Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

U nd das Gewissen blieb nicht stumm in den langen einsamen Stunden, wo sich der an Leib und Seele kranke junge Mann schlaflos auf seinem Lager wälzte. Es setzte sich zu ihm an sein Bett in der vielgeliebten Gestalt seiner verstorbenen Mutter. Er hörte diese sanfte Stimme klagen, wie weh es einer Frau thue, sich von ihren Kindern trennen zu müssen, den Mann, an dessen Herzen sie geruht, ein einziges Mal nur vertrauensvoll geruht, fortan als einen Fremden betrachten zu müssen. Er hörte die sanfte Stimme sagen: daß um seine liebsten Hoffnungen betrogen werden, Menschenloos, und daß Entsagen lernen, der Weisheit letzter Schluß sei. – Sven dachte an all das Leid, das seine edle Mutter hatte erdulden müssen, um einen Fehltritt zu büßen, zu welchem das heiße Blut der Jugend und die ausschweifende, trügerische Phantasie der Jugend sie verleitet hatten. Er dachte an den stillen Kummer, mit welchem seine Mutter das wüste Leben des Vaters erfüllt hatte; es kam ihm die Erinnerung einer Scene, wo der erste Gemal seiner Mutter, der Oberst, zur Regulirung, er wußte nicht mehr welcher Familienverhältnisse, auf dem Gute zum Besuch gewesen war, und die Hände der weinenden Frau ergreifend, mit einer vor innerer Erregung bebenden Stimme gesagt hatte: wärest Du mein Weib geblieben, Leonore, Du brauchtest diese Thränen nicht zu vergießen, und noch viele, die Du dereinst noch vergießen wirst. – Sven war damals noch ein kleiner Knabe gewesen und die großen Leute hatten sein nicht geachtet, wie er in dem Buchengange, in welchem sie auf und abschritten, nach Schmetterlingen haschte, aber er hatte diese Worte wohl gehört und jetzt nach so langen, langen Jahren kommen sie ihm wieder in das Gedächtniß, als wären sie gestern erst gesprochen worden. – Und dann dachte er einer andern Scene, wo er, viele Jahre später, als Jüngling, seine Mutter in demselben Buchengange am Arm geführt, und sie, nachdem sie viel über seine Zukunft gesprochen, ihre milden großen Augen mit ernster Zärtlichkeit auf ihn richtend, gesagt hatte: »Und über Alles, Sven, sei treu gegen Dich selbst und gegen Andre, und verleite auch Niemand, daß er die Treue bricht. Denn der Friede mit uns selbst ist das höchste aller Güter, und der Treulose hat keinen Frieden.«

Ach, Frieden, Frieden! wie wenig Frieden hatte sein Leben jetzt! wie schwankte seine Seele, gleich einem sturmgequälten Schiff, von einer Woge des Gefühls in die andere! Seine Phantasie zeigte ihm fortwährend die entsetzlichsten Bilder. Er sah Mr. Durham mit den Wellen ringen, versinken, sich noch einmal heben, um dann für immer von dem rauschenden Strom verschlungen zu werden. Er sah Cornelien am Bette des kranken Edgar mit düstern trocknen Augen vor sich hinstarren; er hörte sie leise mit bebenden Lippen den Tag verfluchen, an welchem sie den Fremdling zum ersten Male erblickte. Er sah sie zusammenfahren, als es jetzt in der Nacht an die Hausthür pocht, die Hand auf das Herz drückend lauschen und dann mit einem wilden Schrei zusammenbrechen, während der kranke Knabe fragt: ob nun der Vater nach Hause komme?

Wenn dann nach einer von so schauerlichen Träumen heimgesuchten Nacht endlich der Tag anbrach und er Kraft gewann, die Fiebergeister in sein Hirn zu verschließen, sah er seine Situation wohl deutlicher, aber nicht tröstlicher. Bennos scharfe Logik hatte unbarmherzig den dichten Schleier zerschnitten, mit welchem die Leidenschaft sein Auge verhüllt hatte. Er fragte sich, ob Benno nicht doch recht haben könnte, wenn er behauptete, daß Cornelie ihn nie wahrhaft geliebt habe, und hier war es ein Umstand, der seine Zweifel immer wieder von neuem aufregte, ja seine Befürchtung zur Gewißheit zu machen schien. – Er hatte sich, sobald es seine Kräfte irgend zuließen, gegen Bennos Willen und auf die Gefahr hin, seinen Zustand bedenklich zu verschlimmern, aufgerafft und ein paar Zeilen an Cornelie geschrieben, in welchen er sie anflehte, ihm ein Wort, ein einzig Wort zukommen zu lassen. Er hatte keine Antwort erhalten. Und doch mußte sie wissen, daß er krank war, daß es ihm unmöglich war, zu ihr zu kommen, daß er sich vor Sehnsucht nach ihr, vor Kummer und Gram verzehrte! Wie konnte sie es über das Herz bringen, wenn sie ein Herz hatte, ihm in diesen Höllenqualen keinen Tropfen Labung zu spenden? Sven verzweifelte an Cornelie, an sich, an der ganzen Welt. Vor allem auch an Benno. Benno war seit einigen Tagen wie umgewandelt, oder vielmehr ganz wieder der alte. Er scherzte und lachte, als ob nichts in der Welt vorgefallen sei, und was Cornelien betraf, so wollte oder konnte er nichts sagen, als: »sie ist eine musterhafte Krankenwärterin, und ich fange an, eine wirkliche Achtung vor ihr zu fühlen. Uebrigens wird sie, so viel ich weiß, keinen Tag länger hier bleiben, als es Edgar's Zustand verlangt, der sich nebenbei entschieden bessert. Ich hoffe, daß ein längerer Aufenthalt in Italien, den ich verordnet habe, und der jetzt eine beschlossene Sache ist, ihm vollständige Heilung bringen wird.«

Spielte Benno ein falsches Spiel? Sven, der verdüsterte, gequälte Sven hielt auch das für möglich. Er beschloß, sich nur noch auf sich selbst zu verlassen und hörte auf, mit Benno über Cornelie zu sprechen.

Desto eifriger beobachtete er, wie in den ersten Tagen, durch sein Fernglas die Villa; aber auch das vergebens. Die Fenster, die nach der Terrasse sahen, wurden nicht mehr geöffnet, vielleicht um den Regen abzuhalten, der nach jener verhängnißvollen Nacht beinahe ohne Unterbrechung vom Himmel strömte. Und wenn der unglückliche junge Mann so über die sich im Regen schüttelnden Baumwipfel der Gärten weg nach der wie ein Grab stummen und verschlossenen Villa starrte, ergriff ihn die Furcht, Cornelie könne abreisen, ohne ihm Lebewohl zu sagen; ja, sei vielleicht schon abgereist, und er werde sie nun nimmer wiedersehen. Und dann packte ihn eine Angst, die sich in manchen Augenblicken fast bis zum Wahnsinn steigerte.



 << zurück weiter >>