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20. Kapitel.

Durch das Netzwerk graugrüner Olivenblätter schien die Sonne hindurch und warf bunte Streifen von Licht und Schatten auf den Rasen, die blauen Gurkenkrautblumen und die Haufen Schlüsselblumen, so daß man sich in Ruta in den nordischen Frühling versetzt zu fühlen glaubte. Der durch die beieinander gewachsenen Zweige der Oliven sichtbare Himmel zeigte ein lebhaftes Blau; das Meer glänzte im Sonnenlicht wie ein blau-silbernes Schild: der süße Duft der Nasen und Lilien, der aus dem Hotelgarten zu dem Abhang hinauf drang, erfüllte die Luft.

Der Herr und die Dame, die langsam den Rasen zwischen den Schlüsselblumen einhergingen, sprachen wenig, aber die Pansen in ihrer Unterhaltung waren beredter noch als irgendein Wort hätte sein können.

Arthur Darbergs Augen hatten keinen Blick für die Schönheiten der Natur rings umher, sie sahen nur das zum Boden gesenkte Antlitz des an seiner Seite gehenden Mädchens. Und dieses? Die braunen Augen richteten sich nicht oft nach oben, das ganze Interesse des Fräuleins schien sich auf die Blumen zu ihren Füßen zu beschränken, und nur selten streiften sie die hübschen, kräftigen Züge des Mannes, aus denen leidenschaftliche Huldigung sprach. Vielleicht fiel es ihr schwer, seinen blauen Augen zu begegnen, vielleicht mußte sie zur Erde sehen, um das Schlagen ihrer Pulse, das Klopfen ihres Herzens zu meistern, denn jedes seiner leise gesprochenen Worte bebte vor Erregung und ließ das Blut ihr mit einer Freude durch die Adern strömen, die sie kaum zu unterdrücken vermochte.

Ihr Spaziergang hatte sie an die Stelle geführt, wo die Terrasse des Gartens plötzlich in einen von Schlüsselblumen überwucherten Abhang endete, der sie zum Stillstehen nötigte.

»So kann ich denn, trotzdem ich Sie erst eine Woche kenne, und Sie mich vielleicht für einen Wahnsinnigen halten, doch keinen Tag mehr vorbeigehen lassen, ohne Ihnen die Wahrheit gesagt zu haben.« Seine Stimme gab die volle Leidenschaft wieder, die ihn beseelte, er streckte die Rechte aus, zog ihre Hände an sich und sagte leise:

»Ich liebe dich – du süßes, liebes Mädchen.«

Malchens Augen hoben sich eine ganz kurze Sekunde, aber Arthur sah in dieser Sekunde in ihren klaren Tiefen alles, was zu sehen er sich so sehnlichst gewünscht hatte. Sein Arm schlang sich um Malchen in enger Umarmung, er beugte den Kopf zu ihr hinunter und küßte innigst ihren Mund.

»Mein – mein – mein,« sagte er triumphierend, »denn du willst das doch, Geliebte? Du willst mein Weib werden? Du hättest mir sonst nicht gestattet, dich zu küssen, wenn du nicht einwilligen würdest, mein zu werden?«

»Haben Sie mich denn gefragt?« flüsterte sie, und ein flatterndes Lächeln überzog ihr rosiges Gesicht. »Sie – du nimmst vieles als selbstverständlich an.«

Und als leidenschaftliche Küsse ihr Gesicht bedeckten, lehnte sie es an seine Schulter, um das Erröten von Wangen und Stirn zu verbergen.

»Nehme ich wirklich zu viel an, mein Geliebtes?« fragte er, als sie sich nach einigen Minuten wieder umgewandt hatten und weiter schritten. »Soll ich dir sagen, daß ich dich von dem ersten Augenblick an, als ich dich sah, schon liebte?«

»Hast du mich wirklich und wahrhaftig vom ersten Augenblick an geliebt?« Ein Paar lachender, brauner Augen mit goldenen Lichtern sahen voll in Arthurs blaue Augen. »Bist du ganz sicher, daß du mich geliebt hast, als du mich zum ersten Male sähest?«

»Ganz, ganz sicher,« lautete seine herzliche Antwort. »Ich lehnte mich aus dem Fenster, um den Sonnenuntergang zu betrachten, als du aus dem Eingang der Rosenlaube tratest und in deinem weißen Kleid durch den Garten schrittest. Dein Haar schien wie reines Gold, und ich dachte, daß dein Gesicht das schönste und süßeste sei, das ich je gesehen. Ich glaubte, du trafest gerade im selben Augenblick mein Herz, als ich dich zum ersten Male sah.« Er wiederholte diese Worte mit Nachdruck und voller Triumph, und Malchens Augen strahlten vor Übermut in der Erinnerung an das wirkliche »erstemal« ihrer Begegnung mit Arthur. Der hübsche, luxuriöse Salon von Frau Bendler trat ihr vor Augen, sie sah sich in ihrem braunen Kostüm, in dem sie sich so fremd, so unbehaglich, so schüchtern, so linkisch und eingezwängt gefühlt hatte, und sie sah Arthur, ritterlich, aber kalt, höflich aus Mitleid für das kleine Mädchen für alles, und doch mit einem Ausdruck der Mißachtung und des Verdrusses in seinen Blicken.

Jetzt entzog sie ihm ihre Hände, die er noch festgehalten hatte, und sagte sanft: »Sie wissen ja noch nicht einmal meinen Vornamen, Sie haben meine Beschützerin noch nicht kennen gelernt, Sie wissen ja überhaupt noch nichts von mir, ich bin Ihnen eine vollständig Fremde. Vielleicht – wenn Sie mich erst wirklich kennen – vielleicht wollen Sie mich dann gar nicht zur Frau.«

»Du willst doch nicht sagen, daß – daß irgendwie eine Schwierigkeit besteht?« fragte er erschreckt. »Es kann doch keinen Grund geben, der dich abhalten könnte, mich zu heiraten?«

»Nein – nein, das glaube ich nicht.« Sie lächelte herzlicher. »Im Gegenteil – ich glaube sogar – daß Sie, daß du allen Grund hättest, mich wohl zu heiraten, aber –«

»Ich möchte kein Aber hören« – er griff wieder nach ihren Händen – »ich möchte nur das eine wissen: Liebst du mich so, um mich heiraten zu können?« Er sprach so ernst, so voll innigster, flehender Leidenschaft, daß sie ihm im gleichen Ton antwortete:

»Ja, ich liebe dich und will dich heiraten, aber – nein – warte doch einmal einen Augenblick, du mußt erst hören, was ich dir unbedingt zu sagen habe.« Und ehe sie ihm wieder gestattete, sie in seine Arme zu schließen, schlüpfte sie davon und sah ihm ruhig in die Augen.

»Ich sagte dir, daß ich Maddinger hieße – das – das ist nur zum Teil wahr. Ich bin unter dem Namen aufgewachsen, weil es der Name des Stiefvaters meiner Mutter war, er war gegen meine Mutter in ihrer Kindheit sehr gut – aber, du hast dich doch nicht in mich verliebt, als du mich zum ersten Male gesehen hast.«

»Was willst du damit sagen?« fragte er ganz verwundert. »Ich liebte dich in dem ersten Augenblick, als ich dich sah.«

Ihr glockenreines Lachen ertönte, ihre Augen funkelten.

»Ach nein – nein – das hast du wirklich nicht getan. Als du mich zuerst gesehen, hast du mich auch nicht ein bißchen leiden mögen. Weil, als deine Augen zum ersten Mal auf mich fielen, ich im Salon von Frau Bendler als das kleine ungebildete Dienstmädchen dastand – Miranda Maddinger – Mühe – von denen, die mich lieb haben, Malchen genannt.«

Am Schlusse ihrer Worte sprach sie im herzlichen Ton, reichte Arthur die Hand und sah ihn mit flehendem Blick an.

Als er sie noch immer ohne ein Wort der Erwiderung, ganz verdutzt anblickte, stammelte sie:

»Willst du mir verzeihen, daß ich dich etwas anderes glauben ließ?«

»Dir verzeihen?« fragte er bebend. »Ich – ich kann nur noch nicht ganz begreifen. Du kannst doch nicht – Miranda Mühe sein, du kannst doch nicht – die Erbin von Gottfried Halber sein?«

»Doch, doch, das glaube ich wohl! Ich bin seine Erbin – und sogar auch seine Großnichte.« Arthur wurde immer sprachloser. »Ich habe dir eine Menge zu erzählen – aber nur Tatsachen.«

Endlich fand er Worte. Er stotterte:

»Aber – wenn ich gewußt hätte – wenn ich gewußt hätte – dann würde ich – könnte ich nicht – es ist alles unmöglich – sie sind eine reiche Erbin – ich –«

»Du bist der Mann, den ich liebe,« flüsterte sie. »Der Mann, den ich schon drei Jahre lang liebe, und das Geld ist uns beiden vererbt.«

Der Spaziergang in dem Olivengarten wurde sehr, sehr lange ausgedehnt, die übrigen Gäste an der Tafel hatten für den Rest des Abends Stoff zum Klatsch, weil das junge Paar das Speisezimmer erst betrat, als die süße Speise serviert wurde. Ihre strahlenden Gesichter erklärten die Situation zur Genüge und Frau Grau wußte auch schon lange vorher, was Malchen ihr zu sagen hatte, ehe ihr die Mitteilung in zusammenhängenden Worten gemacht war.

»Ich wollte, daß er mich nur um meiner selbst willen liebte,« sagte Malchen, die sich so dicht neben Frau Graus Ruhebett gesetzt hatte, um sich von ihr streicheln lassen zu können. »Ich – ich selbst – ich glaube, ich habe ihn von der ersten Minute an geliebt, als ich ihn im Salon von Frau Bendler sah, und ich dachte damals, ich würde eines Tages fertig bekommen, ihn in mich verliebt zu machen.«

»Brauchtest du dich dabei sehr anzustrengen?« fragte die glückliche Frau Grau scherzhaft.

»Eigentlich gar nicht. Er sagt, er hätte mich sofort geliebt, als er mich vom Fenster aus gesehen und ehe ich noch gewußt, daß er überhaupt hier war. Ich glaube aber, wenn er gewußt hätte, wer ich war, so wäre er sofort davongelaufen; er hatte solche Angst vor dem dummen Geld, das doch schließlich ihm gerade so gut gehört. Aber jetzt –«

»Jetzt?«

»Na, ich habe ihn gelehrt, einzusehen, daß das Geld nach keiner Richtung hin eine Rolle spielt, vielmehr nur unsere Liebe – nur unsere Liebe!«

*

»Wie denkst du jetzt über Onkel Gottfrieds Testament, Arthur?« fragte Frau Arthur Darberg fünf Monate später ihren Gatten, als sie zusammen auf der Terrasse des Herrenhauses in Singenburg standen und in die Sommerpracht ihres Gartens blickten. »Meinst du noch, daß er damit einen so großen Bock geschossen hat?«

Arthur wandte den Blick von den Rosen ab und sah seiner Frau mit leidenschaftlicher Hingabe in die Augen. Dann sagte er im Brustton der Ueberzeugung:

»Ich halte meinen Paten nachträglich für einen der gescheitesten Leute. Ihm allein habe ich es zu verdanken, daß ich die arme kleine Stella nicht geheiratet habe – wir hätten uns gegenseitig unglücklich gemacht. Und jetzt –«

»Und jetzt heiratet Stella zum zweiten Male, und zwar einen Mann, der viel, viel besser zu ihr paßt als du, mein verehrter Herr und Gebieter,« antwortete Malchen und lies ihren Arm durch seinen gleiten, »und sie wird viel glücklicher sein – und du und ich –«

»Wir sind Könige in unserem Reich. Ich habe einmal törichterweise Gottfried Haller geschmäht, weil er meiner Meinung nach ein ganz widersinniges Testament gemacht hatte. Jetzt und für immer segne ich ihn, weil sich sein Testament zu dem Schlüssel verwandelt hat, der uns beiden die Pforten des Paradieses öffnete.«

 

– Ende. –

 


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