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XVI.

» U nd Alles das um nichts! Um Hekuba! Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr, daß er um sie sollt' weinen?«

Ich glaubte, ihr Alles in Allem zu sein, wie sie mir Alles war. Ich war es nicht – und doch, wenn ich es nicht war, so war Alles ein wüstes Fastnachtsspiel, in welchem man aus Versehen den Freund ersticht und damit den tollen Scherzen ein fürchterliches Ende macht. Weßhalb ist Franc Durham denn gestorben? er brauchte nicht zu sterben; ich war der Ueberflüssige, der sich unbeweint und unbelacht aus der Welt trollen konnte. Mein Gott, mein Gott, wohin ist es gekommen? wollte ich denn etwas Anderes, als sie glücklich sehen? würde ich mich nicht still in ihrem Glück gesonnt haben? würde ich sie nicht geliebt haben, wie die Blume das Licht! wie ich alles, was schön und gut ist, geliebt habe, so lange ich denken kann? Thor, der ich war, eitler, blöder Thor, der sich für unentbehrlich hielt, als ob er der Heiland wäre für alle Schäden der Welt! – Aber ist sie weniger schuldig? hat sie meine Thorheit nicht geflissentlich genährt? habe ich es nicht aus ihrem eigenen Munde, daß sie mich liebt? wen hat sie getäuscht? mich oder sich? oder uns Beide? hat sie mich blos ihrem Stolz geopfert? blos um ihren Stolze die Genugthuung zu verschaffen, auch einmal ihre Gunst nach freier Wahl verschenkt zu haben? Armes, armes Weib! wie sehr mußtest du leiden, bis dein edles Herz sich so verirrte, dein heller Verstand sich so verdunkelte! Die Dankbarkeit gegen deinen Gatten drückte dich! wie wird dich jetzt die Undankbarkeit quälen! Die Dankbarkeit hat dich mit Geißeln gezüchtigt, die Undankbarkeit wird es mit Skorpionen thun!

Und doch! büßest du nicht auch nur, wie so Viele, für die Sünden deiner Väter? hättest du dich dem Dämon Stolz, der dich zu Fall gebracht, in die Arme geworfen, wenn du dich auf den treuen Arm eines Vaters hättest lehnen dürfen? war dieser Stolz nicht das einzige Erbtheil deiner unglücklichen Mutter? und war für sie wiederum der Stolz etwas anderes, als ein Gegengift gegen die Verzweiflung? Arme Mutter! armes Kind! ich wollte, ich hätte dein Bruder sein dürfen, daß du an meiner Brust den Hafen der Ruhe gefunden hättest, den wir hinter uns wissen müssen, wenn wir die Stürme des Lebens mit ungebrochenem Muth durchwettern sollen. – Und haben dir diese Talismane nicht helfen können? dieser dünne goldne Reif, den du sicher von dem erkalteten Finger der lieben Hand streiftest, die du so oft mit heißer Zärtlichkeit geküßt? diese Kette, mit der sich die Aermste vielleicht noch an dem Abend ihres Todes für das wüste Publicum eines Vorstadttheaters geschmückt hatte? dieses Medaillon, das wohl ihr eigenes Bild enthielt – heiliger Gott, was ist das! –

Sven zuckte bei dem Anblick des Bildes in dem Medaillon zusammen, als hätte ein Blitzstrahl vor seinen Füßen in die Erde geschlagen. Er traute seinen Sinnen nicht; ein Teufel mußte sein höllisches Spiel mit ihm treiben; und doch! und doch! es wurde nicht anders; dieses zierlich auf Emaille gemalte Bild eines stattlichen Mannes, dessen Schönheit wilde Leidenschaften und niedrige Ausschweifungen nicht hatten verwüsten können, war seines Vaters wohlgetroffenes Portrait.

. . . . . . . . . . . .

Draußen war es dunkel geworden; im Zimmer war es Nacht und noch immer saß Sven, den Kopf in die Hand gestützt in seinem Lehnstuhl, regungslos wie ein Schlafender. Endlich erhob er sich still, ging still in die Kammer nebenan, kleidete sich um, ohne kaum zu wissen, was er that, kehrte dann in das Zimmer zurück, legte das Buch und die Schmucksachen in das Kästchen, und ging damit, wie ein Nachtwandler still und stumm, ohne das erschrockene Jesus, Maria und Joseph! von Madame Schmitz zu beachten, die ihm auf der Treppe begegnete, ohne die verwunderte Frage des Portiers: »Wollen Sie denn ausgehen, Herr Baron?« zu beantworten, zur Thür hinaus, die Uferstraße hinab, den Weg nach der Villa.



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