August Silberstein
Herkules Schwach, Band 1
August Silberstein

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Sechstes Capitel.

Die große Welt rückt bei Schwach zahlreich und in allerlei Gestaltungen an – zwei Doktoren haben ein sehr erbauliches Begegnen.– Kutscher unterstützen einen wissenschaftlichen Kampf – auch die Wohlthätigkeit sendet zwei Damen als Abgeordnete und es erscheint eine dritte, welche der Wohlthätigkeit und der großen Welt überhaupt übelthätige Schranken setzt.

Als Schnepselmann den plötzlich und doppelt verwaisten Schwach verlassen hatte, schien es diesem, als wäre er nie so unglücklich gewesen zur Zeit, in der er ein armer Teufel war, als jetzt, da er als unabhängiger Mann, mit einem anständigen Kapitale, blos sich und sonst niemand Anderem zu leben hatte.

Wäre er im Stande gewesen, gleichsam mit einem Schwamme über die Tafel der Vergangenheit hinzufahren und die Schrift der Geschehnisse mit einem Zuge zu verwischen, er hätte sich wahrhaftig nicht lange besonnen, es zu thun und hätte so Schnepselmann, die Sechzigtausend und Alles, Alles was d'rum und d'ran hing, aus dem Register der Ereignisse getilgt. Aber das war nun nicht zu bewerkstelligen und er fügte sich stillschweigend Dem, was da kommen möge.

Kaum waren die Mittagsstunden nahe gerückt, als sich die Thüre öffnete und rastlos nach und nach eine Schar von Kondolenten herbeiströmte.

Die Nachbarin, die Dame mit dem Beutel, der Gewürzkrämer, der Steuerbeamte mit den drei Töchtern, die Mutzenberg und die Bockbein, ein niegesehener Trauerwarenhändler, ein ungeahnter Advokat sammt Gemalin, welche 85 erklärten schräg vis-à-vis zu wohnen und nur durch starken Schnupfen, von Seite des Gemals, und vom Zahnen des Jüngsten, auf Seite der Gemalin, abgehalten worden zu sein, der Leichenfeier einer Frau Nachbarin beizuwohnen, die sie Beide lange Jahre hochachteten und hochschätzten; (aber in der That in ihrem Leben nicht beachtet hatten). Alle, alle diese und noch mehr strömten herbei, waren unerklärlich gesprächig, erstaunlich freundlich und rastlos unterhaltend.

Herkules schüttelte Jedem und Jeder wacker die Hand und war eigenthümlich vergnügt, daß die Höchstselige einen solchen bedeutenden, stillen Anhang von Freunden und Theilnehmenden besessen.

Schnepselmann's Werk des allgemeinsten Bekanntgebens und des sich selbst Wichtigmachens in den Augen der »großen Welt,« bedachte der Gute nicht.

Hatte die Freundlichkeit im Allgemeinen schon einen außerordentlichen Grad erreicht, so war es noch überraschender wahrzunehmen, welche unendliche Fluth von zärtlich vermeinten Dekokten, Säftchen, erprobten Mischungen, geheimnißvollen Bonbons &c., von besorgten Gemüthern auf ihn losströmten, auf ihn, um den man sich sonst so wenig bekümmerte! Die Nachbarin entdeckte, daß Herr Herkules Schwach zuweilen etwas schwer Athem hole und drängte ihm einen Tiegel auf, in welchem Hasenfett mit ihr allein bekannten Mitteln (die sie nicht aussagen würde, um keinen hohen Preis) gemengt war, welche Mengung sie ihm empfahl jeden Morgen und Abends auf der Brust fest einzureiben. Die Dame mit dem Beutel zog eine ungeheuere Flasche aus dem eben benannten rühmlichst bekannten Gegenstande und präsentirte sie, als enthaltend eine Mischung von Himbeersaft, Lavendelessig, Wermuth, Koriander und Zitronenschalen 86 (ebenfalls nur ihr bekannt), welche auf die Schläfe gerieben, den gedrückten Geist zu einer Chimborassoartigen Höhe emporsteigen lasse. – Die Mutzenberg brachte Pillen, welche die Verdauungsstörungen des Magens (und sie wisse, der Betrübte sei seit dem letzten Trauerfalle nicht gut bei Appetit – auch ihr Seliger war es oftmals nicht und sie habe ihn gerettet) die Verdauungsstörungen des Magens so vertilge, um den Ausdruck einer wirthschaftsbesorgten Frau zu gebrauchen, wie eine gute Katze die Mäuse. – Die Bockbein hatte einen »destillirten Geist« in Vorrath, dessen einige Tropfen auf Zucker genommen, »ein schwaches leidendes Herz« unendlich erstarken und zum Vertrauen erheben. Sie wisse das von ihrem eigenen, ach nur zu oft sehr bewegten Herzen. Daß Herr Herkules Schwach gleich ihr Herzensbewegungen habe, das lasse sie sich nicht ausreden, das sehe sie ihm an und kenne das aus vielen, vielen Tagen und Nächten, in denen sie ihren leidenden Seligen rastlos und aufopfernd gepflegt. »Ach, wenn das arme Herz nur immer auf Erkenntlichkeit und Erkennen stoßen würde!« Hier preßte sie die Hand an die Watte des Schnürleibes. »Und wenn dieß auch nicht geschieht,« sagte sie, »so ist es dem armen Herzen schon Trost und Erhebung, zu wissen, es gut, sehr gut gemeint zu haben.«

Die Mutzenberg brummte in sich »Flausen!« und schoß einen grimmigen Blick, denkend: wenn du heute in Ohnmacht fällst, dann sollst du die Mutzenberg kennen und ihrer gedenken!

Der Advokat versicherte, es thue einem Manne wie Herr Herkules und besonders dessen Fähigkeiten, von denen er Außerordentliches gehört (und es sei gar nicht noth, daß Herr Schwach leise abwehrend den Kopf schüttelte; er habe 87 seit Jahren von den Talenten des Herrn Schwach vernommen und brannte stets vor Begierde eine Gelegenheit zu haben mit ihm in Berührung zu kommen), es thue, wie gesagt, einem solchen geistvollen Manne wie Herr Schwach, nichts so noth und gut, als Geschäft, Geschäfte! Fände sich in einer Hinterlassenschaft eine klar zu machende Klausel, eine bezweifelte Schuld, eine hartnäckig einzutreibende Depositensumme, oder derlei, so sei das ein wahres Glück, ein wahres Kleinod und unschätzbares Juwel, um den Geist zu heben und zu beschäftigen. Die Kosten, wie er seit zwanzig Jahren sein gerade in dieser Beziehung renommirtes Bureau, Karolus Ziesewitz, zu dirigiren gewohnt sei, sind wirklich (natürlich bei ihm und nicht bei anderen Advokaten) so geringfügiger Natur, daß sie am allerwenigsten bei einem Manne, der nicht jeden Heller und Pfennig ängstlich zu wägen brauche, ja durchaus nicht, wirklich durchaus nicht, der Rede werth seien! In dieser Beziehung sei er sogar bereit, dem Herrn Herkules Schwach, aus reiner Freundschaft und Hochachtung vor seinem Talente, (denn es thue einem geschärften Advokaten selbst wohl, mit klaren, ehrenhaften Geistern in dieser schlechten Welt zu thun zu haben) gratis zu dienen und nichts, gar nichts als die nöthigsten Kosten zu verlangen. Er wolle sich hiermit empfohlen haben und erwähne nur beiläufig, er wohne in dem großen Hause da und dort, und er bitte Herrn Schwach, sich gelegentlich seiner zu erinnern, Karolus Ziesewitz da und dort, und ihn zu besuchen, wenn auch durchaus nicht in Geschäften und blos zu freundschaftlicher Unterhaltung, denn, &c. &c . . . .«

Die Steuereinnehmerischen waren groß in Blumen! Ein Blumenstrauß der Aeltesten hätte unbedingt zwei 88 ansehnliche Ziegen für einen Tag lang vollständig gesättigt, oder einen Erntewagen sehr zweckmäßig geziert. Die Mittlere brachte ein zartes Riechkissen in eine Brieftasche zu legen, auf beiden Seiten gestickt; auf einer Seite befand sich ein Stern mit Spießen nach allen Gegenden, welche auf eine Leier, ein Herz, eine Rose und einen grünen Kloß losstachen, welcher letztere bei näherer Betrachtung auf die Vermuthung von einem grünen Baume führte. Die andere Seite enthielt Vögel, und es gehörte ein tüchtiger Naturforscher dazu, um zu entdecken, ob Gänse, Tauben, Sperlinge oder Kasuare gemeint wären. Die Jüngste brachte gar nichts; »sie sei so arm und unerfahren und wußte gar nicht, daß es schicklich sei, etwas zu bringen. Sie hätte ihm ja gerne so viel, ihr ganzes Nähtischchen gebracht, wenn sie nur gewagt hätte, einem Manne etwas zu geben; und wenn er, um doch etwas zu haben, eine Schleife von den ihren wolle,« sagte sie mit naivem Ernste, »so sei sie bereit, ihm eine zu überlassen, welche immer er zu haben wünsche.«

Herkules dankte und sagte, er wolle sie nicht berauben, und die Schleifen seien einer Dame so nothwendig, daß es ihm wirklich leid thäte, ihr eine solche abzunehmen.

Die Aelteste kicherte heimlich, mit einem schadenfrohen Blicke nach der Schwester. Die Zweite meinte, Herr Herkules sei ein praktischer Mann, sie freue sich, ihm etwas Nützliches gebracht zu haben (bedeutender Blick nach der Aeltesten und Jüngsten). Die Jüngste erröthete glücklicher Weise und triumfirte still, trotz der erlittenen Niederlage, über dieses Roth, welches die Andern, wie sie meinte, um keinen Preis der Welt zu wegen gebracht hätten. Sie standen dann einzeln auf, hopsten im Zimmer umher, guckten in alle Winkel, fanden Alles so lieb, und richteten da und 89 dort, schoben bald das Tischtuch, bald einen Fenstervorhang hin und her, ordneten bald dies, bald jenes und meinten abwechselnd, es müsse eine Wonne sein, in so einem stillen, lieblichen, altväterlichen Zimmer zu wohnen und das Alles für sich allein zu haben, gerade wie Herr Schwach!

Die Gäste entfernten sich nach und nach, jede einzelne Person entmuthigt, daß sie das Gesammtheer der Nebenbuhler und Konkurrenz angetroffen. Die besorgten, heilsamen Damen unterließen nicht, noch einmal ihre Dekokten, Pillen, Aufgüsse, Mittelchen &c. dringend zu empfehlen, so daß, wer zu Herkules unbekannt eingetreten wäre, gemeint hätte, es müsse sich hier im Hause Jemand in Lebensgefahr befinden und die Apotheken hätten ihr Möglichstes geleistet, um das höchst bedrohte Leben zu retten!

Nur der Advokat hielt längere Zeit an und war unermüdlich in der Aufzählung von schwierigen Fällen, bei welchen er »in dieser schlechten Welt« seine Klienten männlichen und weiblichen Geschlechts gerettet und ihnen Häuser, Vermögen, Unschuld &c. wiedergegeben, als wäre ihm das Bagatelle! Alles hatte er natürlich, mit edler Uneigennützigkeit, nur für Ersatz der unvermeidlichen Kosten und spätere freigestellte Selbsterkenntlichkeit gethan. Er erzählte besonders einen Fall, in dem die Mutter den Sohn nicht anerkennen gewollt, und der Sohn die Mutter – ich glaube für eine Schwiegertochter erklärt, oder derlei – welche Familien und Erbschaftswirrnisse er aber sämmtlich und glücklich gelöst, sich daher empfehle, Karl Ziesewitz, da und dort wohnend, gehorsamst harrend – Freund – Talente Uneigennützigkeit &c.!«

So ging es fort. Die Nachbarin wollte zuweilen das Zimmer gar nicht räumen. Die Mutzenberg erschien in 90 Gesellschaft einer alten Dame wieder. Die Bockbein sendete einen Boten, um die Wirkung ihres »destillirten Geistes« zu erfahren, und ein Briefchen dazu. Der Gewürzkrämer schickte auf eigene Faust eine Flasche Punschessenz, nebst einem sehr inhaltreichen Preiskourant seiner sämmtlichen Artikel. Den Steuerbeamten »führte der Weg ins Bureau vorbei«, es folgten zugleich Erkundigungen über das werthe Befinden seitens der sämmtlichen Töchter und detto Blumen.

Und es kamen noch Advokaten, die gehört hatten, Schwach hätte hunderttausend Thaler auf Grundstücke zu verleihen, und sie böten die sichersten Hipotheken. Und es kamen Geschäftsmänner, die erschreckend einträgliche Geschäfte um einen Spottpreis loszuschleudern, oder Kompagnons mit Barkapital edelmüthigst anzunehmen bereit waren. Und es erschienen Zeitungskolporteure, Bücher-Subskribentensammler, Kunstblätterverschleißer, dann Hausmäkler, welche gehört hatten, er sei bereit, die Hälfte seiner geerbten Million für Stadthäuser auszugeben, wofür sie die herrlichsten Häuser wußten. Es erschien ein Ingenieur, der einen Kanal ober und unter der Stadt zu bauen vorhatte und Holz und Bohnen, Eier und Pöckelfleisch und Sommerpartheien schnellstens aus und in ungeahnte Gegenden zu versetzen im Stande war. Die »Millionen«, die Herr Schwach geerbt, wären eben hinreichend den Bau einzuleiten und keine Stunde Zeit zu versäumen. Der Projektant legte daher Pläne von Viadukten, Tunnels, Durchschnitten und Vogelperspektiven, Steigungen und Senkungen vor, so daß der arme Herkules glaubte, es gehe bereits ein Viadukt oder ein Tunnel durch sein Gehirn.

Und es kam auch angefahren Doktor Flitze, 91 leibhaftig Doktor Flitze, damit ja kein Irrthum über die berühmte Persönlichkeit möglich sei.

»Habe ich die Ehre zu sprechen den Herrn Baron von Hügelbergenthal? Wo fehlt's geehrter Herr Baron?«

»Entschuldigen Sie, ich bin nicht der Baron Bergelhügel . . .«

»Nicht der Baron!« rief der Herr Doktor, scheinbar erschreckt und rückte an seinen goldenen Augengläsern. »Wie verstehe ich das?«

»Ich heiße Herkules Schwach.«

»Herr Herkules Schwach? Entschuldigen Sie, so eben war ein Bote bei mir und kündigte mir genau an: große Querstraße Nr. 37, 1sten Stock, Thüre rechts, und ich wurde eilends mit einem zweiten Wagen aufgesucht, der dem meinen, (ich bin stets zu Wagen und sehr beschäftigt) der dem meinen nachfuhr und mir die Adresse brachte. Rasch fuhr ich hierher – und nun . . .«

»Ich bedaure sehr«, erwiderte Schwach, »ein Irrthum . . .«

»Ein Irrthum, sehr richtig, sehr richtig!« sagte der würdige Herr Doktor, der derlei Irrthümer selbst machte, um seine Praxis durch irgend einen Koup aufzudrängen. »Es wird wol kleine Querstraße, oder lange Straße, oder sonst Straße geheißen haben; das Rasseln des Wagens wird wol schuld sein, daß ich schlecht gehört. – Ah, Sie nannten eben den Namen Schwach, Herr Herkules Schwach; scheint mir doch, als hätte ich diesen Namen in Verbindung mit einem Trauerfalle, ich glaube bei der Gräfin Tumilinski – oder beim Grafen Schollenheim – oder (der Herr Doktor hatte stets nur hohe Bekanntschaften) beim Ritter von . . . .« 92

»Leider habe ich meine Mutter vor weniger Zeit verloren«, erwiderte Schwach seufzend.

»Also doch – Ihre geehrte Frau Mutter«, sagte der Doktor, der dies gut wußte, sowie die Summe des aufgefundenen Vermögens. »Ach, sagen Sie mir gefälligst, Herr Schwach, war Ihre geehrte Frau Mutter nicht vom Doktor Lakmus behandelt? O dieser Doktor Lakmus!« fuhr er eifrig fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Ich bitte Sie, da mich der Zufall hierhergeführt und ich diesen Stadttheil in Rücksicht der Praxis fast mein, ganz mein nennen kann, doch Jedermann gütigst zu sagen, daß nicht ich der Medikus Ihrer geehrten Frau Mutter war. Denn dieser Lakmus, der sich, ebenfalls hier, herumtreibt, vernichtet die Bevölkerung, ich versichere, vernichtet die Bevölkerung!«

»Nicht der Doktor Lakmus . . .« begann Schwach zu entgegnen; aber der Doktor wollte dies nicht recht gehört haben und fuhr würdevoll, doch eifrig fort: »Doktor Lakmus ist eine Hiäne, ich versichere! Wenn ich Ihre geehrte Frau Mutter behandelt hätte, wäre die Dame noch heute frisch und gesund. – Ah, wie befinden Sie sich selbst?« und hiebei nahm er sofort den Puls des Angeredeten in seine Rechte und zählte sorgsam. – »Etwas flegmatisch, etwas langsam, das Humoralsistem etwas vorwaltend, zu viel Feuchtigkeit, mein Herr. Sie müssen Sorge tragen die etwas schlaffen Kräfte zu heben, zu stimuliren, eine gleichartigere Thätigkeit der Säfte herbeizuführen. Spannung der schlaff gewordenen Nerven, Membrane und Muskeln ist nothwendig; zu viel Schleimabsonderung im Innern, ah, eh, hm!« und hier hustete er würdevoll und horchte immer auf den Puls. Schwach, der sich ganz wohl befand, horchte erstaunt und erschreckt über den Wust von Dingen, 93 an denen er neuerdings, ohne die schon früher angemeldeten Krankheiten, leiden sollte. »Aber ich bitte Sie um Gotteswillen,« fuhr Dr. Flitze fort, hüten Sie sich vor Dr. Lakmus, er ist ein Vampir! Diese Gegend, sonst ganz mein, macht er wahrhaft unsicher, und er wird mich noch durch seine Quacksalberei um mein Renommee, um mein Renommee«, wiederholte er gewichtig, »bringen. Sie sind verloren wenn Sie Lackmus erfaßt!«

Abermals rasselte ein Wagen vor, und in wenigen Minuten klopfte es an der Thüre.

»Herein!«

Und herein trat – Dr. Lakmus!

»Ah, vielgeehrter, hochgeschätzter Herr Kollege!« eilte Dr. Flitze ihm entgegen und schüttelte ihm warm die Hand. »Hocherfreut mit Ihnen zusammenzutreffen! Wie befinden Sie sich, wie befinden Sie sich?«

Dr. Lakmus, einen Augenblick verwirrt, überrascht, faßte sich jedoch sofort und lächelte: »Ah Dr. Flitze, hoch erfreut, hoch erfreut geehrtester Herr Kollege!«

Flitze wendete sich nun schlau gegen Schwach und sagte: »Herr Herkules Schwach, die Ehre Ihnen aufzuführen meinen geehrten Herrn Fakultätskollegen, den rühmlichst bekannten Dr. Lakmus« in einem Tone, als wollte er sagen: »mein lieber Lakmus, ich bedaure Sie, hier bin ich bereits zu Hause und Sie sind der Unnöthige, Sie können mir nicht schaden, ich führe Sie gemüthlich auf!«

Lakmus hatte einen schillernden Brillantring an dem Zeigefinger der Rechten, und er hielt in dieser immer ein weißes Taschentuch, das er häufig vor den Mund brachte und somit auch den Ring vor die Augen der Leute. 94 Nachdem er sich verbeugt und in das Tuch geräuspert hatte, sagte er fragend: »Herr Schwach, Professor der Astronomie am Institute der . . . .«

»Professor der Astronomie?« wiederholte Herkules erstaunt. »Entschuldigen Sie, bloß Schwach schlechtweg.«

»Wie, nicht Professor?« erwiederte Dr. Lakmus ebenfalls erstaunt, aber so wie der Herr Kollege nur scheinbar. »Sonderbarer Irrthum! Herrn Professor Schwach's Frau wird mir als in bedeutenden histerischen Zufällen liegend angekündigt. Ich überhöre in der Eile die Straße, das Viertel, fahre in diese Gegend, frage um den Namen Schwach, Schwach wird mir sogleich hier angewiesen, und ich erscheine. – Sonderbarer Zufall!«

»Sehr sonderbar!« wiederholte Herkules, gerade so wie der Doktor Flitze.

»Freut mich aber Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, Herr Schwach, und Sie in so guten Händen zu wissen, als die meines geehrten Herrn Kollegen Dr. Flitze.« Hierbei nahm er ihm jedoch ebenfalls die Rechte und lauschte, dabei sprechend: »Herr Dr. Flitze wird sicher Ihren Gesundheitszustand genau bewachen. – Ah, geehrter Herr Kollege, bemerken Sie, der Herr hat wahrhaft ungleichen Puls, bald rasch, bald langsam, scheint aufgeregt, der Puls geht hart, heiß; hier scheint Trockenheit . . .«

»Entschuldigen Sie,« erwiderte Flitze, »Feuchtigkeit, Feuchtigkeit!«

»Was Sie sagen!« entgegnete pikirt Lakmus. »Ich halte mich überzeugt, der Herr ist zu stark erregt, die Kräfte sind etwas zu hoch gespannt, es scheinen ihn Ereignisse aus gewohnter Ruhe gestört zu haben. Beruhigung, 95 sanfte Feuchtigkeit und Einschleimung der fieberisch trockenen Häute . . .«

»Einschleimung, hahaha!« lächelte kannibalisch Flitze.

»Sie lachen?« rief Lakmus, roth wie ein Hahnekamm. »Nun denn, Sie machen die Gegend unsicher!«

»Sie bringen die Leute um!« schrie Flitze auf.

»Ich wollte bloß hier warnen vor Ihrem Blutdurst, deßhalb bin ich gekommen!«

»Und ich bin erschienen, um unschuldiges Blut von mir zu waschen, wenn Sie hier eingegangen sind!«

»Ha, Beleidigung!«

»Sie müssen vor's Gericht!«

»Und Sie vor die Fakultät!«

»Und ich bleibe keine Minute länger wo Sie sind!«

»Und ich keine Sekunde in der Luft, die Sie geathmet. – Empfehle mich, Herr Schwach!«

»Leben Sie wohl Herr Schwach, lassen Sie sich umbringen von Flitze!«

»Erwürgen Sie ihn Lakmus, es ist kürzer!« schrie dieser und stürzte in die Thüre voraus. Flitze drängte zu gleicher Zeit durch; und so hätte nicht viel gefehlt, wären sie Beide in der Eile mit den Köpfen an die Wand gerannt, oder die Treppe zusammen hinabgerollt.

Unten balgten bereits die Kutscher der beiden Doktoren, jeder das Renommee des seinigen vertheidigend und den andern einen »Bader«, »Barbier«, »Pflasterschmierer«, »Sassafraß«, »Blutegel«, »Leibschneider«, »Kirchhoflieferanten« &c. nennend.

Die feindlich sonst aneinander Vorüberfahrenden, nun aber auf einem Posten nebeneinander Harrenden, begannen 96 damit, die Kutschen und Pferde gegenseitig einer Kritik zu unterziehen. Der Eine wollte endlich dem Pferde des Andern die Peitsche unterspreizen, damit es nicht umfalle. Hierauf hielt der Andere dem Pferde des Ersteren ein Haferkörnchen hin, damit es doch etwas Seltenes rieche! Nunmehr begannen sie sich bei diesem Vorhaben zu stoßen, vom Stoße kam es zum Schlage, von dem ersten Schlage zum tüchtigen ausgiebigen Prügeln; und die beiden Doktores langten eben an, als sich ein hochgeehrtes Publikum johlend und beifallklatschend um die beiden Gladiatoren versammelt hatte.

Jeder tüchtige Hieb wurde von den Zuschauern mit einem »Druff«, »Gut«, »Halloh«, »Bravo« akkompagnirt. Mit Mühe wurden die Kämpfer endlich auseinander gebracht; und die Praxis der beiden Herren Doktoren erweiterte sich, noch am selben Tage, um die Behandlung ihrer beiden Herren Kutscher, denen sie Beulen zu verbinden, Löcher zu verstopfen, Kompressen und Bandagen aufzulegen hatten, leider aber – gratis!

Schwach stand noch erstaunt, überrascht, verwirrt von dem Zusammentreffen der Doktoren, sowie über die erkleckliche Anzahl seiner Krankheiten und deren Unsicherheit, nicht minder über die Prügelei vor seiner Wohnung – als es abermals klopfte und zwei Damen sich anmeldeten.

Fräulein Eulalie Dufte und Madame Pimpering, Vorstände des »Frauen- und Jungfrauen-Hilfs-Vereins für Suppenbedürftige«. Erstere lang, hager, braun an Kleidung, Haren, Gesicht, Haut, daß man vermeinte, einen langgestreckten Maikäfer zu sehen, und Letztere klein, rund, dickbackig, taillenlos, strahlend im Gesicht, 97 und in Kleiderfarben wie ein Gartenbeet. Als sie Beide dastanden, Fräulein Dufte neben Madame Pimpering, war es gerade als ob eine ausgesteckte Fahnenstange durch einen kurzen dicken Pflock daneben befestigt worden wäre. Fräulein Dufte begann in äußerst poetischen Ausdrücken, mit besonderen Citaten aus Schiller – wie »alle Menschen Brüder werden« und »die Millionen umschlingen« – den Zweck des wohlthätigen Jungfrauen- und Frauen-Vereines auseinanderzusetzen, in welcher Rücksicht sie für die Jungfrauen und ihre geschätzte Kollegin für jene erschienen sei, die nicht mehr diesem Stande angehören. Schon war das Herz des Herrn Schwach daran, äußerst gerührt zu werden, durch die Schilderung einer ganzen Familie, »welche nicht einen einzigen warmen Löffel im Magen hat«, als die Thüre aufging und eine alte, sehr alte, wackelige Dame mit erhitztem Gesichte hereintrat.

»Madame Fiedler!« rief Herkules überrascht.

Sie war die Eigenthümerin des Hauses, in dem er wohnte.

Diese blieb an der Thüre stehen und stemmte die Arme in die Seiten.

»Was Fiedler hin und her!« rief sie mit kreischender Stimme, ohne Umstände. »Ist das eine Wirthschaft!? Was treiben Sie für eine elende Wirthschaft, seitdem Ihre selige Mutter todt ist!? – Die Thüre steht ja gar nicht still, und das Gesindel läuft aus und ein, und die Wagen fahren und rasseln Einem den Kopf voll, und es ist ein Balgen, ein Gepolter Trepp auf, Trepp ab! Ist das ein Heidenlärm! – Schweigen Sie und reden Sie mir nichts drein!« schrie sie, als Schwach den Mund öffnete und reden wollte. »Ich habe die Wohnung an Ihre Mutter als an 98 eine stille Partei vermiethet. Schweigen Sie! Und Weibervolk geht da aus und ein! Ist das eine elende Wirthschaft! Weiber, daß sich's Gott erbarme! Wo hat man in seinem Leben so was gehört! Oh!« und hier hob sie beide Hände gen Himmel, »ist das eine Welt! Sind das die Kinder heutzutage und betrauern sie so ihre Eltern? Jubeln und Gesellschaften und allerlei Weibsbilder« (sie sah hier scharf nach den beiden Anwesenden), daß es eine Schande und ein Spott ist! Oh, ich dulde das nicht länger! Keinen Tag dulde ich das! Meine Ruhe ist weg, mein Haus wird ruinirt, mein Kopf, mein ehrlicher Name; – hinaus mit Euch Allen!«

Und so schrie sie immer erhitzter fort, als wäre jedes ihrer Worte ein Brand, der in ihr eigenes entzündbares Gemüth fiele und es noch heller lodern machte.

Wie die Jungfrau und die Frau verschwanden, weiß Herkules bis heute nicht. Wann Madame Fiedler hinausgegangen und wie sie dies bewerkstelligt, was sie noch gesagt und was er dabei gethan hat – das wird Herrn Schwach immer ein Räthsel bleiben, selbst wenn er den Methusalem um ein Kalendarium überholen sollte.

So viel wußte er sich in seinen spätern Jahren zu entsinnen, daß er mehrere Schreckensrufe vernommen, daß er bedeutenden Blutandrang gegen den Kopf verspürt, und daß er sich nach einer halben Stunde allein und verlassen, sehr angegriffen, auf einem Sessel sitzend, wieder gefunden.

Einige Minuten habe er sich da gefragt, ob er geträumt oder Wirklichkeit erlebt? Als er aber noch Madame Fiedler, von unten herauf, aus der Vorhalle, von Weibern, Wagen, Todten, Söhnen, Müttern, Raufereien, Gesindel, &c. 99 keifen gehört, habe er sich entschlossen, statt des Traumes die Wirklichkeit zu glauben – und sich in das Innere seines schmerzlichen, etwas konfusen Bewußtseins zurückgezogen.



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