August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Viertes Capitel.

Wie sich Herkules als reicher Erbe befindet, was er denkt und unternimmt. – Die Firma Rübe & Comp. entwickelt ihre Grundsätze und lehrt, was eigentlich der Mensch ist. – Nach dieser neuen Idee des letzten Jahrhunderts kommt Schwach mit Jemandem zusammen, der kein »Mensch« aber doch ein Mann ist.

Als Herkules des nächsten Morgens aus einem kurzen, aber erquickenden Schlafe erwacht war, fiel es ihm plötzlich ein, was denn heute zu thun sei?

Die halbe Nacht hatte er wol verbracht, ohne daß der Schlummer ihm wie sonst rasch kommen und freundlich die Arme breiten gewollt; aber Alles, was er da gedacht, bezog sich bloß auf die Vergangenheit, mit der Zukunft hatte es nichts zu thun.

Einen Andern hätte die Hinterlassenschaft stolz, herzschwellend, die Welt aus einem freudigeren Standpunkte betrachtend gemacht; oder sie hätte ihm Leidenschaften entzügelt, Neigungen wachgerufen, Pläne zugeraunt, neue Reiche erschlossen und andere genommen, vielleicht auch den Geist verwirrt. – Nichts von all derlei war bei Herkules der Fall. Liebe hatte sein Herz nie beflügelt, oder auch kein Bleigewicht an die Flügel seiner Jugendträume gehängt. Er hatte, nun etwa von Banden und Schranken befreit, keinen Flug zu nehmen in die freie herrliche Welt und sein Lied 55 in die Lüfte zu schmettern, damit das geliebte Wesen komme, ihn höre und mit ihm endlich traulich ein Nestlein baue. Er hatte kein Wesen zu beglücken und sehnte nicht von einem beglückt zu werden. Sein Wille war beim Leben der Verstorbenen nicht gehemmt; er wußte sich wenigstens keines Kampfes irgend welcher erheblichen Art zu entsinnen. Gelassen und still, mit dem Schatze der Ruhe und Genügsamkeit in sich, hatte er, mit Jener, die kleine Wohnung eingenommen; und der lederne Sessel, die alten Wände, die seit Kindheit gekannten Möbel, sahen ihn mit ihren gekräuselten Fisiognomien stets so traulich an. Jedes Stück schien ihm, so oft er nach Hause kam, zu sagen: »Ei! grüß' Dich, Herkules, da bist Du ja wieder, das ist recht und freut uns alte Gesellen!«

Seitdem diese Stücke jedoch seine Vermuthung verloren, daß sie zugleich der Armuth seiner Mutter doppelt werth gewesen, konnte er sie nicht ganz so traulich ansehen. »Warum hat sie gespart, warum hat sie nicht besser gelebt? Wozu brauche ich das Geld, so viel Geld! Hätte sie nicht besser sich selbst vergnügt und eine Reihe von Jahren ein heiteres Leben geführt? Warum hat sie mir nie etwas von dem Verborgenen gesagt, nicht einmal in der letzten Stunde? Oder wollte sie eben davon sprechen und der Tod erfaßte sie dabei, und ihr ward nicht einmal das Vergnügen in dem letzten Moment ihres Lebens mir die ganze Freude, das Ziel der Sorgen ihres Lebens mitzutheilen? Armes Mütterlein! – Und er bedauerte sie so sehr, daß er nicht einmal daran dachte, er sei jetzt ein reicher, unabhängiger Mann und kein gewöhnlicher Komptoirist, der um den Lohn seine Jugend, seine Jahre, sein Leben verdingen müßte.

Erst des Morgens stand, nach allem Gewirre der 56 letzten Tage, die Zukunft vor ihm mit einem ungeheueren fantastischen Fragezeichen, und dieß streckte, in Herkules Fantasie, nun unverschämt drängend und neugierig den Hals nach ihm vor, als wollte es, wie ein Krahn, aus ihm die Antwort herauswinden auf die Frage »was nun?«

Und er antwortete.

Wer ihn durch die Straße gehen gesehen diesen Morgen, wie hunderte und tausendmale vorher, mit demselben geigenbraunen Frack und denselben mattgelben Beinkleidern, die Hare ganz so glatt gestrichen, das Gesicht ganz so ruhig wie sonst, nur um den Hut einen Flor befestigt; wer ihn so ganz als den alten Bekannten gesehen dem Komptoire Rübe & Comp. zusteigen, dem wäre es sicher nicht eingefallen: hier geht ein reicher Erbe, der sechzigtausendmal so viel gilt als ein armer Teufel und wo möglich sechzighunderttausend Lügen, Lächeln, Schwüre, Flüche, Schmeicheleien, Hassesblicke, Dankeszähren und Verzweiflungsthränen verursachen könnte!

Rübe & Comp. hätten es vielleicht mißbilligt, wenn er sich ganz in Trauer gehüllt und dadurch den Verdacht rege gemacht hätte, daß bei einem so empfindsamen Menschen, in einem denn doch ausschließlich von ihnen bezahlten Kopfe, Gedanken hausen, welche das offizielle Einmaleins und Saldo und Conto von Rübe & Comp. nicht ganz obenauf, vorwaltend, zuverlässigst über Alles erhaben machen! Aus diesem befürchteten Grunde hatte Herkules seine Trauerkleidung ab und seine gewöhnliche angelegt.

Er kreuzte eine dicke eiserne Thüre, dann noch eine zweite und betrat die gewölbten, dicken, niederen Hallen des Comptoirs von Rübe & Comp., das an der Seite abermals eine dicke eiserne Thüre hatte und die Aussicht nach einem 57 mit Warenballen angefüllten Hofe besaß. Denn die Leute nach der Straße, zuweilen nach Menschen und nicht stets nach Warenballen blicken zu lassen, schien Rübe & Comp. ein Kommerzialverbrechen, eine Kapitalsünde.

Der geistreiche Beiwohner des Schmauses hatte die wichtigste Neuigkeit bereits im Bureau verbreitet und nickte Schwach bei dessen Ankunft ganz traulich entgegen, als wollte er sagen: »Wir beide haben uns gestern dick verbrüdert, wir wissen, woran wir sind!«

Ein zweiter Komptoirist, eine dünne, mittelgroße Figur, welcher Heuchelei und Schönthuerei aus den gesuchten Blicken lugten, lief dem Eintretenden entgegen, drückte ihm die Hand und sagte mit süßlichem Tone: »Wie geht's, wie geht's? Dachte mir gleich, daß Sie kommen; was uns liebt und was wir lieben, verläßt uns nicht!«

Der alte, lange, dünne Buchhalter an dem obersten Tische, der Alte mit den grünen Augengläsern, der seinen Oberleib wie die eine Hälfte einer Zange über ein großes Einschreibebuch hingeklemmt hatte (die andere machte den Winkel unter dem Tische), wendete nur etwas den Kopf, nickte ihm stillschweigend einen guten Morgen zu und klemmte sich, wieder schreibend fest.

Schwach sprach nicht viel, hing seinen Hut an den gewohnten Nagel, setzte sich an seinen gewohnten Platz und fing seine gewohnte Arbeit an.

Der geniale Freund von gestern nahm seine Feder quer in den Mund, wie ein apportirender Pudel und starrte, seine Augen weit öffnend, gerade nach Schwach hin. Er hielt dessen Thun noch für erstaunlicher, als seine eigenen Westenknöpfe!

Es dauerte nicht lange, so knarrte die Glasthüre rechts, 58 die während des Tages die schwere Eisenthüre, ihre Pfostenschwester ablöste, und aus den grün verhängten Scheiben heraus wand sich Rübe, leibhaftig Rübe!

Da stand er, der kleine Mann, im langen, dunkelgrünen Rocke, eine Erscheinung für alle Anwesenden, welche ihn sofort ehrerbietigst grüßten. Da stand er im langen, grünen, bis ans Kinn zugeknöpften Rocke. Beide Arme waren bis zu den Ellbogen mit grauen Ueberzügen versehen, und hinter dem Ohre prangte eine mächtige Gänsefeder, welche ungeschickt einige auseinanderstrebende fuchsbraune Enden der Perückenhare in die Höhe hob und die fahlgelbe Haut dahinter sehen ließ. Sein Kopf war oben so schmal und lief, besonders nach dem Wirbel hin, so spitz und steil in die Höhe, daß man versucht war zu denken, die ganze Bauart sei nur wegen des Regenablaufens so gemacht und selbst die rothbraun schillernde Perücke nur eine alte getheerte Decke, damit das Wasser besser von der Ware darunter abfließe. Was aber dem oberen Theile, den Schläfen, an Breite abging, ersetzten die untern Theile des Gesichts reichlich. Das Kinn gränzte sich so breit und scharf ab, daß man versucht war, an einen Nußknacker zu denken, umsomehr, da der dem Kinne parallel laufende breite Mund all und jede Herbeischaffung von Lippen, aus Kostenersparniß, unterlassen zu haben schien. Ober den tiefliegenden, grauen, funkelnden Augen wuchsen dichte Büschel von Augenbrauen, und diese Augen selbst waren bewaffnet mit einer schweren Brille, welche so entfernt und am äußersten dicken Knollen der großen Nase saß, daß sie eher für eine Telegrafenleitung zwischen Nase und Ohren, als für ein Hilfswerkzeug der Augen gelten konnte. Doch hob Rübe, als kleiner Mann, wenn er nicht über die Brille sah, den Kopf zuweilen so 59 schräg in die Höhe, daß trotzdem die Gesichtslinie seiner Augen durch die Gläser am Nasenknollen ging.

Einen Augenblick stand er stille an der Thüre, um allen Anwesenden seine Würde fühlen zu lassen und zu beobachten, ob sie von derselben durchdrungen seien. Dann bewegte er seine, für die kleine Person merkwürdig langen Armgelenke, und drehte eine tüchtige Prise in seine Nase.

»Ah, Schwach, Herr Schwach,« sagte er endlich mit einer scharfen, durch die Nase streichenden Kehlenstimme, als ob er ihn früher nicht bemerkt hätte; »auch da?«

Schwach sah auf und still nach ihm.

Rübe verarbeitete die Tabakreste an der Nase vollständig.

»Ich muß Sie ersuchen – Herr Schwach«, sagte er endlich nach einer kleinen Pause, als hätte er gezögert und wäre nun ganz entschlossen, »ich muß Sie ersuchen – Herr Schwach – die Feder niederzulegen – lassen Sie Alles stehen und liegen!«

Schwach übergoß es mit Röthe; er wußte nicht, was das bedeuten solle; und Alle, bis auf die alte grünbebrillte Zange von Buchhalter, sahen ihm verwundert ins Gesicht.

»Schreiben Sie mir nichts mehr – nichts!«

Noch fand Schwach keine Worte und das Komptoirpersonale keine Ursache, die nach ihm starr gerichteten Blicke abzuwenden.

»Sie sind entlassen!«

Herkules erhob sich, wie in einem Anfalle von tiefstem Schmerz, welcher Rechenschaft fordert. In dem Herzen eines Andern wäre dies Grimm und Entrüstung gewesen.

»Sechzigtausend, Sechzigtausend!« stieß noch zur rechten Zeit die scharfe, von der Kehle in die Nase drängende Stimme des Chef schneidig und doch mit einer Art 60 Herablassung aus. »Sechzigtausend, und Sie wollen arbeiten – hier?«

Schwach's Ausdruck besänftigte sich, er wurde ruhiger. Die beiden erwähnten Schreiber fanden es angemessen mit den Federn zu kratzen, als wären sie im eifrigsten Arbeiten.

»Kann's nicht zugeben, kann's nicht zugeben!« sagte Rübe, indem er sich näher an den auch etwas hervorgetretenen Herkules stellte und nach ihm durch die Gläser guckte. Rübe sah neben dem Starken, Gutgewachsenen aus, als wären ihm die Beine abgemäht worden.

»Mein lieber Schwach«, und hier durchfuchtelte Rübe die Luft mit dem dünnen, vom Knöchel bis Elbogen durch den Ueberzug aufgebauschten Arm. In Daumen und Zeigefinger hielt er eine Prise, während er den andern Arm auf den Rücken legte, ein Zeichen, daß etwas Großes nachkomme. »Mein lieber Schwach,« (das war ein seltenes Wort!) »Sie wollen uns kompromittiren, uns, Rübe & Comp., d. h. die Handelswelt, d. h. das Kapital, das Kapital mein Lieber!« Und indem er das »Kapital« lange zog, flog die Prise kurz in die Nase.

»Wer bin ich?« sagte er sofort. »Rübe & Comp.! Gut. Was bedeutet Rübe & Comp.? – Kapital, Kapital! – – Gut. Wer sind Sie? – Herkules Schwach! – Wer ist Schwach? – Buchhalter. – Braucht er Lohn daß er esse, daß er trinke, daß er sich kleide, daß seine Kinder nicht verhungern und er selbst nicht verderbe? – Krimpler!« rief er, sich unterbrechend, und dieser Name gehörte dem alten Buchhalter, »gucken Sie nicht so drein, arbeiten Sie!« – Der arme Alte hatte kaum einen Blick auf die seltsame Gruppe geworfen.

»Wer ist Schwach?« fuhr Rübe ruhig wieder fort, als 61 hätte er pflichtschuldigst ein gutes Werk gethan. »Schwach ist jetzt Kapital. – Kapital, mein Lieber!« wiederholte er mit Gewicht; »und ich kann nicht zugeben, daß Sie sich kompromittiren, das heißt – sich das Kapital hier kompromittire!«

»Ich bin Kapital, Sie sind Kapital«, fuhr er nach kurzer Pause fort. »So lange Sie ein armer Teufel waren und von mir Essen, Trinken, Kleidung haben mußten«, hier lugten die Augen nach allen Schreibern, die nicht genug tiefdenkende Gesichter auf die Bücher schneiden, oder die Federn kratzen lassen konnten, »waren Sie wenig, ich sage, geradeaus, nichts! – Krimpler thun Sie mir den Gefallen und arbeiten Sie! – Ich dagegen, als Kapital, hatte das Recht, zu fordern, zu befehlen, Herr zu sein! Denn das Kapital ist Herr! – Jetzt sind Sie auch Kapital; und wenn Sie dienen und nicht herrschen, nicht gebieten, ihren Namen gewichtig in die Welt hinausstellen, setzen Sie in meiner Kaufmannsstube das Kapital herab, kompromittiren Sie das Kapital!«

»Ich muß wirklich um Entschuldigung bitten«, begann Schwach sehr artig und gelassen; doch »Rübe & Comp.« nahm wieder das Wort und schwang wieder den Arm in der Luft, mit einer Prise zwischen den Fingern.

»Ich thu's meinetwegen, ich thu's der Handelswelt, der ganzen Bank und Börse willen! Denn wenn ›Frosch & Schnake‹, ›Timpel & Berger‹, ›Gottfried Heim‹ . . . . . . Krimpler, Sie haben mir Heim's Rechnung noch nicht geschlossen; glauben Sie, ich zahle Sie umsonst? . . . . »Gottfried Heim«, »Beutel & Eidam«, und sofort nicht Kapital hätten; wer wären sie? Und wenn sie heute das Kapital verlieren, wer sind sie? Arme Thierchen, 62 Kreaturen . . . nichts!« rief er mit einer Art Grimm und schrie sofort nach Krimpler: »Hören Sie Krimpler, Heim's Rechnung und die Billanz von Schnake mit gehörigen Ausweisen! Krimpler regen Sie Ihre verdammt faulen Knochen! . . . Dieselben sind aber etwas, weil sie noch Kapital haben, und das ist mein stetes Grund- und Wahrwort:

»Das Kapital ist der Mensch!««

»Ich will Ihnen nicht sagen was Sie thun sollen. Ich sage nicht: gehen Sie auf die Börse, kaufen Sie überseeisch, spekuliren Sie in Wolle, machen Sie in Korn, oder Manufakturen, oder sonst etwas; ich sage: thun Sie was Sie wollen. Jetzt sind Sie Kapital; und wenn Sie das Kapital werden arbeiten, wirken, herrschen lassen, werden Sie etwas sein. Und werden Sie Ihr Kapital verderben, nicht verstehen, so werden Sie wieder . . . .«

Ein Thierchen, eine Kreatur sein, wollte er vielleicht sagen, begann aber rasch einen neuen Satz.

»Sehen Sie mich an. Wer bin ich? Rübe & Comp. Mein Vater war schon Rübe, mein Großvater war Rübe, und mein Sohn«, hier klopfte er mit zwei Fingern auf die Dose, »mein Sohn wird auch Rübe sein!« Der junge Rübe war noch sehr jung, aus einer zweiten (glücklichen?) Ehe mit einer jungen Frau und zeigte bisher wenig Rüben-Wuchs.

»Soll ich Ihnen sagen: leben Sie mit Ihrem Gelde herrlich, pflegen Sie noble Passionen, besondere Neigungen, kaufen Sie etwa gar für Ihr Geld Kunst? – Was wollen Sie mit der Kunst? Eine steinerne Figur, die das Bein sohin, den Arm soher und die Nase sohin streckt« – er versetzte sich dabei hintereinander beinahe in Statuenposituren – »und das soll Kapital werth sein? Ob der Stein als 63 Block steht, oder liegt, oder ob er ein Bein und eine Nase ausstreckt, das ist doch wirklich höchst egal! Soll das Kapital werth sein? Da gehe ich einmal ins Ballet, und ich habe Beine und Nasen und Arme, lebend, mehr als ich brauche! – Kaufen Sie zum Vergnügen Bilder? – Bilder! Ob so eine Farbenpinselei hier eine Linie mehr oder weniger und dort einen richtigen Strich hin oder her hat, das soll mir mein Kapital fressen? Rafael oder Gabriel, oder Michael, oder wie alle Erzengel noch heißen, sollen mich mit meinem Gelde zum Narren machen? – Ein Bilderbogen thut's, thut's ganz prächtig; denn nur ein Narr wird alle Linien genau nachsehen, und wir sind nicht da, um uns, wegen zwei Thaler Farben, um Tausend Thaler Kapital zum Besten haben zu lassen! – Und Bücher und alles das Zeug ist gut für die lernenden Unmündigen, für die Töchter und Weiber, die nichts zu thun haben; aber ein gescheider Mann gibt dafür nicht fünf Groschen! Das sind Bücher!« und hier klopfte er auf ein großes Komptoirbuch – »Krimpler, Sie brauchen nicht so rasend zu schmieren, daß ich das Konto zerreißen muß; schreiben Sie lieber ruhig, aber gut; hören Sie?«

»Wollen Sie Wohlthätigkeit ausüben?« fuhr er rasch fort. »Vereine? Namen machen? – Wohlthätigkeit! – Da, miethen Sie Magazine, gehen Sie auf die Börse, kaufen Sie Ware, kaufen und verkaufen Sie Wechsel, halten Sie Schreiber, Diener, und Sie thun Wohlthätigkeit genug. Aber arbeiten müssen die Leute« – hier warf er einen stechenden Blick nach Krimpler – »arbeiten, sonst ist Alles Pack und mag hungern!«

»Also was wollen Sie thun?« Hier sah er ihm mit einer scharfen Gestikulation, von unten auf, durch die Brille, 64 ins Gesicht. »Ich sage abermals nicht was Sie thun sollen; ich sage nicht: geben Sie das Geld Rübe & Comp., denn Rübe & Comp. bezahlen schlechte Interessen, weil sie sicher, sehr sicher sind! Zudem sind Sie ja kein Millionär, um als Privatier mit ihren Interessen viel werth zu sein. Ich sage überhaupt nicht, was Sie thun sollen. Geben Sie Acht, daß Sie Kapital behalten, Kapital repräsentiren, Kapital seien, viel Kapital! Denn das Kapital ist Alles, Alles, und Grafen und Fürsten leihe ich nicht einmal meine alten Kleider auf eine Viertelstunde, wenn sie nicht Kapital haben. Die ganze Welt ist nur ein Kapital mit verschiedenen Theilnehmern und Häusern, und Alle, die nicht Kapital sind, sind der Kiesel im Wege, Dunst, Schofel! So. Behalten Sie fest ihr Kapital; eher bringen Sie sich um, als ihr Kapital; denn das Kapital ist der Mensch!« –

Das sage ich Ihnen, Rübe & Comp., ohne Rückhalt, als Ihr ehemaliger Herr. Und somit Gott befohlen. – Krimpler! machen Sie die Rechnung mit meinem früheren Buchhalter und dem jetzigen Herrn Kapitalisten ab!« rief er Jenem barsch zu; dann nahm er sogleich einen andern, freundlichen Ausdruck an, verneigte sich, ganz ein Anderer, höflichst und sagte mit feiner Miefe: »Und kann ich Ihnen sonst mit etwas dienen, Herr Herkules Schwach, so werde ich sehr erfreut sein. Krimpler wird auf meinen Befehl ein Folio eröffnen, Schwach & comp., oder Schwach allein, und mein Haus wird erfreut sein, mit dem geschätzten Ihren in Verbindung zu treten. Ich habe die Ehre, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen!«

Somit verneigte er sich nochmals und schritt der Glasthüre mit den grünen Vorhängen zu, hinter der er sogleich verschwand. Während er sich aber verneigte und ging, warf 65 er so forschende, stechende Blicke unter den grauen Büscheln von Augenbrauen hervor, nach seinen Schreibern, als mustere er sie und wolle sie triumfirend fragen: »Habt ihr gehört, mich, Rübe & Comp., und mich verstanden?«

Herkules hatte sich mechanisch verneigt, ehe er noch Worte finden gekonnt, dann ging er zu dem Wandnagel nach dem Hute, schüttelte still Jedem die Hand, von Jedem mit Wahrheit oder Heuchelei eifrigst wieder gedrückt, und schritt mit beklemmtem Herzen aus den Räumen, die er so lange besucht, belebt hatte.

Von den Komptoiristen wagte keiner ihm das Geleite zu geben; denn Rübe konnte, heute in Beweglichkeit, sofort wieder aus der Glasthüre erscheinen, und dann gäbe es ein kleines Donnerwetter!

Als Schwach schon nahe dem Thore war, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er wendete sich um. Der lange dürre Krimpler, mit dem kahlen Oberhaupte und den spärlich aber sanft an den Schläfen sich schmiegenden, silbernen Haren, Krimpler, die grüne Brille nach der Stirne geschoben, stand vor ihm, lächelte ihn wehmüthig an, und ließ die eine Hand auf seiner Schulter ruhen.

Schwach erfaßte sofort dessen andere Hand und schüttelte sie mit Wärme.

»Ich habe Sie nicht so gehen lassen können, Schwach,« sagte Krimpler. »Und wenn er mich hundertmal ausscheltet und mir mit seinen Worten in die Seele schneidet, diesmal kümmere ich mich nicht darum, durchaus nicht. Mag er schelten!« Und er schüttelte abermals die hingegebene Hand.

»Wie glücklich, wie glücklich sind Sie!« rief er nach einer Pause wehmüthig aus. »Sie sind entlassen, auf eine eigenthümliche, aber für Rübe äußerst wohlwollende Art. – 66 Wie glücklich sind Sie! Sehen Sie, ich habe Ihnen drinnen kein Wort gesagt. Ich habe geschwiegen, wenn die Andern sich um Sie drängten. Aber Schwach – jetzt gehen Sie, ich muß mein Herz ausschütten, noch einmal; denn jetzt habe ich Sie noch und dann keinen Menschen um mich, dem ich ein Wort sagen könnte, der mich, auch ohne ein Wort, verstände. – Sie haben niemals viel gesprochen, mir nie Ihre Meinung auseinandergesetzt; aber, Schwach, ich habe es in Ihren Augen gelesen, Sie haben mich bedauert, bemitleidet, Sie sind der einzige gute Mensch, der hier war!«

»Sie sind zu liebevoll, zu liebevoll!« sagte Herkules gerührt.

»Gott segne Sie, und ich segne Sie und danke Ihnen, wenn nur für Ihre theilnehmenden Blicke. Denn so lange Sie hier Diener waren, wie ich, habe ich Ihnen das Herz nicht schwer machen gewollt und es für Pflicht gehalten zu schweigen. Aber jetzt sind Sie frei. – Gott erhalte Sie! – Ich bin ein alter Mann; hören Sie was ich Ihnen sage; denn unsere Wege liegen jetzt getrennt. Scheuen Sie Rübe & Comp., scheuen Sie alle Leute mit finsteren Komptoiren, dicken Büchern und unheimlichen Blicken. Sehen Sie mich an; was bin ich? Kapital bin ich nicht!« Und hier lächelte er bitter. »Ein armer, elender Wurm! Praktizirt habe ich in meiner Jugend, und meine Jünglingsträume habe ich in diesen finstern Löchern und Stuben und Magazinen mit Spinnengewebe umschlingen lassen. – Frühling? Sommer? Morgen? Abend? Einen Sonnenuntergang, einen Sonnenaufgang; was weiß ich davon?! Wenn ich nicht in einem Winkel des Hofes Gras sehe, wo es zwischen den Steinen wächst; was weiß ich von Gras? von 67 frischer Luft, von freiem Himmel? – So habe ich geheiratet, so habe ich Weib und Kinder bekommen, und mußte die kleinen Mäuler stopfen, und wurde älter, und Rübe & Comp. nicht besser. – Dienen mußte ich; Sie hörten es ja jetzt; denn ich war der lebendige Niemand, Nichts, Kiesel, Dunst – ich war kein Kapital! – Und da kein glücklicher Zufall mir besser wollte – bei Rübe & Comp. bin ich alt geworden, sehr alt, und meine Knochen sind verkrümmt! Meine Augen? O Gott meine Augen! – Wenn Sie den alten Mann nur nicht blind und bettelnd einst auf der Straße sehen, oder wenn nur ein Blindeninstitut ihm einst, bald vielleicht, mitleidig die Thüre öffnet!«

»Sehen Sie meine rothen Augen an«, fuhr er fort, »das sind keine Augen – Kohlen, die ausglimmen jetzt und verlöschen vielleicht morgen. Sie wissen, ich wollte einen grünen Lichtschirm tragen, trug ihn auch einige Tage, und er that mir wohl. Und Sie wissen wie Rübe kam und sagte: was ich für Narrenspossen da habe, ich sollte aus seinem Komptoir keine Maskenbude machen, oder die Leute welche kommen, glauben lassen, er habe einen blinden Fiedler von der Straße geholt und in sein Bureau gesetzt! Und ich nahm den Schirm weg, schaffte mir eine grüne Brille. Und ich sehe jetzt Alles grün; und nicht einmal ein menschliches Gesicht soll ich in der natürlichen Farbe sehen, nicht einmal meine eigene Hand. – Gottlob, daß ich bei meinen eigenen Kindern wenigstens manchmal die Brille entbehren kann und darf! – Jetzt bin ich alt; und jagt mich Rübe & Comp., so mag mich kein Mensch, und ich kann hungern, erfrieren, vergehen! – Das weiß er; und er tretet noch das letzte Glied, das an mir zuckt, und zerreißt mir das Stückchen Herz, das ich noch behalten. Denn 68 wenn ich mir einfallen ließe, zu denken, ich sei für Rübe noch etwas werth, da ich das Haus und seine Geschäfte so lange kenne, so bestrebt er sich eben, mir täglich mehr fühlen oder glauben zu machen, ich sei täglich weniger werth. Er betrachtet mich als ein Kapital, das keine Zinsen trägt. So lange steckt er schon das Gehaltgeld in mich hinein, und ich werde täglich älter, statt stärker, und fordere noch immer zu essen, zu kleiden und zu trinken, wie er sagt. – Schwach, Schwach, es ist ein Elend – ein eigenthümliches Elend!«

»Nun das ist heraus und lag mir auf dem Herzen, einmal für immer. Und das ist nur für Sie, Schwach. – Jetzt nur noch einige Worte Ihretwegen, und rasch, ehe ich gerufen werde! Lassen Sie sich um Gotteswillen in nichts ein, was Ihre Kräfte, Ihre Erfahrung, Ihre Sicherheit übersteigt. Danken Sie dem Schöpfer, daß Sie einige Groschen für sich haben. Verachten Sie das Kapital, das Kapital, welches Mensch, den Menschen, der nur Kapital sein will! – Genießen Sie die Welt und die Natur, und verkümmern Sie nicht Ihre schönsten Jahre so elend wie ich; denn was ich bin, sind mehr oder minder alle Komptoiristen, und der Rübe sind so viele, und der armen Menschen die sich nicht zu helfen . . . . . .« hier kamen ihm die Thränen in die Augen.

»Krimpler!« tönte es ingrimmig aus einem geöffneten Fenster, und Rübe's spitzer Kopf, mit der Brille und der Perücke, lugte ärgerlich daraus hervor.

Der Gerufene fuhr mechanisch zurück, wie von einem elektrischen Funken getroffen, dann winkte er mit der Hand von ferne, wischte die tiefen, rothglühenden Augen, wendete sich und verschwand nach dem Bureau, aus dem die Kapital-Stimme gerufen hatte. 69



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