August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Achtes Capitel.

In welchem wir einmal zu Herrn Schnepselmann selbst gelangen – auch seinen Pagen kennen lernen. – Was Zeitungsannoncen alles im Stande sind und für Kunden bringen. – Die Vielseitigkeit des Agenten. – Näheres über das Genie des Pagen – dessen Mutter und ihre Zukunft.

Hugo Schnepselmann sitzt in seinem Bureau.

Wie sieht eine Agentur für »Alles« aus?

Das erleidet sehr viele Abwechslungen, und da dieser hohe Beruf erst durch die persönliche Vielseitigkeit, die unser Jahrhundert erzeugt, möglich wurde, so trägt ein solches Universalbureau noch keinen allgemein giltigen Charakter.

Darin sind aber alle Eigenthümer einer solchen »Kanzlei« stillschweigend einig, daß sie Bündel, nämlich Papierbündel, sehr viele Bündel und zwar ungewöhnlich großer Gestalt besitzen müsse, nicht minder erschreckend ernst blickende Schreibtische, auf denen Bücher ruhen, darein man einen ganzen Welttheil verzeichnen könnte, und all das Papierzeug hat mit geheimnißvollen Aufschriften versehen zu sein, die sämmtlichen Beschauern und Besuchern ein gewisses Grauen und Alpdrücken einzuflößen geeignet sind. 131

Diese stillschweigend als unerläßlich anerkannten Beigaben fehlten auch unseres bekannten Herrn »Schreibstube«, »Agentur«, »Bureau«, »Komptoir«, »Kanzlei«, »Expedition« (er nannte selbst sein Institut jeden Augenblick anders) nicht. Nebstdem bedeckten die Wände folgende Dinge: Eine Kölner-Wasser-Missive von »Jean Maria Farina« unter Glas und Rahmen, welche besagte, daß der »einzig wahre Jean Maria Farina« seinem »einzig wahren Agenten« Schnepselmann den Verschleiß des »einzig wahren Eau de Cologne« übergeben habe, und alles andere nur betrügerisch nachgeahmt sei. – Abbildungen von sonderlichen Flaschen, Tiegeln, Hühneraugenringen, Kaffee-Wundermaschinen, schwarz, roth und blau gedruckten Medaillen sammt Adlern, Löwen, Bären, Einhörnern und endlose Buchstaben darunter. Unaufhörliche Empfehlungen von Rheumatismusketten, Extrakten, Pflastern, Pomaden, Essenzen, Tropfen, Selbstmagnetiseurs und weiß der Geier was noch. – Adressen von den erstaunlichsten, ungeahntesten Handwerken, Beschäftigungen und Talenten: Klavierstimmern, Nähmamsels, Photographen, Tanzmeistern, Silhouetteuren, amerikanischen Schreibmethodisten, Gasthöfen, Zahnärzten, Vogelhändlern, Hühneraugenoperateuren, Realitätenfeilbietern, Insektenvertilgern und so fort, und so fort!

Mitten unter all diesem Wust, allem diesem gehirnschwindelnden Zeuge, umgeben von Papiermassen, welche alle diese Dinge eifrigst und wahrheitsgetreu empfahlen, saß der König des Reiches – Agent Hugo.

Die ungeahnte Beschäftigung, die ihm das Schwach'sche Ereigniß verschaffte, hatte die schauerliche Finsterniß in den dunklen Abgründen seiner schwarz gähnenden Taschen etwas 132 gelichtet; er athmete freier und schmiedete unendliche Pläne zur Vergrößerung seines ohnehin ausgebreiteten Geschäftes.

Herkules' Großmuth hatte ihn zudem aufgemuntert. Schnepselmann ließ seine Bureau-Thüre von der Straßenseite neu anstreichen, die Schelle die daran hing und vor jedem Eintretenden klingelte, frisch aufglänzen, das Schild »Hugo Schnepselmann's Agentur, Privatkanzlei, Heirathsbureau &c.« mit frischem Firniß herausstreichen, die Dielen frisch fegen, die Fenster putzen, die grünen verschossenen Vorhänge neu auffärben, und seinen Namen – auch in die Zeitungen setzen!

Da saß er und hatte einen Wust von Tages-Organen um sich. In diesem Zeitungsblatte stand »Schnepselmann Agentur für Alles« mit schrecklich langen Buchstaben; in jenem befand sich wieder eine anders geformte Annonce, mit dem Kopfe nach unten gestellt und mit den Füßen nach auswärts zeigend. Da stand er nach links mit Schlangen umgeben, dort nach rechts von unentwirrbar verschlungenen Arabesken umwirbelt; hier von so breitgequetschten Buchstaben genannt, daß sein Name gar kein Ende nehmen zu wollen und unter ein Wagenrad gekommen zu sein schien, dort von Buchstaben verzeichnet, welche mit der Auszehrung in den Himmel zu wachsen schienen, und so fort, u. s. f.

Da saß er nun und betrachtete dies Alles freudig, vergnügt sich bald die Hände reibend, bald die Hare durchwirbelnd und sein vielseitiges Genanntsein bewundernd. Er berechnete die Kosten, die Anzahl der Exemplare, das erstaunliche Renommee, den nimmer enden wollenden Zufluß von Geschäften, der mit jedem Augenblick hereinzuströmen 133 beginnen muß, und die gar nicht zu zählende Summe der daraus erwachsenden Einnahmen!

Endlich hatte er dieses Genusses genug und er schob die grünen Fensterblenden weg, um nach einem gewünschten Individuum hinauszulugen.

»Alexius! – Wo bleibt der Kerl nur? Wo ist der Junge? Lexi! – Alex! – Lexius! – Alexi!« rief er. Aber keine von all den genannten Namensvariationen rührte den Eigenthümer derselben und bewog ihn, dem schmeichelhaften Rufe Folge zu leisten.

Alexius wurde von der Vorsehung und seinen Gevattern jener Junge zwischen 11 bis 13 Jahren genannt, der die Ehre hatte, Schnepselmann als Groom, Kammerdiener, Laufer, Leibpage, Kindswärterin, Kanzleibote und Küchenmagd zu dienen und nebst Kost, Wohnung und Kleidung, noch Kopfnüsse und Maulschellen gratis zu erhalten. Bei der feierlichen Gelegenheit der neuen Bureaugestaltung hatte dies vielseitige Individuum auch eine Livree beschert erhalten, und zwar nagelneu gekauft vom Trödelmarkte. So war es nun mit kanariengelben Hosen, zeisiggrünem Livreefrack und papageirother Weste, nebst dem unvermeidlichen Hute großmüthigst begabt. Wenn ihm auch ein oder das andere Stück vorläufig so groß war, als wäre es direkt von seinem Großonkel auf ihn selbst übertragen worden, so that dies doch der prachtvollen Schau nur geringen Eintrag, und Madame Schnepselmann hatte bereits versichert, der Junge solle alle Nachbarinen vor Neid bersten machen, wenn sie erst Zeit gewonnen die Hosen aufzukrempeln und den Frack um eine Viertelelle abzukürzen.

Alexi war mit dem kleinen Ludwig (Schnepselmann Junior) ein wenig ausgeschickt, um diesen frische Lust im 134 Freien genießen zu lassen, sollte aber jetzt schon, zur Kanzleistunde, zurück sein.

Sein Gebieter rief wieder; er kam trotzdem nicht. »Wenn die hohen Herrschaften, die heirathslustigen Damen, die eheschmachtenden Herren, die Gesundheitsbedürftigen, die depositionslustigen Kapitalisten ankommen, und es ist mein Diener nicht da, um die Thüre auf und zu zu machen, den Equipagen die Wagenschläge zu öffnen und zu schließen – ich bin blamirt, rein blamirt!« sprach Hugo in sich selbst und fuhr sich, unruhig auf- und abgehend, lebhaft durch die Hare.

»Alexi!« rief er mit aller Macht seiner Stimme wieder durch's Fenster hinaus. Ununterbrochene Stille antwortete diesem Gebieterrufe. Plötzlich rollte es, wie von Rädern, auf dem Pflaster draußen, näher, näher . . . es hielt . . . Schnepselmann verwünschte die Urgroßväter, die auf Alexius' Existenz eingewirkt und setzte sich rasch an seinen Schreibtisch, in ungeheuer beschäftigte Positur, die Equipage erwartend. Da klingelte die Glocke, die Thüre ging auf, Schnepselmann nahm das freundlichste Grinsen bei einer Verbeugung an, und siehe . . . hereinkam Alexius, nächst Ludwig, beide vorwärtsgedrängt von einem Karrenschieber.

Wie aber kamen sie herein? Der Erstere hatte keinen Hut, über das geröthete Gesicht war eine romantische Landkarte von Straßenkoth ausgebreitet, eine mächtige Beule prangte an der rechten Stirnseite, und der zeisiggrüne Frack – ach! der war auf dem Rücken von oben bis unten auseinander, in zwei mathematisch gleiche Hälften getheilt. – Der kleine Ludwig sah nicht viel besser aus, nur mit dem Unterschiede, daß aus seinen grauen Beinkleidern, die 135 ohnehin rückwärts mit einem Spalt versehen waren und also keiner Theilung erst bedurften, das nicht ganz reine, doch vorwaltend weiße Hemd, bis auf den Boden hinabhing.

Schnepselmann schlug bei diesem schauerlichen, erschütternden Anblicke die Hände zusammen. »Was ist geschehen?« stammelte er bleich und entsetzt. Ludwig heulte statt aller Antwort. Doch der Mann, der hinter ihnen gekommen war, Dienstmann von Beruf, antwortete im rauhen »Sonnenbruder-Tone«: »Der vermaledeite Junge! Wollte drei Schusterbuben Eins abgewinnen und da setzte es Keile! Wäre er seiner Wege gegangen! Sie hetzten ihn ohnehin und sagten, er solle aus dem Wege gehen, oder kein Spatz flöge der Stadt zu, drei Jahre von seinem Erscheinen an gerechnet, und fragten ihn ob sein Herr wirklich ein solcher Vogelfeind sei, oder ob er aus dem Auslagkasten eines Trödlers entsprungen und warum, und was derlei mehr ist! Aber der verteufelte Junge ging nicht seiner Wege und hetzte sie noch auf, und da prügelten sie ihn derb durch! Ich kam gerade den Weg und mich erbarmte der Kleine. – Ich dachte Keile gibt's zu Hause ja ohnedies, je schneller desto besser also, und ich lud den Kleinen auf meinen Schiebekarren und brachte Beide hieher.«

Also ein Schiebkarren ist das erste vorrollende Fahrzeug? dachte Schnepselmann – ein schönes Schicksalszeichen!

Jedoch konnte er durch Wuth und Prügel sein neuangestrichenes Bureau nicht in Gefahr setzen; er sendete daher rasch beide Missethäter in die hinteren Räume des Familienzirkels.

Der Träger entfernte sich, durch eine kleine Gabe befriedigt, und Schnepselmann setzte sich wieder harrend, außen still und innen bewegt, an seinen Schreibtisch. 136

Endlich abermals Geklingel. Bedeutendes Komplimentiren ohne aufzuschauen. – Entree der Beuteldame. – Erkennen.

»Guten Tag bester Herr Schnepselmann!«

»Ah, Sie sind's? Ich dachte schon . . .« was Rechtes komme, wollte er sagen, doch fiel ihm rasch was Anderes ein. »Doch Sie kommen mir gerade recht!« lüftete er seinen unterdrückten Grimm. »Ah, Madame Trullemaier – mit Ihrem Alexius ist es zum Tollwerden, zum Teufelholen, zum Davonlaufen!«

»Was hat der gute Junge schon wieder gethan?«

»Der gute Junge? Ein Regiment berittener Husaren, eine Armee von Höllengeistern ist nicht so wild wie dieser Blitz-Schwere-Noth-Elementen-Junge! Zerreißt mir der Kerl binnen zweimal 24 Stunden eine funkelnagelneue Livree, die aus wahren Prachtstücken bestand! Bringt meinen Ludwig wie ein geknicktes Taschenmesser nach Hause! – Das ist aber noch nichts, noch nichts!«

»Noch nichts?«

»Keineswegs! Was thut mir dieser Donnerwetter-Hagel- und Granaten-Junge!? Schicke ich ihn zur Baronin Flinsthal, der ich für ihren gequetschten Schoßhund das Elefantenmarkknochenpflaster mit Glück empfehle, und zugleich zu dem Privatier Knabel, der an Verdauungsstörungen leidet, mit einer Selbstmaschine, und erkläre ihm beides genau. – Präsentirt mir dieser Raben-, Krähen- und Asgeier-Junge, vor allen Visiten, der jungen reizenden Baronin die Selbstmaschine und geht dann noch gemüthlich, fest auf seiner eigenen Meinung bestehend, zum dicken Knabel und gibt ihm ein Elefantenpflaster. – Es ist zum Tollwerden!« 137

»Das Kind hat sich nur geirrt,« beschwichtigte die zärtliche Mutter.

»Das Kind! Dieser Teufels-Höllen-Fegfeuer-Junge ist ja schlau wie drei Millionen ausgewachsener Taschenspieler! Gebe ich ihm einen großen Tiegel, zur Probe frisch angekommenen Zwetschkenmus' und sage: gehe zum Kaufmann Gabelein, er soll das versuchen; wenn es ihm behagt, steht ihm ein Faß davon zu Gebote. – Geht der Kerl hinaus, frißt das Zwetschkenmus rein auf, sage rein auf, füllt die Büchse mit Cement-Kalk, den ich auch probeweise erhalten, geht zu Gabelein und fragt ob er das brauchen könne? Gabelein besieht's, läßt mir sagen ich solle ihm nicht ein, sondern eine Quantität von zehn Fässern senden, ich, ganz erfreut, treibe die zehn Faß Zwetschkenmus auf – und Gabelein erhält Zwetschkenmus statt Cement-Kalk und weis nicht was er damit anfangen soll! Furchtbar, furchtbar; ruinirt mir mein Geschäft!«

»Hm, hm,« murmelte die Dame kopfschüttelnd.

»Hm, hm? Sagen Sie nicht »hm hm,« sagen Sie er verdient Spießruthen, Stabs-Stockstreiche eine Million und noch mehr!« sprudelte der erzürnte Agent hervor, bei welchem der Zorn und die zornigen Thaten doch nur mehr in den Worten lagen. »Glauben Sie, ich wäre zu Ende?«

»Nicht?«

»Nein! – Sauft mir der Kerl während meiner Abwesenheit die Eau de Cologne-Flaschen aus, frißt eine ungeheure Quantität Brustbonbons, tunkt Schwarzbrod in Lebensessenz – es ist furchtbar, furchtbar!«

»Na, der Junge!«

»Ha, sehen Sie es nun ein? Aber noch nicht zu Ende! Er schlingt um des Nachbars Hofhund 138 Rheumatismusketten, putzt die Stiefel mit Gichtfrottirbürsten, spritzt auf sämmtliche vorübergehende Straßenjungen mit Selbstmaschinen, pappt ihnen Elefantenknochenmarkpflaster ins Gesicht und wirft ihnen kosmetische Schönheitsseifenkugeln an den Kopf! Die Löwenpomadetiegel, die er zum »Butterbrode« aufgefressen, sind unzählig, unzählig!«

Die Dame wollte eben eine sehr weit ausgeholte Entschuldigung vorbringen, als Schnepselmann durch die Glasthüre einen Herrn mit einer Adresse in der Hand die Häuser mustern sah. »Ah, der sucht mich. Endlich ein Geschäft!« dachte er und rasch rief er: »Es kommt Jemand! Thun Sie mir den Gefallen, beste Madame Trullehuber, indeß in die Hinterstube zu gehen. Unterhalten Sie meine Frau, bis später. Adieu indeß!« Und schon hatte er die wohlbeleibte Frau, die sehr zufrieden war so wohlfeil abzukommen, zur Hinterthüre hinausgeschoben, eine mächtige Feder in die Hand genommen und sich beim Schreibtische über ein Geschäftsbuch, gleichsam tiefdenkend, geneigt.

Geklingel – ein Herr.

»Habe ich die Ehre Herrn Schnepselmann zu sprechen?«

»Gehorsamst aufzuwarten!«

»Ich habe Ihre Annonce in den Zeitungen gelesen!«

»Schmeichelhafte Aufmerksamkeit!«

»Sie müssen eine sehr ausgebreitete Kundschaft haben.«

»Allerdings, unendliche Verbreitung – stehe ganz zu Diensten!«

Und da Sie mit so vielen Geschäften betraut . . .«

»Dieses Vertrauen wird mich Ihres geehrten Auftrages trotzdem keinen Augenblick vergessen lassen!« lächelte er, freudig hoffend. 139

»So empfehle ich mich Ihnen als – Schreiber, Sie können vermuthlich einen brauchen.«

Schnepselmann stand versteinert! Als er sich erholt hatte, sendete er einen grimmigen Blick auf den seltsamen Kunden, strich sich durch die Hare, und in zwei Minuten hatte er ihn abgethan – immerhin zum Verwundern mehr höflich als grob.

Einigemale langbeiniges Auf- und Abgehen – Wagenrasseln – Sprung zum Schreibtisch – bedeutendes Herzklopfen – Geklingel – eine Dame!

Das wird doch ein Geschäft geben? dachte er triumfirend und verbeugte sich, beglückt, vor der Kommenden bis auf den Boden.

Die Dame war hager, lang gedehnt, fein an Kleidung, unfein an der runzeligen Haut, und hielt stets ein Riechfläschchen vor der mächtigen Geiernase.

»Herr Schnepselmann?« näselte sie schmachtend.

»Unterthänigst aufzuwarten!« mit nochmaliger devotester Verbeugung.

»Sie kennen vielleicht meinen Namen, Regierungsräthin Süßemilch . . .«

»Hochbeglückt . . .«

»Ausschußdame des weiblichen Tugendbundes . . .«

»Wonnevoll zu hören!«

»Vorsteherin der wöchentlichen Andachtsübungen für Jungfrauen und Frauen.«

»Unaussprechlich erfreut!«

»Sie haben Annoncen in die Zeitungen drucken lassen . . .«

»Schmeichelhafte Aufmerksamkeit!«

»Sie melden von einem Heirathsbureau . . .«

»Kann ich dienen?« 140

»Mir nicht; aber . . . .«

»Dem Fräulein Tochter?«

Ein, das Schnepselmann'sche Nichts durchborender Blick – sehr starkes Riechen.

»Fräulein Schwester, Schwester! wollte ich sagen,« korrigirte der psichologische Agent rasch.

»Auch das nicht. – Ich wollte Sie bitten . . .«

»Befehlen Sie!«

»Vom moralischen Standpunkte aus . . .«

»Stets moralisch, moralisch vor Allem!«

»Ihr Heirathsbureau aufzugeben!«

Schnepselmann war vernichtet! Er starrte ihr ins Gesicht, forschend, ob er recht gehört und fand noch keine Worte. – Die Dame fuhr fort:

»Sie müssen einsehen, daß weder der Tugendbund, noch der Andachtsverein diese öffentlichen Anbietungen der zartesten weiblichen Gefühle, gleichgültig übersehen kann. Wir sind von religiösen, moralischen, kirchlichen und sittlichen Grundsätzen ausgehend, in einer unserer letzten Sitzungen übereingekommen, dieses öffentliche Treiben zu mißbilligen, ihm entgegenzuarbeiten, vorläufig unseren sittlichen, moralischen Einfluß aufbietend, bis vielleicht ein gütiger Landesvater unser sittlich-frommes Streben durch Gesetze unterstützen wird. Darum komme ich auch, Sie zu bitten . . .«

Schnepselmann, im Innern sehr wenig erbaut und erfreut, versicherte vorläufig sein außerordentliches Vergnügen, die Dame kennen gelernt zu haben; dann versicherte er seine eigene Morali- und Religiosität, die zarteste Gewissenhaftigkeit, die er in diesem Punkte besitze, daß seine Seele rein sei wie ein frisch gewaschenes Taschentuch, daß aber trotzdem die Worte der sittlich-religiösen Dame auf keinen bessern 141 Boden gefallen sein konnten, als auf den seines frommen moralischen Herzens. Er werde daher gedachte Worte zu überlegen anfangen und hoffe bald zu dem von ihr gewünschten Ziele zu kommen. Dann werde er ihr es melden und unverzüglich die Aufwartung zu machen die Ehre haben!«

Hiermit komplimentirte er sie hinaus. Die Dame war sehr zufrieden, roch mit der langen Nase sehr stark am Riechfläschchen, und Schnepselmann begleitete sie zum Wagentritte, Blicke ringsumwerfend, als wollte er sagen: Welt, siehst du meine Kunden in Equipagen? staune, komme!

Er schlug endlich die Wagenthüre zu und murmelte: »fahr zum . . . . .!«

»Sonderbares Pech, sonderbares Pech!« murmelte er und schritt wieder, harrend auf die Folgen der Zeitungsreklamen, im Bureau auf und nieder.

Klingeln – ein dicker Herr.

Schnepselmann sah, scheinbar aus den überwältigenden Arbeiten, auf und den Eintretenden an.

»Herr Schnepselmann?« fragte der Dicke barsch, sich den Schweiß von der umfangreichen Stirne wischend.

»Nun, dieser ist grob,« dachte Schnepselmann mit neu auftauchenden Hoffnungen; »der bringt also Einkünfte.« Er verbeugte sich.

»Herr Schnepselmann selbst?« im selben barschen Tone.

»Ganz zu Diensten!«

»Sie verkaufen echtes Kölnerwasser von Farina in Köln?«

»Das ist ein Geschäft!« triumfirte Schnepselmann im Innern und setzte laut hinzu: »In Kisten und Flaschen; hier kann ich Ihnen gleich mit einer Originalkiste dienen.« Er 142 eilte in einen Winkel und holte sie, griff eine Flasche heraus und hielt sie dem Besucher vor die Augen.

»Ist dies das wahre, echte Kölnerwasser?«

»Ganz das echte; kein zweites; nirgends sonst zu haben!«

»Das ist eine unverschämte Lüge!« donnerte der Dicke heraus. »Ich bin der einzige, echte Verkäufer und habe einzig und allein das wahre Kölnerwasser! Wenn Sie sich noch einmal unterstehen, Ihre unverschämte Lüge in die Zeitung zu setzen, dann werde ich in einer Annonce kurios antworten! Dann antworten Sie; dann werde ich wieder antworten; dann werde ich sehen, wer's länger aushält – ich oder Sie!« Dabei klopfte er auf die Taschen. »An Tausend liegt mir gar nichts, und ich warne Sie! Morgen kommt schon eine Entgegnung auf Ihre Lüge in die Zeitungen. Ich sage es Ihnen voraus, sparen Sie Ihr Geld. Und wenn ich meine letzten Heller hergeben muß, und da ists noch lange hin« – dabei klopfte er auf die vollgefüllten Taschen, »ich werde, ich muß das letzte Wort behalten!«

»Herr!« brauste Schnepselmann auf und wollte wenigstens für sein Annoncengeld grob sein.

»Werden Sie nicht grob, sonst werde ich noch gröber!« sagte der Dicke fest aber gelassen. »Und wenn's auf's Hinauswerfen ankommt, so wollen wir sehen, wer eher durch die Thüre geht!« Dabei schürzte er seine Aermel und machte die breite Figur nochmal so breit.

Schnepselmann hätte gerne den ganzen Wust seiner Beredsamkeit zu Hülfe gerufen und gegen den Dicken losgelassen. Aber wenn dieser nur noch gröber und stimmlauter geworden wäre! Die ankommenden Herrschaften, die jeden Augenblick zu erwarten waren! – – Zu jeder andern 143 Zeit wäre Schnepselmann ein würdiger Gegner gewesen; aber jetzt stand er hilflos, mit den Händen fechtend, sich durch die Hare fahrend, verwünschte still alle Gewässer von Köln bis Upsdehude, alle Zeitungsannoncen, alle Düfte von Schiras bis zum »Platz« in Köln, wo die Farina's hausen, und ließ ruhig über sich das Gericht, mit »Lügen«, Farina, Annoncen, Betrügereien, Spülwasser« &c. ergehen, das der Herr wie ein mächtiger Strom zu ergießen für gut fand.

Dann klingelte endlich das Glöcklein der Eingangsthüre, ein grimmiger Schlag mit derselben – die Scheiben und die Holzrahmen rasselten und klapperten wie besessen dazu – der grobe dicke Herr war aus Schnepselmann's neueingerichteter Agentur verschwunden.

Der Agent seufzte tief auf und war froh, wenn auch ohne Kunden, doch nur wieder allein zu sein, in der Hoffnung auf solche.

Hierauf kam noch ein Herr, welcher bedauerte, daß er Schnepselmann, mit der Annonce sein, des Redners, berühmtes, ungeheuer verbreitetes Journal übergangen habe, und er empfahl sich ihm dringend zu Weiterem; worauf Schnepselmann den frommen Wunsch neuerdings hegte, den er beim Abschiede der frommen Dame halb ausgesprochen. Dann kam eine Dame, schon eine alte Bekanntschaft, die ihm für einen Thaler Bezahlung für zehn Beschwerden machte und wünschte ihm Glück zu seinen neuen Anstrengungen. Dann fragte ein Herr, der sehr wichtig auftrat, ob die Dingsstraße noch weit von hier, ob rechts oder links sei – und so fort und so fort, eine endlose Reihe von bitteren, wohlbezahlten Enttäuschungen! –

Doch das Glück ist nicht immer so spröde. Es kamen zu Schnepselmann allmälig Herren und Damen, alte und 144 junge, Wittwen und Jungfrauen, Adelige und Plebejer, Schöne und Häßliche, Kranke und Gesunde, Geldbedürftige und Geldbesitzende, Leute aller Sorten, häufiger und zahlreicher als früher in seinen annoncenlosen Tagen.

Da zeigte sich wieder die Größe und Vielseitigkeit eines in den Zeitgeist eingeweihten Genies!

Den Jungen versicherte Schnepselmann, daß die Reize der Jugend etwas Unwiderstehliches hätten und schon an und für sich ein Kapital seien. – Den Alten (Heirathslustigen) schwor er, daß nichts so verächtlich sei als Jugend, Unreife und daß die Erfahrenheit der Aelteren, ihre gewonnene Gelassenheit, Bedachtsamkeit und praktische Lebensklugheit, der einzige wahre Schatz in einem Ehebündnisse seien! – Den Reichen sagte er seine unwiderlegliche Meinung, daß Geld Alles besiege und man sonst nichts brauche, um in jeder Schwierigkeit glänzend durchzukommen. – Den Armen drängte er seine tief innerste Ueberzeugung auf, daß Geld nichts, gar nichts sei und von den Klugen verachtet würde. Die persönlichen Eigenschaften, die Tugend, die unwiderstehliche Anmuth, diese seien das Rechte, Kapital jedoch nur Dunst! – Den Schönen sagte er, Venus habe den Jupiter und den ganzen Himmel für sich gehabt, und die Erde sei noch alle Tage ein Himmel für die Schönen, sie trügen ja das Privilegium ihres Glückes im Aeußern mit sich herum und es könnte auch ihr, der Klientin, keineswegs fehlen! – Den Nichtschönen betheuerte er aus jahrelanger Praxis, daß die Männer nichts so gering schätzen, als ein schönes Gesicht, Schönheit überhaupt, daß der anziehende Reiz, der in Worten, Benehmen, Herz, Gemüth liege, das Innerliche und nicht das Aeußere, jenes Etwas sei, welches die Männer besonders beachten. – 145 Wollte Jemand eine Stellung so oder so, ein Kapital so oder so, immer war Schnepselmann so oder so, immer ließ er die Meinung des eben Anwesenden gelten, und das Resultat war stets: ein Thaler fünf Groschen Einschreibgebühr, so viele Thaler Annoncengeld, und so viele Provision, welches am Ende Niemanden mehr zufriedenstellte, als ihn selbst, und ihn bewog, noch öfter als sonst eifrigst die Hare herumzuwirbeln.

Auch Madame Trullemaier, die Mutter des geistvollen Jünglings, sprach wieder vor und ermahnte den Agenten an die gewichtigen Dienste, die ihm ihr Alexi, mit Aufopferung, gegen ein Spottgeld leiste und an die mannigen Thaler, die ihm schon Einschreibgebühr aus ihrer Tasche zugeflossen. Schnepselmann hieß sie im Eifer bald Madame Trulleberger, bald wieder Madame Trullehofer, dann wieder Trullehuber, dann wieder Trullebauer, was die Dame jederzeit erzürnte und ihm ihren rechten Namen in Erinnerung zu bringen verursachte. Dann fiel ihm ein, daß er sie vielleicht bei Schwach als Haushälterin placiren könnte, und diese Dame hätte ihn beinahe umhalst, legte ihm sofort neue Einschreibgebühren auf den Tisch und raffte sich in ihrem Innern mit erneuten Kräften empor. Dann erzählte Schnepselmann ihr noch fernere Geniestreiche seines oder ihres Alex, und erwähnte namentlich eines denkwürdigen Falles, in dem der talentvolle Jüngling aus seinen, Schnepselmann's, mit großen Kosten gedruckten Annoncen, die er ihm zur Vertheilung übergeben, fliegende Papierdrachen verfertigt und großmüthigst dieses Materiale, zu gleichem Zwecke, unter sämmtliche vorhandene Straßenjungen gratis vertheilt habe. Er gedachte, wie benannter Alexius ferner, in Ermanglung von rasch herbeizuschaffenden Kleisters, sämmtliche Drachen mit 146 Gichtpflaster zusammengeklebt und die rothe Lebensessenz benützt habe, um auf besagte Drachen, Gesichter, Fratzen, seltsame Figuren zu malen, &c.

All dies überraschte die Dame außerordentlichermaßen und veranlaßte sie nun, den »gütigen« Herrn Schnepselmann zu rücksichtsloser Austheilung und Vermehrung der »Katzenköppe«, für Alexi, selbst aufzumuntern. Sie nannte ihren liebenswürdigen Sohn nun sogar selbst einen Blitz-, Hagels-, Teufels-, Schwernoths-Jungen und schied, nicht ohne an der Thüre sich umzuwenden, einen lebhaften Blick auf Schnepselmann, dann sogar ein Schmatzhändchen nach ihm zu werfen, worauf sie, kokett den Kopf schüttelnd, hinter der Thüre verschwand – und die näselnde Glocke ihr lange, lange noch schelmisch nachkicherte. –



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