August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Neunzehntes Capitel.

Herr Schnepselmann erscheint, um Schwach in den Salon Käsemenger einzuführen – der Salon Käsemenger – dessen Eigenthümer, dessen Glanz, dessen Gäste – Fräulein Casomini, ihre Reize, ihre Kunst und ihre Poesie – Braut und Bräutigam erleben noch nicht Dagewesenes.

Des Abends, um die bestimmte Stunde, rasselte ein Wagen bei Schwach's Wohnung vor.

Kaum waren die Räder noch ganz zum Stillestehen gebracht, sprang schon ein Herr, kein anderer als Schnepselmann, aus dem Kasten, warf die Thüre hinter sich zu, daß es hallte, und übersprang mit langen Beinen sogleich zwei, drei Treppenstufen auf einmal, wie ein losgelassener 268 Feuerfrosch, um nur früher in dem ersten Stocke, in der Wohnung Schwach's anzulangen.

Das entsetzliche Läuten erschreckte Madame Trullemaier, die eben friedlich mit Hinze saß und sich von ihm nähere Auskunft über das Abrichten der Kaninchen geben ließ, dermaßen, daß sie schon »Feuer!« schreien wollte und mit starren Blicken dessen Frackschösse ergriff. Doch Hinze war gefaßter und sagte: »Ei, dumme Witze – gewiß ein Straßenjunge!«

»Nur nicht so gelärmt; foppst mich doch nicht!« rief er hinaus; und er wollte eben wieder einen äußerst geistreichen Zug aus dem Leben und der Jugend der berühmten Rosine anbringen, als sich das Läuten wiederholte.

»Zuletzt ist es doch Jemand; man kann nicht wissen; Poll sehet zu,« sagte Madame Trullemaier, bei der zum waltenden Schreck die Neugierde sich gesellte.

»Na, Ihnen zu Liebe, beste Madame,« sagte Poll. »Aber ich bin nicht der Gefoppte!« setzte er vorbeugend hinzu, da er solche Streiche aus seinem Leben und seiner eigenen Jugend zu kennen schien. Dann ging er langsam um zu öffnen.

Als dies geschehen war, stand der Eile habende Schnepselmann, wie ein grimmiger Geist, vor seinen Blicken. Poll machte sofort die tiefstmöglichste Verbeugung vor seinem Retter und Diensthelfer. Doch während er noch den Kopf zu Boden gebeugt hatte, war Schnepselmann schon, abermals mit Feuerfrosch-Schnelle, vorwärts geeilt und stand bereits seinem Freunde Herkules gegenüber.

»Kommen Sie rasch – keine Zeit zu versäumen – halb acht vorüber – präzise Stunde!« sprudelte der Redner; und die in weißen Glaceehandschuhen eingepreßten zehn 269 Finger streckte er, wie eben so viele beschäftigungslose Bratspieße, von sich.

Herkules, bei dem Alles ruhig und nur in außergewöhnlichen Anlässen mit einiger Erregtheit geschah, nahm gelassen sein Nöthiges und ging. Schnepselmann sprang schon voraus die Treppe hinab und wartete ungeduldig bis der gelassene Freund nachkam. Wären die zehn Finger von der weißen Glacee-Folter weniger steif umspannt gewesen, er wäre sicher damit durch die Hare gefahren.

Als sie Beide im Wagen saßen, tastete Schnepselmann mit der Linken nach Herkules' Brust und legte ihm die Finger an die Weste, in der Magengegend, um das Pochen des Herzens zu fühlen. »Nun, kein erregtes Pochen?« fragte er mit schalkhaftem Tone.

»Nicht im Geringsten.« sagte Schwach.

»Sie haben gar keine Vorgefühle?«

»Ich bin ganz ruhig.«

»Keine süßen Ahnungen umschweben Sie?«

»Nicht mehr und nicht minder als sonst.«

»Es lächelt nichts geheimnißvoll?«

»Ach, ich freue mich nicht so des Geheimnißvollen; und was das Lächeln betrifft . . .«

»Nun, Sie wollen doch nicht traurig sein?«

»Nicht im Geringsten!«

»Wie . . .« sagte Schnepselmann, etwas erstaunt über die gänzliche Gemüthsstille seines Freundes, »Sie fühlen also, indem Sie in dieses Haus treten, keine besondere Aufregung?«

»Ich fühle wie sonst immer und denke, wenn die Summe . . . .«

Schnepselmann schlug beide Hände zusammen. Wol 270 sah man das im Dunkeln nicht, doch desto mehr hörte man es; denn das straff gespannte Leder knallte wie eine Fuhrmannspeitsche. Dabei rief er aus: »Ach, die heutige Welt, die heutige Welt – es bewegt ihr Herz gar nichts mehr . . . Alles ist Geschäft . . . Du meine Güte! Als ich noch jung war, zu meiner Zeit, als ich noch in manches Haus ging . . . ah . . . die Welt . . .« wird immer kälter, schlechter, wollte er sicherlich sagen; aber der Wagen versetzte ihm einen unerwarteten Stoß – sie hielten.

Schnepselmann sprang sofort heraus, half seinem Freunde hinab; und richtend und putzend an ihm, wie an sich selbst, schritt er mit Schwach vorwärts.

Schnepselmann in weißer Weste, salonmäßiger Ausstaffirung und galanter Haltung, hatte wirklich etwas Ergreifendes.

Eine Extralampe zeigte unzweideutig den Ort der bedeutungsvollen Festivität; der dicke kurze Hausmeister, in einen kaffeebraunen Frack mit plattirten Knöpfen gesteckt, öffnete sehr zeremoniell die Thüre und sie traten ein.

Der ziemlich elegante Salon war lebhaft erleuchtet; und als auf Herkules der Lichterglanz, der eigenthümliche Geruch einer Parfümeduftenden Versammlung, die Masse von rothen Stühlen und fremden Gesichtern eindrangen, war er ganz befangen und verwirrt.

»Ah, Herr Schnepselmann, sehr erfreut Sie zu sehen!« sagte ein sehr kleiner Herr, dessen Kopf von Jugend auf sich in einer Serviettenpresse befunden zu haben schien, so schmal und zusammengedrückt war er. Man konnte ihn auch für ein kleines wandelndes Beil halten, das sich bestrebte, in der bogenförmigen Nase seine Schneide zu finden. Rechts und links des dünnen Halses, oder Beilstieles, standen 271 furchtbare Vatermörderspitzen, und die großen glotzenden Augen waren dermaßen kurzsichtig, daß der kleine Herr den Kopf immer von einer Seite nach der andern legte, um besser zu sehen, wie ein Kanari, der Zucker peckt.

»Herr Käsemenger! Ehre aufzuführen meinen sehr geachteten Freund: Herrn Herkules Schwach! – Herr Schwach: Herr Käsemenger!«

»Sehr erfreut!« piepte Herr Käsemenger mit einer dünnen Gattung von Hahnenstimme, daß man auf die Vermuthung kommen mußte, falls die Versammlung bis zum Morgen andauern sollte, werde er sicher nicht unterlassen zu krähen. –

Schwach drückte nicht minder seine Freude aus.

Sofort flatterte in der Nähe ein Herr herum, in Beinkleidern, die so enge waren, daß sie für Trikot gelten konnten, mit lackirten feinen Schuhen, weißen Glacees, äußerst romantischer Frisur, Schnur- und Kinnbärten, so daß man ihn füglich für einen sehr thätigen Tanzmeister halten mochte, umsomehr, da in allen seinen Bewegungen eine Geziertheit lag, als wäre er überzeugt, die ganze Welt sehe ihn nur an, um in jedem Augenblicke von seinem Tone, Benehmen, Harschnitt, Frackschosse, Räuspern, Nießen und Gehen, zu lernen.

»Herr Baron Schnurrer von Leerfeld, der allgemein berühmte Kunstkenner und Salonmann der höheren Zirkel, Leutenant außer Dienst,« flötete der zuckerpeckende Kanari-Hahn, und es war zu bedauern, daß er nicht zugleich schlagen konnte wie ein solcher, oder daß an seinem Flötchen sich keine Klappen befanden, da die erstaunlichste Wirkung dadurch hätte hervorgebracht werden müssen.

Schnepselmann drückte dem Baron Schnurrer sofort, 272 als einer früheren Bekanntschaft, die Hand, und dieser ließ es mit einer schmachtenden Herablassung geschehen, als wollte er ausdrücken: sehet mich an, so benehmen sich große Männer gegen geringe Leute!

»Herr Baron von Leerfeld,« sagte Schnepselmann, »Herr Schwach, Privatier, Rentier, Partikulier . . .«

»Sehr erfreut, sehr erfreut!« Und er drückte Schwach die Hand, der dieselbe, die ganze Zeit über, immer ausgestreckt hielt, um zu drücken oder drücken zu lassen, wer da kommen wollte. Dieses Schnurrer von Leerfeld'sche Drücken war aber ein ganz anderes, als das bei Schnepselmann angewendete; es lag so viel Herablassung und zugleich scheinbare Herzlichkeit darin, als ein Mensch nur immer zu zeigen vermag, bei der offenen Pretention: großartig zu erscheinen, und bei dem heimlichen Gedanken: »Mensch, Du hast Geld, ich keines, Einer von uns Beiden wird angepumpt werden!«

Der Herr Baron war einer jener Bonvivants, deren Vermögen auf nichts reduzirt ist, deren Talent ihrem Vermögen nicht nachsteht, deren Lust zur Thätigkeit ihrem Talente gleichkommt, und deren Charakter mit all diesen Vorzügen in gar keinen überbietenden Streit sich einläßt. Sie sind die offiziellen Staffagen und Lustigmacher in den Salons, sie arangiren Geburtstage, Namensfeste, Landpartien, geben bei allen Möbel- und Hauseintheilungen »geschmackvollen« Rath, schimpfen bei X-berg über Y-heim und bei Y-heim über X-berg, essen aber bei X- und Y- und Z-berg und -heim und -thal und bei den sonstigen ABC-bergen und -heimen und -thalen und -burgen und -felsen und -steinen. Sie verschmähen auch Bürger nicht, wenn dieselben sich nur zur Höhe des Geldbesitzes hinaufgeschwungen, hängen sich an 273 jede Kunstnotabilität, leben von den Anekdoten, die sie darüber erzählen, und in Ermanglung derselben, von den Lügen, die sie unermüdlich erfinden und hervorsprudeln. Sie werden oft vertrieben und kommen oft wieder, was eine außerordentlich schätzenswerthe Ausdauer zeigt!

Nach diesen Vorführungen stieß man noch auf einen Herrn, der Professor einer Musikakademie war und in- und außerhalb der entdeckten Welt einst Konzerte gegeben hatte, was seine lange Frau kopfnickend bestätigte. Ferner auf einen Vetter des Hauses, der Beamter war und zweimonatlich alljährig die nahen Gegenden erforschte, nicht ohne auf jeden Baum, Weg- und Ruinenstein seinen Namen zu schreiben. Und noch stieß man auf ein oder zwei schwarze Fräcke, in denen auch zwei Jemande stacken. Alle diese waren drückend und wieder gedrückt und gegenseitig ungeheuer erfreut!

Endlich rief Schnepselmann: »Die Damen, wo sind die Damen? Man dringt nur durch Strahlen zur Sonne!« – Schnepselmann konnte sehr poetisch sein, wenn er es darauf abgesehen hatte und ein altes Komplimentirbuch ihn nicht dabei im Stiche ließ.

Er drängte, Schwach am Arme, in die Höhen des Salons hinauf, und da saß Madame Käsemenger mit ihrer Tochter!

Madame Käsemenger war eine Frau, so stark, so groß und dick, daß man versucht war zu glauben, es sei, wie von einem gewaltigen Berge beim Erdbeben ein Stück, auch von ihr einst, ein Block oder Blöcklein abgelöst worden, und dieses Trümmerchen wäre ihr Mann. Sie war roth im Gesichte; ihr dicker, breiter Nacken, den sie reizend enthüllt trug, legte sich um die einengende Kleiderschnur so herum, wie die Knackwürste an jener Stelle, wo sie mit einer Schnur 274 abgebunden sind. Auf dem Haupte saß eine thurmhohe Haube, mit einer solchen Menge von Blumen, daß die hängenden Gärten der Semiramis ein Wunder zu scheinen aufhören mußten und dagegen ein neues größeres Wunder, auf dem Kopfe der Madame Käsemenger, in Betracht zu kommen schien. Sie saß sehr breit auf einem erhöhten Sofa da, und wehte sich mit einem Fächer, den sie in den fleischigen kurzen Fingern hielt, Luft auf den zarten Nacken und das hold erröthende Gesicht. In ihrer Nähe saß ihre Tochter, die Tochter des Hauses, Fräulein Eulalia, Hortensia, Gisella, Esmeralda Käsemenger, mit dem Elbogen gestützt auf eine vergoldete Blumenvase, und poetisch nach der Decke blickend, a la Sappho, die eine tiefsinnige Ode sucht. –

Fräulein Eulalia, Hortensia, Gisella, Esmeralda und – Käsemenger, war eine Figur, nicht groß und nicht klein, nicht dick und nicht dünn, aber mit einem Gesichte, bei dessen Anblick alle Sonnenjahrberechnungen schwanden. Große glotzende Augen, Erbstücke ihres Papa's, schreckten eine Nasenspitze in eine so lange Entfernung von ihnen hinweg, als derselben sorgsam zu erlangen nur möglich war. Der Mund war nicht übel gebildet, bog aber an den Winkeln abwärts, wie bei einem melancholisch in der Sonne sitzenden Frosche, an den auch die Augen erinnerten. Zu diesem Gesichte ohne allen kalendarischen Nachweis, war der Kopf mit einem Ueberflusse von Schnörkeln a l'enfant frisirt, und um den Hals zog sich ein kindlich naiv-stehendes Fälbelchen, von einer Rosaschleife zusammengebunden. Was die Mama zu viel an Fleisch und Haut sehen ließ, setzte die Tochter, durch sorgfältige Vermeidung dieser Artikel und weißlederne Ueberzüge über die Arme, wieder ins Gleichgewicht. – 275

Fräulein Esmeralda, Hortensia, Eulalia, Gisella war musikalisch, sehr musikalisch; sie besaß eine Altstimme von merkwürdigem Umfange, so daß man einmal glaubte, sie singe von einem Kellerloche herauf, so tief versenkte sie sich in die Oktave, und das anderemal vermeinte man wieder, eine Katze auf dem Schornsteine sei in ein Ereigniß verwickelt worden – so hoch sang sie dann. – Ihre Stimmtalente waren demnach eine Zusammensetzung der elterlichen Gaben, die Fistel von Seite des Herrn Vaters, und der Baß von Seite der Frau Mama, die dessen zeitweise im Ueberflusse besaß. Nebstdem spielte das Fräulein mit langen dünnen Feuerzangefingern Klavier, komponirte, ja dichtete und hatte ebenso philosophische als poetische Gedanken, welche sie sämmtlich in ein Tagebuch brachte und meist in einem sehr eleganten Portefeuille in ihrer Nähe hatte. Die »Himne von dem geheilten Sperling« machte Sensation in den kunstsinnigen Kreisen, das versicherte der Baron Schnurrer von Leerfeld, Lieutenant außer Dienst, welcher mehreremale zu Mittag geladen wurde, blos um von den Erfolgen und der erregten Begeisterung in den höheren Salons zu berichten, wozu er regelmäßig erschien, ebenso außerordentlichen Appetit, als außerordentliche Bekanntschaft mit der höheren Welt entwickelnd.

Als Fräulein Gisella, Hortensia, Esmeralda, Eulalia (was ihr der »Käsemenger« anthat, schienen die andern duftenden poetischen Namen ersetzen zu müssen) den herbeigesehnten Schwach herankommen sah, heftete sie sehr poetisch die großen Augen nach der Decke und machte ein so tiefsinniges Gesicht, als müßte sie die Maikäfer erschaffen und dächte eben nach, wie man das begänne. Die Frau Mama lächelte, von einer Haubengarnitur zur andern, und fächelte 276 stark. Schon von ferne nickte sie Schnepselmann so huldvoll entgegen, daß der ganze Semiramisgarten in nicht unbedeutende Aufregung gerieth. Der kleine Papa schwänzelte hintendrein und trat, in seiner Kurzsichtigkeit, unserem Herrn Schwach auf die Fersen, als wollte er ihn unbedingt vorwärts zu seiner Tochter treiben und jedes etwaige Umkehren in allen Fällen verhindern.

»Ah, werther Herr Schnepselmann, Sie bringen uns Gäste? Sehr erfreulich, daß Sie unsern Zirkel zu verschönern suchen!«

»Geehrte Frau des geehrten Hauses: Herr Schwach! Geehrter Herr Schwach: die geehrte Frau des Hauses!«

Bedeutendes Nicken, Knixen, Lächeln, Verbeugen.

»Esmeralda!« rief die Mama mit dem Baß, ihrer poetisch in die Zimmerdecke verlorenen Tochter zu: »Herr Schwach, unser Gast!«

Esmeralda Käsemenger schwang ihren großen Augapfel von der Decke herab, auf Schwach zu, verbeugte sich »verloren«, und sagte Sapphoschwärmerisch:

»Ein Gast!« – mit mütterlichem Basse grabmäßig – »Ich habe eben nachgedacht . . . sind wir nicht alle Gäste auf Erden, und ist diese Welt nicht ein Salon, mit dem großen Fortepiano der Berge und den Kandelabres der Sterne?«

»Vortrefflich! Ausgezeichnet! Süperbe!« rief Baron Schnurrer. »Wie sagten Sie eben? . . . Ich bitte . . . ich möchte das notiren und in die höhere Welt bringen!«

»Fräulein Esmeralda ist zugleich poetisch, sehr poetisch, Herr Schwach,« sagte Schnepselmann eifrigst. »Genie ist zu Hause in der Familie Käsemenger! Ich bedauere, daß der genievolle junge Herr Robert, einziger Stammhalter des Hauses, nicht zugegen, sondern als hoffnungsvoller Held 277 und Lieutenant in einer entfernten Garnison ist. Sie hätten in ihm eben so viel edlen Sinn als tapfere Bravour kennen gelernt; ich bin überzeugt, sein Name wird den Feinden des Vaterlandes einst Schrecken und Grauen einflößen. – General Käsemenger!« sprach Schnepselmann mit schauerlichem Tone, als hätte er das Ernennungsdekret und den siegreichen Schlachtbericht in der Tasche; dann fuhr er wieder fort: »Genie ist, wie gesagt, hier zu Hause, und Fräulein Esmeralda's Poesie ist eine erstaunliche Begabung!«

Die Mutter lächelte und fächelte während diesen Schnepselmann'schen Schmeicheleien und sah mit einem herausfordernden Blicke auf Schwach, als wollte sie sagen: Nun, wie viel ist dies werth?

Schwach hustete und lächelte, stammelte nur zeitweise: »Wirklich . . . erfreut . . . sicherlich« durcheinander.

Die Mama nahm sofort, wie alle Mama's bei gleicher Gelegenheit, das Wort: »Meine Esmeralda ist sehr poetisch; der berühmte Dichter und Herausgeber des Taschenbuches ›Poetische Sommer- und Winterblüthen‹,« wollte ein Gedicht an den kurirten Spatzen . . .«

»Geheilten Sperling, Mama.«

»Richtig, geheilten Sperling, aufnehmen, wenn es nicht für den Jahrgang zu spät gekommen wäre. Er bedauerte es sehr. – Sind Sie ein Freund von Poesie?«

»O ja,« sagte Schwach, froh überhaupt, etwas sagen zu können.

»Poesie ist die Himmelsgabe der irdischen Erde, und die sterbliche Menschheit würde hinfällig sein ohne Poesie!« sagte hohl Esmeralda.

»Vortrefflich, Fräulein Sie überbieten sich!« rief von Leerfeld; »der Ausspruch ist shakespearisch!« 278

»Meine Tochter ist auch musikalisch. Lieben Sie Musik?«

»Sicherlich, gewiß,« sagte Schwach, merklich getröstet über seine eigene glänzende Rednergabe und die Gelegenheit damit hervorzurücken.

»Musik,« sagte, mit dem Kellertone, Esmeralda, »ist eine Himmelsgabe, die gekommen ist vom Himmel, wo die Sterne stumm herabsehen zu den leuchtenden Tönen, die auf der Erde wandeln!« –

Die Mutter gab dem Semiramisgarten, mittelst Kopfnickens, eine Anregung, daß die Gewächse furchtbar untereinander taumelten. Es war dies Beifall und Zustimmung zu dem ungeheuer poetischen Gedanken ihrer Tochter.

Leerfeld küßte das weiße Ziegenleder auf seinen Fingerspitzen und machte damit eine schwärmerisch-kunstsinnige Bewegung nach Esmeralda.

»Esmeralda,« sagte die Mama, »möchtest Du nicht der Gesellschaft auf dem Klaviere vorspielen, die Kapaunella?«

»Campanella, Mama.«

»Ja die Campernella!« verbesserte sich diese.

»Oh, die Campanella, entzückend!« rief der Baron.

»Was meinst Du, Theodor, soll sie nicht spielen?« sagte die Mama zu ihrem Manne, um diesen doch nicht ganz überflüssig erscheinen zu lassen.

»O, ganz Deiner Ansicht!« Er flötete oder krähte nie anders, als nach der Ansicht seiner Frau.

Fräulein Esmeralda setzte sich ans Klavier, zupfte die langen ledernen Handschuhe ab, beaugapfelte die Decke, als käme die Kapaunella-Kamphernella-Inspiration von dem Mörtel daselbst, und machte die Tasten unter ihren langen Fingern vorläufig zähneklappern. 279

Alles hustete vorbereitend, um die poesievollen Töne nicht etwa später zu stören, und Schnepselmann rief immer Schwach an, als wollte er ihm vertraulich mittheilen, aber doch stets so, daß es die Andern hörten: »Sie spielt vortrefflich, süperbe, magnifique!«

Esmeralda schlug mit einemmale alle zehn Fingerspitzen auf die Klaviatur, das Klavier gab erschreckt eine Tonvomition von sich, und die musikalische Produktion hatte begonnen. Das Glöcklein (Campanella) läutete bald Lämmleinmäßig, bald melancholisch wie an dem Halse eines alten hipochondrischen Hammels, bald trillerte es sonderbar, als wäre der Klöppel vom Zittertanz befallen, und bald schlug es wieder so langsam, als hätte es die Stunden an einer verdorbenen Schwarzwälder Wanduhr abzuklappern. Endlich kam es in eine ungeheuere Verwirrung, so daß es selbst nicht mehr wußte: war es Lämmleins, Hammel, Veitstanz, oder Schwarzwälderuhrglocke, balgte mit sich selbst und anderen Tönen, die Tasten schrien, ächzten – noch ein Kneipen in die Weiß- und Schwarzbeinernen – es war geschehen!

»Bravo! Magnifique! Süperbe! Ausgezeichnet!« Das Alles wogte durcheinander, der Baron klopfte die Weißledernen an ihren Flächen gegenseitig aus, Schnepselmann setzte die Kosten aufs Spiel und paukte seine gespannte Zehnfingerfolter ebenfalls, Schwach lächelte zustimmend, der weltgereiste Konzertgeber nickte sehr würdevoll das Haupt, eine nichtssagende aufgestutzte Tante des Hauses zerfloß in wonnevolles Lächeln, und eine lange ältliche Dame, mit sehr langem, hohlem Gesichte (geschminkt?), sehr schwarzen Augen und Haren, die einer abgetragenen Schauspielerin ähnlich sah und es auch war, nickte und beifallte so dramatisch, als hätten Ophelia, Maria Stuart, die Jungfrau von 280 Orleans, Phädra und Iphigenie sie expreß hierher gesendet und ihr aufgetragen, ja nichts anderes als tragische Dolche, Schaffote, Gifte, Scheiterhaufen zu blicken, und keineswegs erste-, sondern bloß fünfte-Trauerspiel-Akt-Mienen zu wagen.

Nach dieser enthusiastischen Bewegung der Gemüther und Anstrengung der menschlichen Gefühle, trat die Einrichtung hervor, Gefrorenes, Punsch, Bisquit, Mandelmilch, Thee zu verzehren, welche Artikel auch mit größter Gewissenhaftigkeit von dem kaffeebraunen Frack mit plattirten Knöpfen geboten wurden, nicht ohne Schaden des Frackes eines Andern, oder der Beine der anwesenden Menschheit.

Schnepselmann erklärte, eine Gemüthsaufregung gehe bei ihm nie vorüber, ohne zugleich auch den Körper anzugreifen; und er schlug jeden Zweifel über diese Kraft- und Stoff-Hipothese sofort, durch die Verzehrung aller dargebotenen Artikel in Masse, nieder.

Schwach kostete bescheiden von einer Tasse »Gefrorenes,« und der Baron Schnurrer erwies ihm die Aufmerksamkeit in seiner Nähe zu sein. »Sie ziehen »Glace« dem Andern vor? – Der berühmte Virtuose Brillioz aß auch immer Gefrorenes; er sagte zu mir – wir waren sehr intime Freunde und er schreibt mir noch – mein theuerer Herr Baron . . . Doch da fällt mir eine herrlichere Anekdote ein. – Als ich bei dem Statsrathe, Grafen von Rumpelheim jüngsthin geladen war – der Statsrath Rumpelheim ist eine alte Bekanntschaft – brachte man Konfekts und derlei Kleinigkeiten auf die Tafel; die Fürstin Butobotobski – Sie kennen sie vielleicht – sie ist eine Verwandte des Grafen Wlatschowatschinski, der die geborene Hohenmantenburg, Gräfin Hohenmantenburg geheirathet – Sie kennen die Häuser nicht?« 281

»Nicht im Geringsten,« sagte Schwach.

»O, da will ich Sie gleich au feu setzen! Die Großmutter des Grafen Wlatschowatschinski ist eine deutsche Fürstin Muffelhof, deren Bruder . . . doch nein, ich will bei der Butobotobski beginnen; ihr Vater ist der Baron Doddelion de Duddellieu, dessen Gattin eine geborene Steinbergburg, Gräfin Steinbergburg war; – diese ist verschwägert mit der Gräfin Newopowolinski, deren Mutter eine Kousine der Steinbergburg und geborene Baronin Schleichenhoch war. Die Schleichenhoch hatte einen Vetter, den Grafen Ordengrapperslow, und. der Graf . . . . Sie verstehen mich doch?«

»Ich muß sehr bitten . . .« sagte Schwach verlegen, »ich bin etwas unbekannt mit . . . .«

»Mit der höheren Aristokratie? O, thut nichts – Bekanntschaften mein Werther, verschaffen auch hier Zutritt, wenn man nur Freunde hat.« – Hiebei steckte er eine Hand gravitätisch in den Busen. »Freunde, mein Lieber!« wiederholte er mit bedeutungsvollem Blicke; »und ich hoffe, Sie werden mit der Zeit auch höhere Bestrebungen . . . .« Hier hustete er und sah, welche Wirkung dies Alles auf Schwach hervorbrachte. Als dieser ganz gelassen, scheinbar aufmerksam hörend, dastand, fuhr er, neuerdings das Wort nehmend, fort:

»Sie kennen vielleicht den Privatier Lippels, geradewegs Lippels, ohne weiteren Titel. Wo glauben Sie, daß ich ihn eingeführt? . . . . Wohin?«

»Thut mir wirklich leid, nicht errathen zu können.«

»Zu . . . . nun, in den feinen Zirkel . . . . bei der reizenden Gräfin Flottsee!« mit bedeutendem Ausrufe bei Namen und Titel.

»Ah –« sagte Schwach. 282

»Sehr interessant!« sagte Schnepselmann. »Oh der Baron Schnurrer von Leerfeld . . . es sollte mich nicht wundern, wenn Sie Jemanden bei Hofe, direkt bei Hofe, einführten. Ihre Bekanntschaften . . . .«

»Denken Sie – Rumpelheim will mir eine Statsstelle geben – ich eine Statsstelle nehmen!? Ich empfehle gerne Freunde dafür; aber meine Unabhängigkeit! . . .«

»Ah, Sie sind ein sehr unabhängiger Charakter!« sagte Schnepselmann.

»Die Damen, die Damen! wir vergessen ganz die Damen!« fand es der Baron für gut, jetzt auszurufen, und er säuselte nach der Höhe, wo die Damen saßen.

Schnepselmann zog sofort sein Opfer, Schwach, mit sich, hinter den Baron.

»O werthestes Fräulein Gisella, entzücken Sie die Gesellschaft durch einen Gesang!« flehte der Baron mit sehr vorgestrecktem Spitzbärtchen.

»Entzücken Sie, entzücken Sie!« rief Schnepselmann. »Herr Schwach ist äußerst begierig; nicht wahr?«

»O gewiß, ganz gewiß,« sagte Schwach.

»Meine Tochter ist eine ausgezeichnete Sängerin; haben Sie nicht in den Zeitungen gelesen: Fräulein Gisella Casomini?«

»Gisella Casomini?« sagte Schwach nachdenkend und wollte schon seine Unwissenheit bekennen.

»Gisella Casomini,« wiederholte die Dame mit bedeutendem Kopfnicken und Fächeln, »das ist meine Tochter; Sie werden es nicht gewußt haben.«

»Sicher nicht,« sagte Schwach.

»Wissen Sie, Käsemenger ist deutsch, sehr deutsch, man liebt in den höhern Zirkels die fremden Namen, und so 283 haben wir das Käsemenger ins Ausländische, mit Casomini übersetzt. Klingt das nicht sehr schön? Casomini, Esmeralda Casomini?«

»Namen,« sagte schwärmerisch Esmeralda Casomini, »was wollen Namen sagen? – Es fällt mir eben ein, sind Namen nicht vergänglich im Irdischen, und sind die Sterne nicht Lichter für die Menschen, die tief in die Herzen scheinen, ohne den Namen auszusprechen?« – –

Die Sterne hatten nie Ruhe von Fräulein Casomini.

»Sehr glänzend! Daran habe ich auch schon gedacht,« sagte Schnepselmann, ohne ein Wort von dem zu verstehen, was das Fräulein gesagt hatte.

»Haben Sie es nicht in den Zeitungen gelesen?« fuhr Madame Käsemenger fort. »Meine Tochter hat für die Ueberschwemmten in Hinterpommern gesungen, die bei der Ueberschwemmung wirklich hungerten und dursteten. Der »elegante Weltfreund« sagte gedruckt: Fräulein Casomini zeigte eine Beständigkeit im Gesange . . . .«

»Ein Verständniß, Mama.«

»Verständniß oder Beständigkeit, es ist doch nicht viel Unterschied! – Eine Verständigkeit im Gesange, welche die einzelnen Theile der Komposition sehr auseinander hob.«

»Hervorhob, Mama.«

»Nun, hervorhob; und das Publikum ging sehr gefaßt ein.«

»Und das Publikum ging auf die Auffassung ein.«

»Nun, und wie heißt es weiter?« fragte die Mama, welcher der Zeitungsartikel, trotz tausendmaligen Lesens, doch etwas zu verwickelt war.

»Und lohnte Fräulein Casomini durch höchst ehrenden Beifall, welcher die junge Dame zu weitern Bestrebungen 284 auf dem Felde des Ruhmes aufmuntern muß,« krähete Theodor Käsemenger, der Vater, sofort zur wohlgesetzten Ergänzung.

Der Baron lächelte bei diesem Citate sehr bedeutungsvoll, als wollte er ausdrücken: seht Ihr, dieser geistreiche, citirte Referent des »eleganten« bin ich – es kostet mich nur einen Hauch und man ist berühmt! –

»Sind Sie vielleicht auch Sänger, Herr Schwach?« fragte ihn die Mama, und sah ihn dabei sehr holdselig lächelnd an.

»Nicht im Geringsten, bedaure sehr.«

»Aber mein geehrter Freund ist sehr geneigt der Musik, sehr geneigt der Musik,« sagte Schnepselmann; »und ich muß Sie schon verrathen,« wendete er sich zu dem geehrten Freunde, »daß Sie mir Ihre Freude im Voraus ausgedrückt, Fräulein Gisella singen zu hören.« Schnepselmann hielt sofort einen Glaceehandschuh vor den Mund und hüstelte, mit einem bedeutenden Seitenblicke nach Schwach.

Schwach sah Schnepselmann, erstaunt über diesen hipothetischen Verrath an, und gespornt von den Blicken seines Freundes, sagte er nur: »Allerdings, der Gesang ist . . .«

». . . von schönem Munde fließend . . .« warf Schnepselmann dazwischen.

». . . sehr zum Herzen dringend,« ergänzte Schwach, und die komplimentirliche Einschiebung kam also auf seine Rechnung, was ihm ein Lächeln von Esmeralda und ein nach ihm gerichtetes Wogen der hängenden Gärten einbrachte. –

»Was wollen Sie singen, meine reizende Esmeralda?« fragte der Baron. »Die Arie aus »Belisario«, oder das Lied, das Sie im Konzerte vorgetragen, oder . . .« 285

»Singe den Romeo und die Julie,« sagte die Mama. »Nicht wahr, den Romeo und die Julie, Theodor?«

»Ganz Deiner Ansicht!« flötete der Gemal.

»O singen Sie uns den Part des Romeo!« flehte der Baron mit gefaltetem Gerberprodukte.

»Singe doch!« schmunzelte selig die Tante, in einem Fistel, der dem ihres Herrn Bruders va banque bot.

»Singen Sie, bitte!« tragödisirte Iphigenia.

»Entzücken Sie!« rief Schnepselmann.

»Bitte!« sagte Schwach.

Solchen vereinten Anstrengungen und Aufforderungen konnte Signora Casomini nicht widerstreben. Mit einem Lächeln nach Schwach, der auch seinen Bitte-Senf dazu gegeben, erhob sie sich, ging an das Klavier, der Professor überhob sie aber sofort bereitwilligst der Mühe, sich selbst zu akkompagniren, und übernahm dieses Stück Arbeit als Gegenleistung für Kaltbraten, Gefrorenes und Bisquit.

Er fingerte mit bedeutendem Bewußtsein auf dem Tastenwerke herum, Signora Casomini stellte sich mit dem Notenblatte an dem Klaviere auf, der Professor schlug das A zur Tonstimmung an, Casomini kopfnickte, daß sie gegen dieses A nichts mehr einzuwenden habe, der Professor sagte sogleich in seinem Innern B und introduzirte. Endlich war Romeo in der Introduktion erwischt, noch ein didldidldidl, dann gemessen – dum – dum – die Endtöne – schauerliches Stillschweigen. –

Signora Casomini begann.

Der »Romeo« wird, seiner Reize und Jugend wegen, auf der Bühne von Damen gesungen und ist eine Partie für Altstimme. Das war ein Glück für Esmeralda; denn hätte sie die Julie gesungen, man wäre versucht gewesen 286 zu sagen: »welch ein dummer Mensch ist Romeo, wenn er sich um diese Julie so viel gefallen läßt!« So sang Signora Casomini aber immer von einer Julie, die nicht vorhanden war, und das fiel sehr zum Vortheil des gegenwärtigen Romeo aus. –

Die Mama war sehr merkwürdig zu betrachten! Sie hatte in diesem Momente, mitfühlend die Gefühle des Romeo, die Hand auf das Herz gelegt, und wenn sich ihre Tochter schüttelte oder hin und her bewegte, um den Triller besser hervorzupressen, preßte und schüttelte sie mit, als wäre sie überzeugt, das sei eine bedeutende Hilfeleistung für Esmeralda und bringe die Sache besser zuwege. Sie hob die Augen und senkte die Augen, und lächelte und sah schwermüthig und blinzte grimmig, gerade wie es Romeo für gut fand; sie hätte nur noch selbst singen dürfen!

Der Herr Professor taktirte mit Kopf und Fuß und Rücken, er zählte manchmal sogar die Takte laut, was, trotz der beiden Romeo, die Illusion sehr störte.

Esmeralda Casomini war groß, im Singen nämlich, und setzte wieder »die Theile der Komposition mit einer Beständigkeit auseinander,« die den »eleganten Weltfreund« bewogen haben dürfte, sie auf der Bahn des Ruhmes noch weiter zu schicken, vielleicht so weit, daß sie allen andern Berühmtheiten und dem Publikum ganz aus dem Wege gegangen wäre.

Romeo fluchte, liebelte, schwur, donnerte, säuselte sehr merkwürdig! – Schwach glaubte bestens zu thun, wenn er den Mund mit ihm öffnete; und er erschrack bei einem plötzlichen Stimm-Tiefgange dermaßen, daß er einen Schritt seitwärts machte, in der illusorischen Vermuthung es öffne sich der Fußboden unter ihm und er werde, sammt den Andern, in 287 ungeahnte Gründe hinabfallen. – Rasch kletterte aber Romeo-Casomini in eine solche Höhe mit seiner Stimme hinauf, daß Schwach wieder unwillkürlich nach der Decke sah, um das zweite Stockwerk und die Dachbalken vor seinen Augen zu erblicken. Beide Vermuthungen waren zu illusorisch, Romeo befand sich wieder auf dem Mittelwege, fiel aber gleich wieder in den Keller, stieg dann wieder auf den Schornstein des Daches, und wiederholte diese Stimmbewegungen eine geraume Zeit. – Die Mutter unterließ nicht zu pressen, zu schaukeln, stumm zu trillern, zu zürnen, lächeln, liebeln, klettern und fallen. – Endlich gerieth Romeo in Tonverwirrungen, Zuckungen, Verachtung von Noten, verfolgte eine davon unaufhörlich bald in höheren bald in tieferen Regionen, schlug Modulationen die Köpfe zusammen und schleuderte sie heftig von sich, zappelte inner der Kehle – – drim, drum, drum – dumderdum – dum dummm – vom Klaviere – Romeo war geliefert!

Wer beschreibt was jetzt bei Käsemengers vorging! Dieser Enthusiasmus, diese Lobsprüche, diese Bravi, Bravo, Brava, Bravu der Versammlung und vorzüglich des Barons, diese Ereiferung der Gefühle, Bemühung der Ledersorten, dieses Lächeln, Fächeln und Erschöpftsein von Seite der mitarbeitenden Mama, diese Wonnezerflossenheit der Tante, diese himmelherabzerrende Tragik in der Zustimmung und Zurschautragung der Gefühle für Romeo, von Seite der dramatischen Künstlerin, dieses Zuckerpecken des Papa – es war und bleibt unbeschreiblich!

Esmeralda saß selbstbewußt und lächelte, wie der Wetterfrosch bei schönem Wetter auf der obersten Leitersprosse, Schwach zeigte in seinem Blicken und Wesen eine gewisse 288 Aufgeregtheit, die allerseits sehr günstig gedeutet wurde, und namentlich von Schnepselmann, durch Augenzwinkern und Kopftelegrafie, der Frau des Hauses und Mutter der Talentreichen bemerkbar gemacht wurde.

Die plattirten Knöpfe auf kaffeefarbigem Tuche erschienen wieder, und brachten Jedem eine Gabe, und Schnepselmann bewahrheitete wieder den Ausspruch von den Angriffen der Gefühle auf seinen Körper. Baron Schnurrer war wieder nahe und entwickelte Genealogie, Künstleranekdoten, höheres Leben und niedrige Schmeichelei, und übergoß das Ganze mit dem verklärten Schein einer Protektion für Schwach.

Esmeralda spielte wieder und sang wieder, und sang und spielte, und endlich kam, auf vielseitiges, allgemeines, wiederholtes, dringendes und unablässiges Bitten, der für die Sommer- und Winterblüthen zu spät angelangte »Geheilte Sperling.«

Der Sperling wird krank und steht lange auf einem Beine – erster Gesang; der Sperling stellt, in der Melancholie, Betrachtungen über die Thiere des Waldes an, warum er kein Elefant, oder Ziegenbock oder Känguruh geworden – zweiter Gesang; der Sperling wird unzufrieden und verwünscht die Schöpfung – dritter Gesang; der Wind weht dem Sperling einen heilenden Samen in den Schnabel, er geneset und stimmt eine großartige Lobhimne auf alles Vorhandene, Gewesene und Kommende an, und fliegt davon.

Sehr viel »Sonne und Wonne,« »Liebe und Triebe,« »Luft und Duft,« »Herzen und Schmerzen,« halbe und ganze, krumme und lahme, langfüßige und kurzfüßige Verse, endlich: 289

»Und staunend soll's die Zukunft lesen,
Das ist der Sang, vom Sperling genesen!«

Großer Enthusiasmus – bedeutende Aufregung – Gefühl und Gefrorenes – Schwärmerei und Bisquit – Poesie und Mandelmilch – Unsterblichkeit und Punsch – Rührung und chinesischer Thee!

Es war nun für nothwendig gefunden worden, Esmeralda einen Augenblick zurückzuziehen und ihren erschöpften Talenten Zeit zur Erholung zu gönnen. Das war der große Moment, in dem die Kanone zum endgiltigen Losschusse gegen Schwach gerichtet wurde. Der kurzsichtige Kanari hielt sich stark und stets in dessen Nähe. Schnepselmann fragte nun sehr ernst und mit sehr wichtiger Miene vertraulich – wobei die lebendige Flöte ohne Klappen aufmerksam zuhörte:

»Nun, wie gefällt sie Ihnen?«

»Sehr gut!« sagte Schwach in höflicher Eilfertigkeit. »Sagen Sie mir, sind jene Bücher, welche hier auf den Eck- und Nipptischchen liegen und jene in der kleinen niedlichen Eck-Etagere, von der Bibliothek . . .«

»Des Fräulein? Natürlich!« fiel Schnepselmann ein. »Versteht sich! O, hier ist Alles vorzüglich, äußere Ausstattung, Inhalt, Wahl . . . denken Sie nur, Fräulein Esmeralda! Sie kennen sie ja nun selbst. Sie sind ein Mann von Verständniß und Bildung, und ich sehe, Sie haben merkwürdig rasch eine äußerst günstige Meinung gefaßt. Ich bin sogar fest überzeugt, das kurze Beisammensein mit Fräulein Esmeralda hat Sie für Alles unbedingt bestimmt, Frl. Esmeralda beeinflußt Sie bereits! Ich kenne dies an Ihren Mienen, an Allem! – Werther Freund, ist 290 meine Frage, auf die ich eine Bejahung trotzdem erwarte, jetzt noch gewagt. Sie könnten Ihr Herz an Frl. Esmeralda ganz hingeben?«

Der Vater war sehr aufmerksam in der Nähe, und Schwach, der dies bemerkte, sagte deshalb sehr gefaßt: »Wenn ich einem weiblichen Wesen überhaupt mein Herz . . . . Fräulein Esmeralda sicherlich!«

Der Kanari lächelte und peckte sehr lebhaft.

»Sie wären willig mit diesem charmanten Hause eine Verbindung . . .«

»Ganz gewiß; warum nicht? Ein vorzügliches Haus, und in Verbindung damit zu treten, ist eine Ehre.«

»Sie haben nichts hinzuzufügen?«

»Durchaus nicht . . . ich bin mit Allem sehr, sehr zufrieden.«

»Danke, danke!« rief der natürliche Flötist sehr erfreut; – »das rein Geschäftliche wird sicherlich kein Hinderniß zwischen uns bieten und können wir bald abmachen.« – Er drückte Schwach lebhaft die Hand und eilte davon.

»Ich bin bereit,« sagte Schwach, als der Letztere davon geeilt war, »das Geschäftliche heute ganz zu lassen; ich sehe es müßte eine Störung in der Gesellschaft . . .«

»O durchaus nicht! Sie müssen Käsemenger kennen lernen, da ist Alles präzise, exakt. Und dann, lieber Freund, ich gestehe, wie ich Sie selbst kenne, bedürfen Sie, in aller Ihrer zarten Unentschlossenheit, einen gewissen energischen Vorschub! – Ich habe dies Käsemenger auch mitgetheilt. – Sie sind ein Mann des »fait accompli«, des Vollbrachten; und wenn ich nicht für Sie, Verehrter . . .« 291

»Gut denn; wenn Sie wollen und meinen . . . mir kann es sogar recht sein, ich habe nichts dagegen einzuwenden.«

Schnepselmann drückte ihm freudig erregt die Hand und strich schon bedeutende Geldsummen in der Fantasie ein. Da öffnete sich die Thüre des Nebenzimmers am Salone, und Fräulein Esmeralda, geführt von der dicken Mama und der dünnen Tante, trat sehr melancholisch-schwärmerisch ein.

Herr Käsemenger trat zu Schwach, Schnepselmann nahm ihn an dem einen Arme, der entzückte Kanari sanft am andern, und während Schwach noch nach rechts und links sah, um durch Mienen zu fragen, was das bedeuten solle, führten sie ihn schon vorwärts.

Beide Parteien langten von entgegengesetzten Seiten vor einem sehr geschickt herbeigeschobenen Tischchen an, auf dem zwei Armleuchter brannten und zwischen denen einige Papiere ausgebreitet lagen.

Schwach zitterte am ganzen Leibe und dachte: »Sonderbarer Geschäftsgang!«

Schnepselmann trat sehr zeremoniell vor.

»Herr Herkules Schwach! Sie erklären feierlichst vor der Versammlung die Verbindung mit dem Hause des Herrn Käsemenger einzugehen?«

»Verbindung? . . . Doch . . . Ich erklärte allerdings bereits . . .« setzte sofort Schwach hinzu, der äußerst erstaunt war und dem das Herz gewaltig an die Weste trommelte, aber der auch durchaus nicht wollte, die Gesellschaft solle etwa meinen, er halte nicht irgend ein Wort, das er gegeben. Eine solche Meinung wollte er vermeiden. 292

»Sie sind mit den, bei einem solchen Akte herkömmlichen und üblichen Verfügungen einverstanden und haben keine besondern Klauseln auszubedingen und hinzuzusetzen?«

»Geschäftssachen . . .« stammelte Schwach, über und über roth, ja verwirrt werdend, ». . . durchaus nicht . . . denn Geschäftssachen . . . .« betonte er bebend; »aber . . . .«

Schnepselmann fuhr, ihm die Rede abschneidend, eifrig fort: »Die Kontrakte sind also vorhanden, Sie haben nur die Summe einzusehen, und finden Sie dieselbe angemessen, so bitte ich Sie, die vorliegenden Kontrakte zu unterschreiben.« Hiebei drückte er schon eine Feder in Schwach's Hand.

Schwach's zages Herz fiel nun ganz unter die Knie und in das Schuhleder; er wußte nicht, was diese Feierlichkeit bei einer so geringfügigen Sache bedeuten solle und war durch ärgste Verlegenheiten im Begriffe zu unterschreiben, nur um loszukommen. Er dachte: und wenn es noch so wenig Bände und noch so viele Thaler wären, ich gebe sie, nur um los zu werden! Glücklicherweise fielen ihm dazu einige Worte ein und er sagte: »Nun, Herr Schnepselmann, ich habe mich hierin so ganz auf Sie verlassen . . . daß . . . wenn Sie der Ansicht sind . . . . ich . . . . ganz zufrieden . . .«

»Darein willige?«

»Willige!«

»So unterschreiben Sie! – So viele Tausende, und so geringe Ansprüche . . . .«

Als Schwach von Tausenden und geringen Ansprüchen hörte, ließ er Schnepselmann nicht zu Ende kommen; er nahm sofort im Vertrauen auf die Geschäftskenntniß seines 293 Freundes und Agenten, die Feder, und schrieb auf das Papier: Herkules Schwach.

Käsemenger drückte ihm mit ungeheurer Wärme die Hand, indeß trat Fräulein Esmeralda sehr dramatisch hinzu und setzte ihr »Käsemenger« auch bei.

Schwach dachte: die Bibliothek wird wohl ihr Privateigenthum gewesen sein!

Die vermuthete Bibliothekbesitzerin stand schüchtern einen Augenblick und verlegen harrend, ob ihr der Bräutigam nicht entgegen kommen und in die Arme sinken werde.

Da sagte Schwach in höchster Verlegenheit: »Jetzt möchte ich sie doch gerne ganz besichtigen.«

»Wie? Was? Da ist sie ja!« rief der erstaunte Schnepselmann, der vorerst meinte, Schwach sehe seine Braut vor Verlegenheit nicht, und – warf ihm Esmeralda in die Arme!

Schwach rief erschreckt: »Was, wer?«

»Die Braut!« tönte es wieder von allen Seiten, »wir gratuliren!« Schwach sprang zurück und rief nochmals entsetzt: »Wer?«

»Die Braut!« tönte es wieder von vielen Seiten, aber schon mit Unterbrechungen und erstaunten Blicken. – Esmeralda begann eine Ohnmacht.

»Was für eine Braut?«

»Ihre, Fräulein Esmeralda!« beeilte sich Schnepselmann.

»Meine? Wie so?«

»Haben Sie nicht den Kontrakt unterschrieben?«

»Ja wohl. Aber was meinten Sie?«

»Eine Braut.«

»Und ich . . . .« 294

»Nun?«

»Eine Bibliothek!«

Ein Schrei von Esmeralda, sie stürzte auf ihre dicke Mutter, die Tante stürzte auf Esmeralda, die männliche und weibliche Welt schrie durcheinander, es war eine heillose Verwirrung – und wenn Allen arg geschah, so geschah doch am allerärgsten, Herrn Herkules Schwach. –

 

Ende des ersten Bandes.

 


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