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VIII.

E s war Abend geworden. Man hatte das Gebirge durchstreift, neue Punkte entdeckt, sich verirrt, eine Brücke über einen Bach gebaut, eine Procession an sich vorüberziehen lassen, die Taschen voll Steine, Pflanzen und andere Merkwürdigkeiten gepfropft, die man nach und nach wieder wegwarf – mit einem Worte sich himmlisch amüsirt, zuletzt auf dem freien Platz vor dem Gasthause unter den Bäumen zu Abend gegessen und schließlich von der Ruine aus die Sonne untergehen sehen. Man hatte sich nicht beeilt, denn der Abend war herrlich, und man wollte im Mondenschein auf einem Boote nach der Stadt zurückfahren.

Als man indessen endlich wieder unten angekommen war und sich einschiffen wollte, fand es sich, daß die Gesellschaft zu groß war, um in einem Boote fortzukommen und sich deshalb in zwei Theile theilen mußte. Dies verursachte eine nicht geringe Verwirrung. Es hatten sich allerlei Sympathien und Antipathien gebildet und die wollten jetzt berücksichtigt sein. Man zögerte, einzusteigen, weil man fürchtete von Denen getrennt zu werden, die man gern hatte, oder mit Andern zusammenzutreffen, die man nicht leiden konnte. Dazu kam, daß es in diesem Augenblick, wo die Sonne längst untergegangen war und der Mond noch hinter den Bergen stand, sehr stark dunkelte und Irrungen leicht möglich, ja fast unvermeidlich waren. Man lachte, scherzte, deliberirte hin und her und kam nicht aus der Stelle.

Endlich schlug Benno vor, zwei Parteiführer zu ernennen, die sich jeder eine Dame wählen sollten, die Damen sollten sich wieder Herren wählen, und so fort, bis die ganze Gesellschaft untergebracht sei.

Man ging lachend auf diesen Vorschlag ein, jeder suchte sich aus, wen er am liebsten hatte. Als die Reihe an Mrs. Durham kam, nannte sie Sven.

»Dacht' ich's doch«, sagte Benno ärgerlich bei sich, »oder vielmehr, dacht' ich es doch nicht, daß sie unvorsichtig genug sein würden, sich gegenseitig zu wählen. Sven hätte es auch nicht gethan, aber diese Frauen, wenn sie einmal vom rechten Wege abkommen, rennen auch gleich querfeldein, so weit sie ihre Füße tragen. Wollen Sie nicht hier in der Nähe des Steuers Platz nehmen, gnädige Frau?«

»Ich danke,« sagte Mrs. Durham; »ich ziehe es vor, vorne zu sitzen; wollen Sie mir Ihre Hand erlauben, Herr von Tissow? So! danke!« und sie setzte sich in die Spitze des Bootes, wo außer ihr nur noch Sven Platz hatte.

»Nun denn!« murmelte Benno; »was man nicht lassen kann, das soll man thun, wie die würdige Madame Schmitz zu sagen pflegt.«

Die Boote stießen ab und ruderten in den Strom hinein. Allmälig verstummte das Lachen und Scherzen, als fürchte man die ambrosische Schönheit der Nacht durch diese Töne zu entweihen. Wer noch sprach, sprach flüsternd, die Meisten aber horchten schweigend auf das Plätschern des Wassers an dem Bug und die einförmige Musik der in gleichmäßigem Takt eintauchenden und sich wieder hebenden Ruder. Hinter dem Gebirge kam der Mond herauf und goß sein magisches Dämmerlicht über Ufer und Strom. Ueberall schimmerte und flimmerte es, selbst die Tropfen, die von den Rudern perlten, erglänzten in seinem Licht.

Da rauschte es durch die Nacht, lauter und lauter; ein Licht erglänzte, heller und heller; es kam von dem Dampfer, der mit rasender Geschwindigkeit zu Thal fuhr. Noch einen Augenblick und er schoß an den Booten vorüber, die ihm ehrfurchtsvoll Platz gemacht hatten und trotzdem von den Wellen, die er aufgewühlt hatte, zum Entsetzen einiger Damen, tüchtig hin- und hergeworfen wurden. Im nächsten Augenblicke war das brausende Ungethüm schon weit entfernt und wieder hörte man nichts als das Rauschen des Kiels und das Plätschern der Ruder.

Da ertönte Gesang und Guitarrenspiel; es kam aus einem Boote, das soeben aus dem Dunkel des Ufers heraus in die Mondeshelle trat. Studenten waren es, die in einem der Uferdörfer gezecht hatten. Ihr Boot durchschnitt lustig die schimmernde Wasserfläche. Sie sangen mit geübten Stimmen:

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Das leichte Boot mit den lustigen Gesellen überholte im Nu die schwerfälligen Fahrzeuge, in denen die Gesellschaft sich befand. Der Gesang kam jetzt aus größerer Ferne noch weicher und lieblicher herüber. Sie sangen:

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.
Daß ich so traurig bin –
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Der Gesang verhallte und wieder hörte man nichts als das Rauschen des Kiels und das Plätschern der Ruder.

»Wie schön dies Alles ist,« sagte Sven.

»Ja,« erwiederte Mrs. Durham; »ich wollte es wäre minder schön.«

»Weshalb?«

»Weil ich dann minder schmerzlich fühlen würde, wie todt und leer Alles in mir ist.«

Sven und Mrs. Durham hatten, seit sie wieder zur Gesellschaft gekommen waren, während des ganzen Nachmittags und Abends sehr wenig mit einander gesprochen, obgleich sie sich stets eines in des andern Nähe gehalten hatten. Es ist eine Bemerkung, die man häufig machen kann, daß in solchen Verhältnissen die ersten Schritte mit einer gewissen Kühnheit, mit einer souveränen Gleichgültigkeit gegen die Welt gethan werden, daß dann aber für längere Zeit ein Stillstand einzutreten scheint. Die Pforten zum Heiligthum der Liebe werden mit Ungestüm geöffnet, aber auf der Schwelle ergreift die Neophyten ein Zagen und Bangen. Und dann war Sven viel zu sehr Neuling in solchen Verhältnissen, als daß er auch nur daran hätte denken sollen, die Macht, die ihm der Zufall in die Hände gegeben, in unwürdiger Weise zu mißbrauchen. Er betete Cornelien an, aber seine Liebe war, was auch die Zeit aus ihr machen mochte, für den Augenblick glänzend rein, wie die hohen Sterne am Himmel. Er hatte nur den einen Wunsch, die schöne Frau glücklich zu sehen. Diesen Wunsch zu realisiren, wäre ihm kein Opfer, aber auch keins zu groß gewesen.

»Todt und leer?« sagte er, »wie ist das möglich? Ein Geist, der so reich ist, wie der Ihre, ist nicht leer; ein Herz, das Thränen hat, wie ich Sie heute habe Thränen weinen sehen, ist nicht todt.«

»Sie halten mich für besser, viel besser, als ich bin. Ja, es gab eine Zeit, wo mein Herz reich war, überschwänglich reich – doch, das ist es nicht mehr. Ich habe gesehen, daß die Welt für die Liebe nur Spott und Hohn und im besten Falle kalte Gleichgültigkeit hat. Wozu also die kostbare Perle, die Keiner zu würdigen weiß? Wechseln Sie die Perle für einen Sack voll Kupferpfennige ein und verteilen Sie die mit vollen Händen unter die Leute. Damit ist dem Menschen viel mehr gedient.«

»Aber,« sagte Sven; »ich finde nicht, daß Sie diesen Ihren Lebensregeln selber folgen. Im Gegentheil. Die banale Höflichkeit, die mit aller Welt gut Freund ist, scheint Ihnen verhaßter als Alles. Sie sind kalt und abstoßend, stolz, beleidigend stolz für den Pöbel.«

»Weil ich der Heuchelei endlich satt geworden bin, weil ich die Menschen nicht für werth halte, ihrethalben sich so viele Mühe zu geben. Ich liebe Niemanden, Niemanden auf der weiten Welt, und so will ich auch nicht die Maske der Liebe tragen.«

»Sie lieben Niemanden? auch nicht Ihre Kinder?«

»Lieben sie denn mich? würden sie sich nicht binnen vierundzwanzig Stunden trösten, – was sage ich! würde es sie überhaupt nur traurig machen, wenn ich mich hier jetzt über Bord stürzte? Bewahre! Sie würden kaum nach mir fragen, und sich sofort beruhigen, wenn man Ihnen einen Pony oder eine Puppe verspräche.«

»Aber das ist Kinderweise, und man darf sich darüber nicht wundern. Wir lieben die Kinder, nicht, weil sie uns lieben, sondern weil sie unserer Liebe so bedürfen.«

»Meine Kinder bedürfen meiner Liebe nicht,« sagte Mrs. Durham. »Sie sind ja reich; sie werden in ihrem Leben stets über hundert Hände verfügen können.«

»Aber auch über ein Herz, das sie liebt? O, ich wollte, Sie hätten meine Mutter gekannt. Die hätte Ihnen Alles sagen können, was ich sagen möchte, und theils nicht zu sagen wage und theils nicht zu sagen weiß.«

»Sie haben Ihre Mutter recht geliebt?«

»Und sie mich. Ich weiß, was eine Mutter ihrem Kinde, ja, was selbst ein Kind seiner Mutter sein kann. Meine Mutter war unglücklich, wie Sie, ob aus demselben Grunde, – ich weiß es nicht, will und darf es nicht wissen. Sie hatte meinen Vater geliebt, so sehr, daß sie die Schranken, welche die Gesellschaft unsern Leidenschaften zieht, kühn durchbrach, daß sie ihren guten Ruf, ihre Ruhe, daß sie Alles für ihn aufs Spiel setzte. Und die Unglückliche verlor das Spiel. Der Gewinn stand mit dem Einsatze in keinem Verhältniß.«

»Ihr Vater war Ihrer Mutter nicht werth?« fragte Mrs. Durham und ihre Stimme zitterte.

»Wenn Sie mich fragen: nein!«

»Vielleicht war er gar niedrig geboren – doch nein, das kann nicht sein; Sie tragen ja seinen Namen; aber er war arm? bettelarm? nicht?«

»Nein, im Gegentheil: er war reich nach unsern Begriffen. Die äußere Lage meiner Mutter wurde durch diese Heirat, in der Folge wenigstens, viel glänzender, als sie vorher gewesen war.«

»O, so war die Partie doch nicht so ungleich gewesen. Aber nehmen Sie an, Ihr Vater wäre so arm gewesen, wie er leer an der echten Liebe war; arm, aus niedrigem, vielleicht sogar verachtetem Stande und Ihre Mutter hätte täglich und stündlich nicht blos ihr Herz, sondern auch ihren Stolz beleidigt gesehen. Wie würde sie das ertragen haben?«

»Nicht schwerer, als das Gegentheil. Ein solcher äußerer Umstand würde nie einen Einfluß auf meine Mutter haben ausüben können. Ihre Liebe hätte dergleichen Armseligkeiten verzehrt, wie Feuer Spreu.«

»Ich glaube es,« erwiederte Cornelie; »ein Weib kann sich über das Alles wegsetzen, wenn sie nur lieben darf, wenn sie nur wieder geliebt wird. Aber ein Mann? glauben Sie, daß auch ein Mann Alles so heroisch seiner Liebe opfern könnte? vergessen könnte, daß das Weib seiner Wahl arm ist, niedrig geboren ist, daß er sie aus dem Staube auflas, daß – o, nie, nie! das vergißt kein Mann! Und wenn er über Alles sich hinwegsetzt, so wird er sich doch nie überreden können, daß ein solches Weib wirklich lieben kann. Sie hat ihm ja keine Opfer gebracht, kein einziges. Ohne Opfer ist keine Liebe; an den Opfern erkennt man die Liebe. Wie soll er denn an Liebe glauben?«

Sven wußte nicht, was er antworten sollte. War die Situation, wie sie Mrs. Durham zuletzt schilderte, ihre eigene? Er fühlte den Boden unter seinen Füßen so unsicher, daß er keinen Schritt weiter zu gehen wagte.

So saß er denn schweigend, und suchte in dem bleichen Gesichte der schönen Frau die Lösung der Räthsel zu lesen, ohne daß ihr Mund zu sprechen nöthig hätte. Aber der fahle Mondenschein war kein günstiges Licht für dieses Studium; er schien den Schleier des Geheimnisses nur immer dichter zu weben. Unsägliche Trauer erfüllte Sven's Herz. Die ambrosische Schönheit der Nacht hatte für ihn ihren Zauber verloren; die schöne weite Welt war für ihn versunken, all' sein Denken, all' sein Fühlen concentrirte sich in dem einen Interesse für die unglückliche Frau an seiner Seite.

Mrs. Durham schien ebensowenig im Stande, die abgebrochene Unterhaltung wieder aufzunehmen. Sie blickte starr in die blaue Dämmerung hinein. Dann wandten sich ihre Augen auf Sven; sie sah ihn lange schweigend an, während seine Augen forschend und traurig auf ihr Antlitz geheftet waren.

»Sie sind gut!« sagte sie, »so gut! Denken Sie nicht an mich! Mir ist doch nicht zu helfen.«

»Wenn ich das glaubte, so möchte ich nicht länger leben.«

Er ergriff ihre herabhängende Hand. Sie versuchte nicht, sie ihm wieder zu entziehen. So saßen sie, Hand in Hand, still, in sich versunken, bis die Lichter der Stadt sich in dem Wasser spiegelten, und die Boote ganz in der Nähe von Durham's Villa in einer kleinen Bucht knirschend auf den Sand des Strandes fuhren.

»Wir sind angekommen,« sagte Mrs. Durham, ihre Hand aus der seinen ziehend. »Gute Nacht! Nicht wahr, ich sehe Sie morgen?«

Sven empfahl sich nicht bei der übrigen Gesellschaft. Er mochte mit Niemanden sprechen, er mochte Niemanden die Hand reichen. Er ging, ohne sich umzusehen, eilenden Schrittes die Straße, die vom Ufer zu seiner Wohnung führte, hinauf.

Plötzlich berührte Jemand seine Schulter.

»Weshalb so eilig, carissime?« sagte eine Stimme.

Es war Benno.

»Wir haben uns ja eigentlich den ganzen Tag nicht gesprochen,« fuhr er fort. »Wollen wir nicht noch gemeinschaftlich einen Schoppen ausstechen?«

»Nein.«

»Kurz und bündig, man könnte sagen: grob. Ist dies der Mann, der für mich bis jetzt als ein Muster der Höflichkeit und des guten Betragens vorleuchtete? O, Sven, Du gefällst mir nicht.«

»Um so besser ist es, wenn wir uns trennen; gute Nacht!«

»Höre Sven,« sagte Benno, stehen bleibend und Sven bei einem Knopfe seines Rockes festhaltend, »der Augenblick, Dir den Text zu lesen, ist vielleicht nicht günstig gewählt; aber ich muß es doch thun, weil mir periculum in mora zu sein scheint.«

»Ich bin in der That nicht aufgelegt, heute Abend noch viel zu hören;« sagte Sven.

»Scheint so,« erwiederte Benno; »ich will deshalb auch die herrliche Predigt, die ich Dir halten wollte, ungepredigt lassen und mich aus einfache Thatsachen beschränken. Thatsache aber ist, daß Dein Benehmen gegen Mrs. Durham und vice versa allgemein auffällt, daß die Gesellschaft hinter eurem Rücken die allerliebsten Grimassen schneidet; daß Mr. Durham eben so wenig blind ist, wie ich, oder ein Anderer und deshalb zu vermuthen steht –«

»Du wolltest Dich auf Thatsachen beschränken.«

» Sapienti sat! ich glaubte, Du wärest der Weisen Einer; aber ich sehe, Du bist der Thorheit nicht weniger unterthan, als Andere und vielleicht noch mehr, weil Du Dich von Deiner Weisheit beschützt wähnst. Sven, Sven! Du glaubst auf der graden Straße zu reiten, und galoppirst querfeldein, daß einem Hören und Sehen vergeht. Du glaubst –«

»Du fängst schon wieder an zu predigen. Gute Nacht!«

»Ich wünsche Dir ein Gleiches, obgleich ich vermuthe, daß mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird;« rief ihm Benno nach.

»O, diese Liebe, diese Liebe,« philosophirte Benno, während er allein seinen Weg fortsetzte; »ich wollte, ich könnte ein Radikalmittel dagegen erfinden, und Sven davon morgen eine tüchtige Dosis in seine Suppe mischen. Hm, Hm! Die ganze Sache würde mir ungeheuren Spaß machen, wenn sie nicht so verdammt ernsthafte Seiten hätte. Dieser Sven, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist so eigensinnig, wie ein verzogener Junge, der er nebenbei im Grunde auch ist; diese Mistreß Cornelia scheint mir eine höchst gefährliche Dame, die mit dem kleinen Finger die ganze Hand und den ganzen Kerl dazu nimmt; und mein sehr ehrenwerther Freund, ihr Gemal, ist nicht der Mann, ungestraft mit sich spielen zu lassen. Was ist dabei zu thun? Hm, hm! im ›Wilden Manne‹ ist noch Licht. Das trifft sich gut. Ich will mir die Sache doch einmal bei Licht besehen und einen Schoppen Walportsheimer dazu trinken.«



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