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II.

S ven von Tissow war der letzte Sproß einer adligen Familie, die schon seit Jahrhunderten an der Küste des baltischen Meeres reich begütert gewesen war. Er hatte mehre ältere Brüder gehabt, und war, da die Besitzungen der Familie ein Majorat bildeten, und er sich sehr gegen die Gewohnheit und die Tradition seines Geschlechtes, durch große Lernbegierde und eine entschiedene Neigung zu einem stillen beschaulichem Leben auszeichnete, für den Staatsdienst bestimmt worden. Sven verdankte diese abnorme Richtung seines Geistes seiner innig geliebten Mutter, einer schönen, stillen, kränklichen Frau, die in der Einsamkeit des Stammschlosses der Tissow die herrlichsten Gaben, mit denen sie auf einem weit größeren Schauplatz, hätte glänzen können, unbenutzt oder kaum benutzt verkümmern lassen mußte. Herr von Tissow, ihr Gemahl, war ebenfalls ein jüngerer Sohn des Hauses und hatte sich als solcher, der Regel des Hauses gemäß, dem Soldatenstande gewidmet. Er war damals ein schöner, glänzender Cavalier gewesen, der die Muße des friedlichen Garnisonlebens der Residenz benutzte, um von einer Eroberung zur andern zu fliegen. Seine Schönheit, sein Ruf der Unwiderstehlichkeit, sein bei hundert Gelegenheiten bewiesener Muth, der vor keiner Gefahr zurückbebte, übten in den Augen der Welt, in welcher er seine Siege errang, den gewöhnlichen Zauber, und so mochte es denn auch geschehen, daß die jugendliche Frau seines Obersten, die selbst schon Mutter mehrer Kinder war, eine wegen ihres Geistes und ihrer Liebenswürdigkeit allgemein gefeierte Dame, einen jener Schritte beging, die von Zeit zu Zeit die tiefe Zerfahrenheit und innere Haltlosigkeit eines scheinbar hochcultivirten Lebens in so peinlicher Weise aufdecken, das heißt: mit dem jungen Lieutenant davonlief. Natürlich gerieth dieselbe Welt, welche mit heimlicher Schadenfreude das Verhältniß hatte entstehen sehen und auch nach Kräften begünstigt hatte, in einen Paroxysmus tugendlicher Entrüstung, schleuderte ihr Anathema gegen den Verführer und die Verführte und ergötzte sich an den pikanten Einzelheiten dieser interessanten Geschichte, bis sie sich müde geschwätzt und gelästert hatte und diesen Fall über anderen, nicht minder amüsanten, vergaß.

Unterdessen hatten die jungen Leute, wie es bei solchen Ausschreitungen aus den geraden Wegen zu gehen pflegt, weder Glück noch Stern gehabt. Ihrer ehelichen Verbindung stellten sich große Schwierigkeiten entgegen und die junge stolze Frau mußte lange die Schande eines illegitimen Verhältnisses über sich ergehen lassen. Dann, als sich nach dieser Seite hin der Horizont ihres Glückes endlich aufgeklärt hatte, verdüsterte er sich desto mehr nach einer andern. Herr von Tissow fand bald heraus, daß ein verheiratheter Don Juan eine klägliche Rolle ist, und seine Gemahlin entdeckte nicht minder schnell, daß ein sehr glänzender Cavalier ein sehr unbedeutender und gelegentlich sehr roher Mensch sein kann. Dazu kam, daß das junge Paar, da Herr von Tissow sein Junggesellenleben nicht aufgeben konnte oder wollte, bald mit den schlimmsten aller Sorgen zu kämpfen hatte, ein Kampf, der von Seiten des jungen Kriegers ein Mal mit höchst unkriegerischem Jammern und Wehklagen, und das andere Mal mit sehr unritterlichem Poltern und Schelten; von Seiten der jungen Frau mit jener Demuth, Entsagung, Opferfreudigkeit und unwandelbarer Consequenz geführt wurde, durch welche sich edle weibliche Charaktere, sobald die Feuerprobe des Unglücks ihren wahren Werth an den Tag gebracht hat, auszeichnen. Da endlich kamen bessere Zeiten. Herrn von Tissow's Vater und zwei ältere Brüder starben kurz hintereinander, und das reiche Majorat, in dessen Besitz zu gelangen er niemals ernstlich gehofft hatte, so oft er auch seine Gläubiger auf diese Möglichkeit vertröstete, fiel ihm alles Ernstes zu. Er quittirte seinen Dienst, bezahlte seine Gläubiger, umarmte seine Frau und verhieß ihr für die Zukunft ein Leben voller Herrlichkeit und Freuden. Sie lächelte schmerzlich zu einem Versprechen, von dem sie besser als irgend Jemand wußte, daß es unmöglich realisirt werden konnte. Der jahrelange verzweifelte Kampf mit dem glänzenden Elend ihrer Stellung, die Kraft, die sie hatte aufbieten müssen, den haltlosen Gatten zu stützen und zu schützen, hatten die zart organisirte Natur im innersten Kern getroffen und gebrochen. Die einst so gefeierte Weltdame, die der Abgott und der Stolz ihres Kreises gewesen war, fand jetzt ihr einziges Glück in der, nur dann und wann durch einen gelegentlichen Besuch aus der Nachbarschaft unterbrochenen Einsamkeit des Landlebens auf dem Stammgute der Familie, wohin sich Herr von Tissow, der seinerseits ebenfalls zur Unzufriedenheit mit der Welt Grund genug zu haben glaubte, kurze Zeit, nachdem ihm die Erbschaft zugefallen war, zurückgezogen hatte. Herr von Tissow war von Natur kein schlechter Mann, aber er hatte im Leben sehr wenig weder für die Bildung seines Kopfes, noch seines Herzens gethan. Für die Vorzüge seiner Frau, die in demselben Maße glänzender hervortraten, als Kränklichkeit und die Jahre den Blüthenschmuck der Jugend und Schönheit abstreiften, hatte er nicht das mindeste Verständniß. Es war ihm unmöglich, in der stillen contemplativen Atmosphäre welche seine Gemalin um sich verbreitete, zu athmen. Sie hatte einen Weg betreten, auf den er ihr weder folgen konnte, noch wollte, und so sah sie sich bald allein. Er achtete sie hoch, ja er liebte sie noch immer in seiner Weise, aber ihre Gedanken, ihre Anschauungen, ihre Gefühle waren zu verschieden. »Sie ist zu gut für mich,« pflegte er zu sagen; »aber wenn ich auch wollte, daß ich besser wäre – ich kann mich nicht besser machen, als ich bin.«

Wenn Herr von Tissow sich so, halb und halb gezwungen, von einer Frau, die er nicht mehr verstand, zurückzog, hatte er ihr für diese Vernachlässigung, ohne es zu wollen und zu wissen, in seinem Sohne Sven einen reichen Ersatz gegeben. Die beiden älteren Brüder Sven's waren ihrem Aeußeren und Innern nach die Söhne ihres Vaters, sie liebten den Pferdestall mehr als den Salon, und Feld und Wald mehr als den Garten. Es waren Nimrodsnaturen, mit gleichviel Neigung zum Guten wie zum Schlimmen, deren Schicksal voraussichtlich ganz von den Verhältnissen, in die sie gerathen würden, abhing. Sven war der Sohn seiner Mutter. Zwar hatte er mit den Brüdern die stattliche Größe und die Körperkraft gemein, aber das war auch Alles, was an den Vater erinnerte. Wie er die zartbesaitete Seele seiner Mutter geerbt hatte, so fühlte er sich auch mit unwiderstehlicher Gewalt zu dieser hingezogen. Es giebt vielleicht auf Erden kein Verhältniß, das reicher an der seligsten Lust wäre, die ein Menschenherz empfinden kann, als das Verhältniß zwischen einer edlen Mutter und einem Sohne, der ihrer würdig ist. Sven hatte seine Mutter angebetet, so lange er denken konnte. Schon als ein kleiner Knabe hatte er, wenn Krankheit, wie es nur zu oft geschah, sie an das Bett fesselte, stundenlang, tagelang an ihrem Lager gesessen und gewacht, und in den kleinsten Diensten, die er ihr leisten konnte, eine größere Freude empfunden, als an den Spielen seiner Altersgenossen. Diese Liebe hatte in dem Maße zugenommen, als er älter und verständiger wurde und den Werth seiner Mutter wahrhaft schätzen lernte. Aber wenn diese Liebe – was sie nicht that – einen Lohn begehrte, so wurde ihr der allerreichste in der Gegenliebe der liebenswürdigen Frau, in dem unumschränkten Vertrauen, das sie ihm schenkte, in der Sorgfalt, mit der sie die Ausbildung seiner vortrefflichen Anlagen überwachte. – Niemand ist zum Rathgeber unerfahrener Jugend geschickter, als wer in seiner eignen Jugend die Narrenkappe der Thorheit trug, und Verstand genug besaß, dieselbe abzuschleudern, ehe es zu spät war. Nur die Erfahrung macht hier, wie überall, den Meister, und deshalb ist auch nichts lächerlicher, als wenn man Jünglinge, die noch halbe Knaben sind, sich als Erzieher der Jugend, zu der sie selbst noch beinahe gehören, geriren sieht. Der Erzieher des Jünglings Telemach ist nicht wieder ein Jüngling, sondern ein Greis, und Achill hat zu seinem Freunde den Patroklos, aber zu seinem Lehrer den Chiron. So war denn auch Frau von Tissow eine treffliche Erzieherin, und wenn sie die Gefahren schilderte, denen die heißblütige Jugend nur zu leicht erliegt, und die Freuden des Alters, wo der Sturm der Sinne sich gelegt hat, und die Sonne der Intelligenz mild und erquickend aus dem Aether ungetrübter Seelenruhe herniederscheint – so konnte der göttliche Plato selbst nicht schöner, nicht überzeugender sprechen.

Was aber Sven am unwiderstehlichsten zu seiner Mutter zog, war die Entdeckung, die er nur zu bald machte, daß sie außer ihm nichts auf Erden hatte, woran ihr Herz mit vollkräftiger Liebe hing, und daß sie ohne diese Liebe eine sehr unglückliche Frau sein würde. Kinder aus geschiedenen Ehen werden auf vielfache Weise früh dahin geführt, über Verhältnisse, die ihnen noch lange verborgen bleiben müßten, nachzudenken. Da sind Brüder oder Schwestern, die nicht ihren Namen tragen, auch nicht die Kinder ihres Vaters sind, da ist ein Onkel, der, nach allem, was sie hören, früher mit ihrer Mutter verheiratet gewesen sein mußte, und was dergleichen mehr ist. So dauerte es denn nicht lange, daß Sven sich und seine Mutter mit verfänglichen Fragen, wie »weshalb sie von dem Onkel Oberst geschieden sei? warum sie mit dem Onkel nicht glücklich gelebt habe? worin denn eigentlich das Glück einer Ehe bestehe? ob sie jetzt glücklich sei?« und ähnlichen zu quälen begann: und nicht viel länger, daß er sich diese Fragen selbst zu beantworten vermochte, und das Unglück seiner Mutter aus dem Umstande herleitete, daß weder ihr erster noch ihr zweiter Gemal ihrer würdig gewesen waren. Von der Zeit an bildete er sich eine Art von Theorie über den Werth der Frauen und den Unwerth der Männer im Allgemeinen aus, und der Zufall wollte, daß er die Entdeckung, die er in seinem elterlichen Hause gemacht, durch ähnliche Verhältnisse in mehren verwandten und bekannten Häusern bestätigt fand. Fast überall hatten in diesen Kreisen die Frauen, die eine städtische Bildung genossen hatten, von der Roheit, zum mindesten Unkultur der Männer, deren einzige Lectüre oft nur das Amtsblatt und der Rennkalender waren, zu leiden. Sven, der den besten Theil seiner Bildung einer Frau verdankte, sympathisirte mit den Frauen, und nahm auf das leidenschaftlichste für sie gegen die Männer, deren brüskes Wesen seine fein organisirte Natur abstieß, Partei. Seine kluge Mutter sollte nicht Gelegenheit haben, ein Vorurtheil, zu dem sie selbst, ohne es zu wollen, Veranlassung gegeben hatte, zu berichtigen. Als Sven kaum ein halbes Jahr in der Stadt, wohin er zu seiner weiteren Ausbildung gesandt worden war, zugebracht hatte, erhielt er eines Tages einen schwarz gesiegelten Brief von Hause, in welchem ihm sein Vater in dürren Worten den plötzlich erfolgten Tod seiner Mutter meldete. Sie war an einem Herzschlage gestorben. Sven ahnte wohl, daß die Trennung von dem geliebten Sohne, in welche die heroische Frau, obgleich sie wußte, daß sie den Tod im Herzen trug, heiteren Muthes willigte, ihr Ende beschleunigt hatte. Dies Ereigniß riß eine Lücke in Sven's Leben, die selbst die allmächtige Zeit nicht auszufüllen vermochte. Der erste wilde Schmerz legte sich wol, aber die Trauer blieb, und breitete für ihn über das hellste, sonnigste Leben einen grauen Schleier. In das durch den Tod der Mutter verödete elterliche Haus zurückzukehren, war ihm unmöglich. Als er die Schule absolvirt hatte, erbat und erhielt er von seinem Vater die Erlaubniß, die Universität am großen Strome beziehen zu dürfen. Hier verlebte er in dem Kreise lieber Freunde, unter denen Benno, der Sohn des Pastors auf einem der Güter seines Vaters, ein hochbegabter, strebsamer Jüngling, nicht den letzten Platz einnahm, drei stille Jahre, in die nur der Wechsel der Studiengenossen und gelegentliche Reisen während der Ferien einige Abwechselung brachten. Er hatte sich mit dem ganzen Ernst, welcher der Grundzug seines Wesens war, seinen Studien gewidmet. Er wußte es nicht anders, und verlangte es auch nicht anders, als daß er für die Zukunft auf sich selbst und auf seine Kenntnisse angewiesen war. Allein es sollte bald eine Veränderung in seinen Verhältnissen eintreten. Schon während der Zeit, die er auf der Universität zubrachte, war sein ältester Bruder durch einen unglücklichen Sturz mit dem Pferde bei einer Parforcejagd ums Leben gekommen; er hatte kaum die ersten Stadien der Beamtencarriere in der Residenz zurückgelegt, als ihm kurz hintereinander der Tod seines Vaters und seines andern Bruders gemeldet wurde, die beide einer Epidemie, welche zu dieser Zeit in seiner Heimat besonders verheerend auftrat, erlegen waren. So sah er sich in dem Augenblick, wo er majorenn wurde, in dem Besitz eines sehr bedeutenden Vermögens, und in der Lage, ganz seinen Neigungen leben zu können. Er quittirte den Staatsdienst, dessen büreaukratischer Schematismus seinen freien Geist schon anzuwidern begann, und beschloß, die Verwaltung seiner Güter, im Interesse der vielen Menschen, die jetzt auf ihn als ihren Herrn und Patron blickten, selbst zu übernehmen. Aber er fand bald, daß ihm zu diesem Berufe, außer dem guten Willen, beinahe Alles fehlte. Die Güter waren noch auf zwei Jahre verpachtet. Er hoffte noch bis dahin die tabula rasa seiner landwirthschaftlichen Kenntnisse füllen zu können und schrieb an seinen Freund Benno, der in der Universitätsstadt als Docent der Medicin bereits einen nicht unbedeutenden Ruf erlangt hatte, was er ihm zu thun rathe. Benno antwortete: er wisse keinen bessern Rath, als den: Sven möge nur wieder in die Schule gehen, aus der er viel zu früh für ihn (Benno) entlaufen sei, das heißt nach der Universität zurückkehren, um sich in der mit dieser verbundenen landwirthschaftlichen Akademie theoretisch und praktisch zu seinem künftigen beneidenswerthen Berufe auszubilden; dort etwa ein Jahr bleiben und sodann durch Reisen die erworbenen Kenntnisse sichten und festigen. Sven fand diesen Plan viel zu verständig, als daß er nicht sofort darauf hätte eingehen sollen, und schon wenige Tage später hatte Benno das Vergnügen den Freund seiner Knaben- und Jünglingsjahre in die Arme zu schließen, und mit ihm in einer Weinblattlaube bei der Flasche eine jener kurzen köstlichen Sommernächte zu verplaudern, wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft den erhöhten Sinnen gleich nah und dem tiefbewegten Herzen gleich werth und köstlich erscheinen.



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