August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Capitel.

Der thätige schwarze Herr ist etwas verwirrt – bringt eine Nacht nicht ganz erwünscht zu – ist an Mitteln noch unerschöpflicher als früher – die Dame – eine höchst wichtige Erzählung.

Schnepselmann war kein frischer Hase. Durch sein Heirathsbureau hatte er manches Sonderbare und Geheimnißvolle kennen gelernt. Seine Agentur war mit räthselhaften Personen und seltsamen Gegenständen in Berührung 14 gekommen; sein schwarzer Frack hatte in mancher Stube geglänzt. Aber ein Herr, der melancholisch vor einem Pudel saß, ein ausgestopfter Pudel auf einer Drehscheibe, der mit einer kranken Dame in gewissen, unerklärlichen Beziehungen stand – das war ihm neu, räthselhaft, unerhört, noch nicht da gewesen.

Sein Geist, gewöhnlich lebhaft, rasch, unermüdet, erhielt hier noch mehr Sporn zu Zusammenklitterungen und Nachgrübeleien, die hier doch zu keinem sicheren Ende führten. Dabei wußte er noch nicht einmal wer der Herr sei, den er besucht, und in welcher Beziehung die Dame eigentlich und wirklich zu demselben stehe, denn dieser hatte ja kein Wort Auskunft gegeben.

Einem lebhaften Geiste, wie eben der Schnepselmann'sche war, mußte Zerstreutheit, Irrthum, Verwechselung ganz natürlich anhängen. – Ein Mann so vielseitiger Beschäftigung, ein Gedächtniß so voll von Artikeln, Aufträgen, Kundschaften, Spekulationen und Geldsorgen! Kein Wunder also, wenn er seiner Frau beim Abendbrode zärtlich, statt einer Butterbemme sein Notizbuch darreichte, und seinem jüngsten Kinde, dem die Milchsuppe umstürzte, die Schale wieder mit »spanisch Bittern« füllte, einer Magenessenz, die er selbst von Zeit zu Zeit zur Verdauung benützte. Beim Schlafengehen schob er die Nachtmütze unter das Kissen und legte sich die Dose auf den Kopf; seinen Irrthum aber gewahr werdend und augenblicklich nicht wissend was er eigentlich gewollt, verbesserte er sich sofort, hob die Pantoffel von der Erde in die Höhe, ins Bett, und stellte die Dose hinab neben das unaussprechliche Geschirr. Abermals den Irrthum erkennend, sprang er zornig aus dem Bette, legte sich aber sofort wieder hinein, jedoch mit dem Unterschiede, daß 15 die Füße auf dem Kopfkissen in die Höhe standen, während ihm der Kopf am untern Ende ganz hinabhing. Wiederholt erzürnt, warf er Decke und Polster mit Händen und Füßen von sich, so daß Licht, Nachttisch, Wasserkaraffe und alles Nebenbehör unter schrecklichem Gepolter im Zimmer umherstürzten.

Das jüngste Kind im Nebenzimmer, aus dem Schlafe geweckt, erhob ein entsetzliches Geschrei, und die Mama eilte kopfschüttelnd herbei. Die gute Frau kannte sehr wohl das Temperament, sowie die Zerstreutheit ihres Herrn Gemahls und brachte Alles, bis auf die zerbrochene Karaffe, wieder in Ordnung.

Mit der Zipfelmütze auf dem Haupte, lag der »Herr der Schöpfung« bald wieder gravitätisch an dem herkömmlichen Platze im Bette, winkte seiner Frau »gute Nacht«, und schlief ein und träumte.

Was er geträumt, war fürchterlich! Einmal kam es ihm vor, als sei er selbst der Pudel und drehe sich gravitätisch um sich selbst, bis er schwindlig wurde. Da wachte er auf und griff krampfhaft nach seinem Kopfe, ob er wirklich den Schopf mit einem rothen Bande gebunden habe oder nicht; fand aber zu seiner unendlichen Beruhigung nur die weiche baumwollene Zipfelmütze daselbst, und schlief wieder ein.

Der Morgen erlöste ihn von allen Schrecken. Er eilte auf die Straße, nachdem er die unzählbaren und auf den merkwürdigsten Plätzen seiner Kleider angebrachten Taschen, nebstdem noch ein Bündel, mit verschiedenen, höchst sonderlichen Commissions-Artikeln vollgestopft hatte. Das Fenster ließ er an Ort und Stelle besorgen, und so bewegte er sich 16 dem Schauplatze seines gestrigen Besuches rasch und neugierig entgegen.

Wieder prangte er im schwarzen Fracke, und seine dünnen braunen Haare, die er jeden Augenblick nach andern Richtungen mit einer oder der andern Hand durchfuhr, spießten nach allen Seiten. Der rasche Schritt seiner langen, dürren Beine, war ihm im Geschäfte eine Nothwendigkeit und Gewohnheit geworden; und daß er bei jedem einzelnen Hauptwege bald rechts, bald links einbog, um da eine Antwort zu geben, dort eine Frage zu holen, hier einen Artikel zu empfehlen, dort einen andern anzunehmen – war ebenfalls Gewohnheit und Folge seines rastlosen Berufes. – Wenn er so über die Straße hingabelte, mit auffallender Schnelligkeit, als wolle er ein entlaufenes Kaninchen einholen, plötzlich aber einhielt, stehen blieb, tiefsinnig den Finger auf die lange dünne Nase legte, und bald auf den Boden, bald auf die Dächer und die daselbst befindlichen Sperlinge seinen Blick heftete, als wolle er ausdrücken: »können Sie mir nicht gefälligst sagen, was ich eigentlich gewollt?« – so mußte man auf den ersten Anblick erkennen: in diesem Manne lebt ein ganzes Jahrhundert, und die ganze Last aller Erfindungen, Entdeckungen, geheimen und öffentlichen Geschäfte, ruht auf seinen hagern, spitzknochigen Schultern!

Er klopfte an der Thüre, die sich ihm gestern zum erstenmale aufgethan hatte.

Ein leises, wehmüthiges »herein« tönte ihm entgegen.

Der Pudel stand nicht mehr auf dem alten Flecke und lächelte nicht mehr im behaglichen Umdrehen, war überhaupt ganz verschwunden. Der blonde Herr hatte ein äußerst betrübtes, schwermüthiges Aussehen und seufzte. 17

»Guten Morgen, guten Morgen! Wohl geruht? Unendlich erfreut Sie wieder zu sehen!« prasselte ihm Schnepselmann entgegen, erfaßte seine Hand und schüttelte sie äußerst ausdrucksvoll. »Betrübt? Liebenswürdige alte Dame nicht besser? Frisch und gesund?«

Der Befragte seufzte nur und blickte wehmüthig zur Erde.

Sofort griff der Agent in seine Taschen, und Rheumatismusketten, Selbstklistierspritzen, Magenpumpen, Essenzen, Malzextrakte, Pulver, Pillen, Frottirbürsten, Salben, Gichtpflaster, Gesundheitsflanell, Bauchwärmer, Roßharsohlen und geheimnißvolle Theepäcke erschienen von allen Seiten und regneten bald von den Brust, bald aus den Rückentaschen, bald aus einem Packete, bald von rechts, bald von links, wie bei dem berühmten »hier ein Sträußchen und hier noch eines und hier wieder eines« die unerklärlich herbeigezauberten Blumen.

Wer Hugo Schnepselmann in seiner Glorie, in dem Zenithe seines Berufes, auf der Höhe seiner geistigen Piramide sehen wollte, mußte diesem großartigen Momente beiwohnen! Wenn er auch den Bauchwärmer ergriff und mit der eifrigsten Miene versicherte, ein Eßlöffel hievon jede Stunde eingenommen, würde die unfehlbarste Wirkung thun, rasch jedoch wieder die Pillen erfaßte und seinen Irrthum verbessernd, erklärte, eine Elle hievon um den Leib gewunden, müßte die erstaunlichsten Resultate zum Vorschein bringen; wenn er auch, wie gesagt, diese Fehler beging; so konnten nur Böswillige und Neidige dem bedeutenden Talente des Sprechers dies als irgend etwas Rügenswerthes anrechnen.

Der mit dem Besuche beehrte Herr schien jedoch der 18 eigenen und der Patientin Gesundheit auf die bedauerlichste Weise im Wege stehen zu wollen und die sichersten Mittel zum ewigen Leben, mit einer das Gemüth jedes Wohlwollenden tief betrübenden Hartnäckigkeit, von sich zu weisen. Er schüttelte nur immer wehmüthig das Haupt, und wies mit einer sanften Handbewegung Alles von sich.

Herr Hugo blickte ihn bei dieser ruhigen, aber entschiedenen Weigerung verwundert an und zuckte mit den Augen, als wolle er ausdrücken: »bester Freund, Sie stehen sich außerordentlich im Lichte!« – Der Herr schien diese Meinung zu errathen, denn er faßte des Agenten Arm und zog ihn sanft wieder der Thüre der Kammer zu, in der sich die kranke Dame gestern befand.

Als Herr Schnepselmann eintrat, versicherte er sofort sein ungeheueres Vergnügen, die liebenswürdige Dame wieder zu sehen und hoffte sie befinde sich, auch ohne Doktor – er sei keiner – außerordentlich wohl.

Der vorhin vermißte Pudel stand jetzt ruhig vor ihrem Bette, auf seinem Kopfe hing, gleich dem Hute eines Betrunkenen, der Fußschemel, welcher gestern auf dem Boden neben dem Bette gestanden hatte, und die Dame fand sich nicht bewogen eine Antwort zu geben.

Herr Hugo Schnepselmann trat etwas vorwärts, zog seine Karte aus der Tasche und wollte sofort Namen und Berufsregister ablesen, um die Dame nochmals zu versichern, daß er kein Doktor sei und nur in der wohlwollendsten Absicht erschienen – als ihn der Herr noch näher, ganz an das Bett führte. – Der Agent beugte sich herab, mit zierlichem Schwunge die glanzlackirte Karte vorstreckend; da fuhr er plötzlich mit einem Sprunge entsetzt zurück, und bleich geworden, stammelte er: »Todt!?« 19

Der Herr nickte mit dem Kopfe, und eine schwere Thräne perlte ihm dabei über die Wangen herab.

Ein Augenblick genügte dem überraschten Allerweltsmanne, um sich zu fassen, und sofort sprach er von Begräbniß, Partezettel, Testament (wobei er zugleich den Vortheil hatte, Namen, Stand und Herkunft seiner neuen Bekanntschaft genau zu erfahren), Leichenkosten, Verwandten, Erben, Vermögen, mit einer so sicheren Haltung, als wäre er mit dem Hinterbliebenen aufgewachsen, oder der Verstorbenen bester Freund, oder bestellter Testamentsvollstrecker, oder gehöre gar das ganze Haus, das Mobiliar sammt dem Herrn, seit undenklichen Zeiten als ausschließliches Eigenthum ihm zu.

Mit einer edlen Zudringlichkeit, wie sie nur Privatagenten durch langjährige Praxis erobern und als ein wesentliches Bestandtheil ihres Geschäftes sich angewöhnen, fragte er um alle Einzelheiten; und der wortkarge Herr begann in seiner Weise zu erzählen.

Was geschehen, war Folgendes.

Bald nach des zufällig erschienenen Agenten Abschied, hatte sich der Zustand der Dame verschlimmert. Sie rief ihren Sohn, den sie erst vor Kurzem gebeten sich zu entfernen und sie ruhig zu lassen, an das Bett, und nahm ihn an der Hand.

»Husch – pst –« flüsterte sie – »ist kein Doktor da, keiner?«

Der Sohn schüttelte verneinend den Kopf.

»Doktoren,« flüsterte sie geheimnißvoll, »wollen mein Geld. Sag's keinem, keinem. Es ist doch keiner da?«

Nach abermaliger Versicherung fuhr sie fort: »Mir ist unwohl, sehr unwohl. – Pst, sag's aber keinem Doktor. 20 – Es wird aus werden mit der alten Katharine, aus. – Pst – ist dort nicht ein Doktor?« – Dabei fiel der Schein der Kerze sonderbar auf ihre hagern, seltsamen Züge.

Der Sohn weinte und verneinte.

»Herkel« – so nannte sie ihn statt Herkules, »Herkel, hast Du den Pudel gut aufbewahrt? den Pudel?«

Bejahendes Kopfschütteln.

»Bringe mir ihn.« Und sie streckte verlangend ihre Hände nach ihm aus, und die Finger bewegten sich krampfhaft, als wären sie begierig den Hund zu erfassen.

Als derselbe gebracht war, liebkoste sie ihn, tastete ihm wohlgefällig auf Haupt, Rücken, Schnauze und Tatzen, dann wies sie wieder den Sohn von sich und rief: »Nein nein, ich werde nicht sterben! Nein, nein! Ist die Thüre gut zugesperrt? Laß' keinen Doktor herein, Niemanden, Niemanden!«

Der Sohn stand in Thränen an dem Bette und schwieg.

Die Alte verfiel in frühere Stille und tastete nur krampfhaft mit ihrer knöchernen Hand an dem Hunde herum. Er war, im Leben, vor mehr als 20 Jahren, ihr Liebling und vieljähriger Genosse. Zur Erleichterung des Schmerzes um den an einem großen Schinkenbeine Geschiedenen, ließ sie ihn ausstopfen und verfiel auf den sonderbaren Gedanken, denselben auf eine Drehscheibe aufrecht befestigen und das Postament mit einem Uhrwerke versehen zu lassen. Sie hatte sich, hierauf, einmal mit dem Beeste stundenlang in ihrer Kammer eingesperrt, und als sie mit demselben wieder zum Vorschein gekommen war, hatte sie noch eine größere, räthselhaftere Neigung als früher zu ihm gefaßt. Sie ließ ihn seitdem gar nicht mehr aus dem Gesichte. Von jener Zeit an pflegte sie ihn stundenlang vor sich 21 hinzustellen; und sie kannte keine größere Wollust, als sein süßblödsinniges Lächeln zu bestaunen und Zipfel nach Zipfel seines Pelzes, wohlgefällig lächelnd, mit den Augen zu verfolgen, wie er sich langsam um seine eigene Achse bewegte.

Sie war seit fast dreißig Jahren verwitwet, sprach nicht gerne über ihren Mann, und der Sohn konnte sich an denselben aus seinen Kinderjahren nicht mehr entsinnen.

Sie lebte einsam, zurückgezogen, karg und ängstlich jeden Pfennig zählend. Kein Mensch erinnerte sich je einen Besuch bei ihr aus- oder eingehen gesehen zu haben. Wohl flüsterten die Nachbarweiber, die gewöhnlich Alles wissen wollen, sie sei reich und verberge ihre Dukaten in alten Strümpfen. Aber weder der Sohn, noch sonst Jemand hatte je einen Dukaten bei ihr gesehen, und Ersterer versicherte jederzeit er sei arm. Er war auch mit der größten Spärlichkeit erzogen, hatte nicht das geringste Beste, und wuchs so in bescheidener Stellung auf, von der Natur mit einem äußerst sanften und gutmüthigen Temperamente begabt.

Welche Grille seinen frühe, selig verschiedenen Papa bewogen haben mochte, ihn Herkules zu nennen, umsomehr, da sein Familien-Name Schwach war, ist unbekannt. Alte Weiber behaupteten: der selige Herr, von äußerst kleiner, spindeldürrer Verfassung, war so stolz als er einen kräftigen Jungen in den Windeln schreien hörte, daß er eines Nachts einen festen Hieb mit geballter Faust nach seinem eigenen Kopfkissen führte und dabei hoch und theuer schwur, wenn er nicht seinen Sohn Herkules nenne, so wolle er unter die Hottentotten gehen und seine eigene Nase gebraten aufessen! Und weiters versicherte der Herr Papa, daß wer ihm nicht darin beistimme, daß dies Kind ein Herkules wäre und es ein Punkt seiner Familienehre sei 22 – da er schmählicher Weise Schwach heiße – dem Kinde einen Kraftnamen beizugeben, der sei sein ausdrücklichster Feind, und den könnte er mit einem Bratspieße, ohne die geringsten Gewissensbisse, durch und durch bohren! Einige neidige Ehemänner und klatschsüchtige Frauen behaupteten sogar heimlich einiges Gewagte über des Kindes Vater. – Böswilligkeit!

Herkules Schwach ward groß, wohlbeleibt; aber in dem robusten Körper steckte eine zierliche, zärtliche Seele. Außen war er (wenigstens annähernd) ein Herkules, innerlich aber in besserem Sinne »Schwach«, zärtlich. Keine Natur wäre besser mit diesem Namen zu begaben gewesen; und wenn er äußerlich schien, als könnte er eine Keule in die Höhe heben, um einen Löwen niederzuschmettern – innerlich, seinem Gemüthe nach, hätte er doch keine Mücke breitzuklappen vermocht.

Die zurückgezogene Lebensweise der Mama, das ursprünglich schüchterne Temperament des Knaben, das sich ihrem Willen und ihrer Lebensweise gehorsam anschloß, brachten in dem Jünglinge eine Unerfahrenheit und Unkenntniß der Außenwelt zuwege, die in dem Manne nur noch mehr reifte. In die dreißiger Jahre des Mannesalters eingerückt, war er ein Kind an Welterfahrung, ferne von Umtrieben, Schicksalskämpfen und Herzensstürmen. Man mußte in das volle, ziemlich rosige Gesicht mit den blauen Augen sehen, um die tägliche Gleichheit zu bemerken, mit der die blonden Haare glatt von der Stirne zu den Schläfen zurückgekämmt waren nach dem Hinterhaupte, von wo sie so sanft und melancholisch hinabhingen, als gäben sie sich tiefsinnigen Betrachtungen über den Rockkragen hin. Man mußte in dieses Gesicht sehen, um sofort zu begreifen: 23 hier hast du es mit einem guten Menschen zu thun! – Fern von Stumpfsinn oder Schlaffheit, sah er so treuherzig in jedes Gesicht, und die runden Wangen gaben ihm ein so wohlgefällig-charmloses Lächeln, daß man dem breitschulterigen, starkknochigen Herkules, wenn er auch Niemanden erheiterte, doch nicht übel wollen konnte.

Regelmäßig ging und kam er aus dem Bureau der Herren Rübe & Comp., wo er vor Jahren eingetreten war und zum ordentlichen Comptoiristen avancirte; regelmäßig trug er das gleiche Gewand, und die uraltesten Ecksteine, die er passirte, wußten sich nicht zu entsinnen, ihn je anders als mit einem hell-baßgeigenfarbenen Frack und mattgelben Beinkleidern gesehen zu haben, wenn anders nicht der Winter ihn zwang, einen bohnenblauen Ueberrock umzuthun. Regelmäßig verwaltete er seine Bücher und behauptete seinen Platz, ohne vorwärts oder rückwärts zu kommen, ohne zu Spekulationen aufzumuntern oder davon abzurathen; und die Nachbarn wußten, aus dem Fenster blickend, wenn Herkules kam oder ging, durch eine Reihe von Jahren genau, wie viel Uhr es sei.

Da stand er nun vor seiner kranken Mutter wie ein kleines Kind. Er wußte um ihre Verhältnisse gerade so viel, als das linke Vorderbein ihres Lehnsessels. Er hatte ihr den Hund schon Tags zuvor geholt und wieder entfernt, und war dann, trostlos im Schmerze über die kranke Mutter, vor dem herumschwindelnden Pudel gesessen – in welcher Situation er von Herrn Hugo Schnepselmann überrascht ward.

Ziemlich spät in der Nacht, nachdem der sorgfältige Sohn die kranke Mutter ruhig schlummernd gefunden – ihre Finger in den Schopf des Pudels krampfhaft 24 eingeklammert – hustete sie mit einemmale und rief »Herkel! Herkel!«

Der Herbeieilende mußte wiederholt betheuern, daß kein Doktor und sonstiger Geldbedürftiger vorhanden sei. Nachdem dieß geschehen, fing sie ihm, in früherer geheimnißvoller Weise, zu versichern an, es sei vorbei mit ihr!

Bei jedem Worte sprach sie schwächer. Endlich, nachdem sie sich steif aufgerichtet und durch stieres Blicken in alle Stubenwinkel von der gänzlichen Abwesenheit jeder fremden Seele versichert hatte, verlangte sie den alten, schäbigen, einst schwarzledern gewesenen, schwerfälligen Fußschemmel. Als ihr der Sohn denselben auf's Bett gereicht, zog sie ihn krampfhaft, wie etwas Theueres, an sich und sprach schwer athmend: »Herkules . . . . ich habe Dir wenig zu sagen . . . . könnte auch nicht mehr viel . . . . mit wenig' Worten . . . . Du warst nicht mein Vetter . . . . nicht mein Mann . . . . nicht mein Bruder . . . . oder Sohn . . . . (hier zuckte sie krampfhaft auf und schwieg einen Augenblick, dann setzte sie wieder fort:) »Du warst . . . .« Doch jetzt unterbrach sie ein so starker Ausbruch des Hustens, daß sie zurücksank. Sie preßte abermals gewaltig den Fußschemel an sich, streckte die andere Hand nach dem geliebten Dreh-Objekte, aber die Muskeln ließen nach, die Hand sank unwillkührlich wieder nach einwärts.

Herkules rief: »Mutter, Mutter!« und bog sich über sie; sie machte noch eine Anstrengung zum Sprechen, ihre Kinnladen sanken jedoch auseinander – sie war nicht mehr!

Mit Mühe löste Herkules den Fußschemmel von ihrer Brust, vermuthlich hing er ihn absichtslos dem Hunde an den Kopf, und setzte sich dann in die Vorderstube und trauerte und weinte dabei. 25

So saß er betrübt bis gegen Morgen. Zu schüchtern und gutmüthig, um fremde Leute, welche die Abgeschiedene bei Lebzeiten sorgfältig aus ihrer Wohnung ausgeschlossen hatte, zu seinem Schmerze und zu einem erschreckenden Ereignisse in der Nacht zu rufen, war er bloß entschlossen, bei Tage die gewöhnlichen amtlichen Schritte zu thun – als Hugo Schnepselmann mit Fenster, Magenbürsten, Selbstmaschinen, Gesundheitsflanell, Kraftessenzen, Bauchwärmern &c. erschien, leider ohne die Wirksamkeit besagter ausgezeichneter Mittel bewähren und für Doktor Krampus, Professor Schnodderdorf, Abdelfupsi, Hoffedizel, den Schach von Persien, Don Barbaros de Carbuncolos und die Sultanin Dja-Nadir-Hum-beg ein neues, schmeichelhaftes Zeugniß erringen zu können! –



 << zurück weiter >>