Friedrich Spielhagen
Susi
Friedrich Spielhagen

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Fünftes Kapitel.

Acht Tage war Susi nun bereits als Gast der Herzogin auf dem Schlosse, und eine Zeit der Herrlichkeit und Freude war es für sie gewesen. Mit allen ihren feinen Sinnen hatte sie eine Situation ausgekostet, die sie sich denn freilich reizvoller kaum vorstellen konnte. Von Kindheit auf war sie an eine Umgebung gewöhnt, wie sie solider Reichtum schaffen mochte; hier aber, wohin ihr Auge fiel, glänzte und gleißte ihr fürstliche Pracht entgegen. Noch war sie nicht einmal mit der Bewunderung und dem Studium der tausend schönen und kostbaren Dinge, die ihre Zimmer füllten, zu Ende gekommen. Die Zimmer lagen nicht in dem Kavalierflügel, sondern in dem Hauptschlosse und bildeten ein besonderes corps de logis, das sonst nur für den Besuch fürstlicher Herrschaften geöffnet wurde. Es waren ihrer vier: eine Antichambre, der eigentliche Empfangsraum, der Salon und das Schlafgemach – das letztere abgeschlossen, während die drei ersteren Thüren nach dem Korridor hatten, – alle in dem üppigsten Rokoko des ersten Anfangs des vorigen Jahrhunderts möbliert und dekoriert. Und Rokoko, das war nun Susis Schwärmerei. Sie hatte in ihrem alten Stadthause es verhältnismäßig leicht gehabt, sich aus antiquierten Möbeln, die sie vorfand, ein Zimmer in diesem Geschmack herzurichten, und auf Schloß Vachta, zu Astolfs Ergötzen, wenigstens den Anfang zu einem solchen gemacht. Aber das war freilich nur mesquiner Plunder im Vergleich zu den Wundern dieser Ausstattung, in der es von Samt und Seide strotzte; überall von Gold glänzte; ein Möbel das andre an phantastischen Formen überbot; die Wände mit Gobelins tapeziert waren; von den hohen Plafonds üppige Schildereien herabsahen; die Etageren von den entzückendsten Brimborien wimmelten und Spiegel in den kostbarsten Rahmen der Bewohnerin allüberall ihr reizendes Bild zeigten, selbst von der Hinterwand des tiefen Alkovens, in welchem das lächerlich breite Bett stand mit den schwellenden Spitzenkissen und rosaseidenen Plumeaux. Daß zu diesen Herrlichkeiten ein allerliebstes Kammerkätzchen gehörte, die sich mit einem zierlichen Knix als Lisette vorgestellt hatte, und eine Equipage, die der gnädigen Frau jederzeit zur Disposition stand, erschien selbstverständlich. Susi wenigstens hatte es nicht anders erwartet.

Hinsichtlich der Aufnahme, die ihr seitens der Herzogin zu teil werden würde, war ihre Zuversicht keineswegs so groß gewesen. Aber die gutmütige Dame hatte genau das Gegenteil von dem gethan, was sie selbst an deren Stelle gethan haben würde: sie war ihr mit offenen Armen entgegengekommen, hatte sie schwesterlich geküßt, sie einmal über das andre versichert, daß der Herzog ihr keine größere Freude hätte machen können, als ihr in der Vereinsamung, zu der sie ja leider gezwungen sei, einen so lieben, so anmutigen Gast zuzuführen, dem sie das Opfer, das er ihr bringe, gar nicht hoch genug anzurechnen wisse.

Das war nun sicher ganz erfreulich, und Susi ließ sich angelegen sein, so viel erwiesene Huld und Gnade mit der ganzen Liebenswürdigkeit, die ihr zu Gebote stand, zu erwidern. Nur die Selbstkosten dieser entente cordiale fand sie von Anfang an ein wenig zu hoch, und zwar mit jedem Tage mehr. Die gute Dame hatte die Naivität, anzunehmen, daß der Besuch ihr, ihr ausschließlich gelte, und sie folglich – mit Ausnahme etwa der Stunden, die Herr Sommer für sein Bild beanspruchte – im übrigen über Susis Zeit zu ihren Gunsten verfügen dürfe. Sie wollte sie zu jeder Stunde um sich haben; es plauderte sich mit niemand so reizend als mit ihrer lieben Susi! O, dieser endlosen Plauderstündchen! Während die hohe Frau in ihrer eintönigen Weise ihre Lieblingsthemata ableierte: Kinderstube, Ferienkolonieen, innere Mission, erziehliche Bedeutung der Suppenanstalten für das arme Volk, eventuell zwangsweise Wiedereinführung der alten lutherischen Hausandachten als einziges Mittel zur Bekämpfung der Sozialdemokratie – wußte Susi manchmal nicht, ob sie vor Wut lachen oder weinen sollte, und malte sich den Effekt aus, den es haben würde, wenn sie plötzlich anfinge wie eine Katze zu miauen, oder die Stickerei, an der sie par ordre arbeitete, in den Nähkorb würfe und eine Tarantella zu tanzen begönne.

Es wäre zum Verzweifeln gewesen, hätte es ihr nicht so unglaublichen Spaß gemacht, die Wirkung des von der Herzogin beliebten Regimes auf den Herzog zu beobachten.

Freilich gehörte ihr scharfes Auge dazu, die Symptome dieser Wirkung in ihren feinen Einzelnheiten zu erkennen. Noch nie war, wie allseitig anerkannt wurde, der Herzog von so ritterlicher Aufmerksamkeit gegen seine Gemahlin, gegen seine Umgebung von so großer Güte, bei der Frühstücks- und Mittagstafel, des Abends in der Theestunde in so prachtvoller Laune, so mitteilsam, so geistvoll, so konziliant gewesen. Und so häuslich! Einen Besuch, der von dem Nachbarhofe drohte, hatte er unter allen möglichen Vorwänden hinauszuzögern gewußt – er wolle doch endlich auch einmal wie andre Menschen en famille leben! Zwei bereits angesetzte Jagden hatte er abgesagt; von einer dritten, zu der er auf den dringenden Wunsch der Herzogin, die eine Motion für notwendig hielt, gegangen, war er nach zwei Stunden zurückgekehrt, trotzdem sie bis zum Abend hatte dauern sollen: die Sache mache ihm keinen Spaß mehr; er fange mit seinen zweiunddreißig Jahren offenbar an, alt zu werden!

Diese Behauptung fand an der Abendtafel, bei welcher er sie zwischen der Birne und dem Käse zum besten gab, einen devoten, aber entschiedenen Widerspruch seitens der befohlenen Gäste; die Herzogin hatte über das schreckliche Wort beinahe geweint, und Susi mußte sich verstohlen auf die Lippen beißen, um nicht in lautes Lachen auszubrechen.

Sie wußte besser, wie es mit ihm stand. Sie wußte es aus dem glühenden Blick, mit dem er sie verschlang, wenn er sich für einen Moment unbeobachtet glaubte; aus dem Vibrieren seiner Stimme, so oft er Gelegenheit fand, das Wort an sie zu richten; aus dem Druck seiner bald brennenden, bald eiskalten Hand, wenn er die ihre einmal ergreifen durfte; aus der Röte seiner Augenlider, die von durchmachten, durchjammerten Nächten erzählte; wußte, daß er vor wütender Leidenschaft für sie halb toll war.

Und daß er eine Welt darum gegeben haben würde, hatte er ihr das wenigstens einmal sagen dürfen. Der Moment mußte einmal kommen, darüber war sie sich völlig klar. Aber herbeiführen durfte sie ihn nicht. Das hätte sie unweigerlich auf das Niveau der Frauen heruntergebracht, die bis dahin das Spielzeug seiner Sultanslaune gewesen waren. Sie war kein Spielzeug! Sie nicht! Wer von ihr gekostet hatte, der sollte sich ewige Sklaverei daran gegessen haben. Die, oder der Tod! Wozu ist man schön, als um herrschen zu können? Sie hatte von jeher alle um sich her unter diese Herrschaft gebeugt: ihren Vater, ihre verstorbene Mutter, ihren Bruder, die endlose Schar ihrer Anbeter, ihren Schlagododro von Mann; warum nicht jetzt den Herzog? Den erst recht, den in erster Linie, den vor allen! Eine Königin! Sie hatte es geträumt, als sie noch ein erst halberwachsenes Mädchen war; sie träumte es jetzt wieder, wenn sie zur Nacht Lisette weggeschickt hatte und nun, bereits halb entkleidet, vor dem riesigen Stellspiegel saß, beim Glanz der Kerzen ihrem Bilde in die Augen blickend, die Reize ihres Bildes Zug um Zug musternd. Eine Königin! Aber nicht nur im Liede! Warum nicht in Wirklichkeit? Der Mann war im stande, seine Herzogskrone für sie hinzugeben; weshalb nicht seine Herzogin, wenn er sie dafür gewann? Freilich eine Ehe dann nur zur linken Hand. Das ließ sich nicht ändern: der Zufall, der sie als Komtesse und nicht als Prinzeß geboren werden ließ, hatte sich wieder einmal als dumm und blind erwiesen! Jetzt hieß es: corriger la fortune!

Es war am achten Tage ihres Besuches auf dem Schlosse in der Mittagsstunde. Durch das hohe, in seiner unteren Hälfte verhängte Fenster des weitläufigen Raumes, den man, so gut es ging, zu einem Atelier eingerichtet hatte, saß Susi in einem Fauteuil, der auf einer niedrigen Estrade stand, Sommer hatte gegen die Herzogin, die »ihre liebe Susi, ihr verständiges kleines Frauchen, in einem bescheidenen Hauskleide« zu haben wünschte, seinen Willen durchgesetzt und sie in dem weißen Spitzenkleide gemalt, die blaßrote Nelke im Schoß zwischen den weißen zierlichen Fingern – gerade so, wie er sie an jenem Gesellschaftsabend auf Vachta gesehen. Bloß daß die großen blauen Augen nicht auf die Blume herab, sondern geradeaus dem Beschauer in die Augen blickten, und durch das rötlich blonde, goldige, lockere Haar anstatt des matten Lichtes eines Kronleuchters der Glanz eines sonnigen Tages schimmerte. Da das angefangene Porträt des Herzogs bis zum nächsten Frühjahr, wo Sommer wiederkommen und es vollenden sollte, endgültig zurückgestellt war, hatte der junge Künstler seine ganze Zeit, Kraft und Begeisterung auf das neue Werk konzentrieren können, das denn auch in fast wundersamer Schnelle vorgeschritten war. Ein Laie würde es fertig genannt haben.

»Aber,« sagte der Künstler, zu Fräulein von Merbach sprechend, die, ein paar Schritte entfernt, mit einer Häkelei beschäftigt, auf einem Taburett saß, »das kann uns nicht bestimmen. Unser einer weiß, daß gerade noch das Beste fehlt, wovon allerdings keiner, auch der Künstler nicht, sagen kann, was es ist, worin es besteht. Das läßt sich eben nicht aussprechen, nur fühlen. Und daß er es fühlt, sehen Sie, meine Damen, unterscheidet in letzter Instanz den Künstler vom –«

Sommer brach plötzlich ab; seine Miene hatte sich verfinstert, er malte mit verhaltenem Ingrimm weiter, während ein rascher Schritt durch das angrenzende Zimmer bereits bis an die Thür gekommen war, die Thür geöffnet wurde und der Herzog schnell hereintrat, schon von weitem rufend:

»Wenn sich die Herrschaften auch nur im mindesten stören lassen, gehe ich auf der Stelle wieder.«

Trotz des herzoglichen Befehls hatten sich die beiden Damen von ihren Sitzen erhoben, Sommer Pinsel und Palette sinken lassen.

»Aber ich flehe Sie an, meine Damen,« rief der Herzog; »ich bitte Sie, lieber Sommer, arbeiten Sie ruhig weiter! Die Minuten sind kostbar. Das weiß heute keiner besser als ich, der ich keine zu verlieren habe, wenn ich die angemeldeten Berliner Herrschaften rechtzeitig vom Bahnhofe abholen soll. Gnädige Frau, wie befinden Sie sich? Ein wenig bläßlich, deucht mir. Ja, ja, diese Sitzungen! Das greift an! Lieber drei Stunden zu Pferde, als eine halbe auf dem Verwunderungsstuhl. Aber die gar nicht süße Qual hat ja nun bald ein Ende. Der Tausend! Das hat gestern und heute gefleckt! Das ist ja großartig! Aber, lieber Sommer, wenn ich Ihnen raten darf – und ich glaube, ich verstehe ein bißchen von diesen Dingen – nun auch keinen Strich mehr! Jeder, den Sie jetzt noch thun, kann nur schaden.«

Der Herzog hatte noch hastiger, als es sonst schon seine Weise, gesprochen. Auch in seinen Bewegungen war eine auffallende Unruhe, in seinem Blick, der Susi nur eben gestreift hatte, ein seltsames Flackern, wie eines Fieberkranken. Die Augenlider zeigten wieder jene eigentümliche Röte, für welche Susi die Erklärung zu haben glaubte. Zum erstenmal regte sich in ihr neben dem Triumphgefühl der befriedigten Eitelkeit etwas dem Mitleid Aehnliches. Das schnelle spöttische Lächeln, das Fräulein von Merbach und Sommer bei den letzten Worten des Herzogs ausgetauscht hatten, fand sie undelikat. Als ob die alberne Person ohne Sommers Erklärung von vorhin eine Ahnung davon gehabt hätte, ob das Bild fertig sei, oder nicht! Und dabei stand dem Herzog die Uniform, die er heute zu Ehren seiner Gäste angelegt hatte, so gut: der weiße Waffenrock, von dem sich der blaue Stern am Halse so prächtig abhob, die engen Beinkleider, die bis über die Kniee hinaufreichenden Reiterstiefel. Die Füße hätten kleiner sein können; aber Susi gab nichts auf kleine Füße bei Männern.

Trotz seiner dem Künstler gegebenen Weisung, ruhig weiter zu arbeiten, hatte sich der Herzog, die Rechte auf den mächtigen Pallasch stützend, breit vor das Bild aufgepflanzt und schien es bei aller Eile, in der er zu sein behauptete, keineswegs sehr eilig zu haben. Hatte er doch, seitdem er gestern abend zum letztenmal in die geliebten Augen geblickt, die halb schlaflose Nacht hindurch, den verstörten Morgen hindurch, nach dieser Stunde geschmachtet, wie ein Schwerverwundeter nach Wasser! sich hundertmal gesagt: »Ein kleines Weilchen und du wirst sie wiedersehen; dann ist alles wieder gut!« Nein, es war nicht gut! Das löschte den brennenden Durst nicht. Den löschte es nur, wenn er sich einmal satt trinken durfte an den Lippen da, von deren Süßigkeit die hier auf dem Bilde doch kaum eine Ahnung gaben. Ebensowenig wie von der unergründlichen Tiefe der großen blauen Augen. Welch ein elender Stümper war der Mensch doch! Und er mußte dem Menschen noch Komplimente für seine Stümperei machen, um den Schein zu retten!

»Wahrhaftig, lieber Sommer, ganz excellent! ganz magnifique! Sie übertreffen sich diesmal selbst. – Gnädige Frau, ich mache Ihnen mein Kompliment: Sie haben eine Engelsgeduld gehabt. Freilich: die Fornarina eines Titian geworden zu sein, das heißt: für die Ewigkeit der Kunstgeschichte gesessen zu haben! Das verlohnt sich der Mühe! Aber finden Sie nicht, lieber Sommer, daß diese Linie hier am rechten Mundwinkel – gnädige Frau, wenn Sie die Güte hätten, sich etwas weiter nach rechts zu wenden – nur einen Soupçon – danke unterthänigst! – sehen Sie, lieber Sommer, diese Linie, meine ich, mir kommt sie ein wenig zu hart vor – nicht in Harmonie mit der feenhaften Zartheit der übrigen Züge. Aber dann fürchte ich wieder, Sie verderben etwas, das Sie nicht wieder hineinkriegen. Also, es bleibt dabei: nichts ändern! keinen Strich! Und jetzt: marsch! marsch! oder meine viellieben Gäste müssen die Schönheiten des Fürstenzimmers auf dem Bahnhof ohne mich bewundern. Meine gnädige Frau, Ihr ergebenster Sklave! Liebe Merbach, auch Sie verdienen eine Bürgerkrone! Danke, danke, lieber Sommer! bleiben Sie nur bei Ihrer Staffelei! Aber nichts mehr ändern! hören Sie: nichts mehr ändern!«

Er hatte Susi, die längst von ihrem Thron herabgestiegen war, wenn auch flüchtig, die Hand geküßt, der Hofdame und Sommer noch flüchtiger die seine gereicht und war gegangen. Matt hörte seinen jetzt wirklich recht eiligen schweren Schritt durch den ganzen Nebenraum. Sommer, der ihn bis zur Thür begleitet hatte, war nicht wieder an die Staffelei getreten. Er lief mit ungleichen Schritten in einiger Entfernung von den Damen auf und ab, grimmige Gesichter schneidend, in kurze höhnische Gelächter ausbrechend und respektwidrig laut durch die Zähne murmelnd: »Fornarina des Titian – des Titian! Göttlich! – Ewigkeit der Kunstgeschichte! Pfeife auf die Kunstgeschichte! – Linie am rechten Mundwinkel! Da soll der Teufel dreinschlagen!«

Plötzlich machte er auf dem Hacken kehrt, legte hastig Pinsel und Palette, die er während der ganzen Zeit in der Hand gehalten hatte, auf einen nebenstehenden Tisch und sagte, auf die Damen zutretend, mit einem mißlungenen Versuch, seine Erregung zu verbergen:

»Verzeihung, gnädige Frau! Verzeihung, gnädiges Fräulein – wir müssen die Sitzung für heute abbrechen.«

Fräulein von Merbach hatte den jungen Mann während der letzten Minuten nur immer verwundert angestarrt; Susi wußte nur zu gut, was in ihm vorging.

»Aber, Herr Sommer,« rief sie mit ihrem kindlich anmutigen Lächeln, »wer wird sich denn auch gleich so aus dem Text bringen lassen!«

»Ja, das sagen Sie wohl, gnädige Frau!« rief Sommer, »aber ich bin aus dem Text – gründlich. Daß einer von Kunst nichts versteht, das ist nicht so schlimm, daran ist man gewöhnt. Aber dann soll er wenigstens das Dreinreden lassen und uns nicht mit seinem kuriosen Lob und seiner sonstigen Laienkritik die Stimmung verderben. Gerade jetzt, wo ich sie so notwendig brauche. Ich habe nur noch drei Tage für hier; ich muß und will fertig werden; es liegt mir alles daran. Aber wenn Hoheit hier alle Augenblicke hereinplatzt – ich bitte um Verzeihung – ich wollte sagen, wenn Hoheit uns nicht diese drei Tage in Ruhe läßt, – dann wird es nichts; dann ist die ganze schöne Arbeit verpfuscht.«

Susi hatte, wahrend der Künstler so eiferte, still vor sich niedergeblickt. Nun hob sie die Augen und sagte lächelnd in ihrer gehaltenen Weise:

»Ich soll also den Herzog bitten, uns diese letzten Tage nicht mit seiner Gegenwart zu beehren?«

»Wenn Sie das wollten!«

»Gewiß will ich es. Und wenn Sie wirklich heute nicht mehr arbeiten können –«

»Beim besten Willen nicht. Es würde jetzt nur noch dummes Zeug werden.«

Susi hatte sich zu Fräulein von Merbach gewandt:

»Sie sehen, liebe Marie, wir sind entlassen. Auf morgen also! Um dieselbe Zeit?«

»Wenn ich bitten darf. Wir haben dann das beste Licht.«

»Also: au revoir!«

Sie hatte Fräulein von Merbach untergefaßt; aber die Thür des Ateliers war von dem Künstler kaum hinter ihnen geschlossen, als diese ihren Arm losriß und im Flüstertone rief:

»Um Gotteswillen, Sie werden das doch nicht thun! Es würde ihn außer sich bringen.«

»Warum?« fragte Susi mit ihrer unschuldigsten Miene.

»Erstens ist es ein unerhörter Affront von seiten dieses entsetzlichen Menschen, den er nie vergeben würde, nie! Zweitens –«

Fräulein von Merbach brach plötzlich ab, Susi mit einem scheuen Blicke streifend.

»Zweitens?« fragte Susi, ohne ihre Miene zu verändern.

Die Damen waren durch den Vorraum auf den Korridor gelangt; Fräulein von Merbach blieb stehen, sah sich schnell nach allen Seiten um und sagte, Susi mit beiden Händen um die Taille fassend, eindringlich leise:

»Liebste Susi, Sie glauben, daß ich Ihre Freundin bin?«

»Ich habe keine bessere,« erwiderte Susi, die Hände, die sie umspannt hielten, mit ihren beiden Händen sanft drückend.

»Dann folgen Sie meinem Rat: lassen Sie den Menschen sehen, wie er mit dem Bilde fertig wird; aber sagen Sie dem Herzog nichts! kein Wort! sondern –«

»Sondern?«

»Mein Gott, es wird mir so schwer, – wenn Sie denn wirklich es noch nicht bemerkt haben sollten – haben Sie wirklich, wirklich nichts bemerkt?«

Susi hatte den zwischen der Merbach und der Oberhofmarschallin an jenem Abend in Vachta ausgetauschten Blick nicht vergessen; war während dieser Tage dergleichen Blicken zu wiederholtenmalen begegnet und hatte sich nur gewundert, daß die »guten Freundinnen« sie bis heute unbehelligt gelassen. Wie sie die Interpellation zu beantworten habe, darüber war sie längst mit sich im reinen.

»Ich ahne, was Sie auf dem Herzen haben, liebste Marie,« erwiderte sie. »Aber sprechen Sie doch! ganz offen! Sie sollen dann auch eine ganz offene ehrliche Antwort bekommen.«

Die Merbach benutzte ihre wieder freigewordenen Hände, um Susis Kopf zu nehmen, und, ihr einen Kuß auf die Stirn drückend, flüsterte sie:

»Sie liebe Seele! Ich wußte es; ich habe noch gestern zu Excellenz Bartenstein – sie will Ihnen so wohl – das wollen wir alle hier – wir haben Sie alle so lieb – ich habe gesagt: sie sieht es natürlich so gut, wie wir; sie laßt es über sich ergehen, weil sie es nicht verhindern kann. Aber Sie können es verhindern, Liebe. Das ist meine feste Ueberzeugung, und Excellenz ist ganz derselben Ansicht. Sie müssen –«

»Gute Marie, denken Sie, Sie sprächen zu einer Schwester!«

Das Wort hatte Susi einen zweiten Kuß auf die Stirn eingetragen. Fräulein von Merbach, jetzt völlig beruhigt, fuhr eifrig fort:

»Sie müssen fort von hier – unter irgend einem Vorwande – Sie sind so klug; Sie werden schon einen zu finden wissen. Womöglich heute noch, oder doch so bald als möglich. Er wird außer sich sein – natürlich! er ist ja gewohnt, daß ihm überall sein Wille geschieht. Das ist nun nicht zu ändern. Geschehen muß es jedenfalls. Sie sind es unsrer gütigen Herzogin, Sie sind es ihm und – verzeihen Sie, wenn ich es sage! – Sie sind es sich selber schuldig.«

Susi hätte die Sprecherin, auf deren bleichen Wangen sich im Eifer der Rede zwei Härte rote Flecken entzündet hatten, mit Vergnügen geohrfeigt. Ein Diener, der den Korridor herabkam, ging grüßend an ihnen vorüber. Der Mann mußte sich erst entfernt haben, bevor sie antworten konnte:

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, beste Marie; und glauben Sie, ich werde Ihnen Ihre treue Freundschaft nicht vergessen. Aber Sie müssen verzeihen, wenn ich den Fall von meinem Gesichtspunkt ansehe, und der ist ein etwas andrer als der Ihre. Der Vorwand, von dem Sie sprechen, müßte doch ein ganz plausibler sein, einer, dem man den Vorwand nicht ansähe. Hätte ich den, auf der Stelle würde ich Ihrem Rate folgen. Es wäre das freilich auch nur ein Palliativ und im Grunde nichts damit gebessert, nichts erreicht. Es bliebe alles beim alten, würde bei der ersten besten Gelegenheit, die gar nicht zu vermeiden ist, von neuem beginnen; und sehen Sie, Liebe, das will ich nicht; es zu verhindern, unmöglich zu machen – das ist es, was ich unsrer gnädigen Herzogin, dem Herzog, mir selber, meinem Gatten – meinem Gatten vor allen! – schuldig zu sein glaube.«

Es war so treuherzig herausgekommen. Frau von Bartenstein hatte Susi doch wohl zu viel gethan, wenn sie sie gestern abend »eine kleine Schlange« nannte! Susi las in den starren, blaßblauen Augen der Hofdame ihren Erfolg, und, sie vertraulich unter dem Arm fassend und langsam den Korridor weiter mit ihr hinabschreitend, fuhr sie fort:

»Sie sind ein kluges Mädchen, liebe Marie; aber Sie sind eben ein Mädchen. Die Männer lernt man erst in der Ehe kennen. Sie sind sich alle gleich. Macht man ihnen Avancen, schmeichelt man ihrer Eitelkeit, kann man sie alle haben. Läßt man merken, daß man sich vor ihnen fürchtet, triumphieren sie, und in neun Fällen unter zehn, ist das arme furchtsame Reh verloren. Wir haben nur ein Mittel, dem keine Kühnheit der Männer gewachsen ist, an dem ihre Eitelkeit erlahmt: wenn wir ihnen zeigen, daß ihre Oeilladen und Pfauenräder und sonstigen Künste keinen Eindruck auf uns machen; daß sie uns gleichgültig sind – sauve le respect, natürlich. Sehen Sie, liebe Freundin, das ist das Mittel, mit dem ich bis jetzt die – sprechen wir es aus! – Leidenschaft des Herzogs für mich bekämpft habe, weiter bekämpfen und – ich hoffe zu Gott – besiegen werde. Darum darf ich aber auch nicht – Sie werden mir das zugeben – von hier fort, bis die bestimmte Zeit abgelaufen ist. Und was Herrn Sommers Wunsch betrifft – nun, Beste, ich sagte Ihnen neulich abends bei mir: ich fürchte mich vor nichts. Ich werde den Wunsch des jungen Mannes übermitteln und hinzufügen, daß ich ihn ganz in der Ordnung fände. Sind Sie zufrieden?«

»Sie sind ein Engel,« murmelte die Merbach.

»Noch eines! Es liegt mir, wie Sie denken können, viel daran, vor den Augen unsrer lieben alten Excellenz in keinem falschen Lichte zu stehen. Wollen Sie ihr unsre Unterredung mitteilen?«

»Auf jeden Fall.«

In diesem Augenblick wurde auf der Schloßwache das Spiel gerührt. Der Herzog mußte mit seinen Gästen in den Hof gefahren sein. Es schien ein Wunder, daß er die Abholung noch fertig gebracht hatte, wenn der Bahnhof auch nur zwei Minuten vom Schloß entfernt war.

»Das wird heute abend ein großer Zauber?« fragte Susi.

»Einige vierzig Personen, die höchsten Herrschaften eingeschlossen. Nach der Tafel kleines Konzert. Die Reinerz und Hasse werden singen und Baum, glaube ich, etwas geigen. Die Tafel um sieben Uhr.«

»Da behalte ich vollauf Zeit, nach Vachta hinauszufahren, um nach meiner kleinen Alix zu sehen. Au revoir heute abend also. Sie Liebste, Beste! Sorgen Sie nicht weiter um mich und auch sonst nicht! Ich verspreche Ihnen, ich bringe alles in Ordnung, bevor meine letzten acht Tage um sind.«

Die Damen hatten sich noch einmal umarmt. Fräulein von Merbach, auf ihrem Weg zur Herzogin, stieg die Treppe hinab; Susi ging den Korridor, der nach manchen Windungen zu ihren Gemächern führte, weiter hinauf. Ein paarmal, während sie so, die Augen auf den Plüschläufer gesenkt, dahinschritt, lächelte sie ein nachdenkliches Lächeln. Nach ihrer Berechnung mußte es sich binnen vierundzwanzig Stunden entscheiden. Und die Entscheidung lag bei ihr – natürlich! Es galt nur die Bedingungen zu diktieren. Und in einem solchen Augenblick mutete man ihr zu, die Partie aufzugeben! Und glaubte, sie würde es thun! Es ist nicht zu sagen, wie dumm diese Frauenzimmer sind! Freilich, die Männer sind nicht klüger.


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