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III.

S eit jener Nacht waren einige Tage vergangen. Sven hatte geglaubt er werde sich ohne alle Mühe in der Residenzstadt wieder einwohnen können, aber er mußte die alltägliche Erfahrung machen, daß man Menschen und Verhältnisse niemals so wiederfindet, wie man sie verlassen hat. Haben sich jene nicht verändert, so ist mit uns selbst eine Verwandlung geschehen und meistens ist Beides der Fall. Von seinen alten Studiengenossen war Benno der einzig Uebriggebliebene; er erkundigte sich nach diesem und jenem. Der Eine war gestorben, ein Zweiter nach Amerika gegangen, ein Dritter, der sich durch seine hochfliegenden Pläne auszeichnete, in einer Provinzialstadt an der polnischen Grenze Schulmeister – von Andern hatte man seitdem nichts wieder gehört. Man hatte mit ihnen gelacht und geweint, geschwärmt und getollt; man hatte sie mit dem brüderlichen Du angeredet, ihnen ewige Freundschaft geschworen – jetzt waren sie verschollen, oft bis auf den Namen vergessen. Sven besuchte aus Pietät das Lokal der Verbindung, zu welcher er selbst und Benno gehört hatten. Da hingen dieselben Bilder an den Wänden, dieselben Fahnen, Trinkhörner und die anderen Herrlichkeiten einer Studentenkneipe. Da standen die Tische noch auf demselben Platz, aber an den Tischen saß eine andere Generation – lauter fremde Gesichter, die Sven außerordentlich jugendlich vorkamen, vermuthlich weil er selbst seitdem um fünf Jahre älter geworden war. Es wollte ihm nicht recht zu Sinn, daß er damals nicht weniger begeistert, wie die Jünglinge um ihn her, die alten Lieder von der »Freiheit, die das Herz erfüllt,« von dem »stattlichen Haus, das man gebaut haben wollte,« von dem »jungen Zimmergesellen, der sich einen Galgen von Gold und Marmelstein bauen mußte,« von »dem Käfer, der auf dem Zaune saß,« gesungen haben sollte.

Und wie es ihm in diesem Falle ging, so war es in den meisten andern. Ueberall hatten die fünf Jahre die außerordentlichsten Metamorphosen hervorgebracht. Einen geistreichen Docenten hatten sie in einen pedantischen Professor, einen allerliebsten Jungen in einen abscheulichen Zierbengel, ein reizendes, lebenslustiges Mädchen in eine grämliche Hausfrau verwandelt.

Nachdem Sven in den ersten zwei Tagen zu seiner nicht geringen Bestürzung diese traurigen Entdeckungen gemacht hatte, hielt er es am dritten für gerathener, die Liste seiner Enttäuschungen nicht noch mehr zu füllen, und den Versuch, sich in alte Verhältnisse, die so wesentlich neu geworden waren, wieder einzuleben, ganz fallen zu lassen. Er bezog, außerhalb der Stadt, eine stille abgelegene Wohnung, aus deren Fenstern man, über Weingärten hinweg, den schönen breiten Strom und das Gebirge erblicken konnte, und beschloß, nur seinen Studien, dem Umgange mit Benno und der Erinnerung zu leben.

Vielleicht auch ein wenig der Gegenwart, die dem jungen Philosophen doch wol weniger gleichgültig war, als er denken mochte. Vielleicht hatte er sich selbst in der Wahl seiner Wohnung durch einen Umstand bestimmen lassen, der in dem Gemüthe eines Weltweisen von keinerlei Bedeutung hätte sein dürfen. Dieser Umstand war, daß man von einem kleinen Balkon vor seinem Zimmer vermittelst eines vorzüglichen Opernglases, welches sich unter Sven's Reiseeffecten befand, ziemlich gut eine gewisse Terrasse und was auf dieser Terrasse vorging, beobachten konnte. Vielleicht war es auch einigermaßen verdächtig, daß Sven diese Beobachtungen sofort einstellte, sobald er Benno's Schritt auf dem Vorsaal vernahm, und noch viel verdächtiger, daß er in tiefer Nacht, wo auch nicht ein Stern am Himmel stand und man nicht die Hand vor Augen, geschweige denn ein paar hundert Schritte weit in ein matt erleuchtetes Zimmer sehen konnte, auf seinem Balkon saß und nach der Terrasse blickte, so lange das matte Licht in dem Zimmer leuchtete, ja oft noch, nachdem es längst schon erloschen war.

Sven hatte das Bild, welches er an jenem Morgen seiner Ankunft in dem Salon der Wohnung, in die er, von Benno's Uebermuth angesteckt, so unerlaubter Weise eingedrungen war, erblickt; hatte das Gesicht, das in der unheimlichen Dämmerung so bleich, so still, so stolz und so kalt auf ihn herniederschaute, nicht wieder vergessen. Es hatte sich in seine Träume gestohlen; es hatte, als er aus dem kurzen, unruhigen Schlummer erwachte, mit erschreckender Klarheit vor seines Geistes Aug' gestanden; es verfolgte ihn, wo er ging und stand; es hielt fortwährend die dunklen, geisterhaften Augen auf ihn gerichtet; es schien ihm fortwährend eine Frage vorzulegen, von dessen Beantwortung sein eigenes Schicksal abhing; es ließ ihm keine Ruhe bei Tag und Nacht; es machte ihn stumm in der Gesellschaft, es machte ihn zerstreut und nachdenklich selbst Benno gegenüber. Vergebens, daß dieser all' seinen Witz und seine Munterkeit aufbot, den melancholischen Gefährten aus seinen Träumereien zu reißen, daß er ihm pathetische Reden hielt über den Unverstand, sich »der Stunde schönes Gut durch solchen Trübsinn zu verkümmern.« – »Mit der Fröhlichkeit, dem Sonnenschein der Seele,« sagte Sven, »ist es, wie mit dem Sonnenschein draußen. Wir sollen für beide dankbar sein, wenn sie da sind, und uns ihrer erfreuen; aber wir können sie nicht machen und sollen sie deshalb auch nicht machen wollen.« Durch dergleichen Sätze konnte man den lebensfrohen Benno zur Verzweiflung bringen. »Wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen;« rief er dann wol. »Wenn Du Grillen fangen willst und mußt, so fange Grillen. Ich meinerseits habe etwas Besseres zu thun. Adieu!«

Sven versuchte nicht, den Enteilenden zurückzuhalten, obwol er fühlte, daß Benno recht habe, und es eine Thorheit sei, den reellen Genuß freundschaftlichen Umgangs für die schmerzlich süßen Freuden einer beinahe inhaltlosen Träumerei hinzugeben. Er wußte sich selbst den sonderbaren Zustand, in welchem er sich befand, nicht zu erklären; er fühlte nur, daß etwas ganz Absonderliches mit ihm vorgegangen sei. »Es ist Zauberei dabei im Spiele,« sprach er bei sich; »das Bild hat es mir angethan. Es muß behext gewesen sein. Wie könnte ein gewöhnliches Bild eine solche Wirkung hervorbringen! Ich wollte es gelten lassen, wäre ich ein junger Mensch von achtzehn Jahren, aber jetzt, wo ich beinahe achtundzwanzig alt bin, ist doch eine solche Donquixoterie weder verzeihlich noch begreiflich.«

Es ist bekannt, daß der tolle Hidalgo aus der Mancha sich für ausnehmend vernünftig hielt, und daß er der Erste gewesen wäre, der über den Einfall, sich mit Windmühlen in einen ernstlichen Kampf einzulassen, gelacht haben würde. Nichtsdestoweniger war er toll und kämpfte mit Windmühlen, und so war auch Sven trotz seiner achtundzwanzig Jahre auf dem besten Wege, sich in ein Bild, ein Stück bemalter Leinewand, ein Nichts zu verlieben, trotzdem er noch an jenem ersten Abend, als die Freunde nach langen Jahren der Trennung sich ihre Erlebnisse mittheilten, und dabei, wie üblich, auf Herzensangelegenheiten zu sprechen kamen, behauptet hatte: er habe bis jetzt nur ein weibliches Wesen wahrhaft geliebt, und das sei seine Mutter gewesen. Benno hatte das bestritten, hatte: »Dein Wohl, mein Liebchen!« angestimmt und Sven aufgefordert, ihm Bescheid zu thun im goldenen Wein und den Namen seiner Holden zu nennen, und war zuletzt ordentlich bös geworden, als dieser versicherte, er müßte geradezu lügen, wenn er des Freundes Neugier befriedigen wollte. Dennoch hatte Sven damit nur die Wahrheit gesagt. Es giebt Menschen von einer gewissen angebornen Reinlichkeit des Denkens und Fühlens, denen alles Unlogische peinlich und alles Unmoralische instinctiv widerwärtig ist. Sie bringen das gleichsam mit auf die Welt, was bei Andern nur das Resultat einer sorgfältigen Erziehung und oft sehr langer, bitterer Erfahrung ist. Zu diesen Menschen gehörte Sven, und das innige Verhältniß, in welchem er bis in seine Jünglingsjahre hinein mit seiner, durch so herbe Schicksale geprüften Mutter gelebt, hatte nicht wenig dazu beigetragen, diesen Sinn für das Edle, Gute und Schöne zu beleben, diese Abneigung vor allem Gemeinen, Schlechten und Häßlichen zu vermehren. So war er denn von jenen gewöhnlichen Intriguen, die man – sehr mit Unrecht – bei einem jungen Mann so verzeihlich findet, und die der junge Mann oft so theuer bezahlen muß, ziemlich verschont geblieben. Auf der andern Seite hatte es der Zufall gewollt, daß er bis jetzt noch nie einem weiblichen Wesen begegnet war, das auch nur entfernt seinen hochgespannten Anforderungen entsprochen hätte. Phantasiereiche Menschen sind immer Künstler und Poeten, obgleich sie vielleicht nie den Pinsel in die Hand nehmen und keinen Vers schreiben. Die göttliche Idee des Raphael läßt auch ihnen keine Ruhe, um so weniger, als sie, bei ihrem Mangel an künstlerischer Kraft, sich nie im Kunstwerk mit ihrem Ideal auseinandersetzen können. So suchen sie denn im realen Leben, was nur die himmlische Kunst gewähren kann, und werden von diesem vergeblichen Suchen so verwirrt, so verblendet, daß sie zuletzt mit Windmühlen kämpfen und sich in todte Bilder verlieben.

»Aber, was ist es denn weiter?« tröstete sich Sven; »bin ich niemals von einer Schöpfung des Meißels oder von einem farbentrunkenen Bilde entzückt gewesen? Habe ich nicht hier an demselben Orte vor fünf Jahren für die himmlisch schöne Muse in dem Museum der Universität geschwärmt? Hängt nicht hier und da in öffentlichen und Privatsammlungen ein italienisches Landmädchen, eine Zigeunerdirne, eine Edeldame in Sammt und Seide, die ich ein oder das andere Mal gesehen habe, um sie nicht wieder zu vergessen? Was hat dies Bild vor jenem voraus, als daß ich es in einem Augenblick sah, wo meine Phantasie von einer durchwachten und durchzechten Nacht überhitzt war? oder, daß es vielleicht dem Ideal meiner Träume noch etwas näher kommt, als die andern? Habe ich denn das geringste Verlangen, das Original dieses Bildes kennen zu lernen? ja auch nur zu erfahren, ob es überhaupt ein Original zu diesem Bilde giebt, oder ob man nicht vielmehr bei seiner Betrachtung mit dem amerikanischen Dichter ausrufen muß:

Sag', wilder Künstler, sag', ob Du gewollt
Uns rauben die Vernunft und unsern Sinn
Umstricken mit den Maschen süßer Lust,
Als dies Idol Du schufest unbewußt?
Nichts lebt, deß Anblick so mit Wonne füllt die Brust,

Aber, wenn Sven's Begeisterung so rein ästhetisch war, weshalb machte er sich, aus der Stadt kommend, stets einen bedeutenden Umweg, nur um an der Villa mit der Terrasse vorüber zu gehen und einen verstohlenen Blick hinaufzuwerfen? weshalb, vor allem, die langen Observationen durch das Opernglas, die bis jetzt von so geringem Erfolge begleitet gewesen waren? Denn, was hatte er denn schließlich gesehen? einige Mal ein paar spielende Kinder, einen großen Newfoundländer, einen Diener, der das Theezeug abräumte, und ein Mal auf einen Augenblick eine weibliche Gestalt in einem weißen Gewande, die sich auf die Balustrade lehnte und ihre Blicke über den im Abendsonnenschein leuchtenden Fluß nach dem Gebirge schweifen ließ. War diese weibliche Gestalt vielleicht das Original zu dem Bilde? Sven's Herz schlug hoch, wenn er an diese Möglichkeit dachte. Dennoch that er nichts, um eine Gewißheit über diesen Punkt zu erlangen, ja, er verabsäumte es geflissentlich, nach den Bewohnern der Villa die geringste Erkundigung anzustellen, und doch wußte er, daß es für seine geschwätzige Wirthin, Madame Schmitz, nur einer Andeutung bedürfte, um Alles, was er zu wissen wünschen konnte, in Erfahrung zu bringen, ja, vielleicht noch ein gut Theil mehr.



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