August Sperl
Burschen heraus!
August Sperl

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8. Schäumende Becher

Gaudeamus igitur,
iuvenes dum sumus!

Sammlet in den grünen Jahren
eurer Wollust Blümelein;
denn nach den verfloss'nen Jahren
müssen wir des Todes sein.
        Altdorfer Studenten-Liederbuch 1740.

Seit dem Oktober 1812 ruhte das Tagebuch Gerhards unberührt in der Schublade. Auch die schöngeschriebenen Hefte mit den Übersetzungen griechischer Philosophen und Tragiker lagen in Frieden zu oberst auf dem Büchergestelle. Der Frankensenior hatte keine Zeit und keine Lust, seine Erlebnisse und Gefühle niederzuschreiben. Und was kümmerten ihn jetzt noch die alten Griechen? Der Philologe von einstmals war ja längst zum Juristen geworden.

Aber aus den Novembertagen des Jahres 1813 haben sich einige vergilbte Blättlein erhalten, denen der von schwerer Verwundung genesende Krieger ein Stück seiner Bekenntnisse anvertraut hat:

›Sie jagen auf selbstgewählten Wüstenpfaden, die durchglüht sind von einer feindlichen Sonne und besäumt mit bleichenden Gerippen. Und vor ihnen zittert in flimmernder Ferne das Bild eines grünen Haines, blaut die Ahnung rieselnden Wassers – eine trügerische Spiegelung, die mit dem nächsten Lufthauch zerflattert.

›Und weißt du auch, warum diese und jene nicht innehalten können? Siehst du die Gestalten, die hinter ihnen herjagen, sie peinigen mit Nesseln und züchtigen mit Geißelhieben? Und siehst du die Dämonen, die vor ihnen schweben und ihren lechzenden Lippen vortäuschen den schäumenden, ewig unerreichbaren Becher des Glücks? Wer sollte also gepeitscht und also gelockt nicht vorwärts trachten, immer 483 vorwärts – und wenn auch hinten in dämmernder Ferne die Glocken des Glückes wimmernd erstürben?

›Hebe doch einen der ausgedorrten Schädel, die da liegen, vom Wegrand empor und frage ihn, ob er denn stürzen wollte? Grinsend wird er dir antworten: Wer will denn stürzen? Rennen mußte ich, da bin ich gestürzt; glücklich gedachte ich zu werden, da ward ich schlecht.

›Jawohl, keiner, der also dahinjagt auf Wüstenpfaden, seinem Trugbild entgegen, hat die Absicht, schlecht zu sein – nicht der Eroberer, der Hunderttausende mit sich ins Verderben reißt, und nicht der wilde Student, der einer alternden Mutter das Herz bricht – – o nein, nur glücklich wollen sie werden; der brennende Durst nach dem vermeintlichen Glück, der ist ihr Verderben.


›Es ist mir heute unbegreiflich, wie traumverloren, gleich einem Schlafwandler ich damals durch die Morgendämmerung einer großen Zeit, einzig und allein mit mir selber beschäftigt, dahingehen konnte.

›Europa war erfüllt von den grausigen Nachrichten, die in unaufhörlicher Folge aus Rußlands winterlichen Steppen herausdrangen. Wir vernahmen diese Nachrichten, als berührten sie uns kaum, wir tranken und rauften. Und allgemach kamen auf der Heerstraße gehumpelt die bejammernswerten Zeugen der unerhörtesten Niederlage und verwünschten am Wegrande und in den Schenken den heillosen Eroberer, dem sie willenlos ihre Gesundheit geopfert hatten. Wir sahen sie, wir warfen ihnen wohl auch etliche Münzen in den Hut – und gingen weiter, tranken und rauften, sangen und schwärmten.

›Ich kann nicht sagen, daß ich damals, gegen das Ende des Wintersemesters 1812/13, ganz unfleißig gewesen wäre. Im Gegenteil. Mit Eifer hatte ich mich auf das Studium 484 der Rechtswissenschaft geworfen und besuchte die Kollegien fast ohne Unterbrechung. Ich kann auch mit gutem Gewissen bekennen, daß ich – vom Saufen abgesehen – ein durchaus solides Leben führte.

›Je morscher die Stützen meines Daseins wurden, desto hochmütiger zog ich meine Straße. War ich nicht der Senior, dessen Wort weit über die Gesellschaft der Franken hinaus gehört wurde? War ich nicht der gefürchtete Fechter, mit dem keiner leichtsinnig anzubinden versuchte?

›Unleugbaren Einfluß hatte ja Brocken auf meine ganze Lebensanschauung gewonnen. Aber wie schäumte ich auf, als mir eines Tages die Äußerung eines Professors zu Ohren kam: Der wilde Frey ist der Senior der Franken, und Brocken ist der Beherrscher des Frey.

›Brocken mein Beherrscher! Wie lächerlich. Wohl waren wir fast immer beisammen, wohl konnte ich kaum einen Tag leben ohne seinen funkelnden Witz. Aber ich wähnte, daß mich doch eine breite Kluft von ihm trenne. Es gab eine feste Grenze zwischen meiner und seiner Lebensführung.

›Was noch von Gottesbewußtsein in mir gewesen, hatte sein grausamer Spott längst schon fortgeätzt. Nur an etwas durfte er nicht rühren: Ich wollte wenigstens in einem Stücke immer mit gutem Gewissen meines seligen Vaters gedenken. Wohl fragte ich mich zuweilen, warum ich denn nicht auch tun sollte, was viele ringsumher taten, warum ich nicht auch darauf hören sollte, was mir die Stimme der Natur bald heimlich schmeichelnd, bald laut und zornig gebot? Aber zu verführen – scheute ich mich; zu kaufen – ekelte mir. Also, mocht' ich's ansehen, wie ich wollte, immer stand am Ende meiner Gedankenreihe die Pflicht – und sie trug die Züge des Mannes, mit dem ich einst an jenem Silvestermorgen zu Pferd unter dem kahlen Birnbaum gehalten hatte.

›Herrgott, was war ich doch für ein hochmütiger Knabe 485 geworden! Ich gehabte mich als Kommandant eines uneinnehmbaren Platzes und sah nicht, daß schon längst alles unterhöhlt war. Brocken belagerte mich, und ich stand unter dem Befehl meines Dünkels.

›Im Frühjahr 1813 hingen am schwarzen Brette der Universität, hingen an allen Wirtshaustüren gedruckte Zettel in deutscher und französischer Sprache mit der strikten Aufforderung, jedes politische Gespräch zu vermeiden. Aber ich weiß heute noch sehr wohl, daß gerade jetzt rings um uns Reden geführt wurden und Kräfte sich regten, die bislang unerhört gewesen waren. Nur ich und meinesgleichen, wir gingen wie in einem Nebel dahin, einzig und allein beschäftigt mit uns.‹

Soweit dieses Blatt.

*

Damals kam zuweilen in das Kommershaus der Franken ein junger Philister, ein Privatdozent, der längere Zeit in Norddeutschland gelebt hatte und seit Beginn des Semesters an dieser Hochschule lehrte.

Der suchte mit starker Beredsamkeit auf die Burschen einzuwirken.

So fragte er etwa: ›Wie lebt denn ihr in dieser Stadt? Als wohntet ihr auf einer stillen Insel! Raufen und saufen und liebeln, darum dreht sich all euer Denken und Tun. Draußen aber im weiten deutschen Vaterland rührt sich neues Leben, die Säfte steigen empor, und es wächst alles dem Tage der Abrechnung entgegen.‹ Und wieder: ›Habt ihr denn nicht Ohren zu hören, was not tut? Fluch über die selbstsüchtige Sorge, daß es nur uns wohl ergehe, daß sich nur um uns alles lind und weich lege, daß nur wir nicht hungern und dürsten, sondern lange leben und unsere Bäuche mästen – Fluch über die Gier nach solchem Glück, das wohl so wenig ein Glück ist wie das Fett, das sich uns ansetzt.‹ 486 Und wieder: ›Es ist bei Gott nicht gleichgültig, wie du dein Leben führst. Nicht allein um dich und deine Kinder und Kindeskinder handelt sich's – das wäre schließlich deine eigene Angelegenheit. Aber nein, es geht um die Gemeinschaft. Am Staate sündigst du, wenn du dein Leben vergeudest. Nicht dir nur und nicht den Deinen allein gehört deine Kraft, gehört deine Gesundheit. Du bist vor allem des Staates, der dir Schutz gewährte zum Wachsen, zum Entfalten. Und er hat auch jederzeit das Recht, das Seine zurückzufordern.‹

So suchte er auf die Burschen einzuwirken, sie fürs öffentliche Leben zu erziehen. Sie aber soffen und rauften und schwärmten zumeist. –

Ende März hatte Gerhard ein böses Erlebnis. Ihrer sechs Burschen unternahmen eine Fußwanderung ins nahe Waldgebirge. Es hatte lange nicht mehr geregnet, und die Sonne leuchtete vom wolkenlosen Himmel. Zu Mittag machten sie Rast in einer Mühle. Nach dem Essen schlenderte er allein den Abhang hinter dem Hause hinan bis zu einer Lichtung des Waldes, ließ sich auf einen Baumstrunk nieder, stopfte seine Pfeife, schlug Feuer und setzte den Tabak in Brand. Die ganze Waldlichtung war bedeckt mit langem, ausgedorrtem Grase. Da fuhr ihm durch den Kopf, ob denn dies Gras auch wirklich im Handumdrehen Feuer fangen würde? Noch hielt er den Pfeifenstopfer auf den glimmenden Schwamm gedrückt und sog mächtige Rauchwolken aus seinem Rohr. Und es ritt ihn der Teufel, daß er den glimmenden Zunder im Bogen hinauswarf und lachend rief – laß brennen, wenn's brennt! Dann paffte er gedankenlos weiter. Nicht lange. Donner und Doria – wie sprang er in die Höhe. Schon schlugen aus dem dürren Grase die Flammen, schon kroch der braune Qualm über die Wiese. In weiten Sätzen rannte er zur Mühle hinunter. Schreiend liefen die Leute 487 mit Hacken und Schaufeln und Spaten zum Löschen. Über der Waldwiese wogte der Rauch. Gerhard wollte helfen; die Brüder rissen ihn fort. Erst nach etlichen Tagen erfuhr er auf Umwegen: Der Brand war auf die Wiese beschränkt geblieben. Das Feuer hatte nur die ersten Fichten versengt.

Aber so kann einer unversehens zum Brandstifter werden.

Jawohl zum Brandstifter. Und nicht immer sind Leute zugegen mit Hacken und Schaufeln.


Lustige, braune Augen, starke braune Zöpfe, eine niedere Stirn, eine Stumpfnase, runde, rote Backen, gute Zähne und eine zierliche Gestalt – das war die Rike aus dem Hinterhaus, Schusters-Rike, wie man sie nannte. Und so stand sie an jenem Sommermorgen in Gerhards Bude, hielt das frischgesohlte Stiefelpaar in der Hand, sagte einen Gruß von ihrem Vater und guckte mit neugierigen Augen umher.

Der Bursche war aufgestanden und kam heran. Und merkwürdig, oft schon war er all die Semester an Schusters-Rike vorbeigegangen und hatte nichts Besonderes an ihr gesehen. Aber heute gefiel sie ihm wohl.

Schusters-Rike guckte noch immer in der Stube herum und hielt die Stiefel in der Hand. Dann aber begegneten sich ihre Blicke, und es geschah, daß ihr die dunkle Röte vom Hals bis unters Haar emporfuhr.

Er nahm die Stiefel in die eine Hand und erinnerte sich, daß Baron Brocken in solchen Fällen herablassend die Wange zu kneipen gewohnt war. Er selbst hatte das noch niemals getan. Aber es war eine vornehme und leutselige Handlung, und deshalb hob er die freie Hand und gedachte, das hübsche Kind aus dem Volke auf eben diese Weise auszuzeichnen. Nur leider fehlte ihm Brockens Übung, und so tappte er ein wenig unbeholfen nach ihrer Wange. Und als 488 sie nun den Kopf zur Seite bog und die Lippen schmollend kräuselte, da ließ er die Hand sinken und stand verdutzt mit dem Stiefelpaare in der andern Hand vor ihr. Zu sagen wußte er nichts.

Sie griff halbrückwärts nach der Türklinke, machte einen kleinen Knicks und wischte hinaus.

Er stand und zerrte an seinem Bärtchen. Wie ein dummer Junge hatte er sich benommen. Der Brocken war doch viel gewandter als er –!

Er horchte hinaus. Wie ein Eichkätzchen säuselte Schusters-Rike die Treppe hinab. Da öffnete sich drunten eine Türe, und er hörte die Stimme der schwarzen Moral.

»Rike!«

»Jungfer –?«

»Wenn du wieder Stiefel bringst, dann gibst du sie da bei mir ab. Verstanden?«

»Ich hab' nichts Unrechts getan.«

»Von Unrecht ist keine Rede, aber ich will Ordnung haben, und junge Dinger wie du gehen nicht in Studentenbuden. Verstanden?«

Schusters-Rike maulte und stieß trotzig heraus: »Ich hab' aber doch nichts Unrechts getan und ich sag's mei'm Vater.«

»Ganz recht, sag's deinem Vater und deinem Bräutigam, und sie werden dir dasselbe raten. Und jetzt geh und merk dir's für ein andermal.« –

So war's gekommen. Ganz zufällig. Warum hatte er in die Stiefelsohlen Löcher getreten? Warum hatte die schwarze Moral die Stiefel gerade dem Schuster im Hinterhaus gegeben? Warum hatte dieser Schuster seine Tochter zu ihm geschickt? Eine Zufälligkeit an der andern – besser etliche Ringe, in deren letzten man ohne Mühe wieder einen Ring legen konnte und so fort Ring in Ring, eine ganze 489 Kette von Ringen – –! O nein, noch nicht. Nur zwei, drei, vier Ringlein, nette, funkelnde Ringlein, die man mit Daumen und Zeigefinger wegflitzen konnte, wie – wie – nun wie doch gleich? Wie Seifenblasen vom Strohhalm.

Am nächsten Tage nach dem Mittagessen ging Gerhard in das Gärtchen, das zwischen dem kleinen Hinterhause und der Stadtmauer angelegt war, und gedachte zu lesen.

Die Fenster der Waschküche standen offen, und ekelhafter Seifengeruch erfüllte die Luft. Schon wollte er unmutig die Bank verlassen und ins Haus zurückkehren. Da hörte er eine schrille Weiberstimme zwischen dem Geplätscher der Wascharbeit.

»Die hat's auch not, daß sie den Kopf so hoch trägt.«

Eine tiefe Stimme fragte: »Nu, man kann ihr aber doch grad nichts Unrechtes nicht nachsagen?«

Sie schwiegen; nur das Geplätscher war noch zu hören.

»Sie lebt doch rechtschaffen und heißt nit umsonst die schwarze Moral?« begann die tiefe Stimme aufs neue.

»Wenn der Hund alt wird, fallen ihm die Zähne aus,« antwortete die schrille Stimme. »Ich weiß, was ich weiß.«

»Du meinst das Kind? Das ist aber doch ein angenommenes?«

»Jawohl, ein angenommenes wird's sein, ganz recht, angenommen hat sie's.«

»Es sieht ihr schon recht ähnlich,« meinte die mit der tiefen Stimme.

»Ähnlich?« Die mit der schrillen Stimme lachte. »Aus dem Gesicht ist ihr's geschnitten, das sag' ich. Und ich weiß, was ich weiß.«

Eine Zeitlang war wieder nur das Plätschern zu hören. Dann ließ sich die schrille Stimme aufs neue vernehmen: »Sie ist, paß e'mal auf – sie ist im Jahr siebenundneunzig hierher gekommen; meiner Schwester ihr Ältester hat grad 490 laufen können, und ich hab' damals schon etliche Jahr bei ihrer Base gewaschen, von der sie nachher das Haus geerbt hat. Im Sommer siebenundneunzig. Und im Herbst hat sie das Kind angenommen. Weiß noch, wie's auf einmal dagewesen ist, so ein halbjähriges Ding. Na ja. Und ich weiß auch, wo sie vorher gewesen ist: bei einem Wittiber, bei einem Doktor, dem hat sie den Haushalt geführt.«

Gerhard lauschte, und das Herz stand ihm still, als sie nun ganz deutlich seinen Heimatsort nannte. Dann aber schlug es ihm wild auf, und die Hitze stieg ihm ins Gesicht, und er gedachte des Briefes, den er im Schreibtische seines Vaters gefunden hatte.

Da begann die häßliche Stimme aufs neue: »Angenommen soll sie's haben? Mir ist's recht. Aber wenn's heißt, eine Jungfer hat ein Wickelkind angenommen, dann muß ich lachen. Und nur den Kopf soll sie nicht so hoch tragen, das sag' ich. Sonst geht's mich nichts an.« –

Lange saß Gerhard, blickte gedankenlos in sein Buch und horchte, ob er noch etwas erlauschen könnte. Aber die Weiber sprachen von anderen Dingen.

Es war ihm übel zu Mute, es war ihm, als ob nun das Letzte, das hoch über seinem Leben geragt hatte, in den Staub gesunken wäre.

Sein Vater! War's denn möglich?

Jawohl es war möglich. Seine leibliche Mutter war im Sommer 1796 gestorben, seine zweite Mutter im Herbst 1797 ins Haus gekommen. Und er hatte ja auch den Brief der Magd. –

An jenem Abende trank er wilder als je.

Des andern Nachmittags gedachte er wieder ins Gärtchen zu gehen. Da stieß er unter der Türe auf Schusters-Rike. Mit einem Knicks wollte sie an ihm vorbei, er aber vertrat ihr den Weg und begann ein Gespräch. Diesmal geriet es 491 ihm schon besser, und diesmal gelang es ihm auch, sie regelrecht in die Wange zu kneipen.

Leise legte sich ein neues, ein funkelndes Ringlein an die Kette. Ihm aber fiel nun gar nicht mehr ein, das Ringlein wegzuflitzen.

Da öffnete sich hinter ihm eine Türe, und Rike entwich über den Hof.

»Darf ich Sie einen Augenblick bitten, Herr Frey?«

Er betrat die Stube der Hausjungfer.

»Sie werden mir nicht übelnehmen, wenn ich Sie auf etwas aufmerksam mache. Die Rike ist ein gutes, aber leichtsinniges Geschöpf –«

Er fuhr auf, und mit denselben Worten, die vorgestern das Schusterskind gebraucht hatte, stellte er sich gegen die Jungfer. »Ich hab' nichts Unrechtes getan.«

Und mit ähnlichen Worten antwortete sie: »Von Unrecht ist noch keine Rede, aber ich will Ordnung haben.« Dann fuhr sie mit weicher Stimme fort: »Die Rike ist seit einem halben Jahre verlobt mit einem braven, stillen Handschuhmachergesellen, und wir alle freuen uns, daß sie in gute Hände gekommen ist.«

»Meinen nachträglichen Glückwunsch,« sagte der Frankensenior von oben herunter. »Aber was kümmert mich das? Sehe jeder, wie er's treibe. Und trägt manche den Kopf heute hoch und ist streng gegen ihre Mitmenschen, die vielleicht im Jahre1796 gegen einen Witwer nicht gar so –!«

Er kam nicht zu Ende. »Kein Wort weiter, Herr Frey!« Sie stand hochaufgerichtet und sah ihn totenbleich mit entsetzten Augen an. »Wenn Sie es übers Herz bringen, eine wehrlose Frau zu beschimpfen, dann lassen Sie doch wenigstens das Andenken des Mannes –.« Sie wandte sich ab und ging ans Fenster.

Gerhard blieb noch einen Augenblick. Dann ging er trotzig, ohne Gruß aus der Türe.

492 In der Küche gegenüber stand das scheue Mädchen, das mit keinem Studenten sprechen durfte. Er sah das Gesicht durch die Glastüre und glaubte Ähnlichkeit über Ähnlichkeit zu entdecken. –

Am nächsten Abend wollte er ins Kommershaus und kam von seiner Bude herab ins erste Stockwerk, am offenen Fenster vorüber. Da war ihm, als huschte die Rike über den Hof. Er beugte sich aus dem Fenster, und richtig, unten an der Türe stand sie neben einem Manne. Das war wohl der brave Handschuhmacher, der Bräutigam.

Der hatte ihre Hände gefaßt und sprach eifrig auf sie ein. Sie antwortete nichts. Es handelte sich um einen Ausflug, den er am nächsten Tage, einem Feiertage, in ein benachbartes Dorf machen wollte. Gerhard stand über den beiden und lauschte. »Also recht, ich geh' mit,« sagte sie plötzlich ganz laut und wiederholte den Namen des Bierdorfes. Dabei hob sie fast unmerklich den Kopf und lachte einen Augenblick zu Gerhard empor. »Um drei Uhr können wir draußen sein.«

Geräuschlos zog sich der Bursche zurück. ›Also morgen um drei Uhr – gut.‹

Da stand er nun wieder vor einer fremden Wiese, bereit, den glühenden Schwamm ins rascheldürre Gras zu werfen.


Er war der erste im Kommershaus. Bald nach ihm kam Brocken. Der schnitt ein fürchterliches Gesicht und setzte sich nach flüchtigem Gruß in eine Ecke.

»Laß mich!« rief er, als Gerhard neben ihn rückte und ihn fragend anblickte. »Du kannst mir ja doch nicht helfen.«

»Wer weiß?« fragte Gerhard.

In diesem Augenblick kam Graf Johann zur Türe herein und ging auf die beiden zu.

Befehlend rief der Senior: »Abschwenken! Die Burschen 493 haben miteinander zu reden!« Und gehorsam ging der Fuchs ans andere Ende des Saales.

»Der könnte mir helfen,« sagte Brocken und schielte nach seinem Vetter hinüber. »Es ist doch zum Selberaufhängen, wenn man sieht, wie so einer im Überfluß schwimmt. Unsereiner aber – prost Frey, sauf's! Also wisse: heute ist meine älteste Schwester bei mir gewesen – den ganzen Nachmittag.« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ist doch ein Wunder Gottes, was solch ein Frauenzimmer zusammenschwätzen kann. Du aber mußt stille sitzen und zuhören und kannst – wie heißt's doch in der Bibel? – kannst ihr auf hundert nicht eines antworten.«

»Du hast's auch toll genug getrieben,« sagte Gerhard nach einer Weile.

Da fuhr Brocken auf: »Willst du mir auch noch kommen? Aber gib dir keine Mühe. So kannst du's ja doch nicht wie ein Frauenzimmer. O du lieber Herrgott – was hab' ich alles zu schlucken gekriegt. Und jetzt weiß ich's genau: ich bringe die Meinen allesamt an den Bettelstab und den alten Herrn in den Sarg, ich bin der Jammer der Familie – ja, was noch alles? Sauf's, Frey, prosit! Ich muß den schlechten Geschmack hinunterschwemmen.«

»Steht's denn wirklich so schlimm?«

»Schlimm, was heißt schlimm?« Er lachte laut auf. »Könnte ich denn nicht der Bruder von dem Füchslein, von dem Letzten der gräflichen Vettern da drüben sein? Nur der Zweitgeborene – ich wollte ja gar nicht höher hinaus. Aber so – es ist zum Grünwerden. Der's nicht hat, der braucht's blutnötig; und der's hat, der weiß gar nicht, was er damit anfangen soll.«

»Anpumpen!« sagte Gerhard.

»Anpumpen? Nicht ums Verrecken. Wo doch eigentlich alles uns gehörte von Rechts wegen! Denn wir sind die ältere Linie.«

494 Wie ein Stich fuhr dem Senior eine Erinnerung durch den Kopf. Er sah die beiden als Knaben auf der Schloßbrücke stehen und hörte Brockens Stimme von damals: ›Welch ein Narr, seinen Bruder im offenen Torweg zu erstechen!‹ Aber nein, da saß ja vor ihm der honorige Bursche Freiherr von Brocken. Und Gerhard sagte, um überhaupt etwas zu äußern: »Wenn du nur das Spielen aufgäbest.«

Wieder brauste der andere auf: »Ich will keine Moralpredigt. Schau, ich hab' nun zwei Möglichkeiten: Entweder ich häng' mich auf – und das wäre das Einfachste. Oder ich ziehe den bunten Rock an und kämpfe für Deutschlands Freiheit gegen den Tyrannen – wie man sich jetzt so erhaben ausdrückt. Welche von beiden Todesarten ich wähle, das wird sich zeigen. Prost, Frey, sauf's! – Ha, nun wird mir schon besser zu Mute.«

Jawohl, es wurde ihm besser zu Mute. Und so toll wie an jenem Abend hatte man ihn schon lange nicht mehr gesehen.


Am nächsten Morgen lag Gerhard noch im wüsten Halbschlaf. Da kam Graf Johann vom ersten Stockwerk herauf und trat an sein Bett. »Ja so, heute ist Sonntag,« sagte der Senior gähnend und schielte auf das Gesangbuch, das der Fuchs in der Hand hielt. »Gute Andacht, mein Lieber.« Feierlich klangen die Kirchenglocken zusammen, als dieser sagte: »Gerhard, ich möchte dich bitten, befreie mich für heute nachmittag vom offiziellen Exbummel.«

»Warum denn?«

»Ich möchte den Tag in der Stille begehen.«

»Raus mit der Sprache!«

»Ich scheue mich zuweilen, etwas geradeheraus beim Namen zu nennen. Ihr habt so wunderliche Ansichten von dem, was sich schickt und was sich nicht schickt.«

495 »Das mag nun wieder etwas Sauberes sein. Raus damit!«

»Es ist heute der Todesjahrtag meines seligen Großvaters.«

»Weiter nichts? Und der alte Herr ist ja doch schon so lange tot. Deshalb willst du daheim bleiben, vielleicht auch noch zur höheren Feier in die Nachmittagskirche schlüpfen?«

»Ich bin von Jugend auf gewöhnt, diesen Tag in der Stille zu begehen.«

Mit einem Fluch setzte sich Gerhard auf: »Du gehst mit uns und damit basta.«

Wortlos schlich der Fuchs aus der Türe.


Truppweise zogen die Burschen im Sonnenscheine dem Bierdorfe entgegen – die Franken insgesamt. Und sie gedachten, sich aus Leibeskräften zu vergnügen.

Unterwegs holten sie den Bierlupf ein, der schwerfällig, auf seinen Ziegenhainer gestützt, demselben Ziele entgegenwallte. Und es schickte sich, daß Gerhard mit ihm hinter den andern zurückblieb.

Nach einer Weile machte der alte Mensch halt und atmete schwer: »Ihr lauft ja wie die Schneider; da komm' ich nimmer mit.«

»So wollen wir langsam gehen.«

»Recht so, Frey! Du bist doch im Grund immer so gegen mich gewesen, wie sich's für ein junges Semester geziemt.«

»Danke für die gute Note im Betragen.«

»Jawohl, schon als Fuchs, Frey; das will ich dir auch niemals vergessen.«

Gerhard schwieg. Der Bierlupf aber setzte sich wieder in Bewegung und fuhr trübselig fort: »So 'was merk' ich mir fein. Wenn auch wohl die meisten glauben, daß ich gar kein 496 Gefühl mehr habe für die Schicklichkeit – na ja, Herr du mein Gott, was treiben doch die Füchse und die Burschen oft Schindluder mit mir.«

»So halte dich wie ein honoriger Bursche, und du wirst nimmer zu klagen haben. Im übrigen kann ich dafür sorgen, daß sie's nicht gar zu arg machen.«

»Das wird wenig helfen,« meinte der Bierlupf und blieb wieder stehen. »Was einem gebührt, das wird einem zuteil.«

»Nur keinen moralischen Kater mimen, Verehrtester! Und heute bist du mein Gast.«

»O, ich danke dir sehr, du bist zu freundlich. Aber weißt du, für heute hat mich schon dein Telemach eingeladen. Höre, das ist doch ein netter Fuchs. Ganz anders als die unbarmherzige Bande, die andern. Immer grüßt er mich zuerst, ob wir uns nun daheim auf der Stiege oder auf der Straße begegnen. Du sag einmal, warum habt ihr denn schon so viele von seinen Konfüchsen rezipiert und ihn immer noch nicht?«

»Wir werden unsere Gründe haben.«

»Es geht mich ja nichts an, Frey, aber glaub mir, der wird ein honoriger Bursch, dafür hab' ich den Blick.«

»Zuerst müßte er sich doch überhaupt einmal schlagen!« fuhr Gerhard heraus. »Und dazu will ich ihn allerdings so bald als möglich bringen.«

»Wenn's darauf allein ankäme,« meinte der Bierlupf trübselig, »dann müßte ich heute noch der honorigste Bursche von allen sein.«

»So mach halt der schwarzen Moral die Freude und steig ins Examen!« höhnte der Senior.

»Wer weiß?« Der alte Mensch blieb wieder stehen und sah Gerhard mit schwimmenden Augen an. »Ich glaub', ich komm' doch noch zum Ziel.«


497 Bald nach den Franken zogen auch die Preußen in den Biergarten ein, und mit scheelen Blicken sahen die Handwerksgesellen auf die verhaßten Studenten. Anders ihre Schätze – die freuten sich sehr.

Nachlässig mit dem Ziegenhainer fuchtelnd spazierte der Frankensenior zwischen den Bänken und spähte nach der Schusters-Rike. Aber sie war noch nicht da.

Die Blechmusik erklang in wilden, kreischenden Mißlauten, und auf dem Podium drehte sich mit Stampfen ein Knäuel von Tanzenden – alles bunt durcheinander, Studenten und Gesellen.

Gerhard kam zu den Tischen der Franken zurück. Die meisten Plätze waren leer, und die blanken Zinndeckel funkelten im Lichte der Sonne. Gelangweilt saß der junge Graf neben dem Bierlupf.

»Na, Johann, wirst du nicht tanzen?«

»Habe nicht die geringste Lust.«

»Fuchs, ich glaube, du bist wieder einmal vom Hochmut besessen?«

»Ich habe allerdings mein Leben lang noch niemals in solcher Gesellschaft verkehrt.«

»Laß ihn doch in Frieden,« mischte sich der Bierlupf ein.

Da ging der Senior nahe an den Fuchsen heran: »Augenblicklich zum Tanz antreten!«

Der Graf erhob sich.

»Da drüben am zweiten Tisch sitzt eine – geh hin und hol sie!«

Gehorsam ging der Fuchs an den zweiten Tisch und führte die Magd auf das Podium.

Nach wenigen Minuten kam er mit vergnügtem Lächeln zurück.

»Schon fertig?«

»Der lange, dürre Student, der Königsberger, der seit 498 etlichen Wochen bei den Preußen verkehrt, hat mir das Stück abgenommen.«

»Und du hast dir's gefallen lassen?«

»Aber ich bin doch heilfroh, daß ich sie los habe.«

»Antworte, hat er dich höflich um Erlaubnis gefragt und auf deine Entschließung gewartet, wie sich's gebührt?«

Baron Brocken trat neben die beiden und hörte schweigend zu.

»Aber Frey, du bist doch zu streng gegen mich. Er hat zwar keine lange Rede gehalten, aber ganz vernehmlich pardon gesagt.«

»Dann gehst du augenblicklich zurück und nimmst sie dem frechen Burschen mit einem ebenso vernehmlichen pardon wieder ab.«

»Wenn mir aber gar nichts daran liegt, wenn ich überhaupt nicht mehr tanzen mag mit dem gräßlichen Stück?«

»Ohne Gegenrede!«

Der Bierlupf war aufgestanden und zischelte ins Ohr des Seniors: »Ich bitte dich, überleg's. Dieser Königsberger soll ein ganz gefährlicher Raufbold sein.«

»Ohne Gegenrede!« wiederholte Frey.

Mit gesenktem Kopfe ging der Fuchs aufs Podium zurück. Brocken aber sagte zu Gerhard: »Recht so.«

Dann kam der Graf wieder und berichtete mit weißen Lippen: »Er hat mir einen dummen Jungen aufgebrummt.«

»Also –!« sagte Frey.

»Also –!« sagte auch Brocken.

»War nun das auch der Mühe wert?« murmelte der Graf.

»Du wirst ja wissen, was nun folgen muß?«

»Selbstverständlich. Aber tanzen muß ich heute wohl nicht mehr?«

Langsam ging er dem Ausgange zu.

Da sagte der Bierlupf zornig: »Ich begreife dich nicht, 499 warum du das Füchslein auf den alten Raufbold gehetzt hast.«

Gerhard würdigte ihn keiner Antwort.

»Recht so –,« sagte Brocken. »Prost, Frey!« –

Und dort kam ja nun endlich die Rike, die Schusters-Rike mit ihrem braven Bräutigam.

Herr des Lebens, was für ein furchtbar dummes Gesicht muß doch dieser Handschuhmacher mit sich herum tragen! Aber die Rike – Donner, wie fein hat sich die Rike geputzt und wie lacht sie dem Senior von weitem entgegen.


Abend war's, und spärliche Papierlampen erhellten notdürftig das Podium und die Tische.

In die eine Hälfte des Gartens hatten sich die Handwerksgesellen mit ihren Schätzen zurückgezogen, in der andern saßen die Burschen.

Ohne viel Reden war's zu einer Art von Verständigung gekommen: Immer der eine Tanz gehörte den Burschen, der nächste den Gesellen. Die Mädchen aber waren Gemeingut und flogen aus einem Arm in den andern.

So konnte man's ja noch ertragen, wenngleich die Verteilung nicht sonderlich gerecht war. Aber was wollten die Gesellen gegen die Überzahl der Burschen? Sie machten böse Miene zum Spiel, murrten untereinander und tanzten, soviel sie erwischten.

Nur eines ging wahrhaftig nicht an. Das durfte sich der Bruder Handschuhmacher denn doch nicht gefallen lassen: Noch kein einziges Mal hatte er mit seiner Braut tanzen können. Fortwährend fegte diese mit dem Frankensenior herum, der sich für seine Person nicht im geringsten an das stille Abkommen kehrte. Zum Teufel, war das nun die Braut des Gesellen oder des Burschen? Und warum saß sie denn nicht einmal in den Pausen bei Ihresgleichen, sondern bei den Studenten, die Gans?

500 Der arme Bräutigam schnitt ein trübseliges Gesicht und trank einen Krug nach dem andern leer. Besseres konnte er wirklich nicht tun. Sollte er vielleicht den vornehmen Burschen zur Rede stellen? O nein, das hätte er niemals gewagt. Nur seiner Rike mußte er's auf dem Heimweg sagen, vielleicht gar auch morgen ihrem Vater, wenn sie's nicht einsehen wollte. Bei dem fand er dann sicher sein Recht. Aber die andern ließen ihm keine Ruhe. Jeder, dem die Wut bis in den Hals hinaufkochte, trat hinter den Geprellten und hetzte an ihm. Und zuletzt sah's der Handschuhmacher auch ein. Das Bier und das Ehrgefühl siegten über seine Bescheidenheit. Er stand auf. ›Recht so, geh hin, laß nit aus, er muß dir sie geben!‹ So schwirrte es um ihn her. Und auf unsicheren Beinen stelzte er zum Podium, kletterte hinauf, schnitt ein grimmiges Gesicht und wartete am Rande, bis die Musik aussetzte und die Tanzenden verschnauften. Und als die Rike mit ihrem Studenten vorbeikam, zerrte er sie am Rock: »Ob du jetzt mit mir tanzen willst oder nicht –?«

»Mit mir tanzt sie,« herrschte ihn Gerhard an.

»Das wollen wir einmal sehen – wer hat sie denn zum Tanz geführt, ich oder Sie? Und jetzt tanzt sie mit mir.«

Da versetzte Gerhard dem Handschuhmacher einen Stoß, daß dieser über den Rand des Podiums taumelte und in den Knäuel seiner Mitgesellen hinabfiel.

Das war das Zeichen zum Kampfe. Die Mädchen kreischten, die Männer brüllten. Mit geschwungenen Ziegenhainern drangen sie aufeinander ein. Und wie Hasen flohen die Mädchen auf die Straße hinaus.

Aber der Kampf war ungleich, und nach kurzem Geschiebe sahen sich die Gesellen aus dem Garten gedrängt.

Mit dem Tanzen war's nun freilich vorbei; denn was Röcke trug, hatte sich aus dem Staube gemacht. Aber was 501 kümmerte das die honorigen Burschen? Man konnte ja den Abend auch bei den Klängen einer schauderhaften Musik verkommersieren. Und das besorgten sie redlich bis gegen Mitternacht.

Auf dem Heimweg war Vorsicht geboten. Denn wer wußte, ob einem die Knoten nicht auflauerten? Deshalb marschierten auch die beiden Gesellschaften in einem Haufen einträchtig dahin.

Grundlose Sorge. Die Straße war leer. Ungehindert gelangten sie zum Tore und schellten den Wächter heraus. Ein jeder entrichtete seinen Kreuzer, dann gingen sie auseinander, dahin und dorthin.

Ein großer Trupp war singend auf den Marktplatz gekommen. Da ertönten schrille Pfiffe, und von allen Seiten rannten dunkle Gestalten herzu. Mit Macht aber brüllte der Frankensenior: »Burschen heraus –!«

Hinter den Fenstern ward es helle.

»Burschen heraus –! Burschen heraus –!« gellte es über den dunkeln Markt und pflanzte sich fort in die Gassen und Gäßlein der schlafenden Stadt. Haustüren schlugen. Von allen Seiten kamen sie gerannt, Studenten und Gesellen. Pfiffe tönten. Weiber schrieen aus sichern Fenstern nach der Polizei. Und auf dem weiten Platze wogten die tobenden, kämpfenden Burschen und Knoten.

Es war ja keine Seltenheit, daß diese Erbfeinde einander dergestalt in die Haare gerieten, und daß die Gassen widerhallten von den Pfiffen der Knoten und vom uralten Kampfruf der Studenten – Burschen heraus –! Was lag auch viel daran, wenn sich die gelehrte und die ungelehrte Jugend einmal nach Herzenslust verprügelte? Aber in dieser Nacht wurde es Ernst. Als sich die Polizei endlich aus ihrer Höhle herauswagte, waren die Kämpfenden zerstoben, und auf dem Marktplatze, neben dem Brunnen, lag röchelnd 502 ein fremder Handwerksgeselle, todwund, mit einem Stich in der Brust.


Am andern Tag schwirrte durch die Werkstätten ein Gerücht und wollte nimmer verstummen. Wer hat's getan? Der Lange, Dürre, der vor wenigen Wochen zugereist ist und bei den Preußen verkehrt, der hat es verbrochen.

Aber die besonnenen Bürger und Familienväter unterdrückten nach Kräften die lästige Rede: Wer will das so gewißlich behaupten? Wie leicht kann man sich irren! Ja, wenn einer von den Unsern erstochen wäre – ja, da wollte man der Sache schon auf den Grund kommen. So aber, wegen des fremden Schneidergesellen, der seit vierzehn Tagen erst hier gearbeitet hat? O nein! Denn mit unsern Herren Studenten ist nicht gut anbinden, wer weiß – wenn man sie beleidigt, dann ziehen sie fort aus der Stadt, und die Bürger haben das Nachsehen. Bürger und Studenten müssen zusammenhalten. Aber die Bürger leben von den Studenten, und nicht die Studenten von den Bürgern.

Und wie diese, so dachten noch manche im Städtlein. Es gab etliche Verhöre, aber die Zeugenaussagen waren unklar und widersprachen sich. Und die Sache verlief endlich im Sande. –

Der wilde Frey ging in diesen Tagen nicht aus. Er hatte einen Stockhieb im Gesicht davongetragen.

Gewiß, es war ihm unbehaglich zu Mute. Aber was konnte er schließlich dafür? Warum hatte ihn einstmals Konstanze verschmäht, warum hatte ihm Schusters-Rike die Stiefel gebracht, und warum war ihm die schwarze Moral zu nahe getreten? Warum hatte er zufällig die Abrede des Handschuhmachers belauscht? Und warum hatte ihm der dumme Mensch das harmlose Tänzlein nicht gönnen wollen? So und nicht anders lief doch die Kette.

503 Jawohl, so lief die Kette.

Freilich, daß am letzten Ring dieser Kette ein Toter hängen würde, wer hätte solches geahnt?

Ja, es war dem Burschen in Wahrheit schrecklich zu Mute tief drinnen im Herzen. Aber davon ließ er die andern beileibe nichts ahnen.

*

Gerade damals erhielt Gerhard einen Brief von Wolfgang Eysen – nur wenige Sätze, in Hast auf einen Fetzen Papier geworfen:

›O Gerhard, in welcher Luft atme ich nun! Luft, was sage ich? Der Sturmwind braust und reißt uns Burschen mit sich fort. Seit dem März bin ich unter den Waffen. O Gerhard, wie steht's denn bei euch, bei meinen lieben Franken insgesamt? Vergebens spähe ich nach euch aus. Warum so lange? Auf, auf, was zögert ihr? O könnte ich einen Tag nur zu euch kommen und durch die alten Gassen rennen und rufen aus tiefer Brust: Burschen heraus – Burschen heraus – Burschen heraus in den heiligen Kampf!‹

*

Wolkenlos blaute der Himmel über dem sommerlichen Frankenlande; frischer Wind trug den Staub der Straße von trabenden Roßhufen hinaus auf die Wiesen.

Vor zehn andern Burschen trabte Gerhard. Sie waren auf einem Ritt in die große, benachbarte Stadt.

Er saß so schulgemäß im Sattel, als ritte er in der Reitbahn. Er hatte die Lippen zusammengepreßt und blickte geradeaus.

Brocken war lange Zeit hinter allen andern getrabt. Nun gab er dem Braunen die Sporen und galoppierte nach vorn. Als Gerhard die klappernden Hufschläge auf der harten Straße vernahm, wandte er den Kopf und rief zornig: »Pferdeschinder!«

504 »Ich will dir's nicht krumm nehmen, wenn's auch kommentwidrig ist,« sagte Brocken und ließ seinen Gaul in Trab fallen. »Warum reitest du auch in solchem Tempo voraus?«

»Weil's mir behagt.«

»Und warum bist du so ungnädig, wenn mir die Frage erlaubt ist?«

»Den Ehrenhandel des Grafen hätten wir anders deichseln müssen.«

»Ist alles kommentmäßig vor sich gegangen,« sagte Brocken gleichmütig. »Und am Montag tritt mein Herr Vetter auf die Mensur.«

»Ich aber bin schuld daran!« rief Gerhard zornig. »Und wer von uns kennt ihn denn eigentlich, diesen Fremden, diesen Zugereisten aus Königsberg?«

»Pah – kennen! Wer kennt denn überhaupt den andern? Daß er ein honoriger Bursch ist, beweist sein Verkehr mit den Preußen. Das muß uns genügen.«

»Habt ihr schon eine Bude?«

»Die Kammer neben der Deinen.«

Gerhard fuhr zurück: »Das geht nicht.«

»Wegen der schwarzen Moral?« fragte Brocken lauernd.

»Es kann nicht sein,« wiederholte Gerhard. »Seht euch nach einer andern Bude um.«

»Bedauere, heute ist Samstag, heute schon werden die Waffen hingeschafft.«

Gerhard stieß einen Fluch aus.

»Sachte mein Lieber. Ich bitte, ruhig zu überlegen. Wo wären wir sicherer als im Hause der schwarzen Moral?«

Gerhard schwieg.

»Gelt, du weißt nichts dagegen? Und nun – eine devote Bitte: wollen der Herr Senior geruhen, sich zu freuen mit den Fröhlichen. Die Sonne lacht.«

505 Gerhard atmete tief auf und sagte: »Bist denn du so vergnügt, Brocken?«

»Ich will mich vergnügen,« antwortete der Bursche, und seine Zähne blinkten im verzerrten Gesicht. –

Gerhard ritt schweigend fürbaß. Ein Bild wollte ihm nicht aus dem Sinn. Er sah sich in der Stube der alten Gräfin, er fühlte, wie sie die Hände auf seinen Scheitel legte, er sank im Sattel zusammen wie damals auf dem Samtstuhle, er hörte aus weiter Ferne die eindringliche Stimme: ›Ich binde meinen Enkelsohn in Ihr Gewissen.‹

»Wir wollen lustig sein!« rief er plötzlich: »Hurra – wer reitet mit mir?«

Er rief's mit gellender Stimme zurück und parierte sein Pferd.

»Lustig sein!« schrie Brocken neben ihm und schwenkte den Hut.

Heideland dehnte sich gegen Osten, bis hinauf zu einem fernen, dunklen Walde.

Alle elf hielten am Straßenrande.

»Wir trotten da im Staube, wie wenn wir mit einer Leiche zögen,« rief Gerhard. »Pfui Teufel, sind wir Burschen, des Namens wert?«

Seine Augen suchten über die Heide hin.

»Seht ihr die einzelne Föhre dort drüben vorm Wald?«

»Jawohl.«

»Wie weit, Stöpsel, zu gehen?«

»Zwanzig Minuten.«

»Laßt uns um die Wette bis zur Föhre reiten. Die vier Letzten bezahlen die Zeche.«

»Na, hör mal, das kommt doch weniger auf uns als auf die Beine von unsern Schindmähren an,« meinte einer etwas kleinlaut.

»Wer tut mit?« rief Gerhard und setzte über den Graben.

506 Sie folgten ihm alle, sie richteten sich in eine Reihe.

»Auf drei – los!« rief der Senior. »Eins – zwei – drei!«

Sie stoben über das Heideland, eine Kette Rebhühner stieg auf, eines der Pferde brach seitwärts aus und ging durch. Zehn Reiter jagten nahezu geschlossen über die sanft ansteigende Fläche. Dann löste sich der Braune des Freiherrn von den andern und raste voran. Schnaubend folgten die neun.

Vor den Reitern zog sich Ginstergestrüpp quer über die Heide.

Brocken war weit voran. Da hob er die Hand und parierte hart vor dem dunkelgrünen Streifen sein Pferd, riß es herum und trabte zurück.

»Halt!«

»Warum halt?«

In einem Haufen standen die schnaubenden Rosse.

»Das wär' uns übel bekommen. Pfui Teufel, hinter dem Ginster zieht sich ein tiefer Hohlweg von der Höhe herunter.«

»Pah!« rief der Senior. »Ein honoriger Bursche setzt über den Hohlweg.«

»Pfui Teufel, ich nicht,« lachte Brocken. »Ich fürcht' mich.« Er zog die Schultern hoch.

»Fürchten? Brocken fürchtet sich!«lachten sie durcheinander.

»Und warum denn?«

»Selber hingucken!«

Einer der Burschen trabte hinauf, warf einen Blick in den Hohlweg und ritt zurück. »Pst! – Ein Leichenzug kommt von der Höhe herab.«

Nun galoppierten auch Gerhard vor bis an den Rand des tiefen, engen Hohlweges.

Vom fernen Wald herunter kam der stille Zug. Voraus schwankte das vergoldete, florumhüllte Kreuz. Ein alter Mann 507 mit entblößtem Haupte trug die hohe Stange. Dahinter schwankte auf niedrigem Wagen der Sarg, und hinter diesem kam das schwarze Gewimmel der Leidtragenden.

Nun hielten alle Burschen auf ihren schnaubenden Pferden am Rande und blickten neugierig dem Zuge entgegen.

Da wandte Gerhard seinen Gaul und rief: »Ein Mordsspaß – zurück!«

»Aber was willst du denn, Frey?«

»Zurück!«

Sie trabten ihm nach, bis er halt machte.

»Ich hab's gesagt, ein honoriger Bursche setzt über den Graben.«

»Jawohl, nachher.«

»Jetzt –!« rief Gerhard mit verhaltener Stimme.

Er trabte noch weiter zurück, zweihundert Schritte und mehr. Die andern machten ihm Platz. Offen dehnte sich die Heide bis zum Hohlwege hinauf.

»Pfui Teufel, er tut's!« brummte Stöpsel.

Schrittweise schwankte das Kreuz heran, seltsam anzuschauen, als glitte es, umflort und doch noch matt funkelnd, ganz allein zwischen den Ginsterbüschen einher.

Gerhard sprengte an – im Galopp – in der Karriere. Neugierig sahen die Burschen zu. Jetzt war er am Rande des Hohlweges und jetzt, dicht hinter dem gleitenden Kreuzlein, setzte er hinüber, arbeitete sich auf der andern Seite hinauf und raste zum fernen Walde.

Zuerst war alles still.

Dann kreischten Weiber, Männer schrieen, und das Kreuz versank zwischen dem Gestrüppe.

Unschlüssig hielten die honorigen Burschen. Droben am Waldrand aber schwenkte der Springer sein weißes Tuch.

Köpfe tauchten über das Gestrüppe empor. Wilde Rufe ertönten.

508 »Sauve qui peut!« rief einer der Burschen und galoppierte zurück, der weißblinkenden Straße zu. Die andern folgten ihm. Nur Brocken schwenkte zur Linken ab und trabte den Hohlweg entlang. Wo dieser ins Flache auslief, setzte er hinüber und sprengte hinauf, dem Walde zu.

Mit verzerrtem Gesichte rief Gerhard dem Freund entgegen: »Famoser Witz – nicht?«

»Vorwärts!« rief Brocken. »Was stehst du so ungedeckt? Könnte nicht einer von den Kerlen sich deine Visage etwas schärfer beschauen, als dir lieb wäre?«

»Oho!«

»Na dann fort!«

Und sie ritten durch den Wald, im weiten Bogen zurück auf die Straße, den andern nach, der großen Stadt entgegen.

*

Bis gegen Abend kneipten die Burschen. Dann trat Brocken hinter den Freund und flüsterte: »Es ist nun genug. Odi profanum vulgus – wir drücken uns beiseite. Ich weiß 'was anderes – geh mit!«

So sagte er, und so kam's. Unhörbar kam's, auf samtenen Sohlen wie ein zartes Kätzlein kam's und machte sich mit leisem Schnurren heran.


Es war ein heimliches, im verlassenen Stadtgraben verstecktes Gärtlein mit einem dicken, alten Turm. Dort saßen sie unter einem jungen Lindenbaum am grünen Tisch allein beieinander.

Gerhard schlürfte den starken Wein, berauschend dufteten die Sommerblumen ringsumher, jubelnd zirpten die Heimchen. Und Brockens Augen – immer wieder mußte Gerhard über sein Glas hinüber in diese unergründlichen, lustfunkelnden Augen sehen.

509 »Was hast du denn, Brocken?«

»Einen Festtag. Prost, Bruder.« –

Die Abendröte glühte über die Mauer herüber. Ganz allein saßen die Burschen.

Eine Alte bediente. Jetzt lehnte sie drüben unter der Türe des finstern Turmes. Eine widerliche Alte, mit häßlichen Augen. Aber der Wein, den sie brachte, war stark und kühl. Und berauschend dufteten die Blumen in den Beeten.

So ging die Sonne hinunter, und die Dämmerung senkte sich über den Garten.

Dann aber – ja dann –. Brocken wandte das Haupt ein wenig zur Seite und zog lächelnd den Mundwinkel zurück. Der Kies knirschte unter dem schlanken Ding, das vom Turme herankam. Gegangen kam? O nein, nicht gegangen – geglitten mit fast unmerklichem Wiegen des Oberleibes.

Einen Augenblick blieb sie stehen, als erschräke sie beim Anblick der Fremden, und preßte die flache Hand auf die Brust. Dann aber –. Dem wilden Frey stieg es heiß ins Gesicht, als sie mit gesenktem Köpflein herzutrat.

Verlegen erhob er sich und verneigte sich wie vor einem vornehmen Frauenzimmer. Brocken aber war sitzen geblieben, warf ihr hinter dem Rücken des Bruders eine Kußhand zu und sagte mit weicher Stimme: »Nehmen Sie Platz, schönes Kind!«

Gerhard wunderte sich, daß sie beim Tonfall dieser Stimme nicht umkehrte. Aber schon saß sie mit gesenkten Augenlidern auf dem äußersten Ende der grünen Bank, den Burschen gegenüber, und faltete die Hände im Schoße.

Gerhard wandte die Augen nicht von dem feinen, schmalen Gesichtchen, das hold erglühte im letzten Scheine der Abendröte. Er hob das Glas und tat einen tiefen Zug. Und um die Welt hätte er nichts zu sagen gewußt.

510 Da war's ihm, als hörte er aus weiter Ferne eine Stimme, die leis und dringend seinen Namen rief. Er lauschte.

Zurückgelehnt, mit eingekniffenem Mundwinkel, saß Brocken und beobachtete den Bruder von der Seite her.

Torheit. Niemand hatte gerufen. Wer sollte ihm rufen? Wer hatte überhaupt noch ein Recht ihm zu rufen?

»Deine Laute, schönes Kind –?« fragte Brocken.

Da hob sie die Lider, richtete ihre dunkeln Augen auf Gerhard und nickte.

Die Alte kam und brachte Wein und hatte ein brennendes Papierlaternchen an einen Ast über dem Tisch. In rosafarbigem Lichte saßen die drei.

»Trink, schönes Mädchen,« sagte Brocken und goß ihr ein Glas voll. Dann schenkte er sich und dem Bruder ein. »Prosit!«

Es war Gerhard, als verzöge sich ihr Gesicht in heimlichem Lächeln. Aber sogleich lag wieder der rührende Ernst von vorhin auf den blassen Zügen, und mit niedergeschlagenen Augen stieß sie ihr Glas an die klingenden Gläser der Burschen, hob es an die Lippen und nippte –. Ach nein, schon hatte sie das große Weinglas auf einen einzigen Zug geleert und wischte mit dem Rücken der Hand über ihre Lippen, sprang empor, lief wie ein Wiesel zum Turme, und ehe Brocken auf eine leise Frage des Bruders geantwortet hatte, war sie zurück mit einer Laute im Arm.

Nun aber setzte sie sich nicht mehr so ehrbar wie vorhin, sondern war mit einem zierlichen Sprung auf der Bank, setzte sich auf die Lehne, schlug ein Bein über das andere und begann die Saiten zu zupfen.

Die Blumen dufteten, der Wein funkelte, das Laternchen leuchtete, die Heimchen zirpten im Grase, und drüben, auf der Schwelle des Turmes, kauerte die Alte und hatte die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen.

511 Das Mädchen aber sang halblaut das erste Lied.

In Gerhards Adern brannte das Feuer des schweren Weines. Er trank und trank und starrte und lauschte. Zuweilen hoben sich ihre langwimperigen Lider, und mitten im Gesang richtete sie die großen Augen auf ihn – und er atmete tief und schwer, starrte und trank.

Die Alte brachte Wein und Wein und Wein. Und wie die Burschen tranken, so trank das Mädchen. Ihr Antlitz rötete sich, wilder und wilder wurde ihr Spiel, lockend ertönten ihre Lieder, lockend und wühlend.

Gerhard saß in einem süßen Taumel und fühlte sich ledig aller Erdenschwere. Er sah nichts mehr als die Eine da drüben – den Inbegriff aller Sehnsucht.

Und dann? – Ja, dann brach sie plötzlich den Gesang ab, sprang zur Erde, setzte sich neben ihn und legte zutraulich den Arm um seine Schultern.

Er schielte nach dem spöttischen Freunde hinüber. Aber Brockens Platz war leer. In der Finsternis irgendwo knirschte der Kies, und es dünkte Gerhard, als klänge leises Lachen aus der Ferne herüber.


Ekel und pfui – das war gefälschter Wein gewesen. Kann er denn jemals den nächsten Morgen vergessen? Den strahlenden Sommermorgen und den blinkblanken Lindenbaum, das wüste Durcheinander von Flaschen und Gläsern und Tellern mit Wein und Speiseresten auf dem Tisch, die Laute, die gestern nacht auf den Kies gefallen war, und – das Gesicht, das Gesicht, das nun vom Turm auf ihn herunternickte im grausamen Lichte des Tages? –

Er stand draußen im engen, übelriechenden Gäßchen. Da kam Brocken heran.

Feindselig sah ihm Gerhard entgegen.

»Soll ich ihn zum Trödler tragen?«

512 »Wen denn?«

»Deinen Tugendmantel, mein Sohn.«


Ekel und pfui!

Der Durst nach dem Glück war's gewesen, der brennende Durst, und die Unsichtbaren hinter ihm, die mit den Nesseln und Geißeln, die waren's gewesen. Da hatte er sich an die Pfütze gekniet und hatte getrunken. 513

 


 


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