August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Eilftes Capitel.

Ein Platzregen mit Unglück – die Straßenjugend und ein Zeisiggrüner zeigen sehr rührende Theilnahme – ein großer Philosoph und kleiner Kaninchentheaterdirektor wird bleibend an unseren Schauplatz gefesselt – verursacht sofort eine Szene – der Agent erhält schließlich einen Auftrag.

Es hatte eben in den Straßen flüchtig aber stark geregnet, und die Männer, Weiber, Kinder, kurz alles Volk, dem es nicht nothwendig war, sein Schuhleder oder seine zarten Füße dem durchdringenden Wasser auszusetzen, oder das die Vorsehung mit keinem Regenschirm bewaffnet hatte, schlüpfte aus den Thorhallen, Häuserwinkeln und Ladenvorsprüngen heraus, um wieder den unterbrochenen Weg fortzusetzen.

Die Krämer und Obsthändlerinnen, die ihre Waren mit einer Theer- oder Bretterdecke geschützt hatten, enthüllten die Reize ihrer käuflichen Artikel wieder.

Nur an Einem derartigen Komptoire wollten die Waren nicht wieder im allen Schmucke prangen! Es war bei einem – Gipsfigurenhändler. Er hatte während des Regens in seiner von einem Erker überdachten Ecke, aus 164 unbekannten Gründen geschlafen, und als er erwacht war – Himmel, welcher Anblick! Wären die Figuren wirklich aus Gips gewesen, das Schauerliche des ersten Eindruckes hätte sich nicht so bedeutend hervorgedrängt. Aber ein erfinderischer Kopf des neunzehnten Jahrhunderts hatte entdeckt, daß weißer Lehm, ja selbst gelber oder grauer, weiß angestrichen, dieselben Dienste leiste und bedeutenderen Gewinn abwerfe. Dieser Fortschritt war das Unglück! Da lag nun demzufolge Goethe, nur ein feuchter Stiefel, ein wenig Ueberrock mit linker Hand, und griff mit dieser Hand nach der Nase der Venus, deren Kopf ihr selbst zu Füßen lag. Dort hatten sich Theile der drei Grazien über den heiligen Florian gestürzt, dessen Kopfreste in seiner eigenen Löschkanne lagen. Ein wackerer General bestand aus Beinkleidern und Stiefeln, während weder Kopf noch Herzgegend zu entdecken waren. Ein Fürst hatte sich mit der halben Brust und einem Drittel Gesicht in den Schoß der Hygiea geworfen, während Herkules auf einem Beine stand und seine sämmtlichen Arme suchte, zu denen der Kopf mangelte. Nur die Kram-Tischfläche war vollkommen versehen mit unentwirrbaren Häufchen Thonerde, aus denen, satirisch und melancholisch zugleich, Nasen, Knöchel, Rücktheile, geschlossene und offene Fäuste, Schwerterreste, Adlerschnäbel, Generalstiefel und Napoleonshüte hervorlugten.

»Herrjeh! Ach Herrjeh!« seufzte und lamentirte eine kleine, dicke, männliche Figur, den schäbigen grauen Filz nach einer Seite geneigt, und den gestreiften Zeugrock sehr lose um den Körper. »Ach! Herrjeh!«

»Halloh!« rief ein Junge im zeisiggrünen Frack, »was kost' die Handvoll Napoleon und wieviel Venuspappe kriege ich um einen Dreier?« Dabei griff er kühn in die 165 quabblige Masse auf dem Krame, so daß er sogleich noch einige bisher sichtbare Nasen zerdrückte.

Der Eigenthümer war von dieser Satire nicht angegriffen, sondern rief nur immer: »Herrjeh, ach! Herrjeh!«

Und als ob der zeisiggrün befrackte Junge ein Bienenweisel gewesen wäre, dem ein ganzer Bienenschwarm nachfolge, kamen sofort Schusterjungen, Laufbursche, Schulknaben, bestimmungslose Straßenjungen, kleine Dienstmädchen, und so weiter, herbei, Alle wie aus der Luft gezaubert, und machten sämmtlich Witze über den halben Landesvater und den weichen Herkules und die quabblige Venusin, ja sie griffen keck zu, warfen sich bereits mit den Klumpen, oder strichen sich dieselben ins Gesicht und schonten hauptsächlich weder den Zeisiggrünen noch dessen Besitzer.

»Jungen! verteufelte Jungen!« rief wol der verzweifelte Eigenthümer; doch da diese Jungen stillschweigend ihre numerische Uebermacht gezählt und ihr Plenum bedacht hatten, kehrten sie sich nicht daran.

Und zu dem tollen Treiben der Jungen kamen noch Jungen und noch Jungen, dann Große, Weiber, Kinder, Mütter, Kindsweiber, gemeine Straßenbummler, höhere Pflastertreter und sonstige Wandelnde. Da diese stehen geblieben waren, thaten andere Neugierige desgleichen, fragten was es gäbe, und so sammelte sich ein Straßenkongreß, der wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

Und mitten dieser Masse summste, brummte, lachte, heulte, johlte, wiherte, kicherte es. Vorn wußte Niemand was rückwärts, und da nicht was vorn vorgehe, bis einige Jungenstimmen aus dem ganzen Gewirre durchbrachen, und durch alle diese noch ein Tenor: der unseres berühmten, bekannten und liebenswürdigen Alexius! 166

»Halloh! Herrjeh! Nicht bange sein! Ich weiß einen Millionär, ich weiß'n, er bezahlt Alles, nur nicht bange sein, er gibt die Goldstangen! Auf! Mann! Hurrah!«.

»Hurrah! Herrjeh! Vorwärts! Millionär! Auf! Goldstangen! Hallohoh! hoho! haha! hurrah!« So tönte es nun gellend durcheinander und wiherte und kicherte und pfiff und schrie es. Die Straßenjungen bewegten sich nun vorwärts und zogen den kleinen unglücklichen »Gipsfigurenhändler« mit sich. Doch vor Allen glänzte, im Herumtanzen, Springen, Schreien, Balgen, Püffe erhalten und ausgeben, Zausen und Gezaustwerden, Alexius mit seinem zeisiggrünen Fracke.

So war der Zug vor Herkules' Wohnung angekommen, und Alexius, der sie durch seinen Herrn wissen mußte, war der vorzügliche Leiter des Ganzen. Madame Fiedler stellte sich in die Hausthüre und hob beide Hände gegen den Himmel – nutzlos! Der Zeisiggrüne war rasch zwischen ihrer Hüfte und der Thürpfoste durchgeschlichen; und einmal einen Vorposten in der Schanze sehend, stürmte die ganze Armee von Jungen vorwärts. Madame Fiedler war nur froh, rasch genug in ihre Küchenthüre, mit Verlust eines losen Schuhes, gekommen zu sein.

Herkules, in seiner Stube, wußte nicht, was der Lärm bedeuten solle. Als er eben den Kopf zur Zimmerthüre hinaussteckte und Madame Trullemaier fragen wollte, hörte er schon das Poltern auf der Treppe. – Doch, wie gewöhnlich, ausgelassen bis zum Ziele, schreckten die Jungen vor diesem zurück, blieben, die Köpfe einzeln hervorstreckend, am Treppenabsatze und schoben den kleinen wohlbeleibten Unglücklichen, der noch selbst nicht wußte was er solle, vorwärts. – 167 Madame Trullemaier, eben nicht Mangel an eigener Neugierde leidend, steckte den Kopf durch die Küchenthüre und lugte neugierig hinaus. Da schob eben ein Troß Jungen den kleinen Dicken vorwärts und lief sofort wieder von der Thüre zurück.

Alexius, im Zeisiggrünen, schien aber das Ding zu lange hergehend gefunden zu haben. Er lief eben nach dem kleinen Dicken und stieß ihn gerade auf die Thüre los. Doch, wie überrascht war er, sofort sich bei den Haren gefaßt und innerhalb dieser Thüre gezogen zu fühlen!

»Hoh! Losgelassen! Sapperment!« schrie er, während er unter der gutfassenden Faust tüchtig zappelte. Aber, wie erstaunte er, als er aufsah, seine Mutter, seine einzige, leibhaftige Mutter erkannte und sich also in einer äußerst unangenehmen, unerwarteten Situation befand!

Staunen und Entsetzen bemeisterte sich seiner und er stand einen Moment sprachlos. Diesen Zusammenhang des Schicksals, zwischen sich, seinem Herrn, seiner Mutter und Schwach, hatte er in der Ausgelassenheit nicht so folgenschwer gedacht.

Hinter ihm kam der kleine Dicke und nach diesem war auch schon, sonderbarerweise, Schnepselmann in ganzer Lebensgröße zu sehen.

Das war eine Gruppe, die in »falschem Gips« abgebildet, mehr Geldes werth gewesen wäre, als alle die antiken und modernen Gruppen, welche unter der Kunstsinnlosen Regeneinwirkung zerstört worden waren.

»Was machsl Du da, Lexi?« fragte Schnepselmann.

Der Junge stand noch mit offenem Munde und starrte bald seine Mutter, bald seinen Herrn, bald den Dicken an, als Madame Trullemaier zum Glücke den Feldzugsplan 168 änderte und, vom mütterlichen Standpunkte aus, antwortete. »Na, er hat mich nur besuchen wollen, der gute Junge; – na, gehe nur, es ist schon gut!«

Alexius hatte kaum die Worte vernommen, als er den Hut, der glücklicherweise nicht verloren gegangen war, fest ergriff, die Beine hob und zur Thüre hinausflog wie eine Rakete. Ueber die Treppe holpern, durchs Thor und die Straße davon rennen, um jeder weiteren Rückrufung und Verantwortlichkeit sicherlich überhoben zu sein, war das Werk eines Momentes!

»Und was wollen Sie?« fragte Schnepselmann, der eben an der Straßenecke im Vorbeikommen gewesen war, als der Lärm vor dem Hause seines Freundes in Blüte gestanden. Er hatte es daher einzusprechen für Pflicht gefunden. »Was wollen Sie?« fragte er nun den Kleinen.

»Ach herrjeh, Herr Millionär!« sagte dieser kleinlaut und kratzte sich den Kopf.

»Ah, ich sehe schon, da ist ein Irrthum, ein Spaß oder eine Dummheit im Spiele. – Saget deutlich, was Ihr wollt!« Dabei schüttelte Schnepselmann nach seinem Freunde Herkules, der ein stummer Zuschauer dieser rasch wechselnden Szenen, in der Zimmerthüre stand, mit der Hand einen Bewillkommnungsgruß, als wollte er ausdrücken: »ohne Formalität, Sie sehen, ich bin mit Ihren Angelegenheiten beschäftigt!«

»Lassen Sie den Mann herein,« sagte Herkules.

Schnepselmann zog denselben nach sich in die Stube.

Hier stand nun der Fremdling, kaum fünf Schuh Höhe messend, doch fast halb so viel in der Breite, einen schwarzen Backenbart, glattes rundes Kinn, Ueberfluß an schwarzen Haren, dünnen, zebragestreiften Zeugrock, nebst kurzen, 169 dunkeln Beinkleidern und kleinen Stulpstiefeln mit gelben Aufschlägen besitzend – ein Charakter, der nicht alle Tage im Leben vorkommt und ein eigenthümliches Gepräge trug.

Das Jungenheer hatte sich, da es den zeisiggrünen Anführer so räthselhaft rasch frische Luft nehmen sah, draußen auch bald davon gemacht.

»Was wünschen Sie?« fragte Herkules aufmunternd.

»Ach, mein Herr!« sagte das unglückliche Individuum nun gefaßter und durch die Länge der Zeit wahrscheinlich zum Bewußtsein seines Fehlers gekommen, den er mit den Jungen begangen. »Ach, mein Herr; ich bin eigentlich Kaninchentheaterdirektor von Geburt, das heißt von Beruf, ein Unglückskind von Geburt!«

»Was? Kaninchentheaterdirektor? Was ist das?« fragten Herkules und Schnepselmann zugleich, indem sie ihn noch verwundert ansahen.

»Ich hatte eine ganze Gesellschaft vortrefflicher, ich sage Ihnen ausgezeichneter Kaninchen abgerichtet, und ich spielte mit ihnen den »Rinaldo Rinaldini« und die »keusche Genoveva,« und eines trommelte sogar und das andere ließ sich ohne Störung rückwärts einblasen – es war Alles ausgezeichnet! Aber Unglück, ungeheures unglückliches Malheur!« Und er wischte bei diesen Worten an den Augen herum.

»Nun, was ist denn geschehen?«

»Ach, Sie hätten die Rosine kennen sollen! Sie hatte einen gelben Fleck an der Hüfte und einen schwarzen an der Nase, sie war so liebenswürdig, die Rosine, und schaute mich so vernünftig an, als wollte sie sagen: Hinze, ich kenne Dich, und Du kennst mich auch, und wir kennen uns alle Beide, und lieben uns; und sie liebte mich und trommelte so ausgezeichnet!« 170

»War das seine Frau, die Rosine?« fragte Schnepselmann voreilig.

»Ach, wenn's nur meine Frau gewesen wäre! – Nein, es war mein bestes abgerichtetes Kaninchen; und ich trage ihr Fell noch an meinem Busen; wollen Sie's sehen?« Und er griff in seine Weste.

»Lasset das nur, mein guter Mann,« sagte Schwach gutmüthig. »Also was war's denn eigentlich?«

»Also verstehen Sie,« sagte Hinze zutraulicher; »ich komme mit meinem Theater, die Schauspieler oben und die Garderobe unten, in's Dorf, drei Meilen von hier, und komme in's Dorf und gehe in's Wirthshaus und sage »gu'n Morgen!« Und die kleine Dienstmagd schenkt mir einen Bittern ein, und ich stelle meinen großen Käfig auf'n Tisch. Und da ich sehe, es ist Niemand da, denke ich mir, er steht am besten, und ich gehe zum Bürgermeister und lasse mir mein Attest unterschreiben, daß ich Schauspiele für's große verehrte Publikum des Dorfes geben werde, und lade alle Standespersonen ein, erster Platz ein' Groschen, zweiter Platz einen Sechser und dritter Platz nach Belieben, für Gras und Kohlblätter extra Einlaß! – Als ich von Bürgermeister mein Attest unterschrieben, und auch einen großen Anschlagzettel an die Kirchenecke geklebt habe, reiße ich noch in der Umgegend einiges Gras aus und gehe dann wieder in's Wirthshaus. Es waren so zwei Stunden vorbei, denn ich habe einige Weiber von dem großen Spektakel und dem keuschen Schauspiel mündlich benachrichtigt. Als ich wieder in's Wirthshaus komme, suche ich meinen Kobel; aber mein Kobel ist nicht da. Ich rufe und frage ängstlich, wo ist er? Aber die kleine Dienstmagd sagt mir: Na, Dämlich, sieht er denn nicht, wo er steht? Und sie zeigt mir hinter die 171 Ofenbank – und richtig, da steht er. D'rin ist aber nichts! – Herrjeh, wo sind meine Kaninchen? rufe ich todesbleich erschrocken! – Na, mach' er kein solches Getöse, zehn Stück waren's, und eins zu drei Silbergroschen, macht einen Thaler, und das zahlt ihm die Frau Wirthin! – Was, die Frau Wirthin? Einen Thaler! rufe ich entrüstet. Will sie Komödie spielen? – Was Komödie! schreit die Wirthin gleich aus der Küche heraus, da sie's gehört, und kommt auch schon mit einem großen blutigen Messer in der Hand. Die Knechte sind heute bein Heumähen, sagt sie, und da mein Mann kein ordentlich Stück Vieh auf'm Markt bekommen, ist er mir gerade recht mit seinen Kaninchen angelangt, und ich habe sie alle zehne in die Pfanne gethan! – Herrjeh, meine Beine knickten ein und ich fiel auf die Ofenbank. Sie brachten rasch Doppelwachholder und hielten mir ihn zur Nase! Das erweckte mich. – Habe ich doch mein Lebtag keinen Hasenhändler gesehen, der aus Freude, daß er alle Kaninchen auf einmal verkauft, schier in Ohnmächten gefallen wäre, sagte die Wirthin. Und ich fahre mir durch die Hare und lache hahah! wissen Sie, haha! so recht dramatisch, wie Golo vor der keuschen Genoveva, und sage: Hasenhändler! was Hasenhändler! nichts von Handlung und Hasen! ich unglücklich geborenes Menschenkind und Kaninchentheaterdirektor! Ich bin vierbeiniger dramatischer Kaninchenschauspieler, und das war meine Truppe, und ich bin verloren hier und für alleweile!«

»Da hätten Sie die Wirthin sehen sollen!« fuhr er fort. »Erst wurde sie bleich wie meine Genoveva vorne, nur rückwärts war sie gefleckt; dann wurde sie roth, wie wenn meine Rosine den Rinaldo Rinaldini machte im Prachtgewand; und sie kannte sich vor Schrecken nicht aus 172 und kriegte anderthalb Minuten Krämpfe, dann erholte sie sich und bedauerte mich.«

»Aber es war vergebens; todt war todt, und Alles war hin! Die Wirthin sagte, sie vergesse das ihr Lebtag nicht, und ich schwur ihr desgleichen. Nur um die Haut meiner geliebten Rosine bat ich, und die gab sie mir, und die trage ich hier auf der Brust, bis ich einst zu ihr komme!« Hier wischte er sich abermals die Augen und fuhr nach der kleinen Pause fort. »Des Abends kamen die hohen Herrschaften und wollten die »keusche Genoveva« sehen, und die Jungens brachten sehr viele Kohlblätter und Krautköpfe für Gratiseintritt; aber, o Gott! es war zu spät – mir war kein Kraut gewachsen! Sie hörten die betrübende Geschichte und lachten, Einige weinten, und der Gemeindeschreiber machte mit dem Schulmeister eine Subsprizion . . .«

»Was?« fragte Schnepselmann.

»Eine Subsprizion,« wiederholte der Sprecher deutlicher, »wo man die Sechser und Dreier und Silbergroschen zusammenthut und Einem gratis gibt.«

»Ah Subskription!« sagte sofort Herkules sehr vergnügt.

»Nun ja, so ein Dings da; und sie gaben mir fünf Thaler, vierzehn Silbergroschen, drei Pfennige, und die Wirthin beköstete mich gratis. Die Knechte ließen sich meine gebildeten Kaninchen schmecken, und ich zog, mit höherer Verachtung und Philosophie, meiner Wege.«

»Nun kam ich in die Stadt und ich hatte meine ganze Philosophie zusammengenommen; – denn Sie werden einsehen, ohne Philosophie ertragt man das nicht – ohne Philosophie nicht!« wiederholte er nachdrücklicher; – »denn, sehen Sie, Philosophie war immer meine Hauptsache, und 173 ich habe manchen Sechser für Philosophie ausgegeben und mir manches schöne Buch für einen Silbergroschen gekauft. Also, ich nehme meine Philosophie zusammen und frage mich: Kunibert Apollonius Hinze, was willst Du nun? – Und ich überlegte mir für das künftige Schicksal den Aepfelhandel, das Stiefelwichsen, einen Karren und komme endlich auf die Gipsfiguren, falsche und echte, denn da steckt doch noch die Kunst darin und gibt dem Menschen ein höheres Ansehen! – Ich kaufe mir also nur sechs Thaler Herkules, Jungfrauen, griechische und deutsche, und Napoleon, und noch andere Leute, welche wenige Groschen werth sind, und stelle mich an die Straßenecke zum Verkaufe. Und wie ich so sitze, fällt mir meine Rosine wieder ein und mir wird ganz weich ums Herz, ganz weich, daß ich mir gar nicht zu helfen weiß. Und doch, um Philosophie zu behalten, beschloß ich endlich, in den nächsten Laden zu gehen und mir einen Bittern zu kaufen und ihn hinter Rosinchen's Fell zu gießen. Und ich thu's, und ich setze mich wieder hin, und mir wird so wohl, und ich sehe wieder Rinaldo Rinaldini vor mir und die keusche Genoveva und den Gaugraf und den Golo, höre die Kaninchen herumtappen und knabbern, die Kohlblätter kiefeln und im Stroh rascheln; – und wie ich rufe in alter Wonne: »Immer 'ran meine Herrschaften! immer 'ran! kost' nur einen Sechser!« wache ich durch diese Gemüthsbewegung auf und fasse mich. O Gott! statt Kaninchen war der Platzregen auf meinem Kram täuschend herumgekrabbelt und hat da die Jungfrauen, die Helden, Gelehrten und großen Feldherren aufgeweicht, rein aufgeweicht, zermatscht, und da lagen sie ohne Beinkleider, ohne Nasen, ohne Köpfe, Hände, Stiefel, lauter Klumpen und Lehmklösse, ein erschrecklicher Anblick!« 174

»Und es kamen die Schusterjungen und andere Straßenbuben, namentlich einer im grünen Frack, und hallohten, trieben ihr Gespötte und johlten – und ich verzweifelte! Meine Philosophie war einen Augenblick verloren. Doch, ich faßte mich wieder und lies mich von ihnen standhaft, mit Zustimmung aller alten Weiber von der Straße, zu einem Millionär schieben, der sollte Alles bezahlen und noch mehr! Und jetzt bin ich da, meine Herrschaften, und weis nicht – sind Sie beide Millionäre, oder ist es blos Einer von Ihnen, und ich bitte um Erbarmen, denn ich bin ein unglückliches, gebornes Menschenkind, ein erbärmliches Malheurgeschöpf!« Und dabei faltete er seine Hände und neigte sich auf einem Knie zu Boden.

»Lasset nur, lasset es nur – das ist nicht nöthig,« sagte Schwach mitleidig und erheitert. »Und wenn ich auch nicht ein Millionär bin, so habe ich doch schon so viel, um ihm zu helfen; und wir werden gleich sehen, was sich thun läßt!« Nach diesen Worten zog er sich mit Schnepselmann in eine Fensternische zurück und sprach mit diesem leise einige Minuten.

Hinze seufzte nur immer tief aus der Brust und murmelte von »Gott lohn's«, »Rosine!« »Unglückliches Menschenkind!« »Herrjeh! Napoleon!« &c.

Nach einigen Minuten lebhaften aber leisen Gespräches, in welchem Schnepselmann Vorschläge zu machen schien, welche von Schwach anfänglich bestritten wurden, später aber doch, wenn auch zögernd, angenommen worden sein mußten, trat Schnepselmann vor.

»Hätte er Lust, einen Dienst anzunehmen?«

»Ach Gott, ich nehme Alles, ich unglückseliges Menschenkind!« 175

»Bei einem ledigen Herrn?«

»Ach Gott, meinetwegen bei einer Witwe; wenn ich nur nicht zu Grunde gehe!«

»Kann er sich über Moralität ausweisen?«

»Moralität und Philosophie, das war immer meine Hauptsache! Allerdings! Hier sind meine Zeugnisse!« Und er präsentirte sie sofort aus einer dicken ledernen, mit einer ellenlangen Schnur umwickelten Brieftasche. – Schnepselmann prüfte sie, gab sie Schwach, der sie ebenfalls rasch durchflog und sagte dann: »Also, wenn er Bedienter dieses Herrn sein wollte, könnte er sofort bleiben. Und wenn er sich ehrlich und thätig benimmt, wird er zufrieden sein!

»Hurrah!« schrie Hinze, sich ganz vergessend, statt aller Antwort, warf den Hut an die Decke, hob ein Bein und klatschte in die Hände. Doch rasch faßte er sich, schlug sich an die Stirne, sagte, sich selbst zurechtweisend »Philosophie!« und blieb starr und steif, mit demüthiger Miene und niedergeschlagenen Blicken, verschämt auf dem Flecke stehen.

In der ganzen Szene und dem ganzen Benehmen Hinze's war eben so viel Schlauheit, als unschuldige Komik, eben so viel angeborene Schelmerei, als gutmüthige, unbewußte Naturwüchsigkeit, so daß Schwach für diesen naiven, aber doch schlauen Gesellen gleich im ersten Augenblicke sehr eingenommen ward. – Hinze schien Welt und Publikum zu kennen und als Theaterdirektor, Souffleur, Rhetor und Komiker zu wissen, was Wirkung macht. Wäre nicht in seinem runden Gesichte, seiner kleinen drallen Gestalt und seinen lebhaften schwarzen Augen ein solcher Ausdruck von Ehrlichkeit und Gutmüthigkeit gewesen, man hätte ihm mißtrauen müssen; so aber waltete der wohlwollende Eindruck 176 unwiderstehlich vor und drängte sich den beiden Herren, besonders Schwach, überzeugend auf.

»Der Name?« frug Schwach.

»Kunibert Apollonius Hinze, aufzuwarten, wie deutlich auf meiner Moralität zu lesen.«

»Wie soll ich ihn also rufen?«

»Nach Belieben, mein geehrtester Herr. Ich höre auf Alles. Aber meine Kameraden und meine Muhme, die mich erzogen, pflegten mich Poll zu nennen, von wegen des zu langen Apollonius.

»Nun gut, Poll, dabei bleibt's; und gehe er nur gleich in die Küche und lasse sich etwas zu essen geben!«

»Tausend, tausend Dank! Gott lohne es Ihnen!« sagte Hinze, wirklich gerührt, und er stürzte auf Schwach zu, faßte dessen Hand, ehe es derselbe wehren konnte und bedeckte sie mit den innigsten Schmätzen. Dann machte er noch einige Verbeugungen und verschwand, nach dem angegebenen Orte, sich mit merkwürdigem Instinkte und Orientirungsvermögen zurecht findend.

Hinze schien sich in der Küche bei Madame Trullemaier mit außerordentlicher Raschheit introduzirt und ihr sehr überraschend seinen Beruf klar gemacht zu haben; denn kaum waren zwei Minuten vergangen und hatte Schnepselmann mit Schwach etwas über nothwendige Uniform für das neuangeworbene Individuum zu sprechen angefangen, als diese Dame zur Thüre hereinstürzte, sich in den ersten besten Lehnstuhl warf und zu schluchzen begann.

»Was ist Ihnen?« frugen Beide zugleich.

»Ach Gott! ist das der Lohn für meine Treue, für mein besorgtes Gemüth und mein Denken Tag und Nacht um den Herrn, daß . . . .« 177

»Was denn?«

»Nun, daß man mich jetzt verjagt! Bin ich denn eine so fürchterliche Person, bin ich denn so gefährlich,« fuhr sie wie ein rauschender Strom fort, »für einen einzelnen Herrn, daß man mich beseitigen, aus dem Hause jagen und einen Mann annehmen will, statt mir?«

»Aber wer hat denn das gesagt? Wer denkt denn daran?«

»Ich bin eine arme verlassene Witib und stehe mutterseelenallein, und habe Niemanden, Niemanden! Und ich habe mein Herz hingegeben an diese Wirthschaft, an dieses Haus, an den Herrn Schwach – und jetzt soll ich fort, ich arme, einsame, verlassene Witib – ach Gott – ach Gott!« und sie schluchzte wieder.

»Aber beste Frau Trullemaier,« sagte Schwach begütigend, indem er sanft ihr näher trat; »wer denkt denn daran, wer spricht denn davon? Haben Sie denn nicht gehört, was ich sagte?«

»Was sagten Sie denn?« fragte sie, von ihrer Schürze hervorsehend.

»Ich sagte und sage es noch jetzt, daß ich nicht daran denke, Sie fortzugeben. Ich bin ja recht zufrieden, und Sie bleiben bei mir, so lange Sie nur wollen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß . . .«

»Was sagten Sie?« fragte sie schon geschmeichelt und neugierig hörend, während sie die Augen wieder belebte und mit etwas verblaßter Koketterie noch mehr aus der Schürze nach Schwach sah.

»Ich sagte schon oftmals, Sie können bei mir bleiben bis ich sterbe, oder bis Sie sterben, und ich brauche ja immer eine Frau . . . .« 178

»Eine Frau? . . . .« Lebhafte Bewegung.

»Nun ja eine Frau, die mein kleines Hauswesen besorgt und mich zufrieden stellt. Und da brauchen Sie sich nie, nie von mir zu trennen!«

»Ach – Ach – wie Sie gut sind!« Und sie stürzte auf ihn zu und wollte schon ihre Arme nach ihm breiten, als wollte sie sagen: »Komm an mein Herz, adieu Witwenstand, ich bin Deine Frau und Du der Mann!« Doch rechtzeitig besann sie sich noch, blieb vor ihm stehen und schluchzte, in Ermanglung eines bessern Auskunftsmittels. Dann sagte sie endlich: »Und der Mann draußen?«

»Nun, wird vorläufig mein Bedienter und wird Ihnen helfen, bis sich vielleicht für ihn was Anderes findet.«

»Und er muß mir gehorchen?«

»Natürlich, als der Ersten im Hause, wenn ich nichts für ihn zu thun habe.«

»Na, das laß ich mir gefallen!« sagte sie vergnügt. »Und er soll gleich für morgen die Sahne besorgen; ich will ihn schon rüffeln!« Dabei ballte sie heimlich die Fäuste und streckte abwechselnd die Nägel aus.

»Und Herr Schwach hofft,« sagte Schnepselmann sehr seelenkundig, »daß Friede im Hause sein werde.«

»Natürlich, natürlich. Sie kennen mich Herr Schnepselmann und wissen, daß ich so sanft bin, so sanft wie . . . nun, Sie werden's auch an meinem Jungen bemerkt haben, denn das läßt sich doch nicht verläugnen . . .«

Schnepselmann machte mit dem Kopfe einige sehr zweideutige Schwenkungen.

»Und Herr Schwach, bester Herr, Sie sollen Speisen bekommen, Speisen . . . .!«

»Die Sardellensauce?« 179

»Ja, die Sardellensauce, wegen welcher zweimal . . .«

In diesem Momente klirrte es draußen in der Küche, als wäre ein Topf zerschellt. Hinze brachte sich dadurch in's Gedächtniß. Madame Trullemaier fuhr mit den Händen nach der bandgezierten Haube und rief: »Ach Gott, wenn ich nicht gehe, so finde ich keine Küche draußen, Der zerschmettert Alles!« Sie stürzte hinaus, bei der Thüre noch einen vielsagenden Blick über ihre Schulter werfend. Und sofort hörte man weibliches Gezänke, männliches Beruhigen, Brummen, Schreien, Tellerklirren.

»Hören Sie die Sanftmuth?« sagte Schnepselmann und seufzte für sich: »Ach Alexi!«

»Das wird sich geben, es ist nur um den Anfang. Lassen wir die Beiden sich verständigen,« sagte Schwach. – »Ich habe nun mit Ihnen noch eine Kleinigkeit abzumachen.«

»Stehe zu Befehl, mein bester Herr und Freund!«

»Ich verlasse in den nächsten Tagen diese Wohnung.«

»Und beziehen die neue, vortreffliche, die ich besorgte.«

»Es ist gut, daß wir Poll eben haben, es wird Alles leichter und rascher von statten gehen. Doch das ist es nicht, was ich sagen wollte. Ich scheide mit Wehmuth von diesen Räumen, die mir so lange lieb waren und die Tage Derer gesehen, die doch die Einzige war, die auf Erden mich liebte.«

»Früher; doch jetzt lieben Sie so Viele!«

»Danke für Ihr gutes Wort. – Aus Erinnerung an die für mich so Gute, wenn sie auch der ganzen Welt schroff war, zu Ehren der alten stillen Räume, um eine Art Abschiedsfest zu feiern, habe ich eine kleine Summe bestimmt.«

»Ein Abschiedsfest? Wie viele Gedecke? Soll Alles ausgezeichnet sein!« sagte Schnepselmann geschäftseifrigst. 180

»Nicht so mein Bester. – Sie werden auf mein Ansuchen doch so gut sein, die Möbel zu verkaufen, die ich zurücklasse? Nicht wahr?«

»Sicher, ganz gewiß, wenn Sie wünschen!«

»Ich habe, ferner, Ihnen vielleicht schon erwähnt, daß ich einen Vierteljahresgehalt bei Rübe stehen habe. Diesen bitte ich Sie auch für mich zu holen, da ich nicht selbst hingehen und die alten Kollegen bei meinem Anblicke über sich selbst wehmüthig stimmen möchte.«

»Und?« setzte Schnepselmann neugierig harrend hinzu, erstaunt zugleich darüber, daß Schwach Pläne besitze, die er ihm nicht bereits mitgetheilt.

»Beide Beträge zusammen . . . im Vertrauen, lieber Schnepselmann,« sagte Schwach, als ob er noch immer zögern würde, seine Absicht mitzutheilen; »im Vertrauen . . .«

»Verschwiegen wie das Grab!«

»Den Betrag . . . die Beträge . . . das Geld . . . habe ich für Jemanden bestimmt und möchte ihn nicht gerne wissen lassen, woher es kommt. Schreiben müßte ich ihm ja einige Worte dazu, oder es ihm durch Jemanden senden. Und da bedarf ich also immer zur Ausführung eines Zweiten; denn meine Schrift würde er erkennen, meinen Sendboten würde er leicht ausfragen und ich vertraue das Ganze also am besten Ihnen.«

»Verschwiegen wie das Grab!« wiederholte Schnepselmann, noch immer sehr neugierig.

»Meinen Gehaltrest und den Erlös nehmen Sie gütigst und übermachen beide an . . . an Krimpler, Herrn Krimpler. Sie kennen vielleicht den alten Buchhalter bei Rübe?«

»Krimpler?« sagte Schnepselmann etwas überrascht. »Erinnere mich schwach; aber doch glaube ich ihn bei einer 181 kleinen Wechselangelegenheit in Rübe's Haus gesehen zu haben. Der große Alte mit den grünen Brillen?«

»Ganz recht, Derselbe.«

»Er ist Witwer, hat mehrere Kinder und eine Pflegetochter? Die Frau, vor nicht lange, einem Jahre oder mehr, gestorben!« – Schnepselmann kannte die ganze Welt und wußte von jeder Familie.

»Ganz recht. Der arme Alte hat viel durch die lange Krankheit seiner Frau gelitten, und Rübe ist eben nicht großmüthig. Also haben Sie die Güte . . .«

»Zu Befehl Herr Schwach! Ihre edle Gabe . . . .«

»Reden Sie nicht von Edelmuth; Krimpler hätte in der Noth für mich auch . . .«

»Oh!« sagte Schnepselmann, um nur etwas gesagt zu haben.

»Und ich bin wirklich sehr vergnügt, ihm eine kleine Gefälligkeit erweisen zu können. – Einige Zeilen eines ungenannten Freundes dazu . . . . aber nur verschwiegen, ich bitte Sie, geheim!«

»Wie ein Kabinet, wie ein Diplomat!«

»Sie werden mich sehr dadurch verbinden.« Und er schüttelte ihm warm die Hand.

»Sie haben zu wünschen, zu befehlen und Schnepselmann eilt, fliegt, opfert sich mit Wonne!« – Der Agent griff sofort nach Hut und Handschuhen, mit einer Wichtigkeit, als gäbe es im Nu die Welt zu erobern, schüttelte noch einmal Herrn Herkules eifrigst die Hand und empfahl sich, wie er sagte, die Geschäfte die er noch mit Schwach zu besprechen habe, für ein andermal vorbehaltend. 182



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