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19. Kapitel.

Arthur Darberg war einige Wochen nach den Ereignissen auf Schloß Mainard heimgekehrt. Er hatte sich aber gescheut, Frau Bendler sowohl wie Singenburg wieder zu besuchen. Dann drangen unbestimmte Gerüchte von Frau Bendlers geistiger Umnachtung zu ihm, daneben sogar Gerüchte von einer abermaligen Ehe Stellas, was ihn um so mehr davon abhielt, den Verkehr mit seinen früheren Freunden und deren Kreisen wieder aufzunehmen.

Das Herrenhaus in Singenburg oder gar Fräulein Mühe aufzusuchen, kam ihm noch viel weniger in den Sinn. Fräulein Mühes erinnerte er sich teils spöttisch, teils ergötzlich, er nahm jedoch nicht einmal so viel Interesse an ihr, um darüber nachzudenken, ob sie sich seit der letzten zufälligen Begegnung mit ihm auf ihrem Besitztum entwickelt hatte und fortgeschritten war. Die komische Gestalt in dem Kattunröckchen und roten Hut, die zu ihren flammenden Haaren so wenig paßten, konnte ihm noch ein vergnügtes Lächeln abgewinnen.

Eines Tages kam das Gespräch aber auf Fräulein Mühe; und da fragte Arthur einen seiner Bekannten, was aus der Erbin eigentlich geworden sei.

Zu seiner Ueberraschung erfuhr er dann, daß sie als ein Stern der Gesellschaft betrachtet wurde und daß er sie wohl schwerlich wiedererkennen würde.

Arthur hatte ungläubig die Achseln gezuckt und dann das Thema als für ihn völlig belanglos fallen lassen.

Nach einem Aufenthalt von mehreren Jahren in einem Lande, in dem die Sonne immerwährend scheint, fand Darberg das Klima seines Vaterlandes und dessen grauen Himmel zuweilen recht unerträglich, so daß seine Sehnsucht nach Sonnenschein und blauem Himmel immer stärker wurde. Seine Unternehmungen in Australien hatten sich als sehr erfolgreich erwiesen, und wenn er auch nicht gerade große Reichtümer in den wenigen Jahren aufspeichern konnte, so gestatteten ihm seine Verhältnisse eine Reise in den Süden leicht. Darum segelte er an einem nebeligen, kalten Tage Ende Februar über Hamburg nach Genua.

Ein angeborener Widerwillen gegen große Hotels und die Menge eleganter Leute ließen ihn stets entlegene Orte und ganz kleine Dörfer in den Bergen aufsuchen, und von einem zum anderen pilgernd, hatte er sich Anfang März in einem winzigen Gasthaus in Ruta einquartiert.

Das kleine Dörfchen lehnt sich an die Spitze eines steilen Berges, dessen abschüssige Flanken sich in den vollen Strahlen der südlichen Sonne baden. Der Berg ist mit Olivenbäumen dicht besetzt, von der Spitze herab bis an den Fuß, der von dem blauen Wasser des Mittelmeeres bespült wird. Die Aussicht über die weite glänzende Wasserfläche und auf die weichen Linien der grauen Küste und der Berge ist eine der herrlichsten an der ganzen Riviera. Eisenbahnen sind von Ruta weit entfernt, es ist nur zu Wagen oder zu Fuß zu erreichen, und man lebt dort weit ab vom Lärm und Treiben der Außenwelt.

Am Abend seiner Ankunft saß Arthur Darberg am Fenster seines primitiven kleinen Zimmers und blickte über den Garten des Gasthauses hinüber und über die Gipfel der milden grauen Olivenbäume auf das weite Blau des Meeres. Im Westen hinter den Spitzen und Bergen der Küste, die sich bis nach Genua erstreckt, versank die goldene Sonne in ein Bett goldener Wolken, die Ruhe des Abends lag über Land und Meer und wurde nur durch den klaren, eindringlichen Ton eines Vogelrufes aus dem Garten gestört.

Während Arthur sich hinauslehnte, zuerst träumerisch auf die duftspendenden unzähligen Rosen im Garten, dann auf den blauen Himmel im Westen blickend, zuckte er plötzlich heftig zusammen, und es entfuhr ihm ein kurzer Ruf der Ueberraschung, als eine junge Dame aus der Rosenlaube trat und sich langsam auf das Haus zu bewegte. Sie war ganz in Weiß gekleidet, das in anmutigen Falten an der hohen mädchenhaften Gestalt hinunterfloß, gekrönt von Haar, das wie von flüssigem Gold gesponnen schien.

»Bei Gott, das habe ich nicht geahnt, solch eine Erscheinung hier zu treffen,« sagte er sich, und mit einer Eile, die seiner bisherigen Träumerei wenig ähnlich sah, verließ er sein Zimmer und fand den Weg zum Garten hinunter, in dem die reizende Fremde in Weiß, noch immer in den Anblick des herrlichen Schauspiels im Westen versunken, dastand.

Als sie Darbergs Schritte auf dem Gartenweg hörte, wandte sie sich um, feine Röte stieg bei seinem Anblick in ihr Gesicht, und es war, als ob sie die Hand ausstrecken wollte. Dann erkannte sie das Erstaunen in dem Gesicht des jungen Mannes, das seine große Bewunderung nicht verhehlte. Sie zog sich etwas zurück und lächelte, ein vollkommen konventionelles Lächeln.

Er grüßte.

»Welch herrlicher Abend!« sagte sie. »Sie sind wohl eben erst angekommen?«

»Ja – erst vor ganz kurzer Zeit. Aber ich hin auch schon von diesem Ort entzückt. Er –«

»Er ist einzig,« sagte sie schnell, »und so weit von der Heerstraße entfernt, daß man von den gewöhnlichen Touristen hier nicht gequält wird.«

Während sie sprach, hatte Arthur sie ganz aufmerksam beobachtet, und dann sagte er plötzlich:

»Bitte, verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, es klingt unbescheiden – aber es scheint mir, daß ich Ihnen schon früher einmal begegnet bin. Sind wir nicht schon zufällig einmal in demselben Hotel zusammen gewesen? Aber nein – ich hätte nicht vergessen können,« fügte er leise hinzu, und seine bewundernden Blicke steigerten sich.

Die Augen des Mädchens zwinkerten vergnüglich, es antwortete aber ganz ernsthaft:

»Ach nein, ich bin ganz sicher, daß wir noch nie in demselben Hotel zusammen gewesen sind; ich würde mich dessen erinnern.«

»Es ist ganz merkwürdig,« sagte Arthur verlegen. »Ich weiß bestimmt, daß ich Ihr Gesicht, Ihre Stimme kenne, und doch –«

»Vielleicht eine zufällige Ähnlichkeit,« entgegnete sie leichthin, »wenn Sie länger hier bleiben, wird es Ihnen wohl möglich sein, sich zu erinnern, wem ich ähnlich sehe. Wir halten uns in Ruta noch einige Wochen auf – vielleicht – besinnen Sie sich inzwischen –«

Ein reizendes Lachen kam aus ihrem Mund, das eine neue Erinnerung in Darberg auffrischte. Seine Blicke wurden immer ratloser, je länger er der schlanken weißen Gestalt nachsah, die durch den Garten schritt und im Hause verschwand.

»Merkwürdig, merkwürdig,« dachte er; »ich könnte doch ein so reizendes Mädchen nicht vergessen haben, wenn ich es einmal sah, und doch – ich bin überzeugt, es ist nicht das erstemal, daß wir uns begegnet sind. Wo kann ich das Fräulein denn früher gesehen haben? Wer mag sie sein?«

Sie eilte inzwischen die rohgezimmerte Treppe des Gasthauses hinauf und betrat ein großes Zimmer im ersten Stock, in dem eine Dame auf einem Ruhebett vor dem Fenster lag.

»Es ist etwas sehr Interessantes passiert, Mama Grau! Herr Arthur Darberg ist hier und hat keine Ahnung, wer ich bin.«

»Mein liebes Malchen!« Frau Grau hatte sich kerzengerade aufgerichtet, und ihre Augen leuchteten vor Erregung. »Bist du sicher, daß er dich nicht erkannt hat?«

»Ganz sicher.« Malchen sank neben ihrer Pflegemutter zu Boden und lachte vergnügt. »Er glaubt, mich irgendwo schon gesehen zu haben, und fragte mich, ob wir nicht früher einmal in demselben Hotel gewohnt hätten, worauf ich ihm mit gutem Gewissen mit einem Nein antwortete. Er hat wirklich keine Ahnung, wer ich bin, und ich möchte auch nicht, daß er das erfährt – bevor ich es ihm selbst sage.«

»Und da hier im Hause noch keine Fremdentafel existiert, wird er es auch nicht so leicht herausbekommen,« meinte Frau Grau.

»Nein – er kann mich mit dem Namen meiner Mutter, Maddinger, anreden, wenn er meinen Namen wissen will.«

»Ich bin fast so schlecht, um mich des Umstandes zu freuen, daß meine liebste Mama Grau sich den Fuß verstaucht hat und deshalb einige Tage das Zimmer hüten muß,« sagte sich Malchen. »denn wenn Herr Darberg sie gesehen hätte, würde er sich ihrer – und meiner erinnert haben, und er soll sich nicht erinnern, bevor –«

Den Satz mochte sie aber nicht einmal in Gedanken beendigen – doch die Röte auf ihren schönen Wangen und der milde Glanz ihrer Augen sprachen Bände.


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