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10. Kapitel.

Während mehrerer Jahre bewohnte Arthur Darberg bereits einige Zimmer an dem ruhigen Blaubergplatz, und als er pfeifend die Treppen an einem gewissen drückend heißen Augusttag hinanstieg, beglückwünschte er sich, daß der größere Teil seiner Fenster die Aussicht auf eine lange Gartenreihe bot. Auf etwas Grünes hinabzuschauen, wo die Straßen dick voll Staub lagen, die Luft dunstig und verbraucht war, wie das im August in der Großstadt zu sein pflegt, war für ihn eine große Wohltat. So klein seine Wohnung auch war, so würde er sie doch gegen eine luxuriöse nicht eingetauscht haben, wenn damit der Verlust dieser Aussicht verknüpft gewesen wäre. Die Gärten stießen rechtwinklig an das von ihm bewohnte Haus. Im Frühjahr bereiteten Goldregen und Flieder seinen Augen die schönste Freude und bot ihm das Grün eine Erholung.

Der Tag war für ihn sehr anstrengend gewesen. Die Arbeit im Amt schien gerade heute an dem schwülen Augusttage besonders große Ansprüche an ihn gestellt zu haben. Jeder Gedanke an Segelsport, an Wiesen, auf denen man knietief im Gras versinkt, an den Duft von Hecken, der sich sonst wohl als Kontrast zum Staub und der Schwüle der Großstadt im Geiste regte, wurde im Keim erstickt.

Als er die Tür zu seinem Wohnzimmer öffnete und müde eintrat, bemerkte er zwei Briefe auf dem Tisch, die seine Wirtschafterin so hingelegt hatte, daß sie ihm in die Augen fallen mußten.

»Frau Bendler – und Stella!« rief er. »Sie schreiben beide vom Schloß Bangler. Ach, wie gern wäre ich doch mit ihnen dort zusammen!«

Er seufzte leicht, warf das Fenster noch weiter auf und riß dann Frau Bendlers Brief in der Hoffnung auf, er würde eine Einladung für ihn erhalten, einige Tage auf dem Schloß zuzubringen, in dem die beiden Damen zu Gast waren. Er wurde aber immer blässer, als er den Brief las, und er las ihn zweimal mit stieren Blicken, als ob es ihm nicht gelingen wollte, den Sinn richtig zu erfassen. Und doch war die Meinung der liebenswürdigen, sehr geschickt gewählten Worte, nur zu deutlich.

 

Schloß Bangler, den 15. August.

»Mein lieber Arthur!

Ich bedauere unendlich. Ihnen einen Brief schreiben zu müssen, der Ihnen Schmerz verursachen wird, doch meine ich, daß, wenn ich Ihnen die schlichte Wahrheit sage, das schließlich das beste sei, was ich für Sie tun kann. Und so tief es mich betrübt, Sie zu kränken, Stellas Glück ist und muß meine allerletzte Sorge sein. Schon seit geraumer Zeit habe ich bemerkt, wie mein geliebtes Kind sich abhärmte und elend war, und vergeblich versuchte ich den Grund dafür zu entdecken. Sie erklärte mir stets, es sei alles in schönster Ordnung, bis ich sie gestern in Tränen aufgelöst fand und sie dann unter großen Schwierigkeiten dazu bewog, mir die Wahrheit zu sagen. In herzbrechender Weise gestand sie mir dann, daß sie Sie nicht so liebte, wie eine Frau ihren Gatten lieben müsse, daß sie Ihnen aber nie die Wahrheit sagen könne, um Sie nicht unglücklich zu machen. Das liebe gute Kind hätte sich wirklich eher geopfert, als Ihnen auch nur einen Augenblick Kummer zu bereiten. Stella ist so jung und unschuldig, daß sie tatsächlich Sie geheiratet hätte, obgleich sie wußte, daß sie Sie nicht so liebte, wie sie das hätte tun müssen, und nur um Ihnen Schmerz zu ersparen. Ich habe ihr auseinandergesetzt, wie unrecht das von ihr gewesen wäre, ich habe sie auch bewogen, Ihnen zu schreiben, und möchte Sie nun bitten, mein lieber Arthur, sehr milde gegen sie zu sein und keinen Versuch zu machen, sie zu sehen. Sie flehte mich an, daß Sie nicht zu ihr kommen dürften. Sie sagt, Sie habe Ihnen das Herz gebrochen und könne es nicht ertragen, Ihnen wieder ins Gesicht zu sehen. Wenn Sie sie wirklich je geliebt haben, so stehen Sie von jedem Versuch ab, sich ihr zu nähern. Ich müßte befürchten, daß sie ernstlich erkrankte.

In tiefstem Kummer
Ihre Marie Bendler.«

 

Arthur kam es noch immer vor, als drehe sich das Zimmer mit ihm im Kreise umher. Die Bäume, die er vom Fenster aus sehen konnte, schienen vor seinen Augen zu schwanken, das glänzende Blau des Augusthimmels blendete ihn, und der Sonnenschein spottete seiner.

Er konnte sich sehr beherrschen. Nichts verriet, wie tief er litt, außer dem krampfhaften Zusammenballen seiner Hände, die den Brief umfaßten, und der Blässe seines Gesichtes. Aber trotzdem war das scharfe Eisen in seine Seele eingedrungen. Seine Liebe zu Stella, sein Glaube an sie waren so innig, so fest und unumschränkt gewesen, daß dieser unerwartete Schlag ihn mit überwältigender Kraft traf. Er war betäubt, verwirrt, unfähig, die Wahrheit zu fassen, und sich doch deutlich dieser Wahrheit bewußt.

Den von Stellas Hand adressierten Brief hatte er noch gar nicht berührt; er lag noch auf dem Tisch, und die Furcht vor dem, was er darin lesen mußte, ließ Arthur zaudern, ihn zu öffnen. Lange Zeit blieb er schweigend stehen und blickte auf die Bäume und den Himmel, ohne zu wissen, was er sah. Dann nahm er endlich den Brief zur Hand und riß das Kuvert auf. Er sah sofort, daß es nur wenige Worte waren. Sie prägten sich seinem Gedächtnis ein, nachdem er sie nur einmal gelesen hatte.

 

»Lieber Arthur!

Bitte verzeihen Sie mir. Mutter hat Ihnen geschrieben, daß unsere Verlobung aufgehoben sein muß. Ich bin furchtbar traurig, Ihnen Schmerz bereiten zu müssen, ich kann Sie aber nicht heiraten. Bitte, machen Sie keinen Versuch, mich zu sprechen.

Stella.«

 

Arthurs Zähne knirschten in einem Anfall von Wut zusammen, was er trotz all seiner Selbstbeherrschung nicht unterdrücken konnte. Er ballte den Brief in seiner Hand zusammen und warf ihn dann auf den Boden.

Ein Lachen verächtlichen Zornes entrang sich ihm.

»Ich soll keinen Versuch machen, sie zu sprechen?« rief er. »Halten sie mich für jemand, der sich einem Mädchen aufdrängt, das nichts mit ihm zu tun haben will? Frau Bendler brauchte nicht so viel Tinte zu verschwenden, um mir diese Bitte vorzutragen, bei Gott! Ich sollte Stella krank machen, wo ich ihr nicht ein Haar auf dem Kopf krümmen möchte!«

Bei diesen Worten blitzte vor seinem Geist ein Bild von Stellas glänzendem Haar und reizendem Gesicht auf, die Erkenntnis dessen, was er verlor, kam ihm. Er vergaß den seiner Liebe und Treue zugefügten Schlag, vergaß alles, bis auf die Bitterkeit des Verlustes und erinnerte sich nur, daß das Mädchen das er liebte, seiner überdrüssig geworden war und ihn beiseite geschoben hatte. Er sank in einen Stuhl, bedeckte das Gesicht mit den Händen und ließ den Kopf mit einem unterdrückten Schluchzen auf den Tisch fallen. Als er nach einer Weile das Gesicht wieder emporhob, trugen die Züge Arthurs den Stempel der Qual, und er schien in der kurzen Spanne Zeit um Jahre gealtert.

Er schob den Stuhl zurück und erhob sich. Zuerst mit ungleichmäßigen, hastigen Schritten, dann allmählich fester und entschlossener ging er im Zimmer auf und ab. Arthurs Brauen waren wie in tiefen Gedanken zusammengezogen, es schien, als ob er langsam und schmerzvoll sich zu einem augenblicklichen Entschluß durchrang.

Dann drehte er die elektrische Lampe an, die auf seinem Schreibtisch stand, und schrieb dem Mädchen einen Brief, das eingestanden hatte, seiner überdrüssig zu sein, dem Mädchen, das seiner Liebe nie würdig gewesen war. Sein Brief enthielt, wie der von Stella, nur wenige Worte, und die Bitterkeit seiner Seele erstickte augenblicklich alle sanfteren Gefühle und verlieh seinen Zeilen eine ernste Kürze, die er zu anderer Zeit selbst abfällig beurteilt hatte.

 

»Wertes Fräulein!

Bitte, suchen Sie keine Entschuldigung für Ihren Brief. Jedem Menschen steht das Recht zu, seine Meinung zu ändern. Es ist für Sie und für mich ein Glück, daß Sie das vor der Hochzeit getan haben. Haben Sie keine Furcht, daß ich den Versuch machen werde, Sie zu sprechen. Ein Zusammentreffen wäre für uns beide ja höchst unangenehm. Wahrscheinlich gehe ich sehr bald ins Ausland, so daß wir uns wohl kaum wiedersehen werden.

Arthur Darberg.«

 

An Frau Bendler richtete Arthur ebenfalls ein kurzes, steifes Billett, das in ähnlichen Wendungen abgefaßt war.

Nach Beendigung der beiden Briefe nahm er seinen Hut und verließ das Haus.

Der Sonnenuntergang hatte die atemlose Schwüle in der Luft etwas vermindert; es war aber noch immer sehr heiß und drückend, was Arthur seelisch wie körperlich beschwerte. Stundenlang irrte er ziellos in den Straßen umher; seine Gedanken waren zu beschäftigt, um ihn merken zu lassen, wohin in seine Schritte führten. Endlich fand er sich nach der langen Wanderung auf der weiten Flur eines fern außerhalb der Großstadt sich erhebenden Höhenzuges, von dem er hinter und unter sich die Lichter des gewaltigen Häusermeeres blinken sah, über seinem Kopf aber den friedvollen, sternbesäten Himmel und rings herum die schweigende, süß duftende Landluft. Er lehnte sich an einen Baum, der sich von dem dunklen Blau des Himmels abhob, atmete tief und sagte langsam und laut:

»Ich bin jedenfalls zu einem Entschluß gekommen. Ich bin jung genug, um das Lehen irgendwo anders aufs neue zu beginnen, und das werde ich tun.«

*

Drei Tage später, an einem glühenden Augustnachmittag, entstieg Arthur Darberg auf der eine halbe Stunde vom Ort entfernt liegenden Bahnstation Singenburg dem Zug und wanderte langsam den staubigen, zum Dorf führenden Weg hinunter. Auch vor sich selbst hätte er kaum genau den Beweggrund erklären können, der ihn zu diesem Ausflug veranlaßte, aber, entschlossen, sich in der Fremde ein neues Leben zu schaffen und somit auf lange Zeit seinem Vaterland den Rücken zu kehren, verlangte es ihn, noch einmal den Ort zu sehen, an dem er gehofft hatte, einst Herr zu sein. Das Herrenhaus, das Gut ringsherum, an die ihn so viele Erinnerungen aus seinen Knabenjahren knüpften. Als er nun auf der staubigen Landstraße weiterschritt, ertappte er sich dabei, jeden ihm vertrauten Anblick der Landschaft in sich aufzunehmen, als ob er ihn seinem Gedächtnis für immer einprägen wollte. Ein Lächeln überflog sein erschöpftes, ernstes Gesicht, als er sich von der Straße abwandte und einen steilen Weg erklomm, der die Entfernung von der Bahnstation zum Dorf wesentlich abkürzte. Die Erinnerungen an seine Jugendzeit traten nun deutlich an ihn heran; er dachte an das Lerchennest, das er gerade in dem Kornfeld vor sich in einer Ferienzeit vor vielen Jahren gefunden hatte. Er dachte an die Ernte zur Herbstzeit und seine jugendliche Freude, wenn er den Schnittern helfen durfte und hoch oben gepfercht auf dem mit Kornähren voll geladenen Wagen saß, der langsam in den Hof einzog im Licht des herbstlichen Vollmondes.

Seine Schritte wurden langsamer, als sein Fuß weit mechanischer als aus bestimmter Absicht dem Gitter des Herrenhauses sich zuwandte. Er öffnete dann das dem Kornfeld gegenüber liegende Gittertor zum Park und setzte mit gesenktem Kopf den Weg fort, bis ein leichtes Geräusch hinter dem Buschwerk seine Aufmerksamkeit erregte.

Aufblickend, sah er Malchen Mühe auf sich von dem Rasen zukommen, auf den der Fahrweg mündete.

Das junge Mädchen sah keineswegs vorteilhaft aus. Da Frau Grau auf einen Tag verreist war, hatte Malchen ihr einfachstes und ältestes Wollkleid angezogen, das nach dem langen Umherstreifen zwischen Sträuchern und Bäumen schmutzig und zerknittert ausschaute. Sie hatte den Hut abgesetzt und schwenkte ihn in der Hand, als Arthur ihrer ansichtig wurde, und ihr letztes Umherklettern im Unterholz am anderen Ende des Parkes hatte ihr Haar gelöst, so daß es in einem wirren Haufen auf ihre Schultern hing. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen, die der junge Mann mit einem verdrießlichen Gefühl betrachtete, wobei ihm völlig entging, wie glänzend ihre Augen waren, wie weiß und hübsch geformt die Zähne, die, als sie ihn erkannte, ihr sonniges Lächeln hervorblitzen ließ. Sie reichte ihm, ihrer unfeinen Erscheinung gänzlich vergessend und nur von dem Wunsch beseelt, ihn willkommen zu heißen, offenherzig die Hand.

»Ich freue mich sehr, Sie zu sehen,« sagte sie. »Haben Sie hier in der Gegend eine Wohnung bezogen?«

Arthur lüftete den Hut, erfaßte ihre Hand, doch sein Gesicht war sehr ernst und sein Benehmen kühl und steif.

»Ich muß mich sehr entschuldigen, hier eingedrungen zu sein,« sagte er eisig. »Ich ging fast unbewußt durch das untere Gittertor und vergaß ganz, fremdes Grundstück betreten zu haben.«

Ein schmerzlicher Ausdruck überflog das Gesicht des Mädchens; es streckte ganz impulsiv die Hand aus und streifte seinen Arm.

»Reden Sie doch nicht, Sie können durchaus nicht davon sprechen, daß Sie hier widerrechtlich eintreten; ich möchte sehr gern, Sie würden sich das ein für allemal merken. Wenn hier von widerrechtlichem Betreten eines fremden Grundstückes überhaupt gesprochen werden soll, dann bin ich wohl die Uebeltäterin. Ich denke sehr oft daran, und es tut mir wirklich leid, wie schlecht Sie von dem alten Herrn behandelt worden sind.«

Arthur warf seinen Kopf stolz zurück.

Er wollte den ernsten, nachdenklichen Ausdruck in den Augen des Mädchens und ihre wirklich bekümmerten Mienen nicht bemerken und sah auch vielleicht beides nicht.

»Herr Haller muß doch am besten gewußt haben, was er tat, und ich habe kein Recht, ihm irgendwelchen Groll deswegen nachzutragen, daß er über sein Eigentum nach eigenem Belieben verfügte. Ich war doch schließlich nur sein Patenkind und stand in derselben Beziehung zu ihm wie Sie.«

»Das ist ja schon richtig,« entgegnete Malchen schlagfertig, »aber mich hat er nicht in dem Gedanken aufwachsen lassen, daß ich sein Geld haben sollte, wie er es mit Ihnen getan hat. Das ist der Punkt, wo er meiner Ansicht nach nicht recht an Ihnen handelte. Ich vermute« – sie zauderte, schwankte, blickte ihn zweifelnd an und fuhr dann schnell fort – »ich vermute, Sie würden, Sie würden noch einmal darüber nachdenken – was ich sagte, als ich zuerst von dem Geld erfuhr. Sie würden nicht einen Teil davon annehmen, so sehr ich das auch wünsche?«

Arthurs Augen flammten. Nur der ihm angeborene Respekt vor dem weiblichen Geschlecht, gleichviel welchen Standes, hinderte ihn daran, stärkere Ausdrücke zu gebrauchen.

»Um Himmels willen, Fräulein Mühe, lassen Sie sich doch ein für allemal klar machen, daß ich das Geld nicht brauche, und wäre es der Fall, Ihr Anerbieten doch nicht annehmen würde. Ein Mann läßt sich von einer Dame kein Geldgeschenk machen, und ich würde eher Straßenfeger, ehe ich einen Heller aus der Erbschaft annehme.«

Malchen wurde puterrot, aber sein Zorn erschreckte und entmutigte sie nicht. Im Gegenteil, seine heftigen, nicht allzu höflichen Worte weckten ihren Widerspruch. Sie entgegnete kühl:

»Sehr wohl. Es hat keinen Zweck, weiter darüber zu reden. Ich verstehe vollständig, was Sie meinen, und Sie werden keine Gelegenheit mehr haben, mein Anerbieten anzunehmen oder abzulehnen, weil ich es nicht wiederholen werde.«

Sie zählte erst siebzehn Jahre und war ihr Lebenlang gewohnt gewesen, auf alles, was sie verdroß, weidlich scharf zu antworten.

Arthurs Mienen verrieten sein Erstaunen über ihre Antwort, er besaß aber auch Takt genug, sich selbst etwas zu schämen, und sprach jetzt sanfter:

»Ich hatte nicht die geringste Absicht, Sie zu beleidigen, Fräulein Mühe, auch bin ich davon überzeugt, daß Sie Ihren Vorschlag sehr gut gemeint haben. Aber, Sie wissen ja, man kann sich kein Geld schenken lassen, und da der alte Herr mir sein Geld nicht geben wollte, oder – nun – nur unter unmöglichen Bedingungen« – er stolperte etwas über diese Worte – »so kann ich doch nicht daran denken, es unter irgend einem anderen Vorwand zu nehmen. Jedenfalls danke ich Ihnen aber.«

»Schon recht,« entgegnete sie und reichte ihm nochmals mit strahlendem Lächeln ihre Hand. »Ich trage niemand etwas nach. Ich bedauere nur, daß ich das alles bekommen habe, was Ihr Eigentum sein sollte.« Sie schwenkte den Arm gegen den Park und Garten. »Und wenn ich mich hier niederlasse, so müssen Sie und Stella mich besuchen und so lange, wie Sie wollen, hier bleiben.«

Arthur zuckte zusammen.

»Sie haben offenbar von Stella in den letzten drei Tagen nichts gehört?« fragte er forschend.

»Sie hat mir schon seit längerer Zeit nicht mehr geschrieben.«

»Vielleicht hatte sie auch keine Lust dazu,« versetzte Arthur, und der sarkastische Ton machte Malchen stutzig.

»Was meinen Sie damit? Sie haben sich doch mit Stella nicht etwa gezankt?«

»Durchaus nicht.« Er sprach ruhig, bebte aber doch abermals. »Durchaus nicht, in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes gezankt. Indes hat Stella rechtzeitig entdeckt, daß – daß sie mich nicht genug liebt, um meine Frau zu werden – deshalb –«

»Sie wollen mir doch nicht sagen, daß Stella Ihnen einen Tritt gegeben hat?« In den Augenblicken der Ueberraschung versagte bei Malchen das Bestreben, sich vornehm auszudrücken. »Nein, das kann sie unmöglich getan haben!«

Trotz der Bitterkeit, die in ihm wühlte, mußte Arthur lächeln.

»Sie hat es aber doch getan, und ich – ich mache ihr keinen Vorwurf daraus, Fräulein Mühe. Es ist doch ein Glück, daß sie ihren Irrtum vor der Heirat erkannte. Unsere Verlobung ist zu Ende und –«

»Nun, da schlage –« unterbrach Malchen ihn wieder. »Ich wette, was Sie wollen, da steckt die alte Katze hinter. Stella hat das aus eigenen Stücken nicht getan!«

»Die alte Katze?« wiederholte Arthur fragend, worauf Malchen mit einem Kopfnicken erwiderte:

»Ja – Frau Bendler – ihre Mutter! O, ich wußte längst, daß Sie eine Katze ist. Sie brauchen mich nicht so entsetzt anzusehen, weil ich das sage. Gott sei dank, ich habe sie erkannt, und deshalb bin ich auch zu Frau Grau gegangen, aber darüber will ich jetzt nicht reden. Sie hat Stella veranlaßt, Ihnen den Laufpaß zu geben, sie ist es gewesen. Ich möchte ihr wohl einmal sagen, wie ich über sie denke.«

Malchens Augen sprühten so wild, daß Arthur unwillkürlich wieder lächeln mußte, so komisch wirkten ihre sonderbare Ausdrucksweise und die Heftigkeit ihres Aergers auf ihn.

»Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Frau Bendler in diesem Falle kein Vorwurf treffen kann. Stella schrieb mir selbst, und es war vollkommen klar, was sie wünschte.«

»Gott im Himmel, was sie wünschte; als ob sie wünschen dürfte. Es sind die Wünsche ihrer Mutter! Wenn sich die etwas vorgenommen hat, so darf Stella kein Wort dreinreden. Möglich, daß Frau Bendler der Ansicht geworden ist, Sie seien für Stella nicht reich genug.«

Arthur sah sie voller Zweifel an.

»Glauben Sie das? Glauben Sie, daß Stellas Mutter sie wirklich gezwungen hat, mich aufzugeben?« Seine Stimme zitterte vor Erregung. »Wenn ich denken müßte, daß das wahr sein könnte, so würde ich selbst jetzt noch versuchen, sie zu überreden, zu mir zu halten – trotz Frau Bendler.«

»Versuchen können Sie es, aber es wird Ihnen nicht gelingen.« Malchen schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so leicht, Frau Bendler zu überwinden. Ich kenne sie.«

Malchen errötete und senkte die Augen.

»Ach, lassen Sie das ruhen. Frau Bendler und ich – wir kamen nicht gut miteinander aus, und da hielt ich es für das Beste, gleich davon zu gehen und kein weiteres Aufhebens zu machen. Ein Streit hat nicht stattgefunden, es ist nur besser, daß Frau Bendler und ich getrennt leben. Und – wenn Sie meinem Rat folgen wollen, Sie täten auch richtiger, ihr aus dem Wege zu gehen. Jedenfalls hat es keinen Zweck, daß Sie versuchen, ihr zuwiderzuhandeln.«

Arthur kniff den Mund ein. Er verspürte nicht die leiseste Absicht, sich von einem so jungen Ding leiten zu lassen, einem früheren Dienstmädchen, das erst eine Dame zu werden hoffte.

Er nahm deshalb die eisige Haltung von vorhin wieder an. »Es ist wohl möglich, daß Stella zu dem Brief gezwungen wurde, und deshalb werde ich sie zu sprechen suchen, damit die Wahrheit an den Tag kommt.«

Malchen zuckte unmerklich die Achseln, aber ihre auf sein trübes Gesicht gerichteten Blicke zeigten eine Anhänglichkeit, die geradezu rührend war.

»Ich halte Frau Bendler für zu schlau, als daß sie sich von Ihnen übervorteilen läßt« – und in einem traurig klingenden Ton – »aber ich hoffe, daß Sie glücklich werden.«

Der in seinen eigenen Sorgen vertiefte Mann bemerkte nicht, wie ihr der Atem stockte.

»Glücklich! Man rechnet nicht mehr auf Glück, wenn einem das Liebste entrissen wird. Ich sage Ihnen aber offen, daß ich beabsichtige, Frau Bendler zuzusetzen, und sie doch noch zu übervorteilen, wie Sie es nennen.«

Sie schwiegen beide, und dann wurde die drückende Stille des heißen Nachmittags durch das Schlagen einer Uhr unterbrochen, die langsam die vierte Stunde ankündigte.

»Ach Himmel! Ich muß gehen!« rief Malchen. »Ich hatte keine Ahnung, daß es so spät ist. Wenn ich etwas gesagt haben sollte, was Ihnen nicht gefiel, so bedauere ich es. Bleiben Sie, bitte, so lange hier, wie es Ihnen gefällt. Martin und seine Frau werden sich sehr freuen, wenn Sie im Schloß wohnen, und sobald es Ihnen beliebt, kommen Sie wieder hierher.«

»Ich komme nicht so bald wieder. Ich werde Deutschland in den nächsten Tagen verlassen. Wenn Stella mich liebt, wird sie mit mir gehen. Wenn nicht – reise ich allein.«

»Sie wollen auswandern?« Die Farbe wich aus ihren Wangen, und der Glanz aus ihren Augen.

Er gewahrte nichts davon. »Ja, ich habe meinen Abschied eingereicht und will im Ausland etwas Neues beginnen. Hier habe ich das Leben satt.«

»Sie kommen also nie wieder hierher, und ich muß Ihnen jetzt Lebewohl sagen?« Ihre Stimme bebte, aber auch das merkte er nicht und ergriff ihre Rechte ganz mechanisch.

»Nein, das werde ich wohl nicht, es sei denn, daß Stella« – Er unterbrach sich und ließ ihre Hand fallen – »ich möchte Sie nicht länger aufhalten. Sie haben mir eben Glück gewünscht, auch ich wünsche Ihnen das Gleiche. Sie werden sich sicherlich hier an diesem herrlichen Ort sehr glücklich fühlen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich nach Deutschland noch einmal zurückkehre, aber wenn –«

»Wenn Sie es tun – so versprechen Sie mir das eine,« rief sie, ohne kaum zu wissen, weshalb.

»Was soll ich Ihnen versprechen?«

»Hierherzukommen – das Gut zu besuchen und – mich und – Frau Grau.«

Ihre Verlegenheit amüsierte Arthur, doch seine angeborene Gutmütigkeit wurde durch die Bitte ihrer braunen Augen gerührt, obgleich ihm der Grund ihrer Sehnsucht verborgen blieb.

»Ich glaube, Ihnen das ruhig versprechen zu können« – und im Geist fügte er hinzu – »weil ich ja doch nicht wieder nach Deutschland gehen werde.« »Also, wenn ich heimkehren sollte, besuche ich auch das Herrenhaus hier, da haben Sie meine Hand darauf.«

Ihre Hände trafen sich wieder, dann schlug Arthur die Richtung nach dem Schloß ein, während Malchen durch den Park eilte.

Sie blieb nur einmal stehen, um seiner langsam verschwindenden Gestalt nachzublicken, und dann sagte sie leise und schluchzend: »Ich wollte, er ginge nicht gleich fort. Das Herz brauchte ihm wegen Stella nicht zu brechen – wenn ich – wenn ich –«

Nun überzog Purpurröte ihr Gesicht vom Kinn bis zum Haar, und sie flog den schmalen Waldweg wie ein erschrecktes Reh entlang, hielt keine Minute still, um sich umzusehen oder Atem zu holen, bis sie vor dem weißen Hause von Frau Grau angelangt war.

*

Zwei Stunden später befand sich Arthur schon wieder im Zug, der ihn in die Großstadt zurückführte. Seine Gedanken beschäftigten sich teils mit den Erlebnissen des Nachmittags, teils mit der neu geweckten Hoffnung, Stella doch noch überreden zu können, seine Gattin zu werden.

Erst bei der vorletzten Station hatte er sich aus seinen wachen Träumen so weit erweckt, um von einem laut schreienden Verkäufer eine Abendzeitung zu nehmen; doch dauerte es nun wieder einige Minuten, ehe er das Blatt auseinanderfaltete und hineinblickte.

Die ersten Zeilen, auf die sein Auge fiel, entlockten ihm einen Ausruf, den er schnell unterdrückte. Er knitterte die Zeitung zornig zusammen, als ob die heftige Handbewegung den Sturm abschwächen könnte, der in seinem Herzen tobte. Was er gelesen, tanzte in feurigen Buchstaben vor seinen Augen, während der übrigen Fahrt und während der schlaflosen Nächte, die nun für ihn folgten, und verlöschte die Erinnerung an den Nachmittag in Singenburg und an seine Unterhaltung mit Malchen.

Er hatte die Verlobung von Stella Bendler, der einzigen Tochter der Frau Marie Bendler, geborenen Nobel, mit dem Baron Edgar Bangler gelesen.


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