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7. Kapitel.

Von Natur war Frau Bendler keine schlechte Frau, wenn sie auch, wie alle übrigen Menschen, die Anlage dazu haben mochte. Die Lebensumstände und wie sie diese zur Anwendung brachte, hatten jedoch das Böse in ihr entwickelt. In ihrer Welt stichelte man über die Ideale, die höchsten Güter wurden geringschätzig behandelt und die Menschen dagegen nur nach dem geschätzt, was sie besaßen, oder nach der Länge ihrer Ahnenreihe, statt nach dem, was sie selbst im Leben darstellten. So war es nicht zu verwundern, daß Marie Nobel genau wie diejenigen in die Zukunft blickte, unter denen sie groß geworden. Sie war eine Schönheit gewesen, und eine glänzende Heirat wurde nicht allein von ihr erwartet, sondern sie selbst war darauf aus, eine solche zu machen, und als sie mit 19 Jahren einem ehrlichen braven Mann, der sie liebte, den Laufpaß gab, um sich mit Hermann Bendler, einem hübschen Artillerie-Offizier, zu verbinden, sagte die Welt, sie sei sehr vernünftig gewesen, sich einen Mann zu wählen, dessen Aussichten ihn unter die ersten des Landes stellten. Wer von den Leuten, für die Marie Nobel die wunderschönste, glücklichste Braut in der Saison gewesen war, hätte auch ahnen können, daß der alte Baron, als dessen Universalerbe Hermann Bendler galt, dem jungen Paare einen solchen Streich spielen würde? Aus reiner Mißbilligung der Heirat seines Neffen und um Marie zu enttäuschen, unternahm der Baron dann einen Schritt, an den er früher nie gedacht hatte. Zur Ueberraschung aller heiratete der alte Herr in demselben Monat, in dem Stella Bendler mit ihren blauen Aeuglein zum erstenmal in die Welt guckte, dann wurde dem Baron v. Dunser ein Erbe geboren und Hermann Bendler in die fatale Lage versetzt, wegen eines kräftig gedeihenden Knaben auf das gewaltige Vermögen zu verzichten.

Marie schickte sich in diese Enttäuschung außerordentlich schwer, die für sie den Zusammenbruch aller Hoffnungen und aller Ruhmsucht bedeutete. Der Baron hatte Mitleid mit seinem Neffen wegen des ihm zugefügten Schadens und bot diesem eine anständige Jahresrente, die der junge Offizier jedoch, trotz der Proteste seiner Frau, höflich, aber entschieden ablehnte.

Sie verzieh ihrem Mann die Ablehnung der Jahresrente seines Onkels niemals und hörte auch nicht mit Vorwürfen auf, daß er, wie sie sich ausdrückte, ihre Wünsche und Interessen hartherziger Weise unberücksichtigt lasse. Wirkliche Liebe hatte sie nie für ihn empfunden und verfehlte vollständig, den edlen, vornehmen Charakter des Mannes richtig zu erfassen, der sie sein Weib nannte, ja, es gelang ihr durch ihre zunehmende Härte und abweisende Kälte sogar, seine tiefe Liebe zu ihr zu entfremden, worüber ihm das Herz brach. Trotz ihres geringen Vermögens wußte sie es fertig zu bekommen, daß von ihren und Stellas Toiletten gesprochen wurde, daß man sie ihnen neidete, und daß die Frauenzeitungen sie kritisch beleuchteten und lobten. Ihr Ehrgeiz für Stella wurzelte nicht in einer starken Liebe zu ihrem Kinde, sondern in dem leidenschaftlichen Verlangen, für die Tochter das zu erreichen, was sie für sich selbst doch nicht erreicht hatte. Darbergs große Erwartungen ließen sie alle Minen springen, um sich ihn als Schwiegersohn zu sichern, und das Vereiteln ihrer Hoffnungen durch das Hallersche Testament hatte ihren Entschluß lediglich zur Kampfeswut erhoben. Gerade durch Gottfried Haller enttäuscht zu werden, ließ sie die Zähne fletschen und das sehnlichste Verlangen erfassen, seine Absichten zu durchkreuzen, wenn das allerdings auch erst geschehen konnte, als er im Grabe lag. Dieser Gemütszustand machte Frau Bendler denn auch fähig, jeder Einflüsterung Gehör zu schenken, die im Guten oder Bösen ihre Pläne fördern mochte.

An dem Maimorgen, als Malchen bereits einen Monat im Hause war, befand sich Frau Bendler im Salon, als ihr gemeldet wurde, Anwalt Brand sei gekommen, um mit Fräulein Mühe geschäftliche Dinge zu besprechen. Er sei ins Bibliothekzimmer geführt worden. »Gut, Anna«, sagte Marie Bendler, »ich werde Fräulein Mühe selbst benachrichtigen.« Und mit einer instinktiven Besorgnis, zu erfahren, welche Gründe den Anwalt zu dem Besuch bewogen hatten, begab sie sich selbst in Malchens Zimmer.

Die beiden jungen Damen saßen hier zusammen, völlig vertieft in die wichtige Beratung über die Anfertigung eines neuen Kostüms, und Malchens Gesicht umdüsterte sich etwas, als sie hörte, wer unten auf sie wartete.

»Der alte gute Herr plagt mich«, meinte sie. »Was er nur heute wohl schon wieder von mir will? Ich glaube, es handelt sich um das dumme Testament – ich soll eins machen.«

Frau Bendlers Augen leuchteten.

»Ihr Testament – liebes Kind? Wie absurd! Ein so junger Mensch wie Sie braucht sich doch noch nicht mit solch traurigen Dingen zu befassen.«

»Er hat mir vor einigen Tagen deswegen geschrieben«, entgegnete Malchen leichthin und zuckte die Achseln. »Ich habe den Brief ganz vergessen, und er hatte mir auch seinen Besuch für heute angesagt. Und was für eine Wichtigkeit er von der Sache macht!«

»Ich vermute, Herr Brand fühlt sich als Anwalt verpflichtet, an die zukünftige Verfügung über ein so beträchtliches Vermögen zu denken, wie Sie es in Ihren kleinen Händen halten, liebes Malchen.«

Liebkosend nahm sie des Mädchens Hände in die eigene, schön geformte Hand. »Sie sehen, welch wichtige Persönlichkeit Sie sind – eine große Erbin!«

»Es ist zu komisch, daß ich eine Erbin bin,« sagte Malchen mit dem so wohlklingenden Lachen. »Ich weiß wirklich nicht, wem ich das ganze Geld vermachen soll, wenn mich Herr Brand darnach fragt. Ach, er soll mich mit seinem Testament in Ruhe lassen.«

»Vielleicht haben Sie Verwandte?« fragte Frau Bendler zaghaft und zog ihren Arm durch den des Mädchens, als sie den Korridor entlang gingen. »Herr Brand will Sie jedenfalls daran erinnern.«

»Ich besitze keine Verwandte, soviel ich weiß. Meine Eltern wohnten in ihrer Jugend an dem Ort, wo Haller seinen Besitz hatte, gingen aber später niemals mehr dahin zurück, und ich habe sie auch nicht von Angehörigen sprechen hören.«

»Wenn wir Ihr Haus und Gut besehen, wollen wir uns doch einmal darnach erkundigen, ob noch Verwandte von Ihnen existieren. Sie haben ja gesagt, daß es Ihr Wunsch ist, Ihr Eigentum zu besichtigen.«

»Gewiß, das möchte ich gern,« lautete die rasche Antwort. »Herr Brand schrieb mir auch in dem Brief etwas über Vermieten, aber ich möchte das Haus erst sehen. Nicht wahr, wir fahren bald?«

Jetzt hatten sie die Tür des Bibliothekszimmers erreicht.

»Natürlich, wenn Herr Brand es erlaubt,« und mit einem zärtlichen Druck auf Malchens Arm zog sich Frau Bendler zurück, um das Mädchen allein eintreten zu lassen. »Er wird wohl mit Ihnen allein sprechen wollen, wo es sich um so wichtige Dinge handelt,« flüsterte sie ihr noch zu und lächelte Malchen liebenswürdig an, ehe sie die Tür hinter ihr zumachte. Dann ging sie rasch durch die Diele ins Speisezimmer, das von der Bibliothek nur durch Flügeltüren getrennt war.

Ein kleines Büffett war gegen diese Türen gerückt, und darunter stand ein zierlicher Damenschreibtisch, den Frau Bendler als Aufbewahrungsort für alte Rechnungen und andere unwichtige Papiere benützte.

»Ich will mal die Rechnungen von Zander heraussuchen,« sagte sie halblaut, als ob sie sich selbst entschuldigen wollte gegen den Druck einer schwach hörbaren Gewissensstimme. »Es ist doch nötig, damit ich seine Preise vergleichen kann.«

Ihr Schritt war katzengleich lautlos, als sie das Zimmer durchquerte und sich vor den Schreibtisch setzte. Mit Befriedigung gewahrte sie, wie groß die Spalte in der Flügeltür war, so daß die Stimmen aus dem Nebenzimmer deutlich herüberklangen. Aber sogar vor sich selbst hielt sie die scherzhafte Komödie aufrecht, daß sie die alten Rechnungen unbedingt gebrauche, als sie in geschäftiger Weise, doch geräuschlos die Schiebladen öffnete und nacheinander Päckchen Papiere herauszog.

Das Eßzimmer lag sehr ruhig, selbst das Geräusch von der Straße störte die Stille nicht, in die die Stimmen von drüben ganz klar hineinklangen.

Der Anwalt sprach. Seine ruhige berufsmäßige Betonung ließ jedes Wort ganz deutlich verstehen.

»Ich glaubte, es sei das Beste, Sie zu besuchen, Fräulein Mühe, um mir Ihre Weisungen zu erbitten. Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen zur Abfassung eines Testaments dringend zu raten.«

»Das haben Sie schon in Ihrem Brief gesagt,« antwortete Malchen etwas verdrießlich. »Weshalb soll ich mich denn mit solchen Dingen quälen? Ich habe noch gar keine Lust, so bald zu sterben.«

»Das verhüte Gott!« versetzte Brand ernst. »Aber mein liebes Fräulein Mühe, das Leben ist eine unsichere Sache ...«

Frau Bendler jenseits der Flügeltüren legte ihr Päckchen Rechnungen aus der Hand und lauschte noch gespannter –

»... und ich rate Ihnen genau so, wie ich es meiner eigenen Tochter unter gleichen Verhältnissen raten würde: Sehen Sie mal, Sie haben eine enorme Summe Geldes zu Ihrer Verfügung und –«

»Das hat auch Frau Bendler gesagt,« gab Malchen nachdenklich zurück. »Ich weiß aber wirklich nicht, was damit nach meinem Tode geschehen soll, und ich kümmere mich auch gar nicht darum.«

Es entstand dann eine kleine Pause, bis Brand feierlich erklärte:

»Meine liebe junge Freundin! Ich hoffe bestimmt, Sie überlegen sich das noch einmal gründlich, was Sie soeben sagten, und denken über die Angelegenheit ernstlicher nach. Sie sind sozusagen die Hüterin eines großen Vermögens, und es liegt in Ihren Händen, über Ihr Geld weise oder – töricht zu verfügen. Ein großes Vermögen legt eine große Verantwortlichkeit auf.«

Abermals trat in der Unterredung eine Pause ein.

»Ja,« meinte Malchen dann endlich, »ich verstehe wohl, daß ich mich auch um die Geldangelegenheit bekümmern muß, solange ich das Geld besitze, aber wenn ich tot bin, schert es mich nicht mehr.«

Frau Bendler konnte sich das leise vergnügte Lächeln gut vorstellen, das über Brands Gesicht bei dieser naiven Bemerkung huschte. Seine Antwort sprach er allerdings recht ernst. »Sie müssen doch bedenken, daß es völlig auf sie allein ankommt, das Geld irgendeiner Person oder mehreren zu hinterlassen. Angenommen nun, Sie vermachten es einem Verschwender oder einem schlechten Menschen oder auch nur jemand, der unbesonnen handelt, so würde daraus doch sehr viel Unheil entstehen. Begreifen Sie das?«

»Ja – ich verstehe das.«

»Daher dauert Ihre Verantwortlichkeit wegen des Geldes meiner Ansicht nach nicht nur während Ihres eigenen Lebens, sondern darüber hinaus. Ich hoffe und wünsche: daß Sie so lange leben, um noch Enkelkinder zu sehen, denen Ihr großes Vermögen eine Erbschaft sein wird, aber wir sind doch verpflichtet, an alle Möglichkeiten zu denken, und deshalb rate ich Ihnen, mir jetzt Ihre Weisung für das Testament zu erteilen.«

Der Ernst machte auf die – beiden – Zuhörerinnen großen Eindruck.

Malchens Stimme klang ganz ehrfurchtsvoll, als sie erwiderte:

»Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen, und bin bereit, alles zu tun, was Sie sagen. Kann ich denn das Testament wieder ändern, sollte ich einmal anderen Sinnes werden?«

»Sie können es zu jeder Zeit und in allen Punkten ändern, wie Sie wollen, und wenn Sie heiraten, müssen Sie ein neues Testament machen.«

»O, ich heirate nicht so bald. Bald zu heiraten würde mir nicht zusagen, vielleicht aber anderen Leuten sehr gefallen,« lachte Malchen.

Frau Bendler fuhr an ihrem Schreibtisch zusammen und zog die Stirne kraus.

»Ich sehe so manches, worüber ich nicht spreche,« setzte die klare Stimme fort, »ich habe noch nicht ans Heiraten gedacht.«

Frau Bendler kniff den Mund zusammen; das stand ihr gar nicht schön.

»Es wäre nicht klug von mir, zu heiraten, ehe die drei Jahre um sind, von denen Herr Haller gesprochen hat, und dann läge auch kein Grund mehr vor, ein Testament zu machen, weil das Geld dann futsch wäre.« Sie lachte abermals, was Frau Bendler so zornig machte, daß sie das Päckchen Rechnungen, das sie in der Hand hielt, ganz zusammenknitterte.

»Allerdings, es wäre sehr unklug von Ihnen, wenn Sie früher heirateten,« stimmte Brand zu, was ihm seitens Frau Bendler die geflüsterte Ehrenbezeugung »Alter Narr!« einbrachte, »und inzwischen haben Sie auch mehr von der Welt gesehen und werden im stande sein, die Menschen besser beurteilen zu können.«

»Meine Augen offen zu halten, habe ich eigentlich gelernt, seitdem ich ein Dreikäsehoch war, und ich kann so gut durch die Wand sehen, wie mancher andere.«

»Das glaube ich gern,« entgegnete der Anwalt mit behaglichem Kichern, das auf Frau Bendler dieselbe aufregende verdrießliche Wirkung hatte, wie Malchens Lachen. »Wenn ich auch manchmal der Ansicht bin, daß Sie in Ihrer Einbildung Dinge sehen, die gar nicht existieren. Ihre Urteile haben doch noch etwas von jugendlicher Schärfe an sich.«

»Das sagen Sie, weil Sie meinen, ich hätte Frau Bendler falsch eingeschätzt,« entgegnete Malchen rasch, und die Lauscherin nebenan zog ihren Stuhl geräuschlos noch einige Zentimeter näher an die breite und bequeme Türspalte heran. »Ach fürchten Sie nichts. Ich will nichts mehr gegen sie sagen, ich esse ihr Brot und lerne viel von ihr, aber das möchte ich doch noch erklären, sie hat keine Schutzmauer um sich her, und es ist nicht schwer zu sehen, worauf sie hinaus will.«

Der teils verächtliche, teils vergnügliche Anklang in der Mädchenstimme brachte in Frau Bendlers Augen ein unangenehmes Leuchten. Sie ballte die Hände so krampfhaft ineinander, daß die Nägel ins Fleisch drangen, und selbst Brands abschwächende, sanfte Antwort konnte ihre Wut nicht verringern.

»Ei, ei, mein liebes Fräulein Mühe, ich weiß bestimmt, daß die Damen hier sehr gut und hilfreich gegen Sie sind. Sie dürfen sich nicht durch Vorurteile gegen sie beeinflussen lassen.«

»O, ich lasse mich nicht gegen sie beeinflussen; sie lehren mich, was ich zu lernen habe, und ich bezahle dafür, und damit basta. Aber das hindert mich doch nicht, zu erkennen, wo Frau Bendler hinaus will. Stella ist ein gutes Mädchen – nicht sehr schlau, das ist die Mutter aber umso mehr. Sie ist so tief wie das Meer, aber da ist doch Grund und Boden drin, und ich kann den Boden sehen.«

»O du mein Himmel!« rief Brand. Das klang wie ehrliches Erstaunen. Die Ansichten seiner jungen Klientin waren ihm rätselhaft. Nach einer kleinen Weile, während Frau Bendlers angespannte Nerven ihr förmlich Schmerz bereiteten, fuhr er fort: »Ich möchte über Frau Bendlers Vorzüge und Schattenseiten mit Ihnen nicht weiter sprechen und freue mich, daß Sie ihre reizende Tochter gern zu haben scheinen.«

»Ich liebe sie, und wenn ich nicht bedächte, was mein Pate gewünscht hat, so möchte ich Stella wohl einen guten Teil von dem Gelde hinterlassen!«

Frau Bendler hielt den Atem an, das Päckchen Rechnungen glitt unbeachtet aus ihrer Hand, sie beugte sich so weit nach vorn, daß ihr Ohr fast die Tür berührte.

»Es ist mir aber so, als ob der alte Herr das nicht gern gesehen hätte,« sagte Malchen nachdenklich. »Je mehr ich über das Testament nachdenke, desto deutlicher wird es mir, daß Herr Haller mir das Geld vererbt hat, damit Stella Bendler es nicht bekommt. Denn er hat das Testament doch erst geändert, nachdem Herr Darberg mit Stella verlobt war, und deshalb wäre es doch eigentlich nicht hübsch von mir, wollte ich das Geld gerade derjenigen zuschanzen, an die es nach seinem Wunsch nicht kommen sollte.«

Frau Bendlers Gesicht nahm einen geradezu teuflischen Ausdruck an.

»Sie besitzen einen durchdringenden Scharfsinn, Fräulein Mühe,« sagte der Anwalt mit deutlicher Bewunderung. »Derselbe Gedanke ist auch mir schon gekommen, aber ich muß zugeben, daß ich mir nicht die Ueberzeugung abringen konnte, damit auf der richtigen Fährte zu sein. Aus welchem Grund sollte Herr Haller wohl gegen eine so reizende junge Dame, wie Fräulein Bendler, etwas einzuwenden gehabt haben?«

»Vielleicht stimmte es mit Frau Bendler nicht ganz?«, meinte Malchen. Die Frau im Speisezimmer klammerte sich bei diesen Worten an den Schreibtisch und wurde ganz blaß. »Vielleicht hat er gedacht, wie die Mutter, so die Tochter, und wollte nicht, daß sein Patenkind Darberg Stella heirate. Auf jeden Fall dünkt es mich nicht richtig, daß ich Stella Geld vererbe, so gern ich das auch selbst tun möchte,« schloß sie bedauernd.

»Kleine Katze«, dachte Frau Bendler. »Was weiß sie, was vermutet sie? Sollte sie herausgefunden haben –«

Sie unterbrach ihre Betrachtungen, weil der Anwalt wieder das Wort nahm.

»Sie müssen natürlich so handeln, wie es Ihnen am besten erscheint, in dieser wichtigen Frage habe ich kein Recht, Sie zu beeinflussen. Wie wollen Sie also, daß ich das Testament aufsetze?«

»Ich möchte Frau Mauring etwas vermachen. Sie war im großen und ganzen gut gegen mich, und ich möchte ihr Gelegenheit bieten, ihre Verhältnisse aufzubessern. Da wohnte noch eine kleine Schneiderin im Hause, die war auch immer sehr freundlich gegen mich. Sie soll auch etwas haben, und das übrige« – Frau Bendler hielt noch einmal den Atem an, um kein Wort zu verlieren – »gedenke ich, Herrn Artur Darberg zu hinterlassen, da zu der Zeit, in der ich sterbe, wohl für ihn keine Aussicht mehr ist, die Dame zu heiraten, die Herr Haller ihn nicht gern hätte heiraten sehen.«

»Wieso meinen Sie, daß Herr Darberg diese Verbindung aufgeben wird, an der seine Seele hängt?« fragte der Anwalt mit unverhohlenem Erstaunen.

»Weil Stellas Mutter es nicht erlauben wird, ewig hier herumzuhängen und auf sie zu warten; das können Sie sicher annehmen. Wenn Frau Bendler sieht, daß kein Geld im Topf ist und auch keines hineinkommt, gibt sie ihm den Abschied. So ist es. Das ist doch ganz klar!«

»Aber – aber,« meinte der Anwalt, während die Lauscherin schneller atmete, »weshalb hat sie denn zugegeben, daß die Verlobung noch weiter bestand?«

»Sie wartet darauf, daß ich einen anderen heirate oder mit einem Teil von meinem Gelde herausrücke.«

Die Antwort klang so, als ob jemand eine einfache offenkundige Tatsache konstatierte. »Wenn Herr Darberg nicht eher was davon erhält, bis ich tot bin, so wird sie ungeduldig werden und Stella dazu bringen, ihn aufzugeben.«

Herr Brand rang nach Atem, das tat auch die Lauscherin, aber ihre Mienen drohten dem Mädchen Unheil, das ihre innersten Gedanken da so offen aussprach, ohne zu ahnen, daß ihre Worte von der Betroffenen selbst gehört würden.

»Ich werde ihm also den Hauptteil des Vermögens geben, dann wird er mir auch nicht länger grollen.« Nun folgte ein Seufzer, dessen Bedeutung weder der Anwalt, noch Frau Bendler erkannte.

Es wurde im Bibliothekzimmer eine ganze Weile still: man hörte nur das Rascheln von Papier und das Kritzeln einer Feder.

Endlich sagte der Anwalt:

»Ich habe ein Testamentsformular mitgebracht; das Ausfüllen der einzelnen Details nimmt nicht viel Zeit in Anspruch. Wenn Sie dann zwei Personen hereinrufen, um bei Ihrer Unterschrift als Zeugen zu dienen, ist die ganze Angelegenheit erledigt.«

Frau Bendler erhob sich sehr leise und bedächtig von ihrem Sitz, schob das Päckchen Rechnungen wieder in eine Schieblade und verließ das Speisezimmer in derselben geräuschlosen Weise, wie sie es betreten hatte.

Zehn Minuten später, als Malchen in den Salon trat, fand sie die Hausherrin an ihrem Schreibtisch so vertieft in ihre Korrespondenz sitzen, daß diese in ganz natürlicher Weise zusammenfuhr, als des Mädchens Stimme so dicht neben ihr laut wurde.

»Ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören,« sagte sie mit dem bezaubernden Lächeln. »Nun, meine Liebe, haben Sie und Ihr Anwalt Ihre ganzen Geschäfte erledigt? Es war ja eine lange Besprechung.«

»Ja – vollständig,« antwortete Malchen ahnungslos. »Herr Brand hat mein Testament aufgesetzt und mich ersucht, zwei Zeugen für meine Unterschrift zu holen. Würden Sie so gut sein, mit mir zu kommen, Frau Bendler?«

»Mit Vergnügen meine Liebe, obgleich es mir ganz komisch vorkommt, daß Sie überhaupt ein Testament machen.«

»Ja, es ist auch recht komisch, und ich habe durchaus keine Lust zu sterben, aber »man kann nie wissen,« so sagte Herr Brand. Ich soll zwei Zeugen bringen,« wiederholte sie, als sie beide den Salon verließen.

»Anna kann auch kommen: ich will sie rufen und dann erscheinen wir beide.«

Frau Bendler betrat dann gleich darauf in Begleitung des Zimmermädchens die Bibliothek, wo der Anwalt neben dem Tisch stand, auf dem ein pergamentenes Schriftstück ausgebreitet lag.

Der Bogen war so gefaltet, daß nichts zu sehen war, als der leere Raum für die Unterschriften, und nachdem er Malchen ersucht hatte, sich hinzusetzen, reichte er ihr eine Feder und zeigte ihr die Stelle, wo sie ihren Namen einzufügen hatte.

Obgleich sie bei der Dame, die früher Stellas Gouvernante gewesen, Schreibunterricht nahm, war Malchens Handschrift jetzt doch noch unregelmäßig wie die eines ungebildeten Mädchens.

»Miranda Katharina Mühe«, so stand es in schweren, unbeholfenen Buchstaben als Bestätigung für »die Akte und Urkunde« des schmächtigen Mädchens, das nach der Unterschrift aufstand und auf das Pergament blickte, welches eines Tages für einen anderen Menschen so große Bedeutung erlangen konnte.

Frau Bendlers Name erschien sodann. Die schöne Damenhandschrift, die so eigenartig von der anderen abstach und Kraft und Energie bekundete. Zuletzt folgten die runden, ungelenken Buchstaben des Namens Anna Johannsen, mühsam geschrieben und mit der Nervosität, die entsteht, wenn man gezwungen ist, unter dem forschenden Blick so vieler Augen zu schreiben – ohne daran gewöhnt zu sein.

Das Schweigen, das die kleine Gruppe während des Vorganges der Unterschriften befallen hatte, dauerte noch einige Augenblicke, nachdem Anna vom Tisch zurückgetreten war, und der Anwalt auf das Trocknen der Tinte wartete. Dann nahm er das Dokument auf, faltete es mit größter Sorgfalt zusammen und steckte es in ein großes Kuvert, das daneben lag, und das er dann in eine schwarze Ledertasche schob, die er sich vom Fensterbrett holte.

»Ich danke Ihnen bestens«, sagte er dann und machte dabei eine leichte formelle Verbeugung vor den drei Frauen, die seine Bewegungen mit den verschiedensten Abstufungen von Interesse beobachtet hatten. »Ich freue mich, diese Angelegenheit heute erledigt zu haben,« wandte er sich dann an Malchen, »und glaube, daß es Ihren Wünschen entspricht, wenn ich dieses Dokument in mein Verwahr nehme.«

»Ja, bitte. Ich bin Ihnen auch für all Ihre Bemühungen sehr dankbar, und ich danke auch Ihnen, Frau Bendler, und Ihnen, Anna«, fügte sie hinzu.

»Ich freue mich, wenn ich Ihnen nur dienlich sein kann,« lächelte sie Malchen zu, und das Zimmermädchen quittierte den Dank mit einem freundlichen Blick aus ihren dunklen Augen.

Alle Dienstboten hatten Fräulein Malchen gern, so groß auch das Vorurteil im Anfang gegen sie gewesen war. Malchen hatte jedes Mißtrauen und jede Böswilligkeit durch ihr offenes Eingeständnis entwaffnet, daß ihr ihre Stellung neu sei, und jetzt wurde sie von dem ganzen Haushalt verehrt.

Herr Brand war sehr befriedigt davon, seine Aufgabe vollbracht zu haben, und verabschiedete sich nach einer kurzen Unterredung mit Frau Bendler, während welcher er eine Einladung zum Diner für nächsten Donnerstag angenommen hatte. Die Liebenswürdigkeit der Dame hatte ihn derart bezaubert, daß er auf Malchen wegen ihrer Bezichtigungen geradezu ärgerlich war.

Brands wohlmeinende Ansichten über Frau Bendler hätten sich radikal geändert, wenn ihm ein Blick in die Tiefe ihrer Seele vergönnt gewesen, als sie sich an diesem Abend allein in ihrem Schlafzimmer befand und am offenen Fenster saß, den weichen Duft nicht achtend, der aus der sommerlichen Dunkelheit hineinströmte.

Ihre Züge zeigten den entschlossenen Ausdruck wie an diesem Morgen im Speisezimmer, ihre Augen glichen zwei Stücken harten grünen Glases, und ihre Hände zuckten nervös, als ob es ihr schwer würde, sie ruhig zu halten.

»Also das Geld gehört schließlich doch wieder Arthur,« so kreisten ihre Gedanken, »das ganze Vermögen, das Gottfried Haller hinterließ, fällt Arthur zu – eines Tages – wenn es zu spät ist, Stella zu heiraten.«

Ihre Lippen bewegten sich lautlos, und ein unheimliches Lächeln flackerte einen Augenblick auf.

»Ich bin Gottfried Haller mein ganzes Leben lang etwas schuldig geblieben – vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, das zu bezahlen, und jetzt schulde ich Miranda Mühe, seinem Werkzeug, auch etwas. Sie weiß zu viel, vielleicht weiß sie, daß ich – daß Gottfried Haller –«

Ihre Gedanken brachen an dieser Stelle ab und sie saß, vor sich hinstarrend, da. Sie blickte in eine Vergangenheit zurück, auf die stolz zu sein, sie keinen Grund hatte. Dann raffte sie sich plötzlich aus diesem wachen Traum auf und reckte sich in die Höhe.

»Also Arthur bekommt das Geld nicht, ehe Stella einen anderen geheiratet hat. Das ist Ihre Idee, meine junge Dame, aber vielleicht haben andere außer Ihnen noch hübschere Ideen. Zum Beispiel angenommen, Sie stürben, ehe Stella einen anderen heiratete?! Es sind schon andere Mädchen jung gestorben, und weshalb sollten Sie – weshalb sollten Sie nicht sterben? Krankheit sucht auch die Jugend heim, und wenn Sie stürben, jung stürben – würde Arthur Stella heiraten – und Gottfried Haller wäre bezahlt – wäre bezahlt ...«

So rasch hier ihre Gedanken aufeinander wirbelten, so versanken sie auch wieder ins Leere. Ihre Augen schienen jetzt mehr die Zukunft durchdringen zu wollen, als die Vergangenheit. Sie erhob sich langsam von ihrem Sessel und zog aus einem Bücherbord ein kleines schwarzgebundenes Buch heraus, das den Titel trug: »Häusliche Arzneien. Gifte und ihre Gegenmittel.«

Mit verhaltenem Atem flüsterte sie:

»Ich frage mich – ob ich es könnte, ob ich es wagen würde« – und dann schritt sie vom offenen Fenster fort unter das elektrische Licht, wo sie eine Seite in dem kleinen Buch aufmerksam las.


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