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4. Kapitel.

Frau Bendler saß in ihrem kleinen, aber äußerst geschmackvollen Salon und grübelte lange und tief über einen offenen Brief in ihrer Hand nach. Ihre Augenbrauen waren zusammengezogen, was dem hübschen Gesicht viel Reiz nahm und in Verbindung mit den zusammengekniffenen Mundwinkeln ihren Ausdruck unangenehm und unliebenswürdig erscheinen ließ. Obgleich der Brief nur wenige Zeilen enthielt, las sie ihn immer wieder durch, die Falte auf ihrer Stirn vertiefte sich. Endlich legte sie den Brief auf ein Tischchen, das neben ihr stand und stampfte mit dem kleinen Fuß zornig auf.

»Von allen verdrießlichen und unangenehmen Dingen, die passieren konnten, ist das das Schlimmste,« sagte sie laut, »und nichts empfiehlt sich besser, als abzuwarten, wenn nicht –«

Sie unterbrach sich, als sie im Korridor Schritte hörte, lehnte sich in den Sessel zurück und nahm den Brief wieder an sich, ehe die Tür geöffnet wurde. Die Falte war von ihrer Stirn verschwunden, und ihre Augen zeigten nur den Ausdruck milder Traurigkeit und Teilnahme, als sie sich auf das Mädchen richteten, das das Zimmer betreten hatte.

»Ich wollte dich gerade aufsuchen, Stella,« sagte sie, und in ihrer Stimme lag die gleiche, teilnehmende Traurigkeit wie in ihren blauen Augen. »Ich habe einen Brief erhalten, der mich sehr bekümmert, mein Liebling, und der dich leider auch sehr aufregen wird.«

Wenn die Mutter hübsch, anziehend, bezaubernd war, so konnte das Wort liebreizend auf das Mädchen angewendet werden, das die Schritte bei den Worten der Mutter beschleunigte und nun ihre großen Augen auf sie mit erschreckter Frage richtete.

Stella war groß und schlank und bewegte sich mit einer so natürlichen Anmut, daß niemand ahnen konnte, welchen großen Anteil daran die Gymnastik- und Tanzlehrerinnen hatten. Ihr Haar, das in künstlicher Unordnung ihr Gesicht umrahmte, besaß die Nuance von Blond, in der die goldenen Fäden sinnverwirrend flirrten, und ihr Teint zeigte das köstliche Rosa und Weiß der Apfelblüte. Ihr großer Liebreiz verleitete die in ihren Anblick Versunkenen dazu, die Unentschlossenheit zu übersehen, die ihr Mund und Kinn kennzeichneten, und auch, nicht zu beachten, wie der Blick ihrer sprechenden blauen Augen selten nur anderen Augen geradezu begegnete, sondern scheu sich unter den Lidern verbarg.

»Was ist es, Mutter?« fragte sie. Ihr Atem ging schnell und ein sanftes Rot flog über ihr Gesicht. »Was hast du erfahren? Arthur ist doch nichts zugestoßen?«

»Nein – nein, Liebling, das nicht. Es ist ihm nichts zugestoßen, im gewöhnlichen Sinne des Wortes.«

»Im gewöhnlichen Sinne des Wortes? Was heißt das, Muttchen?« Stella kniete jetzt an der Seite ihrer Mutter. »Dann ist es doch ein Unfall? Wie?«

Frau Bendler beugte sich mit einem liebevollen Lächeln nieder und liebkoste das Haar, das sich so sanft über Stellas weißer Stirn kräuselte.

»Er ist nicht körperlich verletzt, mein Liebling, er hat aber einen finanziellen Verlust erlitten, der seine Karriere empfindlich beeinflussen wird.«

»Ach, Mutter!« Die Stellung des Mädchens änderte sich. Statt sich anzuschmiegen, kniete sie nun aufrecht, ihre Hände lagen auf dem Schoß der Mutter. »Hat Arthur sein Geld verloren? Ist er jetzt arm? Ich glaubte, er würde nach dem Tode seines Paten sehr reich werden.«

In Stellas Worten und Wesen lag eine Naivität und zugleich eine Verschmitztheit, die einem Zuhörer Aufschluß über die Erziehungsmethode von Frau Bendler gegeben hätte.

»Der liebe Arthur,« sagte Frau Bendler mit sanftem Seufzen. »Ich bedauere ihn von Herzen. Seine ganzen Hoffnungen sind furchtbar und unerwartet enttäuscht worden. Er schreibt mir, daß sein Pate erst vor fünf Monaten ein neues Testament gemacht habe, in dem er von ihm kaum nennenswert bedacht ist.«

»Wie gemein von dem alten Herrn!« rief Stella. »Wenn Arthur das ganze Geld einbüßt, ist er ja nur auf sein Gehalt angewiesen – ich verstehe mich so schlecht aufs Sparen.«

»Das wirst du bald lernen, mein Liebling,« meinte die Mutter. »Schließlich ist Geld nicht alles; wie viele Menschen treten mit mehr geringen Mitteln in den Ehestand.«

Frau Bendler empfand eine stille volle Freude. Nachdem sie eine Viertelstunde über Arthurs Brief nachgesonnen, war ihr der von ihr einzuschlagende Weg deutlich vor Augen getreten. Sie führte jetzt ihren Plan aus, und ihr Bühnentalent unterstützte sie dabei wesentlich. Die Mutter voll idealer Anschauungen war ihre augenblickliche Rolle, die sie vollendet darstellte.

»Wir sind niemals reich gewesen, meine liebe Stella,« fuhr sie mit ihrer weichen, musikalischen Stimme fort, »und hatten stets mit der Aufgabe zu kämpfen, die beiden nie zueinander passen wollenden Enden zu verbinden. Als ich erfuhr, daß Arthur ein großes Vermögen besitzen würde, war ich froh, meinen Liebling in Zukunft von all den nagenden Sorgen und Aengsten befreit zu sehen, die ich ertragen mußte.« Hier folgte wieder der kleine leichte Seufzer. »Aber, wie gesagt, das Geld bedeutet nicht viel bei einer Liebe, wie sie zwischen dir und Arthur besteht.«

»Nein – ich glaube auch, daß Geld allein den Menschen nicht glücklich machen kann.« Stellas Blicke schweiften in dem eleganten Salon umher. »Nur ist es doch gräßlich, niemals genug zu haben – ich verstehe so wenig vom Haushaltführen – zu entbehren habe ich nicht gelernt, obgleich mir natürlich viel mehr an Arthurs Liebe als an dem dummen Gelde gelegen ist.« Mit ihren letzten Worten wollte sie einem Entschluß Ausdruck geben, was die zu Boden gesenkten Augen ihrer Mutter aufleuchten ließ.

»Du liest Arthurs Brief doch wohl am besten selbst – er kommt heute nachmittag zu uns, um zu hören, wie wir über den Fall denken. Er hat sehr angemessen und richtig den Vorschlag gemacht, dich deines Wortes zu entbinden, aber –«

»Ach, Mutter!« Die Farbe wich wieder aus Stellas süßem Apfelblütengesicht. »Ich – ich kann ihn doch jetzt nicht aufgeben – das kann ich doch nicht! Es würde ja auch so schlecht, so häßlich aussehen, und ich – ich liebe Arthur auch viel zu sehr, um ihn überhaupt aufgeben zu können.«

Frau Bendlers Mund öffnete sich zu einem schwachen, undurchdringlichen Lächeln. Sie sah in Stellas Herz und Sinn hinein, als ob sie wie ein offenes Buch vor ihr lagen, und daß der Gedankengang ihrer Tochter sich genau so bewegte, wie sie das wünschte, erfreute sie.

»Natürlich tust du das, und ich weiß auch, daß mein kleines, liebes Mädchen ihm heute sagt, wie treu sie zu ihm halten wird. Der gute liebe Arthur!«

Der kleine leichte Seufzer unterstrich alle Sätze von Frau Bendler; sie wollte den Anschein erwecken, als ob sie das Weh anderer so tief mitempfinde, daß es auch auf ihr Gemüt und ihre Nerven wirke.

»Er schreibt, das Testament hätte einige seltsame Bestimmungen,« sagte Stella, nachdem sie Darbergs Brief sorgfältig gelesen hatte. »Was er wohl damit meint.«

»Er kommt ja heute, liebes Kind, und wird uns alles erzählen; wir müssen ihn dann wegen seines Verlustes zu trösten versuchen.« Ihrer Mutter sanfte, einschmeichelnde Stimme verfehlte niemals die Wirkung auf Stella. Sie hatte einen ebenso unbedingten, vertrauensvollen Glauben an ihre Mutter, wie Bewunderung für sie, und ihr schwacher Charakter schmiegte sich der stärkeren Natur von Frau Bendler vollkommen an. Stella war sich dabei gar nicht bewußt, wie ihre Mutter sie mit Leichtigkeit um die Finger wickeln konnte, und daß ihr eigener Wille noch weniger als nichts vor dem eisernen Entschluß der Aelteren bedeutete.

Frau Bendler wurde in dem Kreise ihrer Bekannten nicht allein für eine Frau von ungemein großer Liebenswürdigkeit, sondern auch für eine wunderbar geschickte »Durchsetzerin« gehalten. Im Anfang der dreißiger Jahre verwitwet und über eine Rente verfügend, die ihrer gesellschaftlichen Stellung durchaus nicht entsprach, wußte sie es trotzdem fertig zu bringen, ihre Tochter jener Stellung gemäß zu erziehen und ihr kleines Haus zum Mittelpunkt einer feinen Gesellschaft zu gestalten. Das Haus Stadtlerstraße Nr. 4 war ein beliebter Wallfahrtsort für Herren und Damen, und Frau Bendlers Verdienste als Wirtin wurden von all denen voll anerkannt, die den Vorzug ihrer Gastlichkeit genossen.

Als die Uhr im Salon die vierte Stunde schlug – die Zeit, zu der sich Arthur angemeldet hatte – saß Frau Bendler auf dem Divan und erwartete ihn allein, denn sie hatte ihrer Tochter erklärt, daß es so besser sei. Und Stella, von frühester Jugend an gewöhnt, sich von den Wünschen und Vorschlägen ihrer Mutter ausschließlich leiten zu lassen, war oben in ihrem Zimmer geblieben, um erst zu erscheinen, wenn sie gerufen wurde.

Der vierte Schlag war kaum verklungen, als Arthur eintrat.

Frau Bendler erhob sich, um ihn zu begrüßen. In ihrem Lächeln kam wohltuende Teilnahme und die herzliche Versicherung dauernder Freundschaft geschickt nebeneinander zum Ausdruck.

»Mein lieber Arthur,« sagte sie und reichte ihm ihre beiden hübschen weißen Hände mit überströmender freundlicher Gebärde, »ich kann Ihnen nicht sagen, wie schmerzlich mich ihre Enttäuschung berührt.«

Die Niedergeschlagenheit, die wie eine Wolke auf der Stirn des jungen Mannes geruht hatte, hob sich etwas und ein Hoffnungsstrahl schoß in seine blauen Augen. Frau Bendler ließ ihn empfinden, wie schwer er betroffen sei, und tröstete ihn zu gleicher Zeit; ihre sanfte Stimme beschwichtigte seine Aufregung einen Augenblick, während ihre herzlichen Begrüßungsworte seinen gesunkenen Mut wieder aufrichteten. Wenn sie ihn so freundlich empfing, würde sie sicherlich nicht auf einer unmittelbaren Aufhebung der Verlobung bestehen, und jede Aussicht auf das Hinausschieben dieses gefürchteten Resultats seiner veränderten Vermögenslage erfüllte ihn mit neuer Willenskraft und frischem Mut.

Er setzte sich neben Frau Bendler und sprach nun so offen und lebhaft wie gewöhnlich.

»Das Testament ist ein furchtbarer, unerwarteter Schlag für mich. Nur der Himmel weiß, welche unsinnige Idee meinem Paten in den Kopf gekommen ist, als er das verfügte!«

»Er war doch wohl ganz bei Verstande?« Frau Bendlers graugrüne Augen blitzten etwas. »Sie und Ihr Anwalt haben natürlich alle Möglichkeiten erwogen, das Testament anzufechten?«

»Das war mein erster Wunsch, aber der Anwalt, Herr Brand, versichert, die Anfechtung sei vollständig zwecklos; der alte Herr sei durchaus bei gesundem Verstand gewesen.«

»Das ist doch sehr merkwürdig, und es läßt sich gar nicht begreifen, weshalb er alles so furchtbar plötzlich geändert hat. Haben Sie vielleicht etwas getan, das ihn verletzen konnte?«

Ihre bisher durch die langen Wimpern beschatteten Augen öffneten sich auf Darbergs Gesicht, über das ein Schatten von Verlegenheit zog.

»Nichts, das ihn so ernstlich hätte aufbringen können,« entgegnete er zaudernd, »er – ja – Sie, kannten Sie ihn, Frau Bendler?«

»O, gewiß kannte ich ihn.« Die Worte klangen seltsam bitter, und die beweglichen Lippen der Sprecherin schlossen sich energisch. Es schien fast, als habe sie mehr gesagt, als ihr eigentlich lieb war, und ein strenger Ausdruck trat in ihre Augen. Der verschwand aber so schnell wieder, wie er gekommen war, und sie lächelte schon wieder fröhlich. »Gewiß«, wiederholte sie, »ich kannte ihn. Wer sollte denn auch den reichen Herrn Haller nicht gekannt haben?« Sie stockte, und ihre Blicke forschten wieder in seinem Gesicht. »Ich hatte mir zuweilen gedacht, er wäre von der Verlobung meines Kindes mit Ihnen nicht sonderlich erbaut gewesen.«

Darberg machte eine unbehagliche Bewegung und errötete, dann sagte er leise:

»Der alte Herr besaß starke Vorurteile, und vielleicht sah er es nicht gern, daß ich so früh heirate.«

»Das habe ich mir gedacht,« sagte sich Frau Bendler, und laut meinte sie: »Sie glauben, es sei nur eine allgemeine Mißbilligung seinerseits gewesen, keine besondere Abneigung gegen Stella oder – gegen mich?«

Keine Katze hätte eine Maus schärfer beobachten können, als diese Frau das Gesicht des jungen Mannes neben ihr beobachtete, dessen Verlegenheit sich fortwährend steigerte. Als er hastig antwortete, umspielte ein schwaches Lächeln ihren Mund.

»Kein vernünftiger Mensch kann gegen Stella eine Abneigung empfinden, ebensowenig gegen Sie. Wie ich schon sagte, hegte der alte Herr starke Vorurteile und ließ sich von unerklärlichen Antipathien leiten. Er kannte Sie doch nur ganz oberflächlich.«

Arthur blickte mit traurigen Augen auf die Standuhr, deshalb entging ihm der Gesichtsausdruck seines Gegenüber.

»Ganz oberflächlich! Wenn er also gegen uns eingenommen war, so konnte das nur ein Vorurteil sein. Sie brauchen mit der Wahrheit nicht zurückzuhalten, Arthur. Er hat uns nicht leiden mögen?« Sie hatte einen Augenblick seine Schulter mit ihrer Hand leicht berührt.

»Ich will keineswegs verheimlichen, daß ihn meine Verlobung sehr verdroß; er ließ auch einige scharfe Bemerkungen fallen über elegante Damen der großen Welt,« entgegnete Arthur mit deutlicher Zurückhaltung. »Ich hielt das indes für den Ausdruck seiner allgemeinen Abneigung gegen die Gesellschaft. Weshalb sollte er denn Sie und Stella nicht haben leiden mögen? Und noch dazu in solchem Grade, um ihn zu veranlassen, sein Testament zugunsten von –«

»Ach ja,« unterbrach Frau Bendler ihn hastig. »Ihr Brief ließ uns darüber im unklaren, was Herr Haller nun eigentlich mit seinem großen Vermögen begonnen hat. Sie erwähnten nur gewisse Klauseln, Bedingungen.«

»Bedingungen!« Er stand auf und durchmaß den Salon mit erregten Schritten. »Ich möchte dem alten Herrn, nun er tot ist, nichts Böses nachsagen, aber, bei Gott, wenn ihn nicht die Unvernunft dazu brachte, so muß es die reine Bosheit gewesen sein, die ihn diese Bedingungen in dem abscheulichen Testament aushecken ließ.«

»Glauben Sie, das Geld doch noch bekommen zu können, wenn Sie diese Bedingungen erfüllen?« Ihre Augen zeigten keine Spur der Erregung, aber die rasche nervöse Bewegung ihrer Hände sprach für den genauen Beobachter Bände.

»Wenn ich sie erfülle – ja!« gab Arthur zur Antwort. »Aber Sie werden es leicht begreifen, wie unmöglich diese Erfüllung ist, wenn ich Ihnen sage, daß er das Vermögen einem einfältigen Dienstmädchen, seinem anderen Patenkind, vermachte, und er offenbar voraussetzte, daß ich diese Person heiraten sollte.«

»Ein Dienstmädchen heiraten! Hat er wirklich dem Mädchen das große Vermögen hinterlassen?« In Frau Bendlers Stimme kamen aufrichtiger Schrecken und echtes Erstaunen zum Ausdruck.

»Er hat das Testament in den einfachsten Worten abgefaßt, man begreift nicht, was ihn dazu bestimmte. Universalerbin ist eine gewisse Miranda Mühe.«

»Du lieber Himmel!«

»Sie ist Mädchen für alles bei einer Zimmervermieterin. Das Testament verlangt, daß sie mich innerhalb der nächsten drei Jahre heiratet oder –«

»Oder – was? Geht sie der Erbschaft verlustig, wenn sie Sie nicht heiratet?«

»Ach nein! Der alte Herr wollte sicherlich verhüten, daß mir das Geld auf einem solchen Umweg zufallen könnte. Es ist ihr gestattet, ledig zu bleiben und das Geld zu behalten. Ja, nach Ablauf der drei Jahre kann sie einen Schornsteinfeger heiraten, wenn es ihr beliebt, das Geld bleibt ihr doch. Ich habe nur die einzige Chance, daß, wenn sie vor dem Ablauf der drei Jahre einen anderen heiratet, mir das Geld wieder zufällt.«

Frau Bendlers Augen glühten förmlich. Sie streckte die Hand aus und zog den erregten jungen Mann auf den Divan neben sich.

»Sie ist noch jung?«

»Ich glaube siebzehn Jahre.«

»Dann brauchen Sie sicherlich noch nicht zu verzweifeln, mein lieber Arthur! Glauben Sie denn, daß ein Mädchen ihres Standes so lange unverheiratet bleibt, wenn so mancher nur gar zu bereit ist, sie mit ihrem Geld zu nehmen?«

»Ich möchte das arme Geschöpf doch nicht meinetwegen einem Glücksritter geopfert sehen,« erklärte Darberg schnell. »Ueberdies würde ihr das Vermögen ja verloren gehen, wenn sie innerhalb der festgesetzten drei Jahre heiraten sollte, und ich will mich nicht schlecht gegen sie benehmen. Sie hat ja keine Schuld an dem Testament, und Herr Brand sagte mir, sie sei ängstlich besorgt darum, mir jede in ihrer Macht liegende Entschädigung zu bieten.«

»Sie mißverstehen mich, mein lieber Arthur, – ich kann mir wohl denken, wie das Mädchen von Glücksrittern umschwärmt werden wird und man nicht wünschen kann, daß sie einem zum Opfer fällt – nein, wirklich nicht. Aber wenn sie in die Hand der richtigen Leute fällt, die sie bilden und ihr beistehen können und sie unterweisen, wie sie sich zu verhalten hat usw., so wäre es doch möglich, daß sich jemand von ihr ganz uneigennützig angezogen fühlen würde, und in solchem Falle übten Sie, lieber Arthur, sicherlich Großmut ohne Bedenken.«

»Du lieber Himmel! Ob ich ihr eine anständige Summe zahlen würde, wenn sie in den drei Jahren heiraten sollte?! Na, darauf können Sie sich verlassen. Aber die Dinge verlaufen im wirklichen Leben nicht so hübsch und glatt, wie man sich das wünscht – das kommt nur in Romanen vor.«

Frau Bendler ging auf diese Bemerkung nicht weiter ein, sondern fragte nur:

»Ist das Mädchen wirklich in jeder Hinsicht unmöglich?«

»Das weiß der Himmel; ich habe sie nicht gesehen. Herr Brand schlug eine Zusammenkunft mit mir vor, aber ich hatte keine Lust, darauf einzugehen. Er sagte mir, sie sei ein rothaariges Ding, das falsch spräche und seit vier Jahren in der Stellung als Mädchen für alles. Und trotzdem erklärt Herr Haller, in seinem Testament, daß eine Ehe mit ihr richtig und weise wäre und ich bis jetzt blind gewesen sei oder dergleichen Unsinn mehr.«

»Blind?« Frau Bendler sah ihn wieder forschend an. »Das ist wirklich ein sonderbarer Ausdruck.« Ihre gesenkten Augen straften diese Worte aber Lügen. Wäre Arthur jetzt nicht so absorbiert gewesen, so hätte er merken können, daß sie es sehr gut verstand, sich diesen Satz in dem Hallerschen Testament auszulegen.

In dem hübsch frisierten Kopf spukten selbst während dieser Unterredung die mannigfachsten Gedanken, und ehe Arthur wieder das Wort ergriff, entstand in ihr ein wohlersonnener Plan.

»Ich fühle mich in keiner Weise für die Zukunft von Miranda Mühe verantwortlich, da ich trotz der mir völlig unverständlichen Bemerkung über meine Blindheit um keinen Preis eine solche Person heiraten würde, und hätte sie noch zehnmal mehr Geld.«

»Nein, nein – sicherlich nicht.« Frau Bendler lächelte, der in ihr gereifte Plan nahm immer festere Gestalt an. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie in dieser Weise heirateten, Arthur« – ihr Blick streifte sein frisches, vornehmes Gesicht – »aber, wenn wir diese Frage auch völlig ausschalten, so glaube ich doch, Mittel und Wege finden zu sollen, wie sie erzogen und präsentabel gemacht werden kann, und wenn sie in den drei Jahren einen anderen heiratet, so werden Sie ihr, wie sie vorhin sagten, eine anständige Mitgift schenken.«

»Ich will keineswegs bestreiten, wie froh ich wäre, wenn sie heiratete, und ich würde sie dann sicher nicht zu kurz kommen lassen. Wenn Sie der Ansicht sind, daß ich mich um ihre Erziehung bekümmern müßte, so will ich mich gern von Ihnen dabei leiten lassen.«

»Lassen Sie mich ruhig darüber nachdenken,« lautete ihre Antwort, und nun stand ihr Plan fix und fertig vor ihr. »Wenn ich Ihnen zur Lösung Ihrer Schwierigkeiten helfen kann, so werde ich das von Herzen gern tun, das wissen Sie.« Sie erhob sich und ihre weiche Hand strich zärtlich über seinen Arm. »Und jetzt haben sie lange genug mit einer langweiligen alten Frau gesprochen. Ich lasse Ihnen Stella holen.«

Er ergriff ihre Hand und hielt sie so fest, daß es Frau Bendlers ganzer Kraft bedurfte, um das lächelnd auszuhalten.

»Ich sollte nicht zugeben, daß Sie so gut gegen mich sind,« sagte er ganz gebrochen. »Ich sollte darauf bestehen, daß Sie das tun, was ich in meinem Brief andeutete. Ich müßte die Verlobung aufheben. Es ist nicht schön von mir, Stella, meine herrliche, süße Stella an einen Mann zu binden, dessen Vermögen völlig von seiner Tätigkeit abhängt.«

»Aus welchem Stoff sind Ihrer Meinung nach Stella und ihre Mutter denn gemacht? Sind wir Ihnen als berechnend erschienen? Hatten Sie Grund zu der Annahme, daß wir Sie nur Ihres Geldes wegen lieb gewannen?« Sie strahlte ihn mit ihrem hübschen, fast flehentlichen Lächeln an.

»Berechnend? Ach nein, es ist gerade umgekehrt. Sie und Stella denken viel zu wenig an Ihre eigenen Interessen, daß ich sie für Sie in Betracht ziehen muß. Sie sollten von mir fordern, Stella aufzugeben – das würden Sie tun, wenn Sie eine weltkluge Frau wären, aber – ich weiß nicht, ob ich stark genug wäre, sie, selbst wenn es sich um ihr Bestes handelt, aufzugeben,« schloß er mit begeisterten Blicken.

»Von Aufgeben darf keine Rede sein,« entgegnete sie heiter. »Sie und Stella sind noch jung – Ihr könnt beide noch warten und wer weiß, was kommen mag. Ich schicke Ihnen Stella sofort, sie wird Ihnen sagen, wie sie über Sie denkt.« Damit verließ sie freundlich lächelnd das Zimmer.

Arthur blieb schweigend stehen und betrachtete die Tür mit erwartungsvollen, verzückten Augen, bis sie sich leise öffnete und Stella hereintrat. Ihr Gesicht strahlte vor Glück, und ihr blühendes Aussehen wurde durch das tiefe Blau ihres Kleides noch gehoben.

Er schloß sie eng in seine Arme und blickte ihr in die lieben Augen. Dabei durchströmte ihn die feste Ueberzeugung, daß ihre Seele eben so stark und rein wie ihr Gesicht schön sei. Auch nicht im entferntesten ahnte er die Hohlheit, die diese sanften Augen und der bebende, weiche Mund verbarg, daß sie tatsächlich nur ein recht törichtes, und willensschwaches Mädchen war, das ein außergewöhnlich schönes Gesicht und eine recht alltägliche Seele besaß.

Ihre lebhaften Beteuerungen von ewig dauernder Liebe und Treue sog er mit Entzücken ein, und ihre Versicherung daß Armut an seiner Seite sie unendlich glücklicher mache als der Reichtum eines Krösus, den sie mit einem anderen Mann zu teilen hätte, klang ihm wie Musik.

Während sie beide im Salon die Zukunft besprachen, stand Frau Bendler am Fenster des kleinen Raumes, der ihr als Salon und zugleich als Ankleidezimmer diente, und sann über ihre Unterredung mit Arthur nach.

»Mein lieber Arthur«, sagte sie leise halb zu sich selbst, halb zu einem Sperling, der sie von der Kante des Fensterrahmens listig anblickte, »meine Erlaubnis, die Verlobung weiter bestehen zu lassen und die Heirat zu gestatten, ist durchaus nicht einerlei; wenn auch, falls sich meine Idee verwirklicht, die Ehe doch vielleicht möglich wird.«

Sir lehnte sich gegen das Fenster und blickte auf die Straße hinunter, die Brauen dicht aneinander gezogen, und fuhr fort, nach ihrer Gewohnheit laut zu denken:

»Stella wird zuerst gegen das Mädchen stark protestieren, aber Stella läßt sich leicht dazu bringen, die Dinge mit meinen Augen zu betrachten, und die andere,« hier zog sie die vollen Schultern in die Höhe, »nun, ein kleines Arbeitsmädchen von siebzehn Jahren werde ich schon zu behandeln wissen. Es wird mir keine Schwierigkeiten machen, solchem Ton die Form zu geben, die mir beliebt, und es könnte mich mehr befriedigen, als Gottfried Haller noch im Grabe zu enttäuschen.«


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