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XV.

H ier schloß das Manuscript, dessen Lectüre Sven in einem Zustande unbeschreiblicher Aufregung beendigte. Die Handschrift war ihm gleich im Anfange so bekannt vorgekommen, und jetzt wußte er, weshalb. Er nahm das Billet, das er am Morgen nach jener verhängnißvollen Nacht von Cornelie erhalten, aus der Brieftasche, in welcher er es seitdem beständig getragen, entfaltete es mit zitternder Hand und verglich es mit dem Manuscripte. Es war dieselbe Handschrift mit den schnellen zierlichen Zügen! – Aber was bedurfte es so äußerlicher Beweise! Sprach die Geschichte selbst nicht beredt genug? Paßte nicht Alles Wort für Wort auf sie? brauchte man nicht für Fanny – Cornelie, und für Mr. Brown – Mr. Durham zu lesen, um die wahren Personen dieser Geschichte zu finden? Hatte nicht Cornelie an jenem Abend auf dem Strom ein Verhältniß, wie das hier geschilderte, angedeutet? und hatte sie nicht diese Zimmer bewohnt? wie leicht konnte dieses Manuscript bei der eiligen Abreise damals vor vier Jahren liegen geblieben sein …

Sven sprang auf und riß an der Klingel, daß er den Griff in der Hand behielt. Die Schnelligkeit, mit welcher Frau Schmitz auf diesen Ruf in Person erschien, hätte Jedem, der weniger aufgeregt gewesen wäre, als Sven, wunderbar vorkommen müssen.

»Wie gelangte dieses Buch, das offenbar Mrs. – das offenbar einer Dame, die ich kenne, gehört, in Ihre Hand?« rief er der kleinen Frau heftig entgegen.

Frau Schmitz war über diese brüske Anrede so erschrocken, daß sie sich nothwendig in einer halben Ohnmacht auf einen Stuhl werfen und ihr Gesicht mit einer schwarzseidenen Schürze bedecken mußte.

»Wie kommen sie zu diesem Buch?« wiederholte Sven, ohne auf die zarten Nerven der Angeredeten Rücksicht zu nehmen, in noch heftigerem Tone.

Frau Schmitz sprang wie electrisirt von ihrem Sitze auf und rief:

»Jesus Maria, Herr Baron! ich verstehe ja kein Wort englisch!«

»Gleichviel! Wie kommen Sie zu diesem Buch?«

»Ich will ja Alles erzählen,« rief Frau Schmitz, die Hände ringend: »aber der Herr Baron müssen mir versprechen, mich nicht zu verrathen. Ich wäre eine ruinirte Frau, und ich habe ja doch nur Ihnen zur Liebe die Schreiberei wieder hervorgesucht, die ich eben so gut hätte verbrennen können.«

»Ich verspreche Alles, was Sie wollen, nur reden Sie,« sagte Sven.

»Sehen Sie, Herr Baron,« fuhr Frau Schmitz fort und trocknete sich mit dem Zipfel ihrer Schürze die Augen; »ich bin die ehrlichste Frau von der Welt und mein einziger Fehler ist, daß ich an dem Schicksale der Familien und einzelnen Herren, die bei mir wohnen, einen zu innigen Antheil nehme. Der Herr Baron mögen es mir nun glauben oder nicht, aber ich habe Ihrethalben schon vierzehn Tage lang nicht schlafen können, und mir die Augen fast aus dem Kopfe geweint. Ich kann es nun einmal nicht lassen: ich muß mit den jungen Leuten sympathisiren. Ich weiß es wohl: Jugend hat keine Tugend, aber du lieber Himmel, was man nicht lassen kann, das muß man am Ende doch thun. So habe ich immer mit der armen Mrs. Durham sympathisirt, denn sie ist immer freundlich zu mir gewesen und hat immer mit mir gesprochen, wie eine Dame mit einer andern Dame, und sehen Sie, Herr Baron, darauf halte ich sehr viel, denn –«

»Um Himmelswillen, weiter, weiter!« rief Sven.

»Jesus Maria, wie nervös der Herr Baron in Ihrer Krankheit geworden sind! Ich bin ganz aus dem Text gekommen. Ja, was ich sagen wollte, ich gönnte es Mrs. Durham, daß ihr die Herren den Hof machten und besonders Mr. Wesley, der damals auch hier wohnte und alle Tage mit ihr spazieren fuhr oder ging. Mr. Wesley, müssen der Herr Baron wissen, war ganz toll und blind vor lauter Liebe, so daß es ein rechtes Herzeleid war, es mit anzusehen, gerade wie – nichts für ungut, Herr Baron, aber –«

»Weiter, weiter! Dieser Mr. Wesley hat ja nichts mit der Sache zu thun.«

»Doch, doch, sehr viel! Denn Mr. Wesley lag mir alle Tage in den Ohren, wenn er nur wüßte, ob Mrs. Durham ihn wieder liebte; er wollte seinen Kopf darum geben, wenn er nur ein Wort darüber erfahren könnte, und was dergleichen gotteslästerliche Redensarten mehr sind. Nun hatte ich noch die Geschichte mit Mr. Sorry, der sich auf No. 5 erschossen hat, frisch im Gedächtniß, und ich fürchtete, Mr. Wesley könne es eben so machen, denn der Herr Baron glauben gar nicht, was diese Engländer, besonders wenn sie Flöte spielen, für schreckliche Menschen sind. Meine eisernen Kochtöpfe sind nichts dagegen. Also geholfen mußte werden. Nun hatte ich Mrs. Durham in der letzten Zeit oft schreiben sehen und sie einmal gefragt: was sie denn da schriebe? und sie hatte mir geantwortet: ein Tagebuch. Da fiel mir nun ein, daß ich Mr. Wesley einen rechten Gefallen thun könne, wenn ich ihm einmal für ein paar Augenblicke dies Tagebuch verschaffte, denn ich wußte aus den Romanen, daß in so einem Tagebuche immer Alles steht, was man nur zu wissen wünschen kann. So ging ich eines Tages, als die Durham's ausgefahren waren auf das Zimmer – dies selbe Zimmer, Herr Baron – und richtig! da lag das Tagebuch, das Mrs. Durham vergessen hatte wegzuschließen, hier auf diesem selbigen Tisch, so wahr die heilige Jungfrau mich in Gnaden behüten möge. Ich ging mit dem Buche wieder hinunter und wartete auf Mr. Wesley, der, wie ich glaubte, früher nach Haus kommen würde. Indessen es wurde Abend; er kam nicht, und eben wollte ich das Buch wieder nach oben tragen, da kamen sie alle drei zusammen an: Mr. und Mrs. Durham und Mr. Wesley. Nun war es zu spät, denn, wie sich der Herr Baron wol noch erinnern werden, am nächsten Morgen reisten Durham's ab, und Mr. Wesley ein paar Tage darauf, und ich war von dem Allen so außer mir gebracht, daß ich an das unglückliche Buch gar nicht wieder dachte und auch nicht eher wieder daran gedacht habe, als bis ich sah, daß der Herr Baron in demselben jämmerlichen Zustande war, und damit der Herr Baron glauben, daß ich eine ehrliche Frau bin, so sollen Sie auch den Kasten haben, in welchem das Buch gelegen hat.«

Bei diesen Worten producirte Madame aus der umfangreichen Tasche ihres Kleides das Ebenholzkästchen, und stellte es auf den Tisch; »und die Schnurpfeifereien, die dabei waren und auf die ich nicht zehn Thaler leihen würde, wenn sie mir als Pfand angeboten würden;« – hier griff Madame in die andere Tasche und legte ein paar Schmucksächelchen auf das Kästchen; »und nun ist mein Gewissen so rein, wie das eines neugebornen Kindes.«

Ob das tröstliche Bewußtsein ihrer hohen Moralität für Madame so überwältigend war, oder ob ihre aufgeregten Nerven sich auch nur eine Erquickung schaffen wollten, – sie fing bitterlich zu weinen an, und eilte, mit der einen Hand die Augen bedeckend und die andere zum Himmel erhebend, wie eine tragische Heldin, wenn sie im fünften Acte Gift genommen hat, zur Thür hinaus.



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