August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Zehntes Capitel.

Schnepselmann und Schwach besuchen den Herrn Pfarrer.

Herr Schwach in Begleitung des Herrn Schnepselmann befanden sich, nachdem sie zu Wagen sehr großen 155 Straßenkoth und sehr kleine Häuser – kleine Häuser und sehr großen Straßenkoth – Koth und gar keine Häuser – noch Koth – und noch Koth – passirt hatten, – endlich im Dorfe und vor dem Pfarrhause.

Schnepselmann tummelte geschäftig voran, in dasselbe hinein.

In einer schmalen Vorhalle bot sich gleich rechts eine Thüre. Der Vorangehende klopfte zart. Niemand antwortete. Er öffnete behutsam die Thüre.

Da saß ein Mann in schwarzer Kleidung, ein schwarzes Käppchen auf dem Haupte, in einem großen grünen Lehnstuhle und schlief den Schlaf des Gerechten. Die gefalteten Hände lagen über dem nicht gerade geringen Bauch; und die umfangreiche Rubinnase, aus der an verschiedenen Orten neue Nasen hervorzubrechen schienen, hing sehr melancholisch nach der Magengegend, während einige Flaschen auf dem nahen Tische standen, von denen man nicht recht wußte, glühten sie roth, blos von ihrem Inhalte, oder vom Abglanze der Nase. Der Schlafende erwachte noch nicht, doch hinter seinem Rücken lugte gähnend ein Mops mit halb geöffneten Augen hervor, der ebenfalls so schläfrig war wie sein Herr. Er knurrte und stieß träge nur gelegentlich einen heisern Schrei aus, als wäre ihm die Mühe des Bellens zu viel und höchst ungelegen.

Schon wollten sich die beiden Besucher zurückziehen, als eine große, starke weibliche Gestalt mit entschiedenen Blicken und einem nicht zu zarten Flaum auf der Oberlippe, aus der Halle herauskam und ins Zimmer trat.

»Was wollen Sie!« fragte sie barsch, als wäre man im Begriffe gewesen, einen gewaltsamen Einbruch ins Haus zu versuchen. 156

»Der Herr Pfarrer . . . .« entgegnete Schnepselmann höflich mit dem Hute in der Hand, während Schwach lautlos und ängstlich hinter ihm stand.

Das Frauenzimmer sah Beide mit einem festen Blicke von oben bis unten an, als wollte es sich versichern: »ob es der Mühe werth?« dann sagte dasselbe: »Können Sie es nicht mir sagen? Ich bin die Wirthschafterin!« Das war mit einem so sicheren Tone gesprochen, als wollte sie begreiflich machen: es ist ja alles eins, ich kann es ja eben so gut, sagt's nur!

Hochwürden schliefen noch immer einen Schlaf, der wirklich seines Zeitaufwandes hoch würdig war.

»Möchten bitten . . . . persönlich!« entgegnete Schnepselmann, während er ein sehr damenfreundliches Grinsen annahm.

Die Wirthschafterin ging zum grünen Sessel, schüttelte den frommen Herrn kräftigst und rief mit überlauter Stimme: »Herren! Leute!«

Würden murmelte etwas, vermuthlich in lateinischer, griechischer, oder hebräischer Sprache, denn weder Schnepselmann noch Schwach verstanden eine Silbe davon, und er drehte sich dabei nach der andern Seite.

Die Dame wiederholte das Schütteln.

Endlich hob sich die rothe Nase ein wenig nach oben, der Kopf bewegte sich hin und her, und das schwarze Käppchen rutschte dabei über die Augen. Als dies endlich von der Dame mit sehr fester Hand sehr fest und zurecht gesetzt war, starrten zwei graue, blauumrandete Augen nach den Besuchern.

»Leute aus der Stadt!« schrie die Wirthschafterin dem Herrn ins Ohr, um ihn noch mehr zu ermuntern. Er 157 nickte, drückte ein Auge zu, vermuthlich um besser mit dem andern zu sehen, das er auf die beiden vor ihm Stehenden heftete.

Die kräftige Dame entfernte sich hierauf keineswegs, sondern blieb im Zimmer, als sei das eine selbstverständliche Sache und jede Verhandlung so gut ihre Pfarrangelegenheit, als die irgend eines Andern.

Schnepselmann trat vor und sagte: »Schwach, Angelegenheit Schwach!«

Der Pfarrer drückte mit der Rechten eine Ohrmuschel nach vorne, um besser zu hören, und sagte nickend: »Schwach, ja . . . . sehr schwach!«

»Herkules Schwach – Ehre aufzuführen – hier geboren« – sagte Schnepselmann weiter und betonte jeden Absatz besonders, da er einsah es mit Einem zu thun zu haben, der von Natur aus, oder durch andere unvorhergesehene Umstände, schwer hörte.

»Geboren? he? Ein Sohn? he?«

»Selbst geboren!« schrie Schnepselmann. »Möcht' bitten um ein Zeugniß, Geburtsschein! – ledig, unverehelicht.«

»Uneheliche Geburt? he?«

»Nein, nicht so!« – Und Schnepselmann strengte seine Lunge noch mehr an. »Er ist hier geboren und wünscht das Taufregister zu sehen – seinen Taufschein, er hat ihn nicht!«

»Hat nichts? he? Umsonst? he?«

»Nein – nicht umsonst – gut bezahlt er's!«

»Gott bezahl's? he? he?« Und er schüttelte den Kopf, dann senkte er die Augenlider, als drohte er wieder einzuschlafen.

»Bitte, nicht so!« schrie der Redner noch stärker. »Er, 158 wir wünschen eine Nachschlagung – eine Versicherung ob dieser Herr hier geboren und wie seine Mutter geheißen, und die Jahreszahlen!«

»Zahlen? ah! eh!« Und er hob sich wieder ein wenig.

»Ja zahlen!« sagte der verständige Schnepselmann vernehmlich; »sobald die Papiere erst erworben!«

»Gestorben! eh? Todtenschein? eh?«

»Nein, Geburtsschein!«

»Ah, Geburtsschein! Ein Mädchen? eh?«

»Nein, er selbst, er selbst wünscht seine Papiere!«

»Biere? eh? Trink' nur Wein!« Erneuerte Neigung zum Einschlafen.

»Auch Wein! Was Sie wollen, nur den Taufschein nicht vergessen!

»Essen? he? gut? ja? eh?« – wieder etwas erweckter.

»Auch! Was Sie nur wollen! Aber wir bitten nur um die Rubriken!«

»Rücken? eh? Was für Rücken? Hasen? eh? Reh?«

»Nein! – nicht! – das heißt – wir kommen nur um uns mit Ihnen über die Register zu berathen!«

»Braten? eh? Sehr gut – liebe ich – Gans, eh?«

Schnepselmann schüttelte bedenklich den Kopf; die Dame am Lehnstuhle schien ein Donnerwetter elektrisch anzusammeln.

»Das Pfarr-Register!« schrie Schnepselmann wieder.

»Den Pfarrküster! ah, also doch todt – eh?«

»Nun!« fuhr die Wirthschafterin endlich in recht derbem Tone Schnepselmann an, »was wollen Sie denn eigentlich!? 159 Reden Sie deutlich! Jetzt hören wir Ihnen schon lange zu und werden noch nicht klug!«

Schnepselmann wunderte sich zwar ein wenig über das »wir«, doch hielt er es gerathen, sich, in Rücksicht der Würde der Dame, deutlich auseinanderzusetzen. »Meine Verehrteste, meine Guteste!« sagte er zu ihr gewendet, in der Absicht ihr Alles zu sagen. »Wir wünschen ein Pfarr- und rechtsgiltiges Zeugniß, daß . . . .« Doch sie nickte sogleich würdevoll-bewußt, als sei ihr dies schon genug, beugte sich zu dem alten Herrn hinab und schrie ihm sofort tüchtig in die Ohren.

»Ah so! – Gut!« sagte endlich erleuchtet der Herr.

»Sehen Sie, es wird Alles gleich verstanden, wenn man nur ordentlich spricht. Hochwürden ist unwohl, werden Sie schon bemerkt haben.«

»Bedaure sehr!« sagte Schnepselmann mit einem Blick auf die Flaschen.

»Soll ich's thun?« schrie sie ihm in die Ohren.

Er nickte zustimmend.

Sie holte sofort Dinte, Papier und Feder von einem Seitentische und setzte sich zum Schreiben, mit einer sehr entschlossenen Miene. »Also wie alt?« fragte sie in sehr geschäftsgewohntem Tone.

»Wie gesagt, dreißig, auch darüber.«

»Der Vater. Aber das Kind?«

»Er ist das Kind!«

»Verstehen Sie nur recht! Wir müssen den Datum der Geburt aufschreiben und den Vater und die Mutter und die Gevattern.«

»Ganz recht, das ist ja meine Absicht auch! Oder wollen Sie einen Todtenschein, oder 160 Trauungsschein, oder was sonst? Das ist gleich, Sie bekommen Alles! Sagen Sie nur die Namen! Also nennen Sie Alles!«

»Aber Verehrteste, das wollen wir ja eben wissen!«

Das überraschte die Dame. – »Was? Also nichts Neues?« fragte sie in heftigerem Tone.

»Nein, im Gegentheile, was Altes!«

»Und wie lange?«

»Schon über dreißig Jahre!«

»Ueber dreißig Jahre!« rief sie mit gewaltiger Stimme aus, indem sie die Feder wegwarf. »Und Sie haben Ihren Schein nicht und wissen nichts davon? Ueber dreißig Jahre! Und da sollen wir was davon wissen?«

»Allerdings, das Register!«

»Ei was Register! Wo Kinder im Hause sind – und ich habe Kinder – da sind so alte Papiere nicht sicher, und die vor 30 Jahren sind lange ruinirt! – Da muß man auf seine Sachen Acht haben!«

»Ja Guteste,« begann Schnepselmann und wollte eben sagen, das meine ich ja eben auch, warum haben Sie also nicht acht gegeben? Doch setzte er langsam hinzu: »Aber die Pflicht . . .«

»Ei was Pflicht!« und hier wurde die Stimme recht derb. »Jetzt kommen Sie da noch von der Stadt und wollen uns unsere Pflicht sagen?« – Sie stemmte die Arme in die Seite. »Vierzig Jahre ist der Herr Pfarrer hier, und Sie wollen jetzt noch etwas von Pflichten reden? Sieh doch! Sehen Sie zu, wer Sie sind und wo Sie geboren sind, und gehen Sie, woher Sie gekommen sind! Lassen Sie die Leute in Ruhe! – Sieh doch! Wollte ich Ihnen nicht schreiben was Sie nur selbst wollen, und das 161 ist Ihnen nicht einmal recht? – Pflicht! Nicht einmal das ist unsere Pflicht! Aber wir thun's aus Güte! Und noch nicht recht? – Jetzt ist die Geduld zu Ende!« Und sie ließ ferners einen solchen Hagel und Schauerregen von Worten, Drohungen, Pflichtwissenschaft und Würdebewußtsein auf die beiden ganz erschreckt Dastehenden los, daß Schnepselmann erst Athem zu holen wagte, als sie eine kleine Pause machte. Schwach stand ganz schüchtern hinter seinem Freunde und drückte nur den Hut an die Brust.

Als sie eben die Pause machte, sagte der Pfarrer: »Also Sanne« (sollte natürlich Susanne heißen) »ist's in Ordnung?«

»Alles in Ordnung!« schrie ihm die Dame in die Ohren, und er nickte dazu.

»'pfehl mich Ihnen!« schrie sie dann auf Schnepselmann los. Dieser wußte nichts Besseres zu thun, als sich zu verbeugen und »Empfehl mich Ihnen« zu antworten. Dann ging er hinaus, seinen Freund nach sich ziehend.

Als sie draußen waren, sah Schnepselmann seinen Freund Schwach sehr erstaunt an. Dieser erzeugte wieder seinem Freunde die gleiche Aufmerksamkeit.

»Was sagen Sie dazu?« fragte Ersterer.

»Höchst merkwürdig! – Und ich bin froh, so davon gekommen zu sein.«

»Und ich nicht minder!« Nach Diesem setzte er seinen Hut auf, was er vor Erstaunen bisher zu thun vergessen hatte, und sagte mit einem Seufzer: »O Landpfarrer!«

Schwach schüttelte dagegen das Haupt, als wäre er mit dieser im Allgemeinen ausgesprochenen Idee nicht einverstanden, und sie gingen langsam die wenigen Schritte nach dem Wagen. 162

Da kam mit blassen Zügen, im ärmlichen Theologenkleide, ein Mann mittleren Alters daher, den man im ersten Augenblicke als dem geistlichen Stande angehörig erkennen mußte. Er führte eine alte, mühsame Bettlerin am Arme, während er zugleich ihr Bündel trug. Er geleitete sicherlich nur die arme Alte, weil sie so schwer allein fortkam. Die beiden Besucher sahen einen Augenblick, erstaunt und gerührt, auf die Eindruck machende Gruppe.

Ein Bauer ging eben vorüber, lüftete schon von ferne den Hut und sagte: »Gott zum Gruß, Herr Pfarr-Adjunkt!«

»Gott segne Euch, mein Sohn!« sagte dieser mit sanfter Stimme.

Und in Schwach ging eine ganze Welt von herzbewegenden Gedanken auf, besonders als der Bauer noch eine Weile mit dem Hute in der Hand stand und den Beiden, dem Pfarradjunkt und der Bettlerin, mit warmen Blicken nachsah. Schwach griff nur rasch in die Tasche und drückte der Alten ein Geldstück in die Hand. Was sie und was der Herr Adjunkt sagten, hörte er nicht mehr, denn er sprang eiligst in den Wagen.

Darin saß er sinnend, und er dachte an manches gepreßte, glückverlorene Leben, und an Leute, die ernten was Anderen gebühren würde. Und es wogten vor seinen Sinnen der Lehnstuhl, der Mops, die Pfarrernase, die Köchin, die Weinflaschen, der Adjunkt, die Kinder, die Bettlerin, das Schreibzeug und das abgeschabte Adjunktengewand auf und nieder, und sie hielten sonderbare Gespräche mit einander und erzählten sich sonderbare Geschichten, so daß er ihnen lange horchte, alles Andere vergaß und nichts sprechen konnte. 163

Schnepselmann mochte andere große Projekte im Kopfe haben, oder auch an dies denken. Auch er saß schweigend; und sie waren froh, endlich wieder in der Stadt angelangt zu sein.



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