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XVIII.

» B ist Du es?« sagte Cornelie, »ich hatte Dich nicht erwartet; aber es ist besser so.«

Es giebt Augenblicke im Leben, wo wir unter der Gewalt der Gedanken und Empfindungen, von denen unsere Seele ganz erfüllt ist, das Ungewöhnlichste als etwas, das sich ganz von selbst versteht, thun und hinnehmen. Sven hatte nicht daran gedacht, daß sein plötzliches, unerwartetes Kommen Cornelien erschrecken könnte; Cornelie ihrerseits hatte, als sie ein Geräusch im Zimmer von dem Blatte, an welchem sie schrieb, aufblicken machte, und sie den Mann, mit dem sich ihr Geist in diesem Augenblicke ausschließlich beschäftigte, vor sich stehen sah, keinen Schrei des Schreckens ausgestoßen; sie hatte sich erhoben, war ihm bis in die Mitte des Zimmers entgegengegangen und streckte ihm jetzt ihre beiden Hände entgegen.

»Ja, es ist besser so,« wiederholte sie; »armer Sven, wie blaß und krank Du aussiehst, armer Sven! nein, Du mußt nicht vor mir knien und mußt nicht weinen; Du siehst ja, daß ich ruhig und gefaßt bin, und ich habe mehr Grund zum Weinen, als Du. Komm, setze Dich her, hier, zu mir, laß uns mit einander reden, wie es zwei Menschen ziemt, die sehr vernünftig sein müssen, wenn sie nicht wahnsinnig werden wollen.«

Auf Sven's Seele lag es, wie eine ungeheure Last. Er versuchte nicht einmal zu sprechen, denn er fühlte, daß er es nicht vermochte. Er ließ sich von Cornelien auf das Sopha ziehen, das in der Nähe des offenen Fensters stand, dessen zugezogene Vorhänge der laue Nachtwind manchmal leise bewegte. Sven wagte jetzt erst Cornelien anzublicken. Sie war sehr blaß und ihre großen Augen glänzten nicht mehr in dem alten Feuer. Der ganze Ausdruck ihres Gesichts schien verändert, es war viel weicher, sanfter und zärtlicher wie sonst. Ihr Anzug war ein einfacher, schwarzer, wie ihn englische Damen auf Reisen zu tragen pflegen. Im Zimmer herrschte nicht mehr die alte Ordnung; zugeschnallte Koffer, die man aus den innern Gemächern hieher gebracht hatte, standen an der Thür neben- und übereinander.

»Willst Du denn fort,?« fragte Sven.

»Du fragst?« erwiederte Cornelie erstaunt; »bist Du denn nicht deßhalb gekommen? So hat Dein Freund also doch Wort gehalten und geschwiegen. Ja, Lieber, ich will fort, die Kinder sind mit der guten Nancy und dem alten Humbert schon voraus; ich folge ihnen heut Nacht und morgen früh reisen wir zusammen weiter – nach Italien, – aber Du hörst nicht, was ich sage.«

»Doch, ich höre – nach Italien willst Du reisen.«

»Du solltest auch fort; ich war eben im Begriff, Dir das zu schreiben; – hier liegt der angefangene Brief, – und noch Manches, das ich auf meinem schweren Herzen hatte, und das ich Dir jetzt sagen will, wenn Du mich hören kannst.«

»Sprich, Cornelie!«

»Ich wollte Dir sagen, daß Du eine Unglückliche, deren Schicksal es ist, die, welche sie am meisten liebt, am meisten quälen zu müssen, vergessen mußt, – nein, nicht vergessen, denn das kannst Du nicht – aber an sie denken mußt, wie man an eine Gestorbene denkt. Du hast gesehen, was bei dem Versuche, für mich zu leben, herauskommt; es ist des Leids genug, – zum wenigsten für Dich. Du bist jung, viel jünger als ich, wenn auch nicht an Jahren, so doch durch Deine Aussichten, durch Deine Stellung, und vor allem dadurch, daß Du ein Mann bist und alle trübsten Erfahrungen Deines Lebens, und alles tiefste Leid Deiner Seele in Thaten umsetzen kannst. Du hast viel gelernt, Dein Sinn ist edel, Dein Herz schlägt warm für die Armen, für die Unglücklichen – ein solcher Mann ist viel werth in dieser Zeit. Du sollst Dich meinethalben nicht in Thatlosigkeit verzehren, wie es Franc gethan. Als er mich fand, war er ein bedeutender Staatsmann, auf den sein Land mit freudiger Hoffnung blickte, – ich habe ihm die Ruhe der Seele geraubt, die jeder Mann zu seinem Werke bedarf, ich habe ihn zu einem heimathlosen Wanderer gemacht, der ruhelos von einem Lande zum andern, von einer Stadt zur andern schweift. Er hat mir Alles geopfert, Alles, großer Gott und ich!« –

Cornelie drückte für einen Augenblick die Hände schaudernd gegen ihre Stirn.

»Nein, nein,« murmelte sie, »ich will nicht wahnsinnig werden, hinweg, hinweg!« –

Sie ließ die Hände wieder sinken.

»Nein, sieh mich nicht so traurig an; ich bin stark, stärker, als Du glaubst. Wenn ich wahnsinnig werden könnte, so wäre ich es an dem Abend geworden, als man mir die Nachricht brachte, daß Franc ertrunken sei und Du auf den Tod lägest. Ich habe nicht geweint; ich habe nicht geklagt; ich habe nur überlegt, ob ich auch sterben dürfe, wie ich es am liebsten gethan hätte. Und da begriff ich, daß ich es nicht dürfe, daß nicht der Tod das Mittel sei, meine Schuld zu sühnen, sondern das Leben für meine, seine Kinder. Dieser Aufgabe will ich jeden Blutstropfen, jeden Gedanken weihen. Und nun, mein Freund,« fuhr sie fort, indem sie sich mit unendlicher Anmuth zu Sven wandte und seine Hände ergriff, »stehe Du mir bei in der Lösung dieser Aufgabe! Du kannst es, wenn Du mir versprichst, daß Du fortan das stolze Leben eines thatkräftigen Mannes führen willst, damit, wenn wir uns einst nach Jahren wieder begegnen, wir vor einander hintreten können und sprechen: wir haben redlich gestrebt, die schwere Schuld, die uns trifft, in ernster Arbeit zu sühnen. Willst Du mir das versprechen, mein Freund – mein Bruder?«

Es lag ein wunderbarer Zauber auf Corneliens Antlitz, während sie mit ihrer tiefen, melodischen Stimme, die mit jedem Worte klangvoller wurde, also sprach. Der finstere Dämon des Stolzes, der sonst auf ihrer hohen Stirn thronte, war besiegt von dem lichten Engel der Demuth. Ein himmlischer Glanz leuchtete aus ihren dunkelklaren Augen; auf ihre blassen Wangen zauberte die edle Wallung ihres Herzens die zarteste Blüte frischer Jugend. Die schöne Frau war noch nie so schön gewesen, wie in diesem Moment; Sven's Herz wallte über vor heiliger reiner Liebe.

»Und möchtest Du wirklich meine Schwester sein, Cornelie?«

»Ja, Sven, wahrlich!« erwiederte Cornelie; »ich wollte für Dich, für mich, für – ihn, ich hätte Dich seit meiner Kindheit Tagen als Bruder geliebt; ist es mir doch oft, als wäre es wirklich so gewesen.«

»Und wenn es nun so wäre? wenn Du nun wirklich meine Schwester wärst?«

In dem Ton, in den Blicken Sven's lag etwas, das Cornelien schaudern machte. Sie sah ihn ängstlich fragend an.

Sven hatte bei seinem Eintritt das Ebenholzkästchen auf einen Tisch in der Nähe der Thür gestellt. Er stand auf, holte es und stellte es vor Cornelien.

»Kennst Du dies Kästchen?«

Cornelie stieß einen Ruf freudigen Schreckens aus.

»Wie kommst Du dazu, Sven?«

»Ich will Dir Alles erzählen. Sag mir nur erst: ist dies Dein Eigenthum?«

»Ja.«

»Und ist Fanny's Erzählung die Geschichte Deines Lebens?«

»Ja.«

»Und ist dieser Ring Dein?«

»Ja.«

»Und diese Kette?«

»Ja.«

»Und weß ist dies Bild.«

»Meines Vaters Bild.«

»Und meines Vaters!« sagte Sven.

Cornelie hatte sich von dem Sopha erhoben; sie sah ihn starr und sprachlos an. War es Entzücken? war es Entsetzen? – ihre Lippen bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen. Todtenblässe bedeckte ihr Gesicht; sie schwankte und wäre gefallen, wenn Sven sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte. Er trug sie nach dem Sopha.

»Sie stirbt, mein Gott, sie stirbt!« rief er in seiner Herzensangst.

»Das wird sie nicht;« sagte plötzlich eine Stimme an seiner Seite.

Es war Benno. Sven fragte nicht, woher der Freund käme; es wahr ihm genug, daß er da war.

»Ueberlaß sie mir,« sagte Benno, »es ist nur eine leichte Ohnmacht; sie wird gleich wieder zu sich kommen. Ich habe noch größere Ueberraschungen für euch. In dieser Stimmung erträgt der Geist, ohne zusammenzubrechen, das Ungeheuerste. Siehst Du, sie erholt sich wieder.«

»Sie sind es?« sagte Cornelie zu dem sich über sie beugenden Benno, »ist denn dies Alles ein Traum?«

»Nein, nein, gnädige Frau, kein Traum,« erwiederte Benno heiter, »oder auch, wenn Sie wollen, ein Traum, aus dem Sie zu einer schöneren Wirklichkeit erwachen werden. Ich habe Ihnen eine sehr fröhliche Nachricht mitzutheilen! So, so, richten Sie sich vollends auf! – eine ausnehmend fröhliche Nachricht, welche beweist, daß es auch noch heut zu Tage halbe Wunder gibt; halbe, nicht ganze, sonst wäre es ja auch ein Wunder, daß dieser Herr, der, wenn ich recht verstanden habe, Ihr Bruder ist, sich aus dem Wasser gerettet hat. Was dem Einen recht ist, das ist am Ende dem Andern billig.«

Benno's schwarze Augen blitzten, während er in aufgeregtem Ton so sprach, von Sven zu Cornelie, von Cornelie zu Sven, von Beiden nach der halbgeöffneten Balkonthür. Der Schall der Glocke eines Dampfers, der eben an der Villa vorüberfuhr, tönte hell in's Zimmer.

»Erlebt;« rief Cornelie; »Franc lebt!« und sie stürzte, von einer ungeheuren Ahnung getrieben, nach der Thür; doch bevor sie noch die Schwelle erreicht hatte, lag sie in den Armen ihres Gatten.

»Franc, Franc! – Er ist mein Bruder, Franc!«

»Mein Bruder!« sagte Franc, Durham, seine Rechte freudig Sven entgegenstreckend.

»Dacht ich's doch kaum;« sagte Benno, indem er, sich die Hände vergnüglich reibend, die Gruppe betrachtete, »daß sich noch Alles zum Besten wenden würde in der zwölften Stunde.« Siehe den Anhang zur abweichenden Gestalt, die von der zweiten Auflage an der Schluss erhalten hat.



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