August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Erstes Capitel.

Ohne welches die Geschichte gar nicht sein kann, da sie einmal beginnen muß. Es wird darin zuvörderst die Ruhe und Eintracht in Deutschland hergestellt – worauf der Wind blaset – und wir einen Herrn kennen lernen, der mit einem merkwürdigen Fenster, Herrn und Pudel Bekanntschaft macht.

Aachen, Annaberg, Augsburg, Bonn, Buxtehude, Berlin, Cöln, Cöthen, Chemnitz, Düsseldorf, Dresden, Dennewitz, Erfurt, Eimbeck, Elberfeld, Frankfurt, Froschdorf, Freiburg, Gotha, Grimma, Gablitz, Hamburg, Hannover, Hotzenplotz, Jena, Jütterbock, Ingelheim, Katzenelbogen, Krumau, Königsberg, Lübeck, Lippe, Lochwitz, Magdeburg, Möhringen, München, Neustrelitz, Nauheim, Nördlingen, Oppeln, Offenbach, Oderberg, Priestewitz, Prag, Pegau, Quedlinburg, Querfurt, Quiram, Rosenau, Rüdesheim, Rudolstadt, Seligendorf, Stuttgart, Schwerin, Tetschen, Trendelburg, Treuenbriezen, Ulm, Uichtritz, Upstehnde, Vaduz, Vechelde, Vöcklabruck, Weimar, Wien, Wolfenbüttel, Xanten, Ysenburg, Yps, Yach, Zerbst, Zwickau und Zweibrücken.

»Was soll das heißen?«

Ruhe und Eintracht in Deutschland! – Wenn der Verfasser etwa beginnen würde: »Es war eines schönen Morgens in Berlin . . . .« holla! was das für ein Nasenrümpfen, für ein Verächtlichblicken in Wien, Stuttgart, München und anderweits gäbe! – Sämmtliche 2 Einwohner und Kritiker benannter Städte würden sich tief überzeugt halten, die Geschichte bewege sich außerhalb dem Centralpunkte des Geistes, des wirklichen und wahren Deutschthumes, des Wissens, der Kunst, Tuchschererei, Romantik, Rübenzuckerfabrikation, Zeitgeistigkeit &c.

Würde der Verfasser aber einen noch weit geistreichern Schwung nehmen, und begänne mit dem unerhört genialen Gedanken: »Die Straßen von München waren . . . .« Unbedingt könnte jeder lebende Deutsche Berlins, Bautzens &c. das für eine persönliche Beleidigung halten, indem er gleichsam als außer dem Mittelpunkte stehend, um den sich die ganze Welt, das ganze Jahrhundert dreht, betrachtet würde – was aber durchaus nicht der Fall ist!

»Der Himmel lachte (gelegentlich »sah unfreundlich«) hernieder auf Wien und seine Häuser« . . . . wäre freilich ein Anfang, der in reizender, noch nicht dagewesener Neuheit und Genialitätssprühung eine unendliche Anziehungskraft für den Erzähler besäße. – Aber Einigkeit, Friede und Eintracht in Deutschland! Es ist bestens, da oben stehe ein Verzeichniß, und da bleibt es jedem Deutschen unbenommen, sich das Seine nach Belieben herauszusuchen. Es ist hiebei nur zu bemerken, daß die fehlenden Namen keineswegs mißachtet, sondern nur in der Berücksichtigung vorläufig ausgelassen sind, daß sich der Verleger, bei größerer Verbreitung des Werkes, in Zukunft bewogen fühlen dürfte, ein geographisches Lexikon und Verzeichniß aller Ortsnamen gratis, als Supplement, beizugeben.

Nachdem also der Friede, die Eintracht und Ruhe in Deutschland hiedurch gesichert, und wir über die Stadt der Erzählung durchaus nicht mehr in Zweifel sind, – so bleibt uns nur übrig, die Straße der besagten Stadt zu nennen, 3 in der die erste Szene der wahrheitsgetreuen Erzählung (es wird keineswegs an Leuten fehlen, die sie um fünf Groschen zu beschwören bereit wären) vorging.

Ganz recht – es war dieselbe Straße, die Sie eben nannten! – Es kann auch keine andere sein und ist hierin gar kein Irrthum möglich! – Durch diese besagte Straße heulte der Wind. Er that dies, weil sie ihn mit ihren hohen, giebelgezackten, alten, schiefäugigen und schiefmäuligen Häusern (denn jedes Haus hat eine Fisiognomie und für jeden sorgfältigen Beobachter seine Nase und sogar seine Ohren) einzuzwängen und so recht um die Ecke zu drängen suchte, wobei die Häuser in der Dämmerung wahrhaft grimmige Gesichter nach ihm schnitten.

Die Straße war einsam, verlassen; kein lauter Markt der Leidenschaften, die aus Baumwollballen, Kallikoresten, Beinknöpfen, Packfong-Löffeln &c. entsteigen, durchtobte sie. Sie war bloß ein Asil für stille Handwerker, hungerige Kostgänger, geldbedürftige Actuare, pensionirte Witwen, Dienstboten, die zeitweise mit den Pantoffeln über ihren Kieselsand schlurrten, und Herren mit großen Dosen, dunklen Sacktüchern und einer unaussprechlichen Art von Fräcken, die stets den Hang besitzen bedeutend länger zu sein, als sie je ihrem Berufe nach, vom Anfang bis zu Ende, nothwendig wären.

Hätte der Wind nicht gar so grimmig den schiefmäuligen Häusern seine derbe Meinung gesagt, man hätte den obwol sanften, aber raschen Schritt des langbeinigen Herrn widerhallen hören müssen, der eben um die Ecke biegend, sie zu durchschreiten begann. – Ob der Wind gleichzeitig ein Feind der Hutfabrik war, von der jener Herr seine Kopfbedeckung geliefert bekam, oder ob ihm dessen Nase, 4 allerdings beträchtlicher Größe, nicht gefiel, oder sonst derlei, ist nicht mit Sicherheit festzustellen; genug, der Wind belästigte den Herrn mit der Zumuthung, den Hut einen andern Weg gehen als die Nase und diese Nase auf dem Wege sich von allerlei anfliegenden Holzstückchen und Strohhalmen rastlos begrüßen zu lassen.

Einige Schritte war der lange magere Herr, in einem merkwürdig schwarzen Fracke, vorwärts gekommen, mit einer Raschheit, als wolle er dem Windstoße nacheilen und ihm Grobheiten sagen, als er plötzlich inne hielt und stehen blieb. Dabei drehte er sich auf einem Stiefelabsatze um, sah verwundert die Häuser an, bald nach dem Grunde, bald nach dem Himmel forschend, als vermuthe er den Gedanken zu seinen Füßen liegen, oder oben auf den Wolken sitzen zu sehen, den er so eben verloren, oder dringend bedurfte.

Weder der Straßenstaub, noch die Wolken, schienen jedoch bei dieser Witterung zu freundschaftlichen Mittheilungen aufgelegt zu sein, und so ließ der Gedanke auf sich warten. Der Herr schüttelte den Kopf, legte sogar, bloß mit einer Hand den Hut haltend, den Zeigefinger der andern an die Nasenspitze, mit sich selbst sprechend, und drehte sich immer erstaunt auf dem Flecke herum.

Plötzlich schien der Wind über diesen im Wege stehenden Mann recht rappelköpfisch geworden zu sein, und er langte um die Ecke mit einem so gewaltigen Stoße an, daß der Herr eiligst den Hut sich selbst über das Gesicht schlagen mußte, um denselben nur zu behalten. Zu gleicher Zeit aber faßte der Windstoß ein wankelmüthiges Fenster, das sich in einem oberen Stockwerke, wie der Herr unten, nur seinen Wendepunkt drehte, und schleuderte es so gewaltig aus den Angeln und von der Höhe in die Straße hinab, daß es 5 gerade deren einzigem Besucher auf den Kopf fiel! Glücklicher Weise stürzte es mit dem Glase auf den geretteten Hut, zerschellte daselbst, senkte sich in einem Nu hierauf über den Hut und Hals hinab, auf die Schultern des Herrn, und blieb da mit einer ruhigen Selbstzufriedenheit hängen, als wäre ein längst ersehntes Ziel glücklich erreicht! Hiedurch erhielt der überraschte Träger ein Aussehen, als wäre er sein lebendiges Conterfei, das eben aus dem Rahmen zu steigen beabsichtige.

Wenn Schrecken sich des von oben Gesegneten bemeisterte, so darf sich Niemand wundern. Das wäre bei solcher Berührung und solchem Klingklange noch manchem Andern geschehen. Einen Augenblick riß er also Kinnlade und Augenlider auseinander, starrte in die Höhe und entdeckte gleichzeitig den Ort, woher der sonderbare Ausreißer gekommen war. Lange Ueberlegung schien nicht des langen Herrn Eigenschaft zu sein. Mit einer merkwürdig raschen, entschlossenen Bewegung wendete er sich dem Hause zu, hielt den Kopf im Rahmen gravitätisch steif und fest, hüstelte würdevoll, und ging in das schmale, altväterische Thor hinein, das eine kleine düstere Vorhalle abschloß, in der rückwärts eine schlangenlinige Treppe sich melancholisch streckte.

Der rasch entschlossene Herr schien einen merkwürdigen Ortssinn zu besitzen; denn bei einigen nach allerlei Richtungen zeigenden, vor Alter rübenbraun gewordenen Thüren, schritt er hinauf und vorbei, immer mit dem Rahmen um Hals und Schulter, und blieb entschieden an einer Thür stehen, die sein scharfer Geist, als mit dem Fenster verwandt, erkannt haben mußte.

Er klopfte.

Keine Antwort. 6

Abermaliges Klopfen. Wiederholtes Schweigen.

Er drückte an der Schnalle, sie gab nach, die Thüre öffnete sich, und gegenüber befand sich unser Herr einem sonderbaren Schauspiele.

In der Mitte eines ziemlich großen, altmodisch möblirten Zimmers, drehte sich, auf einem viereckigen Untergestelle, ein gewaltig großer, aufrechtstehender und ausgestopfter Pudel langsam um sich selbst, so daß er auf seinem Hintertheile saß und gerade mit einer eigenthümlichen Oeffnung auf einer Spindel zu passen schien, die seine Achse war. Das breite Maul lächelte vergnügt unter einer Dragonerschnauze, und eine rothe Schleife hielt einen zusammengebundenen Schopf majestätisch auf dem Gipfel des Schädels in die Höhe, während die großen, gläsernen Augen lieblich-dumm auf die zierlich vor der Brust gefalteten Läufe glotzten.

Hinter diesem beweglichen Pudel, der Thüre gegenüber, saß in einem breiten, schwarzledernen Lehnstuhle eine männliche Gestalt. Sie war blond, nicht mehr in der ersten Blüthe der Jahre, aber auch nicht alt, etwas wohlbeleibt, mit einem gutmüthigen, vollen Gesichte, und blickte mit tiefsinnigem Ernste auf das ruhelose Beest.

Der Eigner des im Tode noch rastlosen Pudels war so tief in der Anschauung versunken, und schien so ganz von Gedanken gefesselt, daß er den Eintretenden gar nicht bemerkte.

Dieser stand einen Augenblick verlegen, überrascht zwischen Thür und Angel. Das Fenster bildete noch immer eine eigene Art Ritter- oder Pastoren-Halskrause. Endlich faßte er sich, hustete und räusperte. Der Blonde im Lehnstuhle sah auf, und mit nicht geringem Entsetzen starrte er die sonderbare Erscheinung des Eintretenden an. 7

Dieser bemerkte den Eindruck, und sich verneigend vorwärts schreitend, sprach er verlegen: »Entschuldigen Sie . . . . . . . ich bin . . . . auf den Kopf gefallen . . . . (hiebei zeigte er auf das Fenster) ich habe die Ehre . . . . wünsche guten Abend! . . . . Sie sind . . . . (hier schien es, als wollte er den Herrn erkennen und dessen Namen aussprechen; als aber dieß nicht gelang, setzte er sofort hinzu) . . . . ein gebrochener Hut . . . . der Wind . . . . Ihr Eigenthum . . . .«

Der blonde, etwas wohlbeleibte Herr stand auf, fand noch immer keine Antwort und starrte dem Stammelnden mit weit geöffneten Augen ins Gesicht.

Der Pudel drehte sich, langsam und selbstbewußt, mit süßselig-blödsinnigem Lächeln, zwischen Beiden, um seine gehobene Fahne herum.

Endlich faßte sich der Besucher, griff eiligst in die Tiefen der Brusttasche seines schwarzen Frackes und präsentirte eine Karte: »Hugo Schnepselmann, Privat-Agent, Hauskommissionär, Geschäftsverweser, Waarenmäkler, Privatkanzlei, Heirathsbureau, ganz zu Diensten . . . . aufzuwarten die Ehre!« Hiebei verneigte er sich mehrmals so tief, daß der Fensterrahmen auf den Boden stieß und er sich endlich erinnert und bewogen fühlte, denselben abzunehmen.

Der blonde Herr las die Karte, sah bald diese, bald den Eigenthümer an, und schwieg noch immer verlegen. – Diesen Augenblick benützte Herr Schnepselmann, um in zusammenhängender Weise den Anlaß auseinanderzusetzen, der ihn zu diesem Besuche bewogen.

Endlich öffnete der Blonde den Mund und sagte in 8 ganz gelassener Weise: »Thut mir wirklich leid . . . . entschuldigen Sie . . . .«

»Oh«, nahm sofort der agile Agent ihm das Wort vom Munde – froh daß er keinen Stummen, oder verteufelt wilden Grobian gefunden – »thut nichts, thut nichts, ganz unbeschädigt! Glücklich Ihre werthe Bekanntschaft zu machen!« Dabei ergriff er eiligst die herabhängende Rechte des Herrn, und drückte und schüttelte sie dermaßen, als hätte er bereits die intimste Freundschaft geschlossen, oder würde der Herr ihm eben geschworen haben, ihn sammt Weib und Kindern bis an sein Lebensende nicht verlassen zu wollen. – »Freut mich ungemein, ungemein! Glückliches Ereigniß . . . . kann ich mit etwas dienen?«

Der Herr schien nachzudenken und hatte überhaupt nicht das Ansehen, als würde Schnepselmann und dessen unerwarteter Besuch ihn ausserordentlich beglücken.

»Sie sind betrübt . . . scheinen mißgelaunt . . . . oh unwohl! Unwohl, um Gotteswillen!« rief er erschreckt aus, als fürchtete er sofort den geliebten, langjährigen Freund vernichtet zu seinen Füßen stürzen zu sehen, griff in die hintere Fracktasche und präsentirte eine kleine Medizinflasche, die er mit Dampfesschnelle öffnete und in einem Nu unter die Nase des Herrn gebracht hatte, welcher erschrocken zurückwich, aber von Herrn Hugo Schnepselmann geschickt verfolgt und glücklicherweise mit der Nasenspitze über die Flaschenöffnung gebracht wurde.

»Kapitale Stimulation! Ausgezeichnete Nervenstärkung! Unerreichte Lebensessenz, Doktor Krampus' Lebens-Essenz!«

Der unwillkürlich Gerettete, dessen Gelassenheit zu bewundern war, schüttelte ruhig den Kopf und sagte 9 gutmüthig: »Ich bin nicht unwohl, nein, nicht unwohl; aber ein betrübendes Familienereigniß . . .«

»Familienereigniß – betrübend! Das jüngste Kind von der Treppe gefallen? Kapitales Pflaster! Professor Schnoddredorf's Elefantenknochenmarkpflaster – gediegen!« Dabei hatte er bereits in eine andere Tasche gegriffen und ein Packet herausgezogen, das er sofort zu eröffnen im Begriffe war.

Der Herr verneinte abermals mit einem Schütteln des Kopfes.

Sofort verschwand das Packet in eine Tasche, als wäre es nie vorhanden gewesen und wären ungeheure Abgründe bereit es aus dem Bereiche der Möglichkeit zu ziehen. »Die verehrte Frau Gemahlin hat Migräne, bedeutende Vapeurs!?«

Ehe noch der Herr den Kopf abermals bewegen konnte, hatte Meister Hugo schon eine Schachtel aus einer andern Tasche in die Luft geschwungen, und fuchtelte mit ihr, als wäre er der Ritter Georg und lägen sämmtliche Vapeurs als ein einziger Drache zu seinen Füßen, den er mit einer Prise aus der Migräneschachtel sofort auf immer und ewig vernichten werde!

»Ab-del-fup-si's, Leibarzt des Schach von Persien und der Sultanin Dja-Nadir-hum-beg kolossale Migränepulver; ein ganzer Harem ward mit einem Kaffeelöffel voll gerettet; der blaue Rhinozeros-Orden in Brillanten, fünfundsiebenzig Sklaven und die Versicherung der . . . . .«

»Ich bin ledig, ledig«, sagte der Herr und wehrte sanft ab.

Ein gleichsam vom Schrecken erregtes Zwinkern überflog Herrn Hugo Schnepselmann's Gesicht. Aber einen Mann, gleich ihn, brachte das nicht aus der Fassung. Mit 10 ungeheurer Schnelle verschwand die Schachtel in eine dem Auge unsichtbare Tasche, als wäre sie nie auf der Welt gewesen. – »Die Buaut . . . . untreu? Oh!« Hiebei schüttelte er betrübt den Kopf und betrachtete den Herrn mit etwas zurückgebogenem Körper, wie ein Maler, der beobachtet, ob er die zum Porträte sitzende Person richtig getroffen.

Schon begann er etwas von Heirathsbureau, sechs und zwanzig auserlesenen Jungfrauen, siebenundvierzig unübertrefflichen Witwen und derlei hervorzusprudeln, als der Herr abermals den Kopf schüttelte.

»Hm, Hm« murmelte Herr Hugo und legte den Finger an die Nase, als wollte er jetzt mit den richtigen Kraftgedanken losbrechen, gleich einem Platzregen. Doch der Herr nahm ihn bei der Hand, zog ihn dadurch aus der Verlegenheit und sanft einer Seitenthüre zu, die in ein anstoßendes Gemach führte.

Die Thüre ging auf. – In einem dunkeln, fast leeren Zimmer, stand im Hintergrunde ein schwerer, schwarzer Ledersessel, davor ein ebensolcher Fußschemel, und an beiden grenzte ein Bett, in dem ein Bündel lag, dessen Ende eine ungeheuere Haube mit riesenmäßigen weißen Krausen schien.

Der Herr führte den Fremden näher. Das Bündel bewegte sich, und eine spitze bleiche Nase kam zum Vorschein, unter dieser Nase etwas, das als ein hageres Kinn errathen werden konnte, und ober ihr etwas, das wie Augen aussah.

»Die verehrte Mutter . . . . Patient?!« rief Schnepselmann theilnehmend aus. »Wo fehlt's, verehrte Dame? Sehr gerührt Sie unpäßlich zu sehen; äußerst schmerzlich!«

»Doktor?« näselte die kranke Alte fragend.

»Nein«, antwortete der Sohn rasch; aber Herrn Hugo 11 Schnepselmanns Betrübniß und Eilfertigkeit ließen ihm nicht Zeit, sich verständlich zu machen, und der Unermüdliche übertönte sofort die Antwort mit einer Anpreisung hindostanischer Tropfen, die unerklärlich rasch in seiner Hand funkelten.

»Weiter mit Euch! Fort, fort!« kreischte die Dame. »Keinen Doktor! Halben Thaler Visite! Fort, fort mit Euch! Keine Tropfen!«

Daß Herr Hugo kein Doktor sei, schien demselben nicht so nahe zu gehen, als die Mißachtung der Tropfen. »Keine Tropfen!?« rief er, und wie ein Blitz waren sie vom Schauplatze verschwunden. – »Doktor Hoffedizel's Präservativ-Malz-Pillen!« und schon schwebte eine Schachtel in seiner Hand und schon hielt er seine Pillen der Dame vor dem Gesichte.

»Weiter mit Euch! Keine Pillen! Fort, fort! Wo ist mein Geld? Fort! Fort!«

»Keine Pillen, oh! Sehr betrübt! Südamerikanische Magensalbe aus der Apotheke des Don Barbaros de Carbuncolos ans Chili, celebrirt, weltbekannt, ungeheuer vortheilhaft!« Und ebenso wie vorhin war der genannte Gegenstand, gleichsam wie bei einem Eskamoteur, verschwunden und der andere neue an seine Stelle getreten.

Die kranke Dame rief nur immer »fort, fort!« – und als sogar Herr Hugo zierlich die Salbenbüchse öffnete und Anstalt machte, als wolle er eine Probe des unzweideutigen südamerikanischen Salben-Erfolgs des genannten Don's liefern, schien die Dame in eine Art von Extase zu gerathen, verdammte Pillen, Salben, Doktoren, Extrakte, Pflaster, Apotheken, Mixturen, Recepte und so fort, in äußerst unzweideutiger Weise, und verlangte zu gleicher Zeit 12 zu wissen, wo ihr Geld sei. Sie griff sogar mit einer dürren Hand nach dem schwarzen Ledersessel, als fürchtete sie, der vermeintliche Doktor wolle auch diesem Pillen, Pulver oder Salben eingeben, oder ihn gar für seine Visite mit sich nehmen, und sie hielt den Sessel krampfhaft fest.

Gegenreden und Beweise nützten nichts; der besorgte Sohn sah sich endlich gezwungen, den Herrn, der die Gesundheit und das ewige Leben einer ganzen Welt in seiner Tasche trug, sanft aus dem Zimmer zu führen, und die Thüre zu schließen, durch welche die ärgerlichen Ausrufungen der Dame noch immer, wenn auch schwächer, durchdrangen.

»Thut mir sehr leid, sehr leid, nicht vom Nutzen sein zu können«, sagte der Agent nun in der Vorderstube – »liebenswürdige Frau Mama hat eine unerklärliche Abneigung gegen Medizin, gegen ausgezeichnete Medizinen!« und hiebei klopfte er auf eine Menge Rocktaschen, die sich durch bedeutende Hügel bemerkbar machten. – »Kann ich weiter nützlich sein? Sehr erfreut Sie kennen gelernt zu haben; meine aufrichtigste Hochachtung!« und hiebei ergriff und schüttelte er die Hand des Herrn so lebhaft und innig, als wäre er von ihm mit bedeutender Aufopferung aus einer Todesgefahr gerettet worden. »Sehr verbunden, sehr verbunden! – Ah – Ihr Fenster!« hiebei eilte er darnach und faßte es. – »Um nicht ohne Beweis der Hochachtung zu scheiden – Schrolle, unübertrefflicher Glasermeister, mein Freund, Spiegel- und Lusterniederlage, Flaschen, Dintenfässer und Glasgeschirr erste Qualität« (mit der einen Hand griff er abermals in eine Tasche und produzirte neuerdings eine Karte) »hier die Adresse; werde morgen wieder kommen; perfektes Glas; wünsche guten Abend; meine Hochachtung!« 13

Wie ein Blitz eilte er wieder zur Seitenthüre, öffnete sie halb und rief hinein: »Habe die Ehre mich gehorsamst zu empfehlen, meine Dame! Angenehme Ruhe, gute Besserung!« Und da ihm sofort das »hinaus mit Euch!« wieder entgegen tönte, schloß er rasch, drückte noch einmal dem Herrn die Hand, wirbelte sich der Thüre zu und machte allerlei Complimente.

Der Pudel war mittlerweile stehen geblieben, als wäre die Maschinerie am Ende ihres Bewußtseins. Als aber der Abschiednehmende mit Complimenten dem Ausgang näher kreiselte, stieß er unversehens das im Tode noch beschäftigte Thier, dieses schien neubelebt, wackelte einen Augenblick hin und her, und drehte sich dann, wie vorhin, selig-blöd um sich selbst.

Herr Schnepselmann machte auch ihm noch in der Eile, erschreckt, eine ehrerbietige Verbeugung und verschwand.



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