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13. Kapitel.

Während der drei Tage, in denen Malchen und Frau Bendler bisher gemeinsame Gäste auf Schloß Mainard waren, hatte Marie Bendler sie geschickt zu meiden gewußt, während Malchen, ohne die Formen der Höflichkeit gegen die ältere Dame außer acht zu lassen, offenbar auch nicht den Wunsch hegte, sich mit ihr auf einen herzlichen Fuß zu stellen. Gegen Stella war sie ganz wie früher, und die Freundschaft, die damals, als Malchen mit ihr zusammen wohnte, bestand, hatte eine beide Teile befriedigende Erneuerung erlebt. Sie sah jetzt, daß die junge Baronin Bangler genau ein solches Werkzeug in den Händen ihrer Mutter war, wie es Stella immer gewesen.

»Es ist vielleicht recht schlecht von mir, aber ich möchte doch auf Stella einwirken, daß sie nicht immer tut. was ihre Mutter wünscht, sondern sich ihr auch, wenn es nötig ist, widersetzt,« sagte Malchen zu Frau Grau, als sie sich einige Minuten nach dem zweiten Frühstück am vierten Tage mit ihrer alten Freundin allein in deren Zimmer befand. »Stella ist wie Wachs in Frau Bendlers Händen, und man muß sich unwillkürlich die Frage vorlegen, was diese Hände mit dem Wachs noch beginnen werden.«

»Stella ist stets sehr bildsam, leicht zu bestimmen gewesen,« meinte Frau Grau und lächelte aus ihrem niedrigen Lehnsessel zu ihrer großen Pflegetochter hinauf, »und wenn ihre Mutter sich nicht der Aufgabe unterzogen hätte, sie zu formen, so würde das ein anderer getan haben müssen. Sie ist ein Mädchen, das geführt und geleitet werden muß, weil sie eben nicht versteht, allein zu gehen.«

»Sie tut mir herzlich leid. Sie ist unglücklich verheiratet gewesen, sie sieht unzufrieden und unglücklich aus und fühlt sich sehr vereinsamt.«

»Sie wird sich wieder verheiraten. Sie hat ein Gesicht, in das sich mancher Mann unbedingt verlieben wird. Stella wird nicht immer allein bleiben.«

»Ich möchte wohl wissen,« sagte Malchen langsam und wandte den Blick von Frau Grau ab, um aus dem Fenster zu sehen, wie der Wind die Baumzweige hin und her jagte, »ich möchte wohl wissen, wenn Herr Darberg Stella wiedersieht, ob er dann –«

»Nein, Malchen, denke doch nur so etwas nicht! Was ich von Herrn Darberg sah, hat mir gefallen, und deshalb würde ich es außerordentlich bedauern, wenn er sich an Stella wegwürfe, und so würde man das nennen, wenn er Stella heiratete. Ich wünsche nur, er hätte so viel gesunden Menschenverstand, um das zu tun, was sein Pate wünschte –«

Sie sprach nicht weiter. Ihre Augen ruhten liebevoll auf Malchens Gesicht, das sich mit einer brennenden Röte überzog, die aber sogleich wieder verschwand. Das Mädchen rückte mit einer heftigen Bewegung von ihrer Seite ab, ein sanfter feuchter Ausdruck trat in die braunen Augen, und ein Lächeln spielte um ihren Mund. Das hatte Frau Grau nicht gesehen, denn Malchen war ans Fenster getreten und ließ die Finger über die Scheiben gleiten, als wollte sie die Regentropfen von draußen erhaschen.

»Ach, das wird nie geschehen! Herr Darberg und ich sind wie Süd- und Nordpol getrennt. Es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, daß wir uns noch einmal wieder im Leben begegnen.« Malchen ging wieder auf Frau Grau zu, trat dicht an ihre Seite. »Die Erinnerung, die Herr Darberg an das andere Patenkind seines Paten hat, wird ihn nicht wünschen lassen, es wieder zu sehen – und – du bist eine liebe Ehestifterin, solltest aber doch keine Zeit mit ganz unmöglichen Zukunftsplänen für mich vergeuden. Ich werde eine nette alte Jungfer werden und immer bei dir bleiben, oder du kommst zu mir aufs Herrenhaus, Mama Grau, und wir wollen uns den Kopf nicht mit Gedanken an Männer und an Heirat zerbrechen.«

Frau Grau streichelte liebkosend Malchens Hand; Neugierde lag in ihrem mütterlichen Blick, mit dem sie das noch errötete Gesicht des Mädchens betrachtete. Es war nicht das erstemal, daß sie an Malchen Zeichen der Unruhe, fast der Verlegenheit wahrnahm, sobald der Name Arthur Darberg erwähnt wurde, und obgleich sie darüber nie sprach, hatte sie oft darüber nachgedacht, ob Malchen wohl nicht doch ein viel größeres Interesse an Darberg nahm, als sie das zeigen mochte.

»Ich wünsche dir das glücklichste Leben, das eine Frau führen kann, und kein Leben ist so wahrhaft glücklich und voll für eine Frau, als die Ehe mit einem geliebten Mann. Lass' dich nie zu dem Glauben verleiten, daß Unabhängigkeit oder alle damit verknüpften Vorteile eine Frau für den Verlust ihrer natürlichen Bestimmung – der Liebe eines Gatten und der Liebe ihrer Kinder – entschädigen können. Meine eigene Ehe war so glücklich, daß ich vielleicht zu sehr dazu neige, daran den Maßstab für alle zu legen, aber es will mir fast scheinen, daß selbst eine nicht ganz harmonische Ehe für das Weib noch besser ist als das Los eines alten Mädchens.«

»Du weißt aber gar nicht, welch allerliebste alte Jungfer ich noch einmal werde. Ich werfe alle deine Theorien über den Haufen, so daß du selbst eingestehen mußt, unrecht zu haben. Und nun Mama Grau müssen wir hinuntergehen, um uns an der Besichtigung des Schlosses zu beteiligen. Herr v. Cönnern hat gebeten, daß man sich um 3 Uhr in der großen Eingangshalle einfinden soll, und es ist soweit.«

*

Die große Halle, in der Frau Grau und Malchen, nachdem sie die Treppe hinuntergegangen waren, den größten Teil der Gäste versammelt fanden, nahm die ganze Mitte des Schlosses ein und führte in die kleine Eingangshalle, die unmittelbar hinter dem Hauptportal lag. Die innere große Halle wurde von den Herrschaften als Wohnraum benützt, besonders wenn das Schloß, wie jetzt, voller Gäste steckte, und die großen, bequemen Lehnsessel und Diwans, die auf den Tischen aufgehäuften Zeitungen und illustrierten Zeitschriften und die Bücherschränke, die die neuesten Erscheinungen der Literatur enthielten, machten den Aufenthalt hier für alt und jung angenehm. An den eichengetäfelten Wänden hingen manche Jagdbeuten, teils Erfolge der jugendlichen Taten des Schloßherrn, teils Widmungen der jüngeren Generation an diesen. Ueber den Geweihen von Hirschen, über den Köpfen von Bären, Luchsen und selbst Löwen waren alte Rüstungen angebracht, die den Vorfahren Cönnerns in längst vergangenen kriegerischen Zeiten gedient hatten, jetzt aber so blank geputzt erschienen, daß sich der Glanz des großen Holzfeuers in ihnen widerspiegelte, das lustig in dem weiten Kamin prasselte und der Trübseligkeit des regnerischen Tages Abbruch tat.

Ein lustiges Stimmengewirr und Lachen erfüllte den Raum, und die Gäste, die von der Treppe hinabkamen, wurden von den bereits unten Versammelten mit fröhlichen Zurufen begrüßt.

»Sie haben sich verspätet,« rief Distelmann Frau Grau und Malchen zu, als er an den Fuß der Treppe trat, um sich dem Paare zu nähern. »Ich glaube, Sie haben ein Schläfchen gehalten und sind gerade aufgewacht, um zu entdecken, wie spät es schon ist. Man wollte schon aufbrechen, als gerade ihr Kleid sichtbar wurde, gnädiges Fräulein.«

»Nein – wir haben auch nicht ein Auge zugedrückt,« lachte Malchen, »aber wir müssen zugeben, daß wir geplaudert haben. Frau Grau und ich haben uns immer so vieles zu erzählen. Wir hatten gar nicht die Absicht, uns zu verspäten, dazu ist unser Interesse an der Besichtigung viel zu groß.«

Frau Bendler, die einige Schritte von der Gruppe entfernt stand, zog unwillkürlich die Stirn kraus. Malchens klare Stimme, die hübsche Betonung, die gutgewählten Worte fielen ihr auf die Nerven. Sie konnte sich selbst der Tatsache nicht verschließen, daß Malchen nicht allein schön, sondern auch schick und einfach gekleidet war. Sie würde sonst etwas darum gegeben haben, wäre sie imstande gewesen, sich über das Auftreten und die Toilette Malchens lustig machen und andeuten zu können, daß sie ihre Schönheit mehr der Kunst als der Natur verdankte. Aber solcher Hohn und solche Andeutungen wären doch ganz verfehlt gewesen, denn das weiche, helle Braun von Malchens Kleid zeigte einen vorzüglichen Geschmack und paßte großartig zu ihren Augen und zu ihrem Haar, während der leise Hauch von orangefarbenem Tüll an ihren Hüften gerade die richtige Nuance war, die mit der klaren, weißen Haut harmonierte. Keine Kunst wäre imstande gewesen, diesen Teint, diese klare, weiße Färbung von Hals und Stirn hervorzubringen, und auch nur die Natur konnte eine solche Haarpracht, solche goldenen braunen Augen schaffen.

Als sich die Gesellschaft, von Herrn v. Cönnern geführt, langsam in Bewegung setzte, blieb Frau Bendler in den hintersten Reihen, angeblich, um neben Fräulein Knopf zu gehen, in Wirklichkeit indes, weil sie außer Hörweite der hellen jungen Stimme bleiben wollte, die eifrige, interessierte Fragen an den Baron Cönnern richtete.

»Wir wollen mit den historischen Zimmern im westlichen Flügel beginnen,« rief Herr v. Cönnern seinen Gästen zu. »Zuerst ist da das Geheimzimmer, von dem die Tradition erzählt, daß dort ein Mönch auf Befehl eines allzu frommen Herrn aus meiner Ahnenreihe den Hungertod erlitten hat. Dann folgt das große Gemach, in dem die Königin Friederike übernachtete, als sie das Schloß mit ihrem Besuch beehrte, und in dem dritten Zimmer schlief der König Johann in einer Nacht auf seiner Flucht vor den Rebellen; hierüber sind ganz zuverlässige Dokumente im Schloßarchiv vorhanden.«

Diese Räume des westlichen Flügels wurden mit aller ihnen gebührenden Ehre und hohem Interesse in Augenschein genommen, doch die stärkste Neugierde der Gäste war durch den Gedanken an Burgverließe und andere gruselige Reste aus barbarischen Zeiten wach geworden. Als man den westlichen Flügel hinter sich hatte, wandte sich einer der Herren an den Baron:

»Wir brennen alle darauf, den Zwinger zu sehen, und alle anderen Schrecknisse, die Sie uns versprochen haben, Herr Baron. Gerade an so trüben Tagen sieht man gern etwas Schauriges. Kann nicht einer von uns ins Burgverließ hinunterfallen oder sonst irgendetwas Aufregendes vollführen?«

»Davor soll uns der Himmel bewahren,« entgegnete der Schloßherr, dessen robustes Gesicht plötzlich erblaßte. »Nein, mein lieber junger Freund, wenn Sie solche Dinge und auch nur im Scherz reden, dann führe ich niemand von Ihnen auch nur einen Schritt weiter.«

»Sie meinen doch nicht, daß einem von uns so etwas Gräßliches passieren kann?« fragte eine ältliche Dame. »Ich dachte, die Schrecknisse eines Burgverlieses gehörten der Vergangenheit an?«

»Sagen Sie uns doch, bitte, welchen Gefahren Sie uns gegenüberstellen wollen,« sagte Fräulein Knopf. »Wenn wir wirklich in Ihr furchtbares Verließ fallen sollten, was würde dann aus uns werden?«

»Das Burgverließ steht mit einem unterirdischen Strom in Verbindung, der etwa anderthalb Stunden vom Schlosse entfernt erst wieder an die Oberfläche mündet. Sollte sich ein solch grausiger Unfall ereignen, daß jemand ins Burgverließ hinunterstürzt, so ist die Aussicht, ihn zu retten, gleich Null. Unsere Vorfahren sind ganz besonders grausam zu Werke gegangen. Die Mauern des Verließes sind vollständig glatt und schlüpfrig und fallen senkrecht zum Strom ab, den man von oben deutlich hören kann. Es ist wirklich kein vergnüglicher Ort und vielleicht –« – Herr von Cönnern erblickte ringsherum nur aufgeregte Mienen – »vielleicht ziehen Sie es doch vor, das Verließ gar nicht zu sehen.«

Ein Dutzend Stimmen riefen ihm entgegen: »Wir müssen es sehen – unbedingt! Sie [Textzeile fehlt in der Scanvorlage. Re] hochinteressant in unserer heutigen Zeit, so etwas Greuliches in der Nähe zu wissen. Bitte, führen Sie uns hin!«

Herr v. Cönnern lachte sein herzliches, gutmütiges Lachen und schritt voran, von seinen Gästen gefolgt, die eifrig die Frage mittelalterlicher Grausamkeiten diskutierten. Man war nun in einen schmalen Gang gelangt, der mitten durch das Schloß vom westlichen zum östlichen Flügel führte, und betrat jetzt diesen Teil des gewaltigen Gebäudes, in dem sich die berühmte Bildergalerie der Cönnernschen Familie befand. Die Galerie war der Gesellschaft bereits bekannt, und ihr Eifer, die unterirdischen Schrecknisse des Schlosses zu sehen, ließ den Wunsch nicht aufkommen, bei den Cönnernschen Ahnen stehen zu bleiben. Gerade am Ausgang der Galerie entdeckte Fräulein Knopf mit ihrem Spürsinn für verschlossene Türen und verborgene Ecken eine schmale Tür zur Linken, an der Herr v. Cönnern ohne weitere Bemerkung vorüberschreiten wollte.

»Ich glaube, dieses ist Blaubarts Zimmer,« rief sie in schrillen Tönen und blieb vor der Tür stehen. »Herr Baron, gestehen Sie nur, Sie wollten uns hier vorüberführen, ohne uns einen Blick da hinein zu gönnen.«

Ein verdrießlicher Ausdruck, der eben so schnell verschwand, wie er gekommen, zog über das Gesicht des Schloßherrn, der sich sofort umwandte, um zu Fräulein Knopf zurückzukehren.

»Ich will gern zugeben, daß mir dieses Zimmer nicht angenehm ist.« Er drehte den Schlüssel langsam im Schloß herum. »Aber mit Blaubart hat es doch nichts zu tun. Meine Frau und ich –« er sah zu Frau v. Cönnern hinüber, die, weil sich ihr Gatte in Verlegenheit zu befinden schien, nach ihrer Gewohnheit sofort an seine Seite eilte und den Satz beendete:

»Wir vermeiden dieses blaue Zimmer, wie wir es nennen, deshalb gern, weil es im vorigen Jahrhundert der Lieblingsaufenthalt einer Patrizia v. Cönnern gewesen ist, die in der Familie so eine Art Lucrezia Borgia war,« sagte sie ruhig. »Sie schmiedete verschiedene teuflische, aber recht sinnreiche Pläne, wie sie die Personen, die ihr im Wege standen, am leichtesten beiseite schaffen konnte, und ich habe in dem Zimmer stets das Gefühl, als ob ihr schlimmer Einfluß noch heute wirksam sein könnte. Das ist ja ein recht phantastischer Glaube, aber er besteht doch nun einmal.«

Während Frau von Cönnern das erzählte, war der Baron durch den kleinen Raum geschritten, dessen Jalousien geschlossen waren.

Der schwache, dunstige Geruch veranlaßte Frau v. Cönnern, ihrem Mann zu sagen: »Ach, bitte, öffne doch die Fenster, Lieber, ein bißchen feuchte, frische Luft ist besser, als gar keine. Hier kommt selten jemand hinein, höchstens einmal ein Mädchen, um Staub zu wischen,« fügte sie, wie entschuldigend gegen die Gäste gewandt, hinzu, die schweigend umherblickten. So phantasielos auch der größere Teil von ihnen war, so hatten doch die Worte der Schloßherrin von dem unheilvollen Einfluß einen gewissen Eindruck nicht verfehlt. Man besah sich die getäfelten Wände, die spindeldürren Stuhl- und Tischbeine, die verblichenen Brokate mit einer gewissen Befangenheit, als ob man fest das Erscheinen der berüchtigten Dame aus der Vergangenheit jeden Augenblick erwarte.

Fräulein Knopf schien gegen jede Geisterfurcht gefeit zu sein und tappte auf dem glatten Fußboden munter herum, die Stielbrille streitlustig vor den Augen, um jeden Winkel genau zu durchforschen. Sie hatte die dunkelste Ecke erreicht und untersuchte einen eigenartigen alten Arbeitstisch, der dort stand. Dann richtete sie die Augen auf ein Bild, das oberhalb des Tisches an der Wand hing, und als sie dieses kleine, aber in Lebensgröße gemalte Porträt sah, stieß sie einen kreischenden Ruf aus und starrte das Bild mit halbgeöffnetem Mund an, als ob sie einer überirdischen Erscheinung gegenüberstände.

»Was ist denn?« fragte Frau v. Cönnern, rasch neben Fräulein Knopf tretend. »Sie scheinen ja sehr überrascht zu sein.« Zu gleicher Zeit drängten sich die Gäste, durch Fräulein Knopfs Ausruf herangelockt, in die Ecke, wo die beiden Damen standen.

»Ueberrascht?« keuchte Fräulein Knopf. »Gewiß bin ich überrascht. Ich glaube, es wird Ihnen nicht anders ergehen, Frau von Cönnern, sehen Sie sich nur einmal dieses Bild an.«

Frau v. Cönnern tat, wie ihr geheißen, und von ihren Lippen erklang auch sofort der Ausruf höchster Verwunderung.

»Sie sehen es auch?« fragte Fräulein Knopf erregt. »Sie sehen es auch? Es ist keine Einbildung von mir?«

»Sicherlich nicht,« sagte Frau v. Cönnern ernst und erstaunt. »aber – aber – wie seltsam: Richard, schau doch einmal her. Das Porträt ist –«

»Das genaue Ebenbild von Fräulein Miranda Mühe,« rief Fräulein Knopf, der Schloßherrin ins Wort fallend. »Wenn sie dazu gesessen hätte, würde es ihr nicht ähnlicher sein.«

Frau Grau stieß ebenfalls einen Ruf der größten Ueberraschung aus; ihre Augen leuchteten auf.

»Jetzt weiß ich, weshalb ich beständig die Gewißheit mit mir herumtrug, entweder Malchen schon einmal gesehen zu haben oder jemand, der ihr genau ähnlich war. Es muß dieses Bild gewesen sein, an das ich mich erinnerte. Ich habe es vor drei Jahren in diesem Zimmer gesehen, als ich zuletzt bei Ihnen war,« wandte sie sich an das Ehepaar von Cönnern, die beide von dem Bilde auf Malchen und von Malchen wieder auf das Bild blickten.

In steigender Aufregung erklärte Fräulein Knopf: »Solche außerordentliche Ähnlichkeit habe ich noch in meinem ganzen Leben nicht gesehen, genau die gleiche Haltung des Kopfes, der Ausdruck der Augen, die gleiche Haarfarbe, alles ist dasselbe. Wie läßt sich ein solcher Zufall nur erklären?«

Fräulein Knopf blickte auf die erstaunten Gäste mit hochroten Wangen und vor Eifer glühenden Augen.

Die Blicke aller Anwesenden richteten sich von dem an der Wand hängenden Gesicht auf das Gesicht der jungen Dame, die sich etwas abseits von der interessierten Schar der Zuschauer hielt. Malchen war erschreckt und ratlos zugleich. Denn wie allen übrigen war auch für sie selbst die Ähnlichkeit zwischen dem Bild und ihr so ungemein merkwürdig, daß ihr einige Augenblicke die Worte fehlten, um ihre Ueberraschung auszudrücken. Diese Ueberraschung sprang jedem in die Augen, der das lebende Mädchen mit dem gemalten verglich. Das Mädchen auf dem Bilde war in Weiß gekleidet, und ein weißer Hut ruhte auf der Fülle ihres glänzenden Haares. Das Haar selbst, nach Farbe und Wellung, bildete das richtige Seitenstück zu dem schönen Reichtum der sonnigen Locken Malchens. die Augen, die aus dem Gesicht an der Wand herabblickten, trugen das gleiche goldene Braun wie die überraschten Augen des im Zimmer stehenden Mädchens. Mund und Kinn auf dem Bilde zeigten ebenso die gleichen Linien von Stärke und Entschlossenheit, die dem Gesicht der jungen Erbin ein so charakteristisches Gepräge gaben.

Der Schloßherr nahm nach den letzten erregten Sätzen von Fräulein Knopf zuerst das Wort, und man sah ihm deutlich an, unter welcher Spannung er stand.

»Wie merkwürdig, wie überraschend! Ich kann mir nicht denken, daß solche Ähnlichkeit nur auf reinem Zufall beruht. Die beiden Gesichter sind genau dieselben – und jetzt begreife ich auch – es ging mir wie Frau Grau, weshalb ich. als ich Sie zuerst sah, mein gnädiges Fräulein, sofort wußte, Ihnen schon einmal begegnet sein zu müssen.«

»Aber wie läßt sich diese Ähnlichkeit erklären?« fragte Malchen, deren Verwunderung sich in ihren Augen vertiefte. »Es ist mir unmöglich, herauszufinden, wieso ich einem Ihrer Bilder so ähnlich sein kann. Wollen Sie mir nicht freundlichst sagen, wer diese Dame war?«

»Es ist eine gewisse Diana v. Cönnern, eine meiner Ahnen. und gerade die Dame, die der berüchtigten Patrizia zum Opfer fiel, nach der dieses Zimmer benannt ist.«

»Erzählen Sie uns die Geschichte, erzählen Sie uns die Geschichte, Herr Baron,« rief ein ganzer Chor von Stimmen. »Man kann es Ihnen ja ansehen, es gibt da eine Geschichte.«

»Natürlich – und auf ihr basiert der diesem Zimmer anhaftende schlimme Ruf. Jene arme Dame, die Diana auf dem Bilde, heiratete in unsere Familie und kam als Gattin eines gewissen Baron Berthold v. Cönnern hier aufs Schloß. Zu der Zeit lebte Bertholds Mutter noch hier auf dem Schlosse und hatte als Gesellschafterin eine Cousine, die Patrizia v. Cönnern bei sich, die von meiner Frau vorhin als eine Lucrezia Borgia nicht mit Unrecht genannt wurde. Patrizia war auf die junge Frau, die Berthold heimgeführt hatte, über alle Begriffe eifersüchtig. Es scheint ihr jedoch gelungen zu sein, wenigstens eine Zeitlang, ihre Gefühle zu verheimlichen und eine große Freundschaft für die Gattin zu heucheln, die sie häufig bat, das Zimmer zu teilen, das für Patrizia besonders hergerichtet war, das Zimmer, in dem wir uns jetzt befinden. So ging alles einige Monate nach der Hochzeit sehr gut, und Berthold und seine Mutter freuten sich über die Freundschaft zwischen Patrizia und Diana, ohne die Katastrophe zu ahnen, die kommen sollte. Dieses Bild war in den ersten Tagen nach der Verheiratung gemalt und der Verwandten zum Geschenk gemacht, die Berthold und seine Frau für beste Freunde hielten. Nach der Geburt eines Töchterchens schienen aber die Dinge zwischen Patrizia und Diana nicht mehr so glatt zu stehen.«

»Was geschah?« fragte Malchen atemlos, als der Erzähler eine Pause machte.

»Es fielen zuweilen laute Worte zwischen den beiden, sie zankten sich dann fortwährend, bis das Ende kam. Wie sich die Dinge nun eigentlich genau abgespielt haben, wird man wohl nie erfahren – vielleicht am Tage des jüngsten Gerichtes,« sagte der fromme Schloßherr in feierlichem Ton. »Alles, was wir wissen, ist, daß Diana an einem stürmischen Abend im März verschwand.«

»Verschwand?« fragten mehrere in Furcht versetzte Gäste.

»Absolut verschwand. Berthold war im Dienste seines Königs vom Schloß abwesend; er bekleidete einen Posten am Hofe, der ihn häufig von Mainard fernhielt. Die Baronin-Mutter muß sich sehr früh zur Ruhe begeben haben. Patrizia und Diana blieben in diesem Zimmer, der Frieden war anscheinend wieder hergestellt zwischen ihnen. Was sich dann später zugetragen hat, ist nicht bekannt geworden. Aber drei Stunden, nachdem die alte Baronin die beiden jüngeren Damen verlassen hatte, trat Patrizia im Zustand äußerster Qual und Angst an ihr Bett, rang die Hände, weinte kläglich und erklärte, die Baronin Diana habe plötzlich ihr Heim verlassen, sie sei auf einmal und ohne jeden ersichtlichen Grund von Sinnen gekommen und aus dem Schlosse gestürzt. Der ganze Hausstand wurde alarmiert. Diener nach allen Richtungen hinausgeschickt, die vermißte Herrin zu suchen, aber keine Spur war von ihr zu entdecken, bis Baron Berthold heimkehrte und, da er die noch so wahrscheinlich klingende Mitteilung seiner Cousine anzweifelte, eine genaue Untersuchung des ganzen Schlosses befahl. Und da wurden zwei sonderbare und furchtbare Entdeckungen gemacht. Auf der feuchten Treppenstufe, die zu dem Verließ führt, fand man einen Streifen Band, das als ein Eigentum der vermißten Diana erkannt wurde, und auf dem Rande des Verließes lagen zerrissene Fetzen ihres Kleides, die aus einen schrecklichen Kampf am Abgrund des entsetzlichen Ortes schließen ließen. Der Verdacht fiel auf Patrizia, obgleich keine Beweise für ihre Schuld zu erbringen waren. Ihre vielen späteren Verbrechen machten es jedoch zur Gewißheit, daß sie bei dem gräßlichen Ende ihrer Cousine die Hand im Spiele gehabt hatte, und auf ihrem Totenbette gestand sie denn auch dieses und eine Reihe anderer Verbrechen ein, die den Zuhörern das Blut gerinnen machten. Die Leiche der armen Baronin Diana wurde niemals gefunden, ohne Zweifel ist sie entweder in den Fluß und von dort ins Meer durch den unterirdischen Strom getrieben oder von diesem Gewässer in einem noch tiefer liegenden Abgrund unter Felsen hinunter gewirbelt und dort jedem menschlichen Auge entzogen worden. Sie begreifen jetzt nach der Geschichte, weshalb wir dieses Zimmer vermeiden, in dem Patrizia lebte und ihre Missetaten ersann.«

»Ja, wirklich!« antwortete Fräulein Knopf schaudernd. »Aber ich verstehe doch noch immer nicht, wieso Fräulein Mühe und die Baronin Diana sich so ähnlich sehen können. Es ist doch nicht möglich, daß –« Sie unterbrach sich plötzlich und betrachtete Malchen mit gerunzelter Stirne.

»Es ist wunderbar, wie manche unerklärlichen Dinge doch möglich sind,« meinte Frau v. Cönnern, »und es besteht sicherlich ein Grund für Fräulein Mühes Aehnlichkeit mit diesem Bilde. Wir müssen die Sache später einmal untersuchen – sollen wir jetzt mit der Besichtigung fortfahren?«

In ihren Worten lag eine gewisse Entschiedenheit, die deutlich bekundete, daß ihr eine fortgesetzte Besprechung über diesen Punkt für den Augenblick nicht behagte, und als sie den Satz beendete, machte sie eine so energische Bewegung zur Tür, daß ihren Gästen nichts übrig blieb, als ihr zu folgen.

Nur Fräulein Knopf verdroß dieser plötzliche Abbruch eines Themas, das sie so gern weiter behandelt hätte, und als sie sich im Korridor wieder neben Frau Bendler befand, murmelte sie in das bereitwillige Ohr dieser Dame:

»Sollte es mit dieser Aehnlichkeit wohl eine besondere Bewandtnis haben, die die Leute verheimlichen möchten? Was bedeutet das alles?«

Frau Bendlers Augen glühten voll Haß, das Flüstern, mit dem sie die Fragen beantwortete, klang wie ein Zischeln:

»Ich habe eine Idee, was es bedeutet. Nichts von allem, was ich je von Miranda Mühe gesehen, läßt mich darauf schließen, daß sie in ihren Adern auch nur einen Tropfen bessern Blutes hat. Sie ist aber eine verschlagene, listige Person, die es zuwege bringt, ihre Bekannten mit Ueberraschungen zu überfallen.«

Was Frau Bendler mit dieser geheimnisvollen Andeutung eigentlich sagen wollte, wußte sie wohl selbst kaum. Nur Gehässigkeit konnte sie zu diesen Worten bringen.

Ehe Herr von Cönnern das Zimmer verließ, in dem er seinen Gästen die so traurige Episode aus der Vergangenheit seiner Familie erzählt hatte, fand zwischen ihm und Frau Grau noch eine Unterhaltung statt. Er hatte sie gebeten, einen Augenblick zurückzubleiben.

»Haben Sie eine Ahnung davon, gnädige Frau, wie sich diese Aehnlichkeit erklären lassen könnte?«

»Ich kann die Sache augenblicklich noch gar nicht fassen, es muß sich eine Aufklärung aber doch unbedingt finden lassen. Ich will Ihnen gestehen, daß ich mich schon oft darüber wunderte, von wem mein liebes Malchen wohl die vielen vornehmen und hübschen Züge geerbt haben mag, die sie aus ihrem bekannten Vorleben sicherlich nicht bekommen konnte.«

»Sie vermuten also, daß sich an ihre Geburt irgendein Geheimnis knüpft, von dem wir jetzt noch nichts wissen?«

»Ich habe schon lange die Ueberzeugung, daß sie von guter Herkunft ist, wenn ich auch noch nicht imstande war, dafür Beweise zu erbringen. Ein alter Mann in Singenburg, der ein entfernter Verwandter väterlicher Seite von ihr ist, erzählte ihr eine etwas verzwickte Geschichte von ihrer Großmutter und einem Bruder des Herrn Gottfried Haller, der sie zu seiner Erbin machte.«

»Haben Sie den alten Mann selbst befragt?«

»Ja, mehrere Male. Die Geschichte scheint er Malchen während eines kurzen lichten Augenblickes erzählt zu haben, denn wie oft ich ihn auch besuchte, so ist sein Geist niemals klar genug gewesen, um mir irgendetwas Zusammenhängendes zu antworten.

»Aber selbst, wenn es Ihnen gelingt, die Verwandtschaft zwischen Ihrer reizenden Pflegetochter und dem alten Haller festzustellen, so hilft mir das doch um kein Jota mit Bezug auf ihre Aehnlichkeit mit der unglücklichen Baronin Diana. Der Fall ist mir aber so interessant, daß ich mich mit meiner Familienchronik eingehend beschäftigen werde, um ihn doch vielleicht aufzuklären.«

»Ich werde meinerseits den Versuch wiederholen, den alten Christian Mühe bei klarem Verstand anzutreffen, um Malchens Beziehung zur Familie Haller genau festzustellen«, entgegnete Frau Grau, als der Baron die Tür des blauen Zimmers wieder abschloß und sie beide sich beeilten, der übrigen Gesellschaft zu folgen.


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