August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Siebzehntes Capitel.

Bei Herkules Schwach erscheint ein höchst sonderbarer Mann zu Besuch.

Die Thürklingel bei Herkules Schwach regte sich, stark tönend, und die sorgfältige Haushälterin ließ einen Mann von sonderbarem Aussehen ein.

Er war schwarz gekleidet. Die altmodischen schwarzen Kleidungsstücke waren reinlich, aber abgetragen. Auf dem Kopfe saß ein äußerst altmodischer, hoher, oben sehr breiter und ausgeschweift nach unten sich verengender Hut. Die dünnen Beine trugen Kniehosen und schwarze Wollstrümpfe; plumpe, aber reinliche Schuhe mit Schnallen bedeckten die Füße. In der Hand trug er ein dickes, spanisches Rohr mit langem weißen Knopfe. – Hatte die ganze Gestalt in ihrer ersten Erscheinung nichts Erquickendes an sich, so steigerte sich der unangenehme Eindruck noch mehr bei genauerm Besehen. Eine solche thierische Fisiognomie, ein so stumpfer und doch leidenschaftlicher Ausdruck, solche unheimlich glitzernde kleine, schiefe Augen, können nicht zu den Alltäglichkeiten gerechnet werden! – Der Kopf war nicht groß, aber fast überall eckig. Die scharfen, hervorstehenden Backenknochen, die schmale, gerade aufrechtstehende knochige Stirne, ober welcher einige graue kurze Borsten sich vordrängten, die stumpfe und so aufgestülpte Nase, daß man in deren breite Nüstern fast hinein sehen konnte, gaben dem Gesichte eine auffallende Flachheit und einen katzenähnlichen, oder allgemein niedrigen, thierischen Ausdruck. An dem untern Ende des scharfen Stirnknochens wuchsen dichte graue Büschel von 256 Augenbrauen, und die tief innen liegenden, kleinen schiefgeschlitzten Augen funkelten mit ihren scharfen stechenden Augäpfeln darunter hervor, wie das glitzernde Rohr eines Buschmannes aus dem bergenden Strauche. Der Mund war schmal, aber die blauen Lippen waren verkniffen, und über das ganze gerunzelte Gesicht lag ein solches Gemisch von Aederchen, daß es in allen Farben zugleich erschien. Der Herr nahm den Hut bei der Thüre ab, behielt auf dem Kopfe ein schwarzes Sammtkäppchen, das unter dem Hute gesessen hatte, rings von grauen, kurzen, borstigen Haren umsäumt.

»Gott zum Gruß!« sagte der Herr, als die Thüre geöffnet war, in dem möglichst freundlichen Tone. »Herr Schwach hier? zu Hause?«

Madame Trullemaier, von dem Anblicke überrascht, zeigte stumm und fast ängstlich nach der nahen Zimmerthür.

Der Herr nickte, schritt ohne Weiteres vorwärts und klopfte.

Er trat ein.

Schwach war allein. – Der Herr nickte nur, sagte nicht guten Morgen und nicht Gott zum Gruße, stellte den Hut auf den Tisch, lehnte das hohe spanische Rohr mit dem langen weißbeinenen Knopfe daneben hin, und ging dann langsam, nahe an Schwach hinan.

Schwach stand einen Augenblick verduzt und harrte was da kommen solle.

Noch stand der sonderbare Alte ihm gegenüber und grinste ihn freundlich-höhnisch an, während er links und rechts die kleinen feurigen Kugelaugen im Zimmer herumforschen ließ. Endlich brach er das Stillschweigen.

»Schwach, Herkules Schwach?« fragte er mit boshaftem Ausdrucke. 257

»Der bin ich.«

»Herkules Schwach?« Und er betastete dessen Arm und strich mit der Hand an dessen Kleid hinab. »Feine Kleider, sehr feine Kleider!«

»Nun, und was wünschen Sie?«

Der Alte ging ganz gelassen an ein Stück Möbel und fuhr, ebenso, mit der Hand über dessen glatte Fläche. »Feine Möbel, sehr feine Möbel!« Und er knirschte dabei mit den Zähnen, daß Schwach es deutlich vernahm.

Er stand stille und erschreckt, nachdenkend.

Der Alte kam ihm wieder näher und sah ihm wieder scharf mit den stechenden Augen ins Gesicht. »Geerbt, Alles geerbt?« Höhnisches Grinsen.

»Nun, und wenn auch?«

»Und wenn auch! und wenn auch!« rief knirschend der Alte, indem er sich aufreckte und bäumte, die Finger zuckte und mit den Augen den armen Herkules Schwach zu durchboren schien.

»Feine Möbel – feine Teppiche – fein gemalt – Alles fein!« näselte und gurgelte der Fremde wieder. »Aber ich bin ein Hund, ein Hund!« rief er wild, und er stampfte mit dem Fuße auf den Boden, ballte heimlich die Fäuste, knirschte und sah Schwach grimmig ins Gesicht.

»Was soll dies bedeuten?« fragte dieser endlich, erstaunt, aber noch immer sanft.

»Haha! bedeuten! – Schwach, bedeuten! Ich will hier sehen! – ich will hier stehen!« und er stellte sich wie ein Pflock fest. Dann neigte er wieder das Haupt und blickte rings herum, bald auf die Möbel, bald auf die Wände, die Decke, den Boden, und murmelte nur immer: »fein – sehr fein – Alles fein.« 258

»Aber erklären Sie sich doch, Herr! . .«

»Erklären? Ich erklären!« fuhr er wild auf. »Herkules Schwach, erkläre sich Herkules Schwach!«

»Bedenken Sie Herr, ich bin zu Hause.«

»Zu Hause? Zu Hause? Und wo bin ich!?«

Schwach schwieg wieder und sah nur erstaunt darein.

»Ich bin zu Hause! haha! hier – das ist mein – Alles mein – die feinen Möbel – die kostbaren Teppiche – Alles mein, mein!« Er ging zu einem Lehnstuhle, faßte ihn krampfhaft, und klammerte dann auch die Ecke eines Kastens, als wolle er ihn vom Orte rücken und mit sich nehmen. Jedes Stück Möbel, das ihm nahe stand, betastete, befühlte, umklammerte er fast.

»Herr, das ist sonderbar gesprochen,« sagte Schwach etwas fester.

»Sonderbar? – Habe ich darum gespart, gekargt und gescharrt? Haha! Getreten, gehetzt, verachtet, verworfen und verborgen, haha, darum, darum!?« Und er stampfte wieder mit dem Fuße und zuckte dabei mit den Händen.

»Das ist ja aber nicht meine Sache, und am wenigsten hier.«

»Nicht Eure, hier nicht Eure!? – Eure, Eure und keines Andern, Herkules Schwach!«

»Ich möchte doch wissen . . .«

»Möchtet Ihr?« und er knirschte und grinste; »möchtet? . . . Ihr werdet, werdet, verdammt will ich sein, Ihr werdet!«

Schwach überkam plötzlich die Erinnerung alles dessen, was Schnepselmann ihm über Geheimnisse und Geburt gesagt, und er wurde ängstlich. 259

»Das ist mein, Alles mein, Herkules Schwach!«Und der Fremde bäumte sich wild auf und sagte es mit kräftiger Stimme. »Alles! – Freut Euch noch heute – spiegelt Euch darein – werft Euren Leib in den weichen Lehnstuhl – schlemmt – zecht – macht Euch lustig – verwerft mein Geld. – Aber keinen Rock will ich Euch lassen! kein Hemd! – Elend und erbärmlich müßt Ihr hinausgehen – darben – und Euren abgezehrten Leib verkaufen um einen Heller, um einen Bissen! –«

»Herr, Sie werden . . .^

»Unverschämt? Unverschämt? Sagt's heraus – klingelt und laßt mich hinaustreiben – thut's! Morgen thue ich es Euch!«

»Ich halte Sie für nicht recht bei Sinnen und bitte Sie . . . .«

»Haltet was Ihr wollt. – Ich werde nicht schreien,« flüsterte der Alte, »nicht schreien, damit Ihr Anlaß erhaltet. Flüstern, leise, werde ich, aber hören sollt Ihr mich, hören!« Und er machte eine Pause, dann sprach er, mehr hauchend, aber mit Grimm, indem er dabei bald mit einem magern Finger umherzeigte, bald die Hände krampfhaft zuckte, öffnete und schloß: »Das Alles ist mein, Schwach; – feine Möbel, mein; – kostbare Dinge, mein; – ich habe lange gespart! – Die feinen Gewänder, die weiße schöne Wäsche, ho! – das weiche Bett! – und sehet mich an – elend, arm, erbärmlich, verachtet! – Deßhalb gewagt? gekämpft? viel gethan, und gut gemacht? – Haha, lasset nur gut sein; heute noch und morgen noch; – aber dann, bald – ich schwöre, bald!« Und er drohte mit dem Finger nach Schwach. »Werd's halten – – gewiß!« 260

Hier machte er eine kleine Pause. »Und nun – Gott befohlen –« er trat zurück, warf noch einige stechende Blicke umher und schüttelte grinsend das Haupt – »Gott befohlen bis auf Weiteres. – Haha, bis auf Weiteres,« hauchte er unheimlich; »lebt wohl!« – Und er nahm Hut und Stock, nickte noch einmal bei der Thüre – »lebt wohl!« – und verschwand.

Madame Trullemaier öffnete ihm wieder den Ausgang, nicht ohne stilles Staunen, mit einer Art Aengstlichkeit, die Gestalt, die unheimlich sah, betrachtend.

Poll war vor Kurzem einen Weg geschickt worden und kam eben wieder nach Hause, die Treppe herauf.

Er ging sorglos und in gewöhnlicher Gelassenheit zu der Thüre seines Herrn. Als er bei derselben angelangt war, stieß er mit der seltsamen Gestalt, die eben herauskam, zusammen.

»Adam!« rief er erstaunt.

Adam und Meister Urian – beide eine und dieselbe Person – sah auf, sah seinen ehemaligen »Paradies«-Bewohner; und ohne ein Wort zu erwidern, eilte er rasch davon, die Treppe hinab. 261



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