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XVII.

U m dieselbe Zeit, als Sven in seinem dunkeln Zimmer sich an dem Sphinx-Räthsel des Lebens abmühte, gingen zwei Männer in der Nähe der Villa am Ufer des Stroms in eifrigem Gespräche auf und ab. Es mußten wohl sehr wichtige Dinge sein, die sie verhandelten, denn sie sprachen leise, obgleich rings um sie her eine Stille herrschte, die das Plätschern des Wassers zwischen den Weiden des Ufers nur noch stiller zu machen schien.

»Ich kann Ihren Entschluß nicht billigen und werde es nie thun;« sagte der Kleinere von den Beiden. »Sollte Sie deßhalb ein wunderbares Geschick aus einem beinahe gewissen Tode errettet haben, damit Sie nun doch für Ihre Gattin, für Ihre Kinder auf ewig gestorben sind?«

» Pardon me, my friend!« sagte der Andere; »nur für meine Gattin, nicht für meine Kinder! – für meine Kinder nur so lange, bis meine Gattin Zeit gehabt hat zu der freien Wahl, nach der, wie ich weiß, ihr stolzes Herz sich sehnt.«

»Und wenn nun Sie es sind, die Mrs. Durham wählt; wenn sie einsehen sollte, was sie an Ihnen verloren hat, und alle Männer der Welt ihr den einen, Verlorenen nicht ersetzen könnten?«

»Das wird nicht geschehen;« sagte Mr. Durham.

»Ich möchte kein Gift darauf nehmen,« erwiederte Benno heiter; »die Weiber sind eine sonderbare Nation; sie sind Alle mit wenigen Ausnahmen weitsichtig; sie müssen das Buch ihres Lebens immer in einer gewissen Entfernung vor den Augen halten, sonst können sie's nicht lesen. In dem Punkte ist Mrs. Durham grade so wie andere Frauen; glauben Sie mir.«

»Ich will es nur gestehen,« sagte der Engländer nach einer Pause, »daß es ein Funken dieser Hoffnung war, der mir in jener Nacht den Muth gab, nicht zu sterben. Als ich Sven, mit dem ich zugleich um den Bug des Schiffes herumgewirbelt wurde, gerettet sah, und nun der Dampfer weiter schoß und ich allein in den Wellen schwamm – da dachte ich wohl: weßhalb willst du die Gelegenheit nicht benutzen, die dir günstiger so leicht nicht wieder kommt; der Todeskampf kann ja nicht lange dauern, wenn du nur ernstlich willst. Dennoch schwamm ich rüstig mit den Wogen, die zum Ufer rollten, weiter, nicht weil ich den Tod fürchtete, sondern weil eine Stimme in mir sagte: Du hast mit dem Leben noch nicht abgeschlossen, und so darfst du auch noch nicht sterben wollen.«

»Ich verstehe es vollkommen,« sagte Benno; »der Tod ist ein Examen, in das Niemand gern geht, der seiner Sache nicht ganz sicher ist. Aber was ich nicht verstehe, ist, weßhalb Sie, anstatt nach Hause zu eilen, sobald Sie sich an's Land gerettet hatten, ein abenteuerliches Incognito in der Hütte des alten taubstummen Fischers vorzogen, – ein Incognito, das ich in so indiscreter Weise schon nach wenigen Tagen stören mußte. Ich werde den Augenblick nicht vergessen, als ich in das Stübchen trat und statt meines alten Patienten meinen sehr ehrenwerthen Freund Franc Durham fand.«

»Warum ich nicht zurückkehrte?« erwiederte der Engländer. »Ich habe gelesen, daß der Löwe, wenn er mit dem ersten Sprunge die Gazelle verfehlt hat, die fliehende nicht weiter verfolgt, sondern sich voll Zorn und Scham in das tiefste Dickicht verbirgt. Ich hatte mich von dem Wahnsinn der Leidenschaft zu einer Handlungsweise hinreißen lassen, der ich mich, sobald ich wieder zur Besinnung kam, in tiefster Seele schämte. Später erst faßte ich den Entschluß, was da auch kommen würde, ruhig abzuwarten, und entweder nie wieder vor meine Gattin zu treten, oder doch erst dann, wenn ich überzeugt sein könnte, daß ich mich geirrt hatte. Bis dahin wollte ich sie überall hin begleiten, überall ungesehen um sie sein, jede Gefahr von dem theuern Haupte abwenden, und die Tantalusqualen, dir mir dies Verhältniß bereitete, als Sühne hinnehmen für jedes Leid, das ich ihr je bereitet habe. Denn, mein junger Freund, Ihnen, vor dessen hellem Verstand und edler männlicher Gesinnung ich so große Hochachtung empfinde, Ihnen kann ich es sagen: ich fühle mich meinem Weibe gegenüber nicht frei von aller Schuld. Ihr Freund hat recht: ich hätte der Waisen, der von aller Welt Verlassenen nicht Gatte blos, ich hätte ihr Vater und Bruder sein müssen; ich bin es nicht gewesen und so mußte kommen, was gekommen ist.«

Franc Durham hatte das mit einer Erregung gesprochen, die Benno diesem Manne, der sich so zu beherrschen wußte, niemals zugetraut haben würde, und die ihn deßhalb um so tiefer ergriff.

»Weßhalb in einem Labyrinthe umherirren, wenn der Ausgang so deutlich bezeichnet ist,« erwiederte er beinahe heftig. »Ich sehe hier drei edle Menschen, die Alle das Gute wollen, und deren einziger Fehler darin besteht, daß ihnen das Gute immer noch nicht gut genug scheint, auf dem schönsten Wege sich mit dem besten Willen von der Welt gegenseitig grenzenlos unglücklich zu machen. Ich, der ich nicht die Blindekuhbinde der Leidenschaft über den Augen habe, sehe besser, als ihr Alle, in welcher Lage ihr seid, und wie ihr euch aus dieser Lage befreien könnt. Ich sage Ihnen, daß die Zeit der Prüfung, die Sie auf Jahre berechnet haben, schon jetzt abgelaufen ist; daß mein armer Sven nichts sehnlicher wünscht, als sein Unrecht wieder gut zu machen und euch vereinigt zu sehen; daß Ihre Gattin ihre romantische Thorheit mit tausend heimlichen Thränen schon bereut hat; und was Sie selbst betrifft, mein sehr edler Freund, so wette ich tausend gegen eins, daß Sie gern die Hand zur Versöhnung böten, wenn Sie nur wüßten, wie Sie es anfangen könnten, ohne ihrem Stolz allzuviel zu vergeben. Ich will es Ihnen sagen: lassen Sie Ihre Gattin heute Nacht nicht ohne Sie abreisen. Ueberlassen Sie mir die Freude, sie auf Ihre Wiederkehr vorzubereiten. Ich habe Mrs. Durham versprochen, sie heute Abend noch einmal zu besuchen; sie erwartet mich also; und was Sven betrifft, so habe ich den schon halb curirt, und werde ihn morgen früh durch die Nachricht, daß Sie mit Frau und Kindern im besten Wohlsein nach Italien abgereist sind, vollends curiren. Kommen Sie, kommen Sie!«

Und der ungeduldige Benno ergriff den Arm des Engländers und zog ihn nach der Villa zu, der sie bei ihrem Auf- und Abgehen sich immer mehr genährt hatten.

In dem Augenblick, als sie um die Ecke des Ufers bogen und der Villa, welche die andere Ecke der zum Strom hinabführenden Straße bildete, gegenüberstanden, sahen sie, wie eine dunkle Gestalt den einsamen Weg herabkam. Sie drückten sich in den Schatten des überhängenden Ufers, die Gestalt vorüberzulassen. Aber der Mann – denn ein Mann war es – blieb stehen; blickte für einen Moment nach den Fenstern des Salons hinauf, durch dessen rothe Vorhänge ein. mattes Licht fiel, dann schritt er nach der Gitterthür, die zu der Terrassen-Treppe führte, schwang sich mit der Leichtigkeit und Sicherheit eines Nachtwandlers an den hohen Stäben hinauf und hinüber, eilte die Treppe empor, stand oben einen Moment still, wie um an dem geöffneten Fenster zu lauschen, drückte dann die nicht verschlossene Thür, die in das Innere führte auf und verschwand hinter den Vorhängen.

»Nun, bei Gott, das ist doch seltsam,« sagte Mr. Durham; »der Mann scheint den Weg in meine Wohnung ja sehr genau zu kennen. Ich dachte, wir suchten zu erfahren, was ihn hierher gebracht hat.«

Bei diesen Worten, die er in einem nichts Gutes verheißenden Ton gesprochen hatte, schloß Franc Durham mit einem Hauptschlüssel, den er noch immer bei sich führte, die Gitterthür auf und stieg geräuschlos die Treppe hinan. Benno, der in der dunkeln Gestalt ebenfalls Sven erkannt hatte, folgte mit dem schweren Herzen eines Mannes, der ein edles Werk, an dem er lange mühsam gebaut, in dem Augenblicke der nahen Vollendung der Vernichtung preisgegeben sieht.



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