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1. Kapitel.

»Leider werden Sie das Testament nicht so abgefaßt finden, wie Sie es erwarteten. Es sind einige Vorbehalte darin, die zu Verwicklungen führen dürften.«

Herr Brand, der juristische Berater des verstorbenen Gottfried Haller, des reichsten Mannes aus Singenburg blickte sein Gegenüber mit ernster Miene an.

»Verwicklungen? Vorbehalte? Was soll das heißen?« Die Worte wurden heftig ausgestoßen und bekundeten zugleich eine gewisse Ueberraschung. »Mein Pate ist doch nicht etwa von seinem Versprechen zurückgetreten?«

»Das gerade nicht – indes fassen Sie es doch vielleicht so auf. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, Herr Darberg, daß ich ungemein überrascht war, als ich das Testament las.« –

»Haben Sie es denn nicht selbst aufgesetzt? Er hat Ihnen doch sicherlich den Auftrag gegeben?« Die Ungeduld machte sich jetzt bei dem Sprecher deutlicher bemerkbar.

»Unglücklicherweise nicht. Wäre es der Fall gewesen, so hätte ich ganz entschieden gegen die Klausel Einspruch erhoben, die, hm – den Sinn des ganzen Schriftstückes völlig umwirft.«

Arthur Darberg schob sich jetzt immer unruhiger auf seinem Sessel umher. Es war ein großer, hübscher Mensch, etwa 23 Jahre alt und von angenehmen, heiterem Wesen. Seine blauen Augen besaßen einen besonderen Glanz und scharfen Blick. Das glattrasierte Gesicht ließ den hübsch geschweiften Mund und das energische Kinn deutlich hervortreten. So jung er war, aus seinen Mienen ließ sich sein scharfer, ausgeprägter Charakter erkennen, der ihm sicher dazu verhelfen würde, ein ausgezeichneter Mensch zu werden.

Er war heute morgen in das Bureau des Anwaltes beschieden worden, um den Inhalt des Testaments seines verstorbenen Paten Haller zu erfahren, für dessen Universalerben er seit langer Zeit allgemein gehalten wurde. Brands Worte hatten deshalb für ihn, der in dem Glauben auferzogen war, einer gesicherten, reichen Zukunft entgegenzusehen, einen recht unangenehmen Beigeschmack.

»Meinen Sie, daß in dem Testament ein Haken ist? Eine Aenderung? Sie reden ja gerade so, als ob mir Unheil droht. Sagen Sie mir doch mit einem Wort, was dieses zweite Testament enthält.«

Der Anwalt lehnte sich eine Minute in seinen Sessel zurück und betrachtete den jungen Mann nachdenklich. Vielleicht erwog er, wie jener die ihn erwartende Mitteilung aufnehmen würde, vielleicht bedauerte er ihn, da sein Herz in seiner langen Anwaltspraxis keineswegs verknöchert war. Dabei waren seine eigenen Mienen aber ganz ausdruckslos und ließen gar keine Auslegung zu. Seine kleinen grauen Augen senkten sich nun wieder auf den Tisch hinab, auf dem ein großer Bogen Pergamentpapier ausgebreitet lag.

»Ich werde Ihnen die Hauptpunkte nennen und dann das Testament vorlesen. Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß mir dieses Schriftstück am Beerdigungstage von Herrn Haller durch dessen Wirtschafterin eingehändigt wurde. Die Frau erklärte mir, es sei der Wunsch des Verstorbenen gewesen, daß es mir nicht früher ausgeliefert werden sollte.«

»Ich war ja aber bei der Beerdigung zugegen,« unterbrach Darberg ihn. »Weshalb haben Sie mir denn nicht gleich davon gesprochen, statt eine Woche zu warten, – weshalb –«

»Dafür hatte ich meine guten Gründe,« entgegnete der Anwalt sanft und erhob dabei seine Hand zu einer beschwichtigenden Gebärde. »Die Wirtschafterin überreichte mir ein versiegeltes Kuvert, das ich sofort öffnete. Darin befanden sich einige von Herrn Haller an mich gerichtete Zeilen, die mir besagten, daß das beiliegende Schriftstück sein Testament sei, dessen Weisungen er buchstäblich ausgeführt zu sehen wünsche, und daß ich Ihnen erst acht Tage nach seiner Beisetzung davon Mitteilung machen solle. Indem ich das Testament für eine Woche an mich nahm, habe ich lediglich den Wunsch meines Klienten erfüllt.«

»Gewiß. Sie konnten nicht anders handeln, ich bitte um Entschuldigung. Aber nun möchte ich wissen –«

Mit deutlichen Zögern begann Brand:

»Der Verstorbene hat seine Anordnungen sehr klar ausgesprochen; ich muß Sie auf eine große Enttäuschung vorbereiten. Auf Grund seines ersten Testaments, das ich vor einigen Jahren abfaßte, hinterließ Herr Haller Ihnen uneingeschränkt sein Gesamtvermögen. Dieses zweite Testament hier ändert die Sache völlig. Das Vermögen fällt einem Patenkind, einem Mädchen, zu, das im Besitz bleibt, wenn Sie sich nicht dazu verstehen, dieses Mädchen zu heiraten –«

Arthur Darberg schoß in seinem Stuhl in die Höhe.

»Um Himmelswillen, Herr Brand, wenn ich mich nicht verstehe – wozu eigentlich?« schrie er so laut, daß die Schreiber im Nebenzimmer sich ansahen und lachten. »Wozu?« rief er noch einmal und starrte den Anwalt an, als ob dieser für den absonderlichen Gedanken Hallers die ganze Verantwortung trüge.

»Sie haben das Mädchen zu heiraten, in welchem Falle die Hälfte des Vermögens Ihr Eigentum wird. Weigern Sie sich, so –«

»Ob ich mich weigere? – Natürlich tue ich das!« brach Darberg heftig aus, stützte die Hände auf den Tisch und sah dem Anwalt wütend ins Gesicht. »Glauben Sie, darüber könne auch nur einen Augenblick Zweifel bestehen? Ich weigere mich rundweg, ein Mädchen zu heiraten, das ich nie gesehen habe, dessen Namen ich nicht einmal kenne. Es ist ja ungeheuerlich! Mein Pate muß nicht ganz bei Verstand gewesen sein, als er dieses Testament gemacht hat.« Der junge Mann durchmaß das Zimmer mit raschen, zornigen Schritten.

»Nur ruhig,« beschwichtigte der Anwalt. »Ich kann Ihren Verdruß wohl verstehen; es ist ja nur natürlich, daß Sie aufgeregt sind, aber ehe Sie einen entscheidenden Schritt tun oder irgendwelchen festen Vorsatz fassen, sollten Sie doch die Sache erst zu Ende hören. Setzen Sie sich also, bitte, wieder ruhig hin und lassen Sie mich Ihnen erklären –«

»Ich glaube kaum, daß es einer weiteren Erklärung noch bedarf,« entgegnete Darberg. Er setzte sich aber doch nieder. Er machte eine aufsässige Miene. »Wie kann der alte Herr nur zu solcher Idee gekommen sein? War er wirklich ganz bei Sinnen?«

»Ganz gewiß. Wenn Sie glauben, das Testament von diesem Punkt aus anfechten zu können, so gebe ich Ihnen im voraus die Versicherung, daß das völlig aussichtslos ist. Herr Haller war so gesund und verständig, als er es abfaßte, wie wir beide es jetzt sind. Mir scheint, seiner plötzlichen Sinnesänderung liegt ein menschenfreundlicher Zweck zugrunde; er wollte ein Experiment machen oder vielleicht einen Ausgleich schaffen.«

»Ein Experiment? Mit wem? Mit mir? Einen Ausgleich? Wofür?«

Ein leises Lächeln über diese vielen hastigen Fragen überflog des Anwalts Gesicht, doch entgegnete er ruhig:

»Ich möchte mir noch keine bestimmte Ansicht zu äußern erlauben, doch dürfte das Experiment, wenn es ein solches sein sollte, sowohl für Sie als für – die andere Seite berechnet gewesen sein. Das Testament schließt mit den Worten: ›Ich habe die vorstehenden Anordnungen getroffen, um zu erproben, ob gesunder Menschenverstand und Klugheit nicht zu meiner Befriedigung den Sieg über gesellschaftliche Vorurteile und jugendliche Blindheit davontragen können.‹«

Darberg stieß ein kurzes Lachen aus.

»Es ist eine nette Bescherung, weiß Gott. Ich bin nie müßig gegangen und habe auf den Tod des alten Herrn nicht gewartet, er hat mich aber bestimmt in dem Glauben gelassen, sein Erbe anzutreten.«

»Wenn Sie sich weigern, die Erbin zu heiraten,« fuhr Brand in seinem sanften Tone fort, »so erhalten Sie jährlich 2000 Mark, in vierteljährlichen Raten zahlbar.«

»Donnerwetter!« rief Darberg.

»Die bezeichnete Erbin ist ebenfalls an gewisse Bedingungen gebunden.«

Darberg blickte interessiert auf.

»Wirklich, ist sie das? Uebrigens, wie heißt denn das plötzlich aufgetauchte Patenkind? Ich möchte jeden Betrag wetten, daß sie alt und häßlich ist.«

»Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie heißt Miranda Mühe und wohnt Georgstraße 144. In dem Brief ersuchte mich Herr Haller noch ausdrücklich, zuerst Sie mit dem Testament bekannt zu machen und dann die junge Dame aufzusuchen, um ihr die Nachricht zu bringen.«

»Und wie lauten die ihr auferlegten Bedingungen? Mein Pate hat uns einen netten Streich gespielt, und so alt er auch schon war, er muß diese Pläne doch erst ausgeheckt haben, nachdem ich zum letzten Mal bei ihm gewesen bin.«

»So schlicht Herr Haller sich auch gab, so wußte er doch die Dinge zu beobachten und zu erkennen, wie ihm das nur wenige zutrauten. Sie haben ihn doch in keiner Weise verletzt, daß sich daraus erklären ließe, weshalb er –«

»Das wüßte ich wirklich nicht,« warf Darberg ein, stockte dann plötzlich und errötete tief – »wenigstens nicht derart, daß sich dieses tolle Testament rechtfertigen ließe. Wir haben natürlich in allen Punkten nicht immer die gleiche Meinung gehabt.«

»Das verstehe ich,« antwortete der Anwalt milde, doch seinen scharfen Blicken entging die Verlegenheit Darbergs nicht. »Jedenfalls ist es jetzt zu spät, nach Gründen für sein sonderbares Verhalten gegen Sie zu suchen. Morgen muß ich also zu Fräulein Miranda Mühe gehen und ihr erklären –«

»Bitte, erklären Sie ihr von Anfang an, daß es mir völlig unmöglich sei, die Bedingungen dieses unfaßbaren Testaments zu erfüllen. Lassen Sie sie keinen Augenblick im Zweifel darüber, wie ich unter keinen Umständen mich zu dem Possenspiel einer Heirat verstehen würde, denn anders wäre eine solche Heirat doch nicht zu nennen.«

»Ganz recht, ganz recht. Die junge Dame ist trotz der ihr gestellten Bedingungen aber gar nicht so gefesselt wie Sie, Herr Darberg. Mit Ausnahme Ihrer kleinen Rente erhält sie das ganze Geld, nur darf sie sich außer mit Ihnen, vor den nächsten drei Jahren nicht verheiraten. Täte sie das, so würden Sie der alleinige Erbe. Heiraten Sie beide sich, so erhält jedes von Ihnen eine Hälfte des Geldes. Bleibt sie also drei Jahre unvermählt, so erhält sie das ganze.«

»Ich kann nur wiederholen, das Testament ist lächerlich, einfach lächerlich. Wenn die Erbin Verstand besitzt, so bleibt sie entweder ledig, oder sie wartet die drei Jahre ruhig ab und heiratet den Mann, der ihr gefällt. Auf jeden Fall bin ich um das Geld gebracht.«

»Vielleicht ist die junge Dame sehr anziehend,« wagte Herr Brand zu sagen.

»Möglich – das hat aber für mich nicht die geringste Bedeutung. Ich lass' mich zu einer Ehe unter solchen Voraussetzungen nicht zwingen. Der alte Herr wußte, daß ich ein armer Schlucker bin, der sich sein Gehalt von viertausend Mark jährlich im Büro durch stramme Arbeit verdient. Wäre ich ein Müßiggänger gewesen, so hätte er vielleicht das Recht gehabt, mich in dieser Weise zum Narren zu halten. Wie die Dinge jedoch liegen, hat sein Verhalten weder Sinn noch Berechtigung. Suchen Sie dieses Fräulein Miranda Mühe – famoser Name übrigens – und machen Sie es ihr gefälligst ganz klar, daß ich nicht die Absicht habe, mich zu verkaufen.«

»Sie sind vielleicht nicht mehr frei, um sich um ihre Hand zu bewerben – Ihr Herz hat vielleicht schon –«

Darberg unterbrach ihn, indem er sich wieder von seinem Stuhl erhob.

»Ja, mein Herz hat schon Feuer gefangen. Ich nehme keinen Anstand, Ihnen zu gestehen, daß es so ist. Aber selbst wenn ich noch frei wäre, könnte mich doch nichts dazu bringen, mich für ein Vermögen zu binden, und handelte es sich um einen Betrag, der zehntausendmal größer ist als der, den ich einbüße. Es wird mich aber interessieren, zu hören, was das Fräulein Mühe eigentlich für eine Person ist. Um den schlechten Scherz des alten Herrn vollständig zu machen, müßte sie ein spätes Mädchen sein, dessen Alter sich gerade so wenig bestimmen läßt wie ihr Temperament.«

»Schwerlich ist sie das. Das Testament spricht von ihr als Hallers Patenkind, und sie ist vielleicht jung, schön und bezaubernd.«

»Möglich, doch macht das gar keinen Eindruck auf mich. Beglückwünschen Sie sie in meinem Namen zu der reichen Erbschaft, und ich werde mich in einigen Tagen nach dem Ergebnis Ihres Besuches erkundigen.«

Nervös griff Darberg zu Hut und Stock und verließ das Zimmer.

»Armer Junge«, dachte der Anwalt, als die Tür hinter Darberg zufiel. »Er tut mir aufrichtig leid. Der alte Haller hat ihm wirklich einen schlechten Streich gespielt. Ich wünsche nur, ich könnte das Fräulein Mühe dazu bewegen, ihm die Sache zu erleichtern. Vielleicht heiratet sie sofort, oder er läßt sich doch bestimmen, sie zu heiraten, wenn sie hübsch ist.«


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