Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

I n dieser Zeit erwarb sich Madame Schmitz durch ihre sorgsame Pflege um ihren jungen, an Seele und Leib kranken Miethsherrn Verdienste, die er selbst freilich in keiner Weise anerkannte, und die deshalb der kleinen Dame um so höher angerechnet werden müssen. Frau Schmitz hatte mit dem divinatorischen Scharfsinn, den ihr die Natur verliehen und den sie in ihrer früheren Praxis, wo sie die Leidenschaften ihrer Kunden in Rechnung bringen und zum Theil darauf speculiren mußte, bedeutend ausgebildet hatte, sehr bald herausgebracht, daß Sven's Gemüthszustand wol nicht so ruhig war, als es im Interesse des jungen Mannes und auch im Interesse von Madame Schmitz wünschenswerth schien. Madame Schmitz hatte einen instinctiven Abscheu vor der Melancholie, vermuthlich, weil sie dieselbe so oft mit der Unfähigkeit, ausgestellte Wechsel einzulösen, in Verbindung gesehen, und weil sie in ihrer jetzigen Praxis, als Hausbesitzerin und Vermietherin elegant möblirter Wohnungen an einzelne Herren und ganze Familien, die Erfahrung gemacht hatte, daß die meisten Klagen über unregelmäßige Bedienung, zu schwachen Kaffee, rauchende Oefen, schlecht schließende Fenster, musicirende Zimmernachbarn, Lärm auf der Straße u. s. w. von den melancholischen Temperamenten einliefen. Nun waren freilich noch keine Klagen, wie sie sie so oft hören mußte, über Sven's Lippen gekommen. Er war in Madame Schmitz Augen ein Muster-Miether, ein wahres Pracht-Exemplar von einem einzelnen Herrn; aber – Madame Schmitz wußte es – mit melancholischen Miethern ist kein dauernder Bund zu flechten. Sie können sich erschießen – der Fall war wirklich in ihrem Hause mit einem vom Spleen geplagten Engländer vorgekommen – sie können über Nacht auf den Einfall gerathen, daß der Himmel an diesem Orte zu schwer über ihnen hängt und am nächsten Morgen ihre Sachen packen; Madame Schmitz hielt sich in ihrer Eigenschaft als Frau und Wirthin eines Hotel garni verpflichtet, Alles aufzubieten, um der Ursache von Sven's Trübsinn auf die Spur zu kommen. Und es dauerte nicht lange, so hatte die schlaue kleine Person diese Spur entdeckt. Es mußte doch einen Grund haben, weshalb Sven's Opernglas immer auf dem kleinen Tischchen neben seinem Lehnstuhl in der offenen Balkonthür lag; es konnte doch nicht von ungefähr sein, daß Sven in den kurzen Unterredungen, die er mit ihr über wirthschaftliche Angelegenheiten hatte, beinahe jedesmal auf eine gewisse Dame zu sprechen kam; es mußte ihm doch in der Gesellschaft dieser gewissen Dame sehr gefallen, oder er würde wol nicht Abend für Abend in eine gewisse Villa gegangen sein.

So wußte Madame Schmitz schon lange vor dem Hereinbruch der Katastrophe, weshalb Mr. Tomlinson, der gerade unter Sven wohnte, durch einen Schritt, der nächtlicher Weile stundenlang über seinem Kopfe den Teppich des Fußbodens von einem Ende bis zum andern maß, um seine kostbare Ruhe gebracht wurde. Jetzt nun war vollends jeder Zweifel unmöglich. Mr. Durham ertrunken auf einer Wasserfahrt, von der man Sven mit triefenden Kleidern, bewußtlos nach Hause gebracht hatte, – Madame strengte ihr fruchtbares Gehirn an, den eigentlichen Hergang dieser schauerlichen Geschichte herauszugrübeln und kam ihrem Scharfsinne durch gelegentliches Horchen an dem Schlüsselloch von Sven's Zimmer, wenn dieser mit Benno so heftige Unterredungen hatte, erfolgreich zu Hülfe. Madame ging in dem geheimnißvollen Adyton ihres Wohnzimmers, welches sich zur ebenen Erde, rechts von der Hausthür, der Portierloge gegenüber befand, mit sich zu Rathe, was in dieser schwierigen Lage zu machen sei. Es war eine verteufelte Geschichte – gerade so, wie vor vier Jahren als Bob Wesley der schönen Frau den Hof machte, nur daß Mr. Durham nun todt und kalt, mithin die Sache nicht ganz so verzweifelt war, als in jenem Falle. – »Was der Baron wohl gäbe, wenn« – Madame Schmitz sah sich scheu um, denn sie hatte, wie es ihre leidige Gewohnheit war, ihre letzten Worte laut gesprochen; es hatte sie Niemand gehört, es konnte sie Niemand gehört haben; dennoch stand Madame von ihrem Sorgenstuhl auf, schloß die Thür ab, hing ihre schwarzseidene Schürze über das Schlüsselloch, ging dann zu dem altmodischen Secretär, der in der Tiefe der Stube stand, schloß die Klappe auf, nahm aus einer der tiefen Schubladen einen Kasten von Ebenholz, stellte den Kasten auf den Tisch neben die Lampe, und öffnete ihn mit dem silbernen Schlüsselchen, das daran steckte. In dem Kasten lag ein Buch in Maroquineinband, wie es Damen zu benutzen pflegen, um Gedichte, die ihnen besonders gefallen haben, und Aehnliches hineinzuschreiben, außerdem einige wenig kostbare Pretiosen. Madame betrachtete diesen Schatz – es war heute nicht das erste Mal – und wer sie so mit auf die Seite gebogenem Kopfe und blinzelnden scharfen Aeuglein sitzen sah, konnte nicht wohl anders, als an eine alte Ohreule denken, die ein gefangenes Mäuschen, das sie in ihren Krallen hält, nachdenklich betrachtet. Sie klappte das Buch auf und blätterte darin.

»Wer das lesen könnte;« murmelte sie; »er kann's lesen, denn er versteht englisch, was er wohl darum gäbe, wenn er's hätte? Es ist schon vier Jahre alt, aber es steht gewiß vieles darin, was, wenn er's wüßte, ihm nützlich werden konnte. Freilich, freilich! das Andere dürfte ich ihm nicht zeigen, nur im äußersten Falle. Und dann wäre ich's los, und ich möcht's gern los sein. Hm, hm!«

Madame konnte heute Abend zu keinem Entschlusse kommen, auch in den nächsten Tagen nicht. Endlich an einem düstern, regnerischem Nachmittage, legte sie das Buch in Maroquineinband auf den neusilbernen Präsentirteller, auf welchem sie Sven eigenhändig den Kaffee brachte.

Sven hatte bei ihrem Eintreten sich aus dem dumpfen Brüten, in dem er jetzt stundenlang gänzlich versunken war, aufgerafft und ein Buch ergriffen.

»Was bringen Sie mir, liebe Frau Schmitz?« sagte er, ohne die Augen von dem Buche zu erheben.

»Den Kaffee, Herr Baron!« sagte Madame, das Präsentirbrett auf das Sophatischchen stellend.

»Und was ist denn das?« fragte Sven, auf das Buch in Maroquineinband deutend.

Madame's Hand zitterte etwas, während sie schnell die Kaffeesachen ordnete, und ihre Stimme zitterte ein wenig, wie sie mit hastigen Worten, als ob sie es gewaltig eilig habe, sagte:

»Eine englische Dame hat's vor vielen Jahren bei mir liegen lassen; ich wollte es immer einmal dem Herrn Baron zeigen, und ich dachte, daß gerade jetzt, wo der Herr Baron so viel lange Weile – Nein, nun höre Einer diesen Mr. Tomlinson! wie das wieder an der Klingel reißt!« –

Die Haubenbänder flatterten hinter Madame her zur Thür hinaus.



 << zurück weiter >>