Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Sechzehntes Kapitel.

Eine lange Unterredung, aus welcher der Herzog mit sehr gemischten Empfindungen hervorging, von denen selbst die weniger bittern noch nach Wermut schmeckten. Zwar daß Brenken sich geopfert und die fatale Affaire auf sich genommen, war löblich; aber doch nicht so sehr. In der Domänenfrage und auch sonst bei jeder, die ihn in Konflikt mit seinen Landständen brachte, citierte er mit Vorliebe, was Schiller in der Jungfrau von Orleans aus Dünois' Munde dem Volke seinem König gegenüber zur Pflicht macht; und wenn Brenken, der seit Jahren nur von seiner Gnade lebte, sein Leben für ihn ließ, was war Großes daran? Von der Baronin – er nannte sie seit Berlin in seinen Gedanken nicht mehr Susi – schien es freilich wirklich großmütig, wenn sie, nach Brenkens Versicherung, entschlossen war, sich vor ihrem Manne mit einem gewöhnlichen adeligen Hungerleider zu kompromittieren, also gänzlich verzichtend auf den Schimmer, welcher aus dem Verhältnis mit einem Fürsten auf eine Frau zurückfällt. Aber verhielt es sich in der That so? Stak dahinter nicht etwas andres, für ihn unsäglich Beleidigendes? Er und Brenken! Sich mit dem Menschen in einem Atem zu nennen, war eine Blasphemie. Und nun denken zu sollen, daß sie sich von ihm zu dem gewandt habe – wie Hamlets Mutter von dem Mann, dessengleichen man nicht wieder sehen würde, dem Apoll, zu dem geflickten Lumpenkönige, dem Satyr – es sprach von einer Verwilderung, einer Perversität des Geschmacks, die er nie für möglich gehalten hatte!

Und doch, je länger er über die Ungeheuerlichkeit grübelte, desto mehr gewann sie an Glaubwürdigkeit. Er erinnerte sich jetzt, daß sie sich immer mit Brenken etwas zu schaffen gemacht hatte: Herr von Brenken, möchten Sie mir zu einem Glas Wasser verhelfen! – Herr von Brenken, möchten Sie mir meinen Fächer holen! – Und hinterher jedesmal das Getuschel von einer Minute! – Sodann: wie verdächtig war das Benehmen des Menschen auf der Rückfahrt von Vachta gewesen! wie tugendhaft hatte er sich gespreizt! Für die Heiligkeit der Ehe eines Freundes plaidiert! Wie auffallend weiter das Gethue der Baronin bei der letzten Zusammenkunft! Als ob es eine reine Gnadensache ihrerseits wäre, wenn sie ihrem Landesherrn eine Schäferstunde schenkte! Dennoch von ihm zu dem! Eine Pauline – nun, von solchen Komödiantinnen stand ja Besseres nicht zu erwarten: es war ihr Metier. Aber diese mit den Unschuldsaugen, mit dem Erröten bei jedem nur einigermaßen kecken Wort! Sie waren sich eben alle gleich, alle! mit Ausnahme vielleicht dieser oder jener Fürstin – der Herzogin zum Beispiel, die so etwas niemals thun würde, und die er bis heute lange nicht genug geschätzt hatte, obgleich ihm ja ihre vortrefflichen Eigenschaften immer ein Gegenstand der Bewunderung und Verehrung gewesen waren! Man lernte wirklich die Tugend seiner Frau erst richtig würdigen, wenn man die Lasterhaftigkeit der andern Weiber dagegen hielt! Die einem feinfühligen Manne nur Ekel einflößen konnte – positiven Ekel.

Das alles hinderte nun freilich nicht, daß dem Reumütigen, in seiner Selbstliebe und seinem fürstlichen Bewußtsein so schwer Gekränkten, Stunden kamen, in welchen die Erinnerung an sie, die er einst Susi, seine Susi, seine wonnevolle Königin, sein Alles genannt hatte, sich wie mit Geierkraft auf ihn stürzte, sein Herz zerfleischend, daß er stöhnend und händeringend durch seine Gemächer rannte und sich vor der Versuchung, zu ihr zurückzukehren und gnadeflehend ihre Kniee zu umklammern, nur retten konnte, wenn er an die Heiligkeit seines Fürstenwortes dachte, das er dem Prinzen gegeben; an die Möglichkeit einer Zurückweisung und an die Wucht der Schuld, die er gegen Astolf auf dem Gewissen hatte, und die doch wahrlich schon genug drückte, als daß ihn danach hätte gelüsten sollen, sie zu vergrößern. Denn wenn er sich auch über alles andre wegsetzen wollte – was er an Astolf gethan, lag vor ihm wie ein Berg, dessen Felsenschroffen des Besteigers spotten. Mochte er sich hundertmal einzureden versuchen, daß er Astolf nicht mehr zu verdanken habe und keine größere Achtung schuldig sei, als einem andern Menschen – es wollte ihm nicht gelingen: der Freund seiner Jugend, der treue Gefährte, dessen edler Gesellschaft er die reinsten Stunden seines Lebens, die einzig reinen Stunden verdankte, war nicht, wie die andern Menschen; war ein Wesen für sich. Und wenn er der Don Juan seines ganzen Herzogtums sein durfte, dieses Mannes Herd und Haus hätte er heilig halten müssen.

Aber wer war denn schuld, daß er diese Schuld auf sich geladen? Sie, die Verführerin, die ihn mit ihren vermaledeiten Künsten behext hatte, um an ihm denselben schändlichen Verrat zu üben wie an ihrem edlen Gatten!

Dieser Gedanke hatte etwas seltsam Tröstliches für ihn, und es währte nur wenige Tage, bis bei ihm feststand, er sei nicht sowohl der Beleidiger von Astolfs Ehre, als sein Leidensgefährte; in brüderlicher Gemeinschaft mit ihm von demselben Blitzstrahl getroffen. Also daß auch ohne Brenkens spitzbübische Intervention von einer Rache, die Astolf an ihm auszuüben hätte, gar nicht die Rede sein konnte; sie vielmehr gemeinschaftlich sich daran geben mochten, ein und dieselbe, jedem gleicherweise angethane Schmach zu rächen, als gute Gesellen, die sie immer gewesen waren. Schade, daß die Zeiten so zahm geworden! Er hätte sonst mit Wonne durch ein paar Reitende das blutige Haupt des Verräters dem Freunde in seine ostpreußische Verlassenheit geschickt!

Was that Astolf da? Womit trug er sich?

Das Grübeln über diese Fragen, an die sich so manche andre reihte, ging dem Herzog tagsüber beständig im Kopfe herum und bereitete ihm nächtliche schlaflose Stunden.

Wie kam es vor allem, daß Brenken noch nicht totgeschossen war? Es war positiv unheimlich, einen Menschen zu sehen, mit einem Menschen zu sprechen, der, nach dem natürlichen Verlauf der Dinge, gar nicht mehr leben konnte.

Und er mußte Brenken sehen und sprechen. Wenn der Mensch auch insofern ernsten Tadel verdiente, als er noch immer nicht für ihn gestorben war, so bestand sein Vorsatz, für ihn jeden Tag sterben zu wollen, doch fort; und eine solche Gesinnung verdiente Anerkennung und Aufmunterung. Sodann: der Mensch war der einzige, durch den er in Erfahrung bringen konnte, was in dem Vachtaschen Hause vor sich ging, und der auch der erste sein würde, der von Astolfs Entschlüssen Kunde erhielt. Aber Brenken wußte wenig zu melden: die Baronin verließ niemals das Haus, empfing unter dem Vorwand, krank zu sein, niemand; selbst er – Brenken – mußte sich mit Erkundigungen begnügen, die er bei der Dienerschaft nach dem Befinden der gnädigen Frau anstellte. Das letztere war in den Augen des Herzogs eine Lüge, die auf das übrige Konto der Frechheit des Menschen kam; aber wenn er versicherte, daß von dem Baron bis jetzt auch nicht die mindeste Nachricht weder an die Baronin, noch an ihn gelangt sei, so mußte er es wohl glauben. Trieb doch Astolf die – in diesem Falle – grobe Unschicklichkeit so weit, ihn auf sein gnädiges Telegramm aus Berlin bis zur Stunde ohne Nachricht zu lassen, so daß er dem Prinzen gegenüber, der schon wiederholt brieflich nach dem Stand der Dinge gefragt hatte, in die größte Verlegenheit geraten war.

Wollte Astolf ein für allemal von dem Schauplatz verschwinden? Das beste wäre es schon gewesen; aber darüber mußte doch vorher eine Verständigung zwischen ihm und seinem Landesherrn stattgefunden haben.

Der Mann wurde ihm täglich mehr ein unheimliches Rätsel.

Unter solchen für einen regierenden Herrn geradezu unleidlichen Sorgen und Kümmernissen war der Herzog sehr häuslich geworden. Die befohlenen Jagden wurden abgesagt; Hoffestlichkeiten fanden nicht statt, weder kleine, noch große. Der schickliche Vorwand zu einem Regime, das den lustigen Hof in ein »La Trappe« verwandelte, war die der Herzogin bevorstehende schwere Stunde.

Und sie war näher, als der Geheime Hof- und Medizinalrat von Vogelein und seine Kollegen ausgerechnet hatten. Eine Woche vor der wissenschaftlich stipulierten Zeit, sechs Uhr morgens an einem Novembertage, der mit einem wuchtigen Schneesturm einsetzte, verkündeten das Geläut sämtlicher Glocken und die Kanonenschläge von der Bastion des Rosenstein der Residenz und dem Lande die freudige Botschaft eines neuen Reises, das ihrer angestammten herzoglichen Eiche entsproßt war.

Dann erfuhr man, was man eigentlich bereits aus der Zahl der Kanonenschläge hätte entnehmen können, wäre die Luft nicht zu dick und die Entfernung zu groß gewesen: man hatte einen Erbprinzen.

Der Jubel war unermeßlich.

Herzogliche Depeschen gingen an alle befreundete Fürstenhöfe Europas.

Auch in das einsame ostpreußische Grafenhaus kam eine an den Baron Vachta. Sie lautete:

»Hurra, ein Erbprinz! Freue Dich mit uns. Ausführlicher Brief folgt.

Heinrich.«


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