressend. Hätte sie gewußt, daß er ohne sie auf die Bahn fahren wollte! Aber sicherer war es doch so.

Als Astolf um dreiviertel auf neun am Bahnhofsgebäude vorfuhr, war sein Zug seit einer Viertelstunde fort. Er hatte geglaubt, die Abfahrtszeit ganz sicher im Kopf zu haben, und nur nicht bedacht, daß es die des Sommerfahrplanes war und das Kursbuch bereits seit Oktober andre Zahlen aufwies; wenigstens für diesen Zug. Das Unglück war nicht groß: um halb zwölf kam der Kurierzug Rom-München-Berlin durch, der den Neunuhrschnellzug bereits in Berlin einholte. So belehrte ihn der Bahnhofsinspektor, ein alter Bekannter, der, wenn er sich recht erinnerte, in den unteren Klassen des Gymnasiums dieselbe Bank mit ihm gedrückt hatte. Mit den paar Stunden würde er schon fertig werden. Die Hauptsache war, daß Susi nichts von der Kalamität erfuhr. Von nach Hause zurückkehren konnte deshalb keine Rede sein. Das arme Kind aus ihrem ersten, mühsam errungenen erquickenden Schlaf aufstören, das hätte noch gerade gefehlt!

»Macht möglichst wenig Lärm und sagt auch den Mädchen und Frau Poltrok nichts! Morgen früh meinetwegen; und ich ließe die gnädige Frau nochmals schönstens grüßen! Aber heute abend kein Wort! Hört ihr!«

Der Wagen war weggeschickt. Astolf saß in der Bahnhofsrestauration, neben sich den Inspektor, den er zu einer Flasche Wein eingeladen hatte. Der Mann berichtete, als Hoheit am Mittwoch abends abfuhr, habe er zu ihm gesagt, er werde jedenfalls am Sonnabend abends zurück sein. Bis jetzt sei noch keine Depesche da, daß man in Berlin einen Extrazug abgelassen habe. Er erwarte aber jede Minute eine. Astolf verriet kein Staatsgeheimnis, wenn er dem Inspektor sagte, daß er sich deshalb keine Sorge zu machen brauche: Hoheit habe ihm telegraphiert, daß er frühestens erst morgen komme.

»Nun ja,« sagte der Inspektor, »Hoheit und der Herr Baron, das sind gar gute Freunde. Es ist nur Jammer und Schade, daß der Herr Baron nicht mehr zu sagen haben, das heißt: nicht mehr zu sagen haben wollen. Daß Sie's könnten, wenn Sie nur ein Wort sprächen, wissen wir alle. Und Herr Baron, einer, der den Karren – mit Respekt zu sagen – na, Sie wissen, was ich meine – der thut uns schon lange not. Und dem Herzog auch. Er ist ja ein guter Herr – will sagen: er meint es nicht bös – Gott soll mich bewahren, daß ich so was sagte! – aber er hat so viel andre Dinge im Kopf: seine Jagden und – na ja! so ein junger Herr will doch auch leben. Und was die alte Excellenz ist – na ja, alte Leute sind eben wunderlich, um nicht mehr zu sagen. Und wenn erst der Tanz mit dem Landtag wieder losgeht –«

Der Inspektor wurde zu einer Dienstangelegenheit abgerufen. Astolf war sitzen geblieben; der Mann, mit dem er das Gespräch gern weiter geführt hätte, kam nicht wieder; er fand, daß er anfange, sich zu langweilen. Dazu war die Luft in dem großen, verödeten, halbdunkeln Raum nichts weniger als erfreulich – er ging auf den überdachten Perron hinaus, dort ein paarmal auf und ab, sah nach dem Wetter, das ganz leidlich geworden war, und beschloß, da er Zeit die Fülle hatte, einen richtigen Spaziergang zu machen. Waren ihm doch von dem vielen ungewohnten Stubenhocken in diesen letzten Tagen die Glieder ganz steif geworden. Und bis morgen abend würde er aus dem Sitzen auch nicht herauskommen. Also einen ordentlichen Giro: die Promenade bis zum Park, dann durch den großen Parkweg, der immer noch am gangbarsten war, durch das Thor bei der Fasanerie zurück auf die Promenade und zum Bahnhof.

Erst verglich er noch seine Uhr mit der Bahnhofsuhr. Merkwürdig! Er hatte gemeint, es sei mindestens eine Stunde her, daß er hier war; es war knapp eine halbe vergangen. Er wollte lieber gleich den Giro etwas größer machen. Mit seinen langen Beinen kam er so wie so immer früher zum Ziel als andre Leute.


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