August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Fünftes Capitel.

Der abgedankte Schwach stößt auf einen Freund, der ihn sehnlichst empfängt – erfährt ganz neue Pflichten gegen die Welt – ein elektrischer Stiefelputzer taucht auf – die Aktiengesellschaft »Wichs mobilier« – das Jahrhundert und die Millionen – der Schluß ist sehr geheimnißvoll.

Als Schwach mit gesenktem Haupte dem Ausgange zur Straße zuschritt – wer prallte mit einem heftigen Stoße, der ihm den Kopf dröhnen machte, an ihm an?

Kein Anderer, als Schnepselmann. Mit einer Hast stürzte dieser aus der Straße, um die Ecke, in den Thorweg, als würde hinter ihm der Grund wie eine Brücke aufgezogen und müßte er sich vor dem Schlunde retten.

Kaum als der unermüdliche Agent das erste »Entschuld . . . !« ausgestoßen hatte, erkannte er auch schon seinen Freund, und er umarmte ihn mit einer Hast und Wärme, die eben nur ihm eigen war.

»Entschuldigen Sie viele tausendmale! Aber es ist ein Glück, daß ich Sie treffe; ich bin entzückt!«

»Ein Glück? Entzückt?« sagte Schwach zweifelnd und überrascht.

»Allerdings! Wie konnten Sie nur in ein Komptoir gehen? Welcher unglückliche Gedanke trieb sie in dieses Haus?«

»Ich begreife nicht . . . .«

»O, Sie edles unschuldiges Opfer einer stillen Vergangenheit! Sie kompromittiren Ihre Stellung, Sie setzen Ihren Ruf in der Welt, Ihren sozialen Rang in den 70 höhern Schichten herab! Sie sind ein Mitglied der Honoratiorenschaft, und auf der vollen Höhe der Bevölkerung harret auf Sie nicht Ein Platz, nein, es harren auf Sie hundert Plätze. Schon das kürzeste fernere Verweilen in diesem Hause bringt Sie in Gefahr. Ich bin eiligst gekommen, um Sie zu retten und herauszuziehen. Glücklicherweise kommen Sie mir entgegen, und Sie sind gerettet!«

»Gerettet!« sagte Schwach, der noch immer dem raschen Gedankengange seines Gesellschafters nicht zu folgen vermochte.

»O lieber Freund!« sagte Schnepselmann wieder mit der frühern, tief ausgeholten, nachdrücklichen Stimme und mit höchst gewichtiger Miene. »Als reicher Erbe, bedienstet in einem Komptoir! Und dann, wissen Sie, welche Verpflichtungen Sie auf sich geladen?«

»Welche?«

»Sie haben ein Trauerfest veranstaltet, Sie haben sich kondoliren lassen; Sie müssen jetzt weitere Kondolenzvisiten entgegennehmen! Sie müssen »empfangen«, Welt empfangen! Und was würde die Welt sagen, wenn sie kömmt und die Thüre vor der Nase verschlossen, sich hinausgesperrt, verachtet, blamirt und beleidigt sähe?«

Das war Schnepselmann's Gewohnheit und Forçe, Alles mit höchster Eifrigkeit zu thun, in vollester Glut zu sehen und mit höchstem Wärmegrade auszudrücken. Er sah dem Zuhörenden bei seinen Worten mit einer solchen ernst forschenden Miene ins Gesicht, als wollte er sagen: »bist Du ein solcher Herkules, um gegen das wirklich zu stehen?« 71

»Ihr Entree in der großen Welt wäre verloren gewesen! Sie wären dem Gerede anheimgefallen, »perdu!« wie man in der »Gesellschaft« sagt. Nun denn,« fuhr Schnepselmann fort, »aus dieser Bedrängniß und Gefahr wollte ich Sie ziehen! Doch da sind Sie!« – Nach einer kleinen Pause fragte er mit einem schlauen, zufriedenen Zwinkern: »Abgedankt?«

»Abgedankt,« erwiederte Herkules; obwol dies nicht die Art des Abschiedes näher bezeichnete.

»Sehr gut, sehr gut, das ist recht! Sie gehören jetzt total in die große Welt! Und kommen Sie eiligst, denn eine Last von Geschäften und Rücksichten liegt jetzt auf Ihren Schultern! Sie gehören nicht mehr sich, sondern der Welt an!« Dabei schob er nolens volens seinen Arm durch den des geretteten Freundes und führte ihn, gut oder übel, geradewegs wieder nach der Wohnung zurück.

Als sie sich nun Beide wieder in den alten Räumen befanden, stellte Schnepselmann sofort zwei Stühle an den Tisch zurecht, als wäre er in seinem eigenen Hause. Die Zuckerbüchse nebst Wasser und Trinkgläsern standen noch, zufällig vom Frühstücke dort geblieben, auf dem Tische.

Schnepselmann rührte sofort zwei Gläser Zuckerwasser an, setzte sich und lud Herkules ebenfalls zum Sitzen, mit einer Miene ein, als wollte er ihm sagen: geniren Sie sich nicht, thun Sie wie zu Hause, denn ich habe jetzt Wichtiges mit Ihnen zu verhandeln!

Als Schwach ihm nun, bereits erwartend gegenübersaß, legte Schnepselmann den Kopf rückwärts über die Lehne und sah ihn einen Augenblick fest an. Dann warf er rasch den Kopf vor, streckte die Finger der Linken gerade vor sich, 72 legte den Zeigefinger der Rechten quer darüber, als begänne er nun zu rechnen und zu kalkuliren.

»60,000!« rief er plötzlich, wie wenn ungeahnt ein Champagnerstöpsel losfliegt. »Drei Prozent davon machen 1,800 jährlich – vier Prozent machen 2,400 – fünf Prozent machen 3,000 – das ist das Maximum mehr können Sie nicht bekommen, und schon das ist ungeheuer wenn Sie es bekommen von sicherem Orte! – 3,000, was ist das für einen Mann, der Welt genießen will, viel Welt, große Welt! und von dem die große Welt fordert, daß er sich sehen lasse, daß er zeige, wer er sei, daß er ihrer würdig sei!?«

Schwach wollte eben einwerfen, daß er noch immerhin gar nicht an die große Welt denke.

»Sagen Sie mir nicht,« fiel jedoch Schnepselmann sofort, errathend ein, »ich will ruhig leben, ich bin zufrieden, ich brauche keine große Welt. – Das geht nicht, geht nicht! – hol mich der Guckuk wenn es geht!« rief er in heftigem Tone und schlug auf den Tisch, daß die Gläser klirrten und das Löffelchen tinkelnd auf den Boden fiel. Herkules hätte unbedingt sein Staunen über diesen Ausruf geäußert, wenn ihn nicht schnell das Löffelchen mit Höflichkeitsrücksichten beschäftigt hätte.

Auch Schnepselmann bückte sich sofort, zog aber das Tischtuch nach, das Glas kam an die Kante, überneigte sich, und das Zuckerwasser rieselte auf seinen Rücken los. Zur Verstärkung des Wasserfalles kam das Glas selbst nach, endlich auf den Boden unbeschädigt hinrollend.

»Thut nichts, thut nichts!« erwiderte Schnepselmann dem bedauernden Herkules sofort, trocknete sich rasch, den Vorfall als nichtig bezeichnend, und drängte Schwach, wie 73 sich selbst, eiligst wieder in das vorige Gegenüber. Hierauf bereitete er abermals schleunigst Zuckerwasser, schob jedoch in der Verwirrung bald das Glas in die Zuckerbüchse, bald wollte er Wasser in diese hineingießen, bald die Flasche statt des Glases zum Kosten an den Mund führen, und so fort.

»Spekulation!« rief er endlich in der Champagnerstöpselmanier, nach einer kleinen Pause, »Spekulation, das ist das Wahre! Da schlagen Sie acht, zehn, zwanzig, dreißig, hundert, tausend Prozent heraus! – Zu acht Prozent ist das 4,800, zu zehn 6,000, zu zwanzig 12,000, zu dreißig 18,000, zu hundert 60,000 und zu tausend: Sechsmalhunderttausend jährlich!« – Das sagte er mit einer Rapidität, als wäre er eine lebendige Rechenmaschine, und er fuhr sich bei den Hunderttausenden so triumfirend durch die Hare, als läge die benannte Summe schon in barer, klingender Münze auf dem Tische.

»Erwidern Sie mir nicht, ich brauche keine Hunderttausend. Sie brauchen sie, Sie werden sie schon brauchen können! – Aber wie bekommen? Ah, nun das kann nicht Jeder. Aber – aber – da ist der Mann – da ist er!« Er klopfte sich auf die Rippen, daß sie einen dumpfen, schauerlichen Ton von sich gaben.

»Hätte ich von jeher Geld zu meinen Spekulationen gehabt; wie Sie mich hier sehen, wäre ich, anstatt hier zu sitzen, längst bei Rothschild gewesen und hätte ihm einfach gesagt: Herr, wollen Sie sich mit mir associren? Oder ich werde gegen Sie arbeiten, fürchten Sie mich! – Und wahrhaftig, er hätte mich gefürchtet! Ich wäre der Schrecken aller Banken, Bankierhäuser und Unternehmungen geworden; ohne mich kein europäischer Geldmarkt! Und selbst der überseeische Telegraf hätte Nachrichten von mir in die gespannt 74 harrenden Häuser jenseits des Oceans getragen. Aber nur der Anfang, der Anfang fehlte mir! – Das Genie und die Mittel treffen sich nicht immer!« –

»Nun,« fuhr er fort, »es gibt unter allen Geschäften nichts Besseres, Einträglicheres auf der Welt (und ich habe über die einträglichen Geschäfte reiflich nachgedacht), als sich mit Regierungen einzulassen. Hier liegt der wahre goldene Hase im Pfeffer! Hier ist Kalifornien auf jedem Trottoir! – Sie wissen von Rothschild in Deutschland, von Fould in Frankreich, von Stieglitz in Rußland, von Baring in England; ihre Gelder sind sämmtlich Regierungsgelder! – Das ist nun mein Augenmerk! Ich habe mich gefragt, soll ich die Schneeausfuhr von ganz Europa pachten? – Seltsamkeit der Gedanken gibt in unserem Jahrhundert kein Recht zum Staunen, das Seltsame muß das Alltägliche werden, das ist der Fortschritt! Also centralisirte europäische Schneeausfuhr? Gewinnreich, aber zu ausgebreitet! – Soll ich der Regierung von England, die doch Fenster und Rauchfänge besteuert, vorschlagen, sämmtliche Dachrinnen mir für eine Pacht und dann ebenso die Steuereintreibung zu überlassen? Es müßten an sämmtlichen Abzugsrinnen, nach Art der Gasometer, Hydrometer angebracht und die durchrinnenden Eimer Regenwasser mit so und so viel besteuert werden. – Aber das Parlament ist verdammt langweilig, und ehe die Regenwasser-Bill durchgeht, bin ich außer Kräften, die großartige Unternehmung sorgfältig auszuführen. – Soll ich in Italien, wo Alles wegen der Geldnoth verpachtet wird, die Maccaroni als einen Monopolgegenstand erklären lassen und sie dann ausschließlich, im Namen der Regierung, fürs ganze Land fabriziren? Das wäre ungeheuer gewinnbringend! Aber diese italienischen Politiker 75 sind sonderbar hitziger Natur, und meine Maccaroni wären bei der geringsten Friedensstörung in Gefahr. – Sagen Sie nicht, das sind kleinliche Gegenstände! Gerade in diesen Kleinigkeiten liegt die Größe, und sehen Sie alle Monopol- und Generalpachtgegenstände an – wie unbedeutend scheinen sie an und für sich und welche große Summen werden mit ihnen gewonnen! – Aber jetzt bin ich endlich auf den rechten Gegenstand gekommen. – Sie haben nie von einem Mechaniker Bretzel, Albrecht Bretzel gehört? – Natürlich nicht, denn der Mann lebt, wie jedes große Genie, Anfangs unbekannt, wird sich aber in kurzer Zeit zu ungeahnter Höhe auf den Gipfelpunkt des Jahrhunderts und der Menschheit emporschwingen. – Der Mann hat etwas Großes, Weltbedeutendes erfunden! – Was glauben Sie?«

Herkules schüttelte den Kopf, als wolle er sagen, er könne es nicht errathen.

»Gut, um es Ihnen nicht lange vorzuenthalten, der Mann hat einen – Stiefelputzer, einen« und hier erhob Schnepselmann die Stimme zu dem feierlichsten, bedeutungsvollsten Tone, »einen elektrischen Stiefelputzer erfunden!« –

Nach einer kurzen Pause der Erholung und berechneter Wirksamkeit fuhr er fort: »Lächeln sie nicht. Amerika, das Dampfmühlen, Dampfhobel, Dresch- und Säge- und Mäh- und Sä- und Nähmaschinen besitzt, entbehrt bis heute einen Dampfstiefelputzer, vielmehr noch einen elektrischen Stiefelputzer, welcher, nationalökonomisch, Zeit, Kosten, Leder und Schusterersparnisse erzielt, die, jährlich auf die Masse gerechnet, erstaunliche Millionen betragen! Die Nationalökonomie ist heute die Hauptwissenschaft und muß mit den 76 häuslichen Fliegentüpfelchen, wie mit den großartigsten Erfindungen, stets, also auch hier in Verbindung gebracht werden! – Sie kennen die elektrischen Uhren, die alle zusammen von einem Hauptleitungspunkte aus dirigirt werden und alle übereinstimmen. Nach diesem Sisteme ist der elektrische Stiefelputzer konstruirt. In jede Straße, in jedes Haus, in jedes Stockwerk wird er geleitet, vor jeder Wohnung oder innerhalb derselben wird der Elektromagnetismus angebracht und auf einen Druck werden Schuhe und Stiefel geputzt, gleichgültig ob sie aus Juchten-, Kalb-, Kuh-, Hirsch-, oder sonstigem Leder sind, von Damen oder Herren herrühren, höheren oder niederen Ranges. – Sie wissen ferner, daß eine Anzahl Männer und Weiber dieser Stadt ausschließlich von jenem Stiefelberufe lebt; das ist schon der höchst nationalökonomische Beweis, daß die Koncentrirung ihrer Einkünfte auf einen einzelnen Punkt, mit außerordentlicher Verringerung der Kosten, einen außerordentlichen Gewinn abwerfen müßte; denn der elektromagnetische Stiefelputzer ißt nichts und trinkt nichts, und seine Erhaltungskosten sind noch unendlich wohlfeiler als Dampf. – Nun wissen Sie aber auch ferner, daß unsere Regierung Geld braucht und in der jetzigen Lage der Dinge eifrig umschaut, wie und woher sie Geld, oder Mittel erhält, Geld herauszuschlagen, sei es durch Verpachtung, Monopole, Auflagen, Bankförderungen und Privilegien. Wir also treten in diesem Momente auf, wir erklären den Geldmarkt als unser, wir gründen eine großartige Gesellschaft, wir stiften den ›Wichs mobilier!‹ so heißt das neue privilegirte Institut aus Aktien und in Beziehungen mit der Regierung. Der elektromagnetische Stiefelputzer oder Wichs mobilier! ist neu, höchst vernünftig, gerecht; denn Niemand ist gezwungen, sich putzen 77 zu lassen; es steht Jedem frei, gewichst oder ungewichst zu gehen, so gut wie zu rauchen oder zu schnupfen, oder Bier zu trinken, welche Dinge doch alle in der Welt besteuert sind! – Also schließlich« und hier erfaßte er Herkules am Arme, drückte ihn freudig und freundlich und erhob die Stimme zu einem Schwunge, »stellen wir der Regierung den nationalökonomischen Antrag, monopolisiren wir den elektrischen Stiefelputzer, machen wir uns zu Direktoren, Verwaltungsräthen mit unerhörter Tantieme, Orden, Titeln u. s. w., bringen wir Albrecht Bretzel zu Ehren und uns zu kolossaler Erhabenheit!«

Herkules sah sehr bedenklich vor sich hin und schien noch nicht den elektrischen Stiefelputzer zu Herzen genommen zu haben.

»O, ich weiß, was Sie mir sagen wollen,« hob Schnepselmann nach kurzer Pause wieder an; »Ihr Stiefelputzer ist ein Fantom, ein Hirngespinnst! Ja es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie sogar gelacht hätten. – Daß Sie es nicht thaten, zeigt mir um so mehr, daß Sie der Mann sind, in dem ich mich nicht getäuscht und der des vollkommensten Vertrauens, das ich in ihn gesetzt, würdig ist!« Hier fuhr sich der Redner großartig bewußt durch die Hare und spießte sie wieder nach anderen Richtungen, als die, in denen sie erst kurze Zeit gestanden hatten. »Erging es den größten Genies anders, als entmuthigt, verlacht, verspottet, abgewiesen zu werden? Salomon de Caus, der Entdecker des Dampfes starb im Kerker und Narrenhause. Der Erfinder der Dampfschiffe, Fulton, ward ausgelacht und hatte Noth, seine Erfindung sammt Privilegien um ein Bettelgeld zu verkaufen. Die Regierungen wollten Anfangs von Watt's Lokomotive und 78 Eisenbahnen nichts wissen und überließen sie gerne den Narren, die daran ihr Geld verlieren wollten. Den Gasgesellschaften und Gasprojektanten ging es ebenfalls nicht anders. Glauben Sie mir, der elektrische Stiefelputzer steht ganz in der Reihe, und mag er verkümmern zu meinen und Ihren Lebzeiten – was ich nicht hoffe – die Nachwelt wird staunend und beschämt den Namen Bretzel nennen und ihn bewundern und bemitleiden!«

»Wie denn nicht?« fuhr der seinem Jahrhundert vorauseilende Agent fort. »Rechnen Sie für jeden Mann täglich ein Par Stiefel, oder Schuhe, für Kinder und Frauen nur ein Par auf drei Individuen; denn hier ist der Abgang an Zeug- und Tuchfußbekleidung und jener in den Windeln zu veranschlagen. Rechnen Sie durch ganz Deutschland (denn ich hoffe, wenn nur einmal Eine Regierung meinen Stiefelputzer angenommen, wird sofort der gesammte deutsche Bund einzustimmen nicht anstehen), rechnen Sie durch ganz Deutschland 40 Millionen Bewohner, von diesen 40 Millionen sollen 10 nicht das Bedürfniß fühlen, ihre Stiefel geglänzt zu erhalten, so bleiben noch 30; von diesen 30 die Hälfte für Weiber und Kinder ab, macht das 15; also täglich männliche Stiefelpaare 15, und weibliches und kindliches Schuhwerk, als Drittel, 5 Millionen, zusammen 20 Millionen Par täglich! – Das Par nur zu einem Pfennig gerechnet, das macht 20 Millionen Pfennige, oder zwei Millionen Neugroschen, oder 66,666 Thaler Courant, oder 99,999 Gulden österreichischer Währung täglich, also das heißt: jährlich 23 Millionen, 2malhundert 22 tausend und 90 Thaler, oder 34 Millionen, 8malhundert 33 tausend und 135 Gulden österreichischer Währung!« 79

Mit dieser unendlichen Summe, die er mit erhobener Stimme vortrug und so geläufig, daß man entnehmen mußte, er habe sie für sich selbst schon berechnet, glaubte er eine erschütternde Wirkung auf den noch Verstockten hervorgebracht zu haben und lehnte sich mit einer triumfirenden Miene nach dem Sessel zurück.

»Was sagen Sie nun? – Sie sind überrascht! – Das ist aber noch Nichts! Nun rechnen Sie den Karneval. wo Millionen Ballschuhe mehr verbraucht werden, nun rechnen Sie die höhere Welt, die das ganze Jahr einen Mehrbedarf konsumirt, und das allein deckt schon die Kosten. – Nun rechnen Sie aber anfänglich zehn Millionen Kosten; zehn Millionen zahlen wir mittelst Aktien sofort Monopolpacht, um die Regierungen zu locken und zu blenden, die keineswegs mit der Annahme zögern, sondern eilen werden; so bleiben uns noch immer 3 Millionen jährlich, den obigen Ueberschuß nicht mitgerechnet. Wir machen aber sofort einen Kontrakt auf mindestens 40 Jahre; während 40 Jahren steigt die Bevölkerung mindestens um ein Drittel, wenn nicht Viertel, sagen wir aber nur ein Dritttheil, so fällt noch ein Drittel der ganzen Konsumtion uns zum Gewinne und zu unseren reinen Millionen. Abgesehen davon, daß sich jährlich die Herstellungskosten vermindern und wenn wir auch die Pfennige noch herabsetzen, doch immer unsere Millionen Profit sich erhöhen! – Was sagen Sie nun? Dem »Wichs mobilier« gehört die Welt! Der Wichs mobilier ist der Ausdruck und die Repräsentanz des Jahrhunderts! – Geben Sie nicht sofort das Kapital für Aktiendruck, Cirkulare, Kundmachungen, Reklamen, Journal-Leitartikel, Einladungen, Rundschreiben – was sagen Sie nun?« 80

Herkules schüttelte gelassen den Kopf, als wolle er ausdrücken, die Sache scheine ihm noch nicht ganz so klar. Als Schnepselmann hierauf von Neuem statistische Tabellen zu entwerfen und neue erstaunliche, nationalökonomische Beweisgründe vorzubringen im Begriffe war, berührte ihm Herkules leicht den Arm und sagte mit wolwollender Rücksicht: »Lassen wir das. Ich bin jetzt noch zu erschöpft, zu verwirrt, um Alles ruhig zu überdenken, und Sie sind augenblicklich sehr sanguinisch. Reden Sie gelegentlich wieder, wenn die Zeit besser geeignet ist. – Jetzt habe ich Ihnen zu danken, Herr Schnepselmann, für Ihre unendliche Güte und Thätigkeit in meinen Angelegenheiten. Wie hätte sich mein Schicksal gestaltet, wenn nicht ein Zufall Sie mir so erwünscht herbeigeführt hätte? Wenn ich immerhin sagen würde, ich wäre nicht der Unglücklichste geworden, so wäre meine Gegenwart doch nicht so gestaltet gewesen wie jetzt, und Ihrer Güte, Ihrer Einsicht und Eifrigkeit danke ich so viel!« Dabei schüttelte er dem Agenten die Hand.

Schnepselmann erwiderte diesen Händedruck mit doppeltem Eifer und wehrte bescheiden, aber trotzdem selbstbewußt, die Lobsprüche ab. »Menschenfreundlichkeit, Menschenfreundlichkeit!« rief er endlich und fuhr sich wieder durch die Hare; »das ist die Hauptsache! Das Herz, das Herz,« hier schüttelte er seine Weste vorne, als sollte der benannte Gegenstand sofort aus ihr hervorrutschen, »das ist die Hauptsache! – Und gut, daß Sie auf den Gegenstand zu sprechen kommen; ich habe ohnehin mit Ihnen in dieser Beziehung Wichtiges zu verhandeln.«

Hier stellte er sich, da er aufgestanden war, wieder vor Herkules hin, spreizte die Beine auseinander, daß die Frackspitze zwischen denselben herabhing, wie die Richtschnur bei dem 81 Triangel der Maurer und Zimmerleute, legte einen Augenblick den Finger an die Nase, strich dann mit der Hand abermals durch die Hare und brachte den Zeigefinger rasch wieder an die Spitze des Riechwerkzeuges.

»Sie haben mir das Hinscheiden der höchstseligen, liebenswürdigen Dame genau erzählt. Ich war gerührt, sehr gerührt! Aber trotz aller Rührung, trotzdem mein Herz äußerst bewegt war, konnte der Schleier der Rührung doch meinen Geist nicht verhüllen; und es gibt Dinge, die mir einer besonderen Erörterung äußerst, ich sage äußerst werth scheinen! – Haben Sie über gar nichts Auffallendes nachgedacht, gar nichts?« – Und hier drückte er forschend ein Auge zu und den Finger sehr fest an die Nase.

»Allerdings war mir die Sparsamkeit . . . .«

»Oh, das ist es nicht,« fiel rasch Schnepselmann ein; »das ist oft dagewesen; aber etwas Anderes, ganz Anderes!«

»Nun, denken Sie nicht viel nach,« setzte er nach kurzer Weile fort, »ich bin gerne bereit, Ihnen rasch aus der Verlegenheit zu helfen. Erinnern Sie sich der Worte, der Worte,« und hier hob er die Stimme, »du warst nicht – Sie entschuldigen, daß ich Sie mit Du anspreche, geehrter Freund; aber Citat, Citat! – Du warst nicht – mein Vetter – mein Mann – mein Bruder – mein Großvater – oder Urgroßvater – oder Enkel – oder Vetter – oder Schwager – oder Sohn!« – Und jedes dieser Worte betonte er nachdrücklich; das letzte »Sohn« aber schnellte er zudem noch in die Höhe, wie ein Virtuose den letzten Geigenstrich, überzeugt, Staunen oder Beifall müsse folgen.

»Allerdings!« erwiderte Herkules gelassen.

»Nun?« sagte der Virtuose mit einem fragenden Tone. der die Enttäuschung nicht verbergen konnte. 82

»Die Selige wollte wahrscheinlich sagen. Du warst mir nicht nur dies allein, sondern noch mehr, Alles zusammen, meine ganze Welt. Sie wissen, die Gute liebte mich so sehr!«

»Oh! oh! Selbsttäuschung mein Lieber, Selbsttäuschung! – Nicht etwa daß ich mir erlauben würde, im Punkte der Liebe etwas zu bezweifeln; aber Freund,« hier legte er ihm eine Hand gewichtig auf die Schulter und sagte in schauerlich gemessenem Tone: »hier liegt ein Geheimniß verborgen!«

Einen Augenblick wartete er und beobachtete den Eindruck auf Herkules, welcher sichtlich überrascht war.

»Ein Geheimniß sage ich!« Derselbe schauerliche Ton. – »Denn daß Sie nicht der Großvater gewesen, ist keineswegs auffallend, oder der Vater, oder der Schwager, oder vielleicht auch Mann; – aber der Sohn, der Sohn – Freund hier steckt ein Geheimniß!«

»Ein Geheimniß?« erwiderte Herkules erstaunt.

»Ein Geheimniß,« echote Schnepselmann dumpf. »Nicht der geringste Zweifel: ein Geheimniß! – Ich würde mich von einem gewöhnlichen, oberflächlichen Anscheine nicht verführen lassen; Schnepselmann ist nicht der Mann dazu! – Aber nach der geheimnißvollen Art, mit welcher die Dame – ich sage nicht Mutter – bemerken Sie! – – also vorläufig die Dame, ihr Vermögen verbarg, ja die Kenntniß desselben ausschließlich behielt, ist es nicht auch möglich, wahrscheinlich, gewiß,« rief er triumfirend aus, als er den gemachten Eindruck bemerkte, »ja gewiß, daß sie auch noch die Kenntniß anderer Dinge verheimlichte? – Was hätte sie bewogen, ihrem einzigen näheren Verwandten, ihrem einzigen geliebten Sohne, ihre Vermögensumstände zu 83 verheimlichen, ihn nicht jahrelang auf seine Zukunft vorzubereiten und derselben sicher zu machen? – Hier ist ein Geheimniß, muß ein Geheimniß sein! – Wer weiß, wer die Dame war, in welchen Verhältnissen sie zu Ihnen stand, welche Schicksale Sie Beide zusammengebracht? – Sie kennen die Geschichte von Kaspar Hauser, dem muthmaßlichen Thronerben von Baden, Sie kennen jene des Mannes mit der eisernen Maske und viele ähnliche; – wissen Sie denn, wer Sie eigentlich sind?«

»Ich dächte: Herkules Schwach, der Sohn meiner Mutter.«

»Sie dächten; aber wissen, wissen! Der Sohn Ihrer Mutter sind Sie allerdings; aber ob Sie der Sohn jener Frau sind, die Sie Mutter nannten, das wissen Sie nicht!« Und hier schwang sich Schnepselmann's Zeigefinger in der Luft hin und her, wie ein Pumpenschwengel, der noch im Begriffe ist, seinen Schwerpunkt zu suchen. – »Wer weiß, wer Sie sind? Ein verheimlichter Graf, Fürst, Prinz! Ein verhinderter Güter-, Thron- und Kronerbe! Ein unterdrückter Majoratsherr, ein verheimlichter Nachkomme, ein verborgener Ast eines großen Stammbaumes, kurz – der Träger eines Geheimnisses!«

»Eines Geheimnisses,« wiederholte Schwach tonlos und schlang schmerzlich die Hände in einander.

»Eines Geheimnisses!« repetirte der Agent. »Eines Geheimnisses der Geburt, des Stammes, Herkommens, Rechtes, Vermögens, natürlich wahren Vermögens; und wir müssen Klarheit darüber haben, wir werden uns Klarheit darüber verschaffen, Licht und Aufklärung, – Schnepselmann ist der Mann dazu, verlassen Sie sich auf Schnepselmann!« 84



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