Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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XXIII

»Nach kurzer Zeit fand ich mich in Odessa schon viel besser zurecht: ich kannte alle Gassen und Gäßchen und wußte, wo es Türen gibt, die sich vor unsereinem auftun. Odessa ist wie eine Schnupftabaksdose mit Geheimverschluß: wenn man nur den Knopf weiß, auf den man drücken muß, so geht sie leicht auf; man steckt seine Finger hinein und nimmt eine ordentliche Prise. Ich fand eine ganze Reihe Häuser, die zu meinem Geschäft geeignet sind und die gleichen guten Eigenschaften haben, wie die Häuser bei uns. Bettler fand ich soviel ich nur wollte, ganze Scharen und von allen Sorten: Bettler mit Säcken, Bettler ohne Säcke und auch solche, die es nur in Odessa und sonst nirgends gibt. Juden aus Jerusalem, türkische und persische Juden, die hebräisch reden; arme Greise mit Frauen und auch ohne Frauen, die nach Erez-Jissroel fahren, um dort zu sterben, inzwischen sich aber in Odessa aufhalten, wo sie auf Kosten der Allgemeinheit leben und sich vermehren. Agunes, Frauen, die an Krämpfen leiden, fromme Juden mit allerlei Krankheiten, die nach Odessa kommen, um im Liman zu baden. Verschämte Bettler von altväterlicher Art, die sich unter den einfachen Leuten in den Betstuben aufhalten, und auch neumodische, mit rasierten Gesichtern, die sich unter den Broder ›Franzosen‹ in den Kaffeehäusern und Wirtschaften herumtreiben. Arme, die keinen Groschen haben, aber ausgeputzt und elegant wie reiche Leute herumstolzieren, und Bettler, die Hausbesitzer sind . . . Alle Bettler aus unserer Gegend, die ich hier traf, lobten Odessa über alles, obwohl mir ihr Entzücken nicht recht klar war. Einer erklärte mir den Unterschied zwischen einem Bettler bei uns und einem Bettler in Odessa. Bei uns ißt der arme Mann sein trockenes Stück Brot in Trauer und Trübsinn; hier ißt er auch dasselbe trockene Brot, aber ein Leierkasten spielt ihm dabei auf. In Odessa spielt der Leierkasten überhaupt eine große Rolle. Auf den Straßen spielt der Leierkasten, im Hause ein Leierkasten, im Wirtshaus ein Leierkasten, im Theater ein Leierkasten und auch in der Schul – sie sei davon wohl unterschieden! – ist ein Leierkasten. In Odessa geht es immer laut und lustig zu: man hört nichts als Spielen, Pfeifen und Singen. In einem Wirtshaus sitzt ein betrunkener Mann und singt ein russisches Lied von einem hübschen Mädel; ihm gegenüber sitzen angeheiterte Juden und singen Sabbatgesänge oder einen Psalm, oder den ›Schneidermarsch‹ – lustig geht es da zu!

Wie ich so einmal durch die Straße gehe, bekomme ich plötzlich hinten im Rücken einen ordentlichen Stoß. Ich nehme ihn in Liebe hin und mache mir nichts daraus: ich denke mir, daß mich jemand aus Versehen gestoßen hat. Gleich darauf spüre ich aber einen zweiten Stoß, wie wenn man mich mit einem Stück Holz in den Rücken stieße. Ich drehe mich um und sehe Jontel, den Cholera-Bräutigam. Er sitzt auf der Straße, stützt sich auf den einen Schemel und hält den andern in der Hand. Er strahlt vor Freude über das Wiedersehen mit mir. Auch ich freute mich über Jontel, mit dem ich in Glupsk gut befreundet war; ich war ja auch auf dem Friedhof bei seiner Hochzeit gewesen, in der Cholerazeit, nicht gedacht soll ihrer werden!

›So, Fischke?‹ sagte er mir nach der ersten Begrüßung: ›Du bist also auch hier bei uns in Odessa? Ist doch ein schönes Städtchen, mein Odessa!‹ Wie er sieht, daß ich das Gesicht verziehe und von seinem Odessa nicht sehr entzückt bin, sagt er mit solchem Verdruß, wie wenn ich seinen eigenen Adel angezweifelt hätte: ›Ist dein Glupsk vielleicht eine Stadt? Der Wurm, der im Meerrettich sitzt, meint, daß es nichts Süßeres auf der Welt gibt. Wart, ich will dir mein Odessa zeigen. Wir werden schon hören, was du nachher sagst!‹

Jontel erzählt mir von dem Ansehen, das er in Odessa genießt. Alle Leute schauen mit Vergnügen zu, wie er auf seinem Gesäß herumrutscht. In vielen Kaufläden ist er gut bekannt und kriegt soviel Almosen, daß er sich gar nicht beklagen kann. Es geht ihm, unberufen, recht gut. Und als ich mich nach seiner Frau erkundigte, antwortete er mit einem Lächeln:

›Ein nettes Weib habe ich in Glupsk bekommen, Gott sei es geklagt! Was kann man auch von einem Cholera-Weib Gutes erwarten? Ach, wäre sie doch an der Cholera gestorben, noch ehe ich sie geheiratet habe! Es fehlt ihr zwar die Unterlippe und doch geht das Mundwerk vorzüglich: sie schreit und schimpft und mahlt wie eine Mühle, viel besser als andere, die zwei Lippen haben.‹

Gegen ein böses Weib – denke ich mir – gibt es kein Mittel: ist sie eine Hexe, so schreit sie, auch wenn ihr beide Lippen fehlen, auch wenn sie keinen Mund und keine Nase hat; und sie fällt über dich her, auch wenn sie blind ist . . . – Und ich erzähle Jontel kurz alles, was ich in der letzten Zeit von meinem Weibe auszustehen hatte.

›Närrchen!‹ sagt Jontel: ›Mach es doch ebenso wie ich: spuck auf dein Weib, soll sie sich zum Teufel scheren!‹

›Was heißt, spuck auf dein Weib, Jontel? Wie kann ich sie ohne Scheidung so einfach zum Teufel schicken? Ich bin doch ein Jude und will wieder heiraten.‹

›So, heiraten!‹ sagt Jontel mit einem Lächeln: ›Bist ein echter Glupsker, so wahr ich lebe! Bleib doch eine Zeitlang bei uns in Odessa, Fischke, dann werden wir schon sehen . . .‹

Nach dieser Begegnung kam ich oft mit Jontel zusammen, und wir spazierten durch Odessa – er auf seinem Gesäß und ich auf meinen lahmen Beinen. Jontel gab sich die größte Mühe, mir sein Odessa in den schönsten Farben auszumalen. Er prahlte mit den schönen Straßen, Häusern und sonstigen Dingen, als ob das alles ihm gehörte und er viel davon hätte. So oft er mir etwas zeigte, blickte er mich mit strahlendem Gesicht an und schmachtete, wie wenn die schöne Straße oder das schöne Haus ihm einen größeren Wert in meinen Augen verliehen. Er stieß mich immer in die Seite und sprach dabei: ›Nun, Fischke! Ist doch eine schöne Stadt, Odessa? Gibt es vielleicht auch in deinem Glupsk solche Dinge?‹

›Hör mich an, Jontel!‹ sagte ich ihm einmal, als er mir einen großen Boulevard zeigte, der voller Menschen war, dem er aber, wie ich merkte, nicht gern nahe kommen wollte: ›Hör, was ich dir sagen werde: Odessa ist wirklich eine schöne Stadt, aber schade, daß es hier keine Menschen gibt! . . . Kann man denn die hiesigen Leute Menschen nennen? Kleiden sie sich denn wie Menschen, leben sie wie Menschen? Schau nur, wie dort auf dem Boulevard Mannsbilder mit Weibsbildern gearmt gehen. Es ist doch eine Schande! Rasierte Männer, verheiratete Frauen mit eigenen Haaren; hinten schleppen sie ein Stück Kleid nach und vorne ist die ganze Brust offen. Pfui, ekelhaft, so wahr ich lebe! . . . Wenn es hier unsere Juden, Glupsker Juden gäbe, dann, siehst du, dann wäre Odessa eine Stadt und hätte ein schönes, jüdisches Aussehen, so wie es sich gehört.‹

Jontel rutscht schweigend an meiner Seite weiter; offenbar weiß er nicht, was zu antworten. Unterwegs begegnen wir einigen feinen Herren, die wie Franzosen aussehen. Jontel streckt die Hand aus, einer von den Herren bleibt stehen, läßt sich mit ihm in ein Gespräch ein und gibt ihm ein Almosen.

›Weißt du, Fischke, wer das eben war?‹ fragt Jontel sehr stolz und freudestrahlend: ›Der mir eben das Almosen gab, ist der Ober-Melamed der hiesigen Talmud-Thora, mein guter Bekannter! Der sieht schon nach was aus, was meinst du, Fischke?‹

›Solch ein Jahr mögen alle meine Feinde erleben!‹ antworte ich ihm und spucke aus. ›Nach diesem schönen Melamed kann ich schließen, was für eine schöne Talmud-Thora ihr hier wohl habt. Ich frage dich, Jontel, nur das eine: wie schämst du dich nicht, zu sagen, daß solches gut ist? Nein, du bist hier schon verdorben, Jontel! Bist auch einer, wie sie alle . . . Das soll ein Melamed sein! Ein ebensolcher Melamed wie der Melamed von unserer Talmud-Thora, Reb Herzele Masik – er sei von ihm wohl unterschieden! Reb Herzele Masik hat den ganzen Tag zu tun und macht seine Sache gut. Bei jeder Beerdigung ist er dabei, er vermittelt Partien, liest auf dem Friedhofe Psalmen und lernt Mischnajes. Alles macht er. Wenn er, wie es Sitte ist, jede Woche durch die Stadt geht, um Spenden einzusammeln, laufen ihm die Leute mit dem Gelde entgegen und wenn er zu Ssimchas-Tejre mit den Talmud-Thora-Jungen zu den reichen Leuten geht, um ein Mi-Schebejrach auszubringen, so wird er in jedem Hause mit dem Kiddusch beehrt und bekommt Wein nach Herzenslust. Er schreit ›Heilige Herde‹ und die Jungen meckern dazu. Ja, das sieht nach was aus! Und was kann dein Franzos? Wie sieht es wohl aus, wenn so ein Kerl Psalmen liest oder einen Mi-Schebejrach ausbringt? Wenn er Kiddusch macht oder zu einer Beerdigung geht?‹ ›Du irrst aber gewaltig, Fischke!‹ unterbrach mich Jontel. Dieser gibt sich niemals mit solchen Dingen ab! Er hat überhaupt nichts zu tun.‹

›Was heißt, er gibt sich mit solchen Dingen nicht ab?!‹ fragte ich erstaunt: ›Wie ist es möglich, daß ein Talmud-Thora-Melamed damit nichts zu tun hat?! Daß er kein Mi-Schebejrach bei den Reichen ausbringt, daß er die feinen Leute nicht ins Grab bringt?!‹

›Beruhige dich, Fischke‹, unterbricht mich Jontel: ›Er bringt sie wohl ins Grab, aber auf eine andere Manier. Hab keine Angst, die feinen Leute sind schon zufrieden . . .‹

›Pfui!‹ schrei ich auf und halte mir die Ohren zu, um nicht mehr zu hören. Jontel läßt mich aber nicht in Ruhe und fährt fort:

›Und weißt du, wer der andere war, der mit dem Melamed ging? Ein angesehener, feiner Mensch, hat in Gemeindedingen viel zu sagen, wie bei euch in Glupsk Ahren-Jossel Stillpfeifer.‹

›Pfui, pfui!‹ rufe ich so erregt, daß die Vorbeigehenden sich umsehen: ›So einen Kerl nennst du einen feinen Menschen?! Wie unser Reb Ahren-Jossel?! Wenn du wenigstens ›er sei von ihm wohl unterschieden‹ gesagt hättest! Reb Ahren-Jossel ist ein Mann mit Bart und Pejes, die Jüdischkeit steht ihm im Gesicht geschrieben, und er hat jüdisches Geld in Händen: Gemeindegelder, Vereinsgelder und noch andere und andere Gelder – man vertraut ihm alles. Wenn er das Geld nimmt, so weiß er, was er nimmt und was mit dem Gelde zu tun ist. Man kann sich schon auf ihn verlassen. Dein feiner Mensch wird wohl ein schönes Vertrauen genießen! Woraufhin soll man ihm etwas anvertrauen? Auf seine Jüdischkeit? Auf seine gestutzten Pejes?‹

›Auf seine Ehrlichkeit, so wahr ich lebe!‹ widerspricht Jontel: ›Ganz gleich, ob er Pejes hat oder keine hat, so wahr ich Jude bin!‹

›Hör auf!‹ sage ich: ›Was willst du mir einreden? Die Ehrlichkeit will ich dir schenken. Wie kann man aber einen solchen mit dem Amt eines Sandeks oder mit Mezize beehren? Eine nette Mezize ist es wohl bei diesen feinen Menschen! Pfui, so wahr ich lebe! Es ist zum Lachen. Die ganze Welt sagt, daß vierzig Werst um Odessa herum die Hölle brennt, und das wird schon stimmen.‹

›Und doch‹, sagt Jontel giftig, ›gefällt es mir hier in der Hölle viel besser als im Glupsker Paradies!‹

Nun sah ich Jontel mit ganz anderen Augen an. Odessa hatte ihn verdorben, und ich mußte mit ihm oft streiten. Was er gut nannte, nannte ich schlecht, und was ich für gut hielt, hielt er für schlecht. Wir konnten uns niemals einigen, so zum Beispiel wegen der Großen Schul, wegen des Chasens und des Rows. Das nennt sich auch Chasen: ist wie ein Narr gekleidet und singt mit einem ganzen Chor. Nicht etwa wie unser Chasen Reb Jerachmiel Klogmutter, der den Daumen an der Kehle und die Hand an der Wange hält, bald aus vollem Halse und bald mit Fistelstimme singt, dann wieder mit Baß einsetzt, die Worte bald laut und bald leise ausspricht, Triller losläßt, bald eine süße Tanzweise anstimmt und bald eine herzzerreißende Klage erhebt: ›Himmlischer Vater, weh ist mir, weh ist mir!‹ und sein ganzes Leben in einem ›Jekum-Purkon‹ ergießt . . . So zu arbeiten fällt ihm gar nicht ein! Er selbst schweigt fast die ganze Zeit. Und wenn er einen Ton von sich gibt, fangen ihn die Chorjungen gleich auf, zerteilen ihn in einzelne Stückchen und rühren diese wie einen Brei durcheinander, und das nennt sich bei ihnen Chorgesang! Von unsern lustigen und traurigen Weisen, von einem richtigen ›Jekum-Purkon‹ haben sie keine Ahnung. Das wichtigste ist bei ihnen eine solche Kleinigkeit wie ›Ejn-Komejcho‹: daraus machen sie eine ganz große Geschichte. Und dann haben sie noch die lächerliche Sitte, mit den Thorarollen Umzüge zu machen. Wo hat man das gehört? An einem Sabbat Umzüge wie am Ssimchas-Tejre! Werdet Ihr fragen: wo ist der Row? Das ist ja das Traurige, daß der schöne Row den ganzen Tanz mitmacht. Er schreitet voraus, hat auch ein Narrengewand an, und erst sein Gesicht! Ich glaube, das alles ist übel genug, aber Jontel war von allem entzückt. ›Gewalt!‹ schrei ich: ›Was ist aus dir geworden, Jontel? Bist du verrückt oder von Sinnen? Wie kommst du dazu? Wie kann ein Mensch so tief sinken? Der böse Geist fahre in deinen Vater! . . .‹ Er aber schaut mich mit strahlendem Gesicht an und sagt nichts als: ›Fischke, du bist ein Narr, du weißt nicht, was gut ist.‹ Geh einer und rede mit einem solchen! Wie ich merkte, daß da nichts mehr zu machen ist, daß Jontel sich nicht mehr bekehren läßt, gebe ich mir das Wort, mit ihm von solchen Dingen nicht mehr zu reden. Und wenn sein Odessa sich auch auf den Kopf stellt, ich kümmere mich nicht mehr darum!

›Hör mich an‹, sage ich einmal zu Jontel, ›ich will mit dir wegen der Odessaer Einrichtungen nicht mehr streiten. Du bist ein eigensinniger Mensch, und ich werde mit meinen Worten bei dir nichts erreichen. Wollen wir nicht lieber von wichtigeren Dingen sprechen. Ich will mich mit dir beraten, wie ich mich hier einrichten soll. Das Betteln von Haus zu Haus bin ich ordentlich satt. Es gibt hier auch ohne mich Bettler genug, die die Häuser wie die Heuschrecken überfallen und wohl bald die ganze Welt überschwemmen werden. Die Bürger sind schon unzufrieden und schreien: ›Gewalt, es ist nicht mehr zum Aushalten!‹ – Ich möchte gerne irgendeine Beschäftigung haben. Rate mir, was ich anfangen soll.‹

›Ich meine‹, antwortet Jontel, ›daß du kein Kontor gründen willst, wohl auch kein Schnittwarengeschäft. Was willst du denn beginnen?‹

›Spotte nicht, Jontel‹, sage ich ihm, ›rede wie ein Mensch. Gibt es denn bei uns Juden außer einem Kontor und einem Schnittwarengeschäft kein anderes Geschäft?‹

›Ach!‹ sagt Jontel: ›Geschäfte gibt es genug. Du kannst zum Beispiel die Fleischsteuerpacht übernehmen, Vorstand in einem Wohltätigkeitsverein werden, mit den Mejer-Baal-Hanes-Büchsen zu tun haben, dich mit Gemeindesachen abgeben, in alle Dinge die Nase hineinstecken. Es gibt viele solche gute Geschäfte. Aber das alles ist nichts für dich! Wollen wir nun die Liste der geringeren jüdischen Geschäfte durchnehmen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Altkleiderhandel? Viele Leute ernähren sich damit gar nicht schlecht!‹

›Nein!‹ antwortete ich ihm: ›Alte Kleider muß man erst einkaufen, dann ausbessern, und dazu braucht man Geld. Auch muß man das Handwerk lernen, und das wäre für mich zu schwer. In Glupsk ginge es ja noch: dort macht es nicht viel aus, ob die Hosen zerrissen sind oder nicht, ob sie gut oder schlecht geflickt sind. Aber hier in Odessa ist es doch ganz anders. Die Hosen sind hier eine große Sache, und man muß sie mit Respekt anfassen.‹

›Wenn du vor den Odessaer Hosen solche Angst hast, so versuch es mit Zwiebeln, Knoblauch, angefaulten Zitronen, Apfelsinen oder dergleichen. Du mußt aber wissen, daß es hier Sitte ist, sich vor einen Karren zu spannen und die Ware laut und mit einer gewissen Melodie auszuschreien.‹

›Schreien kann ich sehr gut‹, antwortete ich ihm, ›darin bin ich ein Meister. Aber um mich wie ein Pferd vor einen Karren zu spannen, habe ich keine Kraft. Und dann ist doch wieder dieselbe Frage: Wo nehme ich das Geld her?‹

›Hör mich an, Fischke‹, sagt Jontel mit ernstem Gesicht: ›Die Geschäfte, die weder Mühe noch Geld verlangen, habe ich dir gleich am Anfang aufgezählt; das sind die vornehmen Berufe. Andere weiß ich nicht. Weißt du denn selbst etwas?‹

›Am liebsten ginge ich an ein Bad‹, sagte ich zu Jontel. ›Im Glupsker gemauerten Bad, wo ich gelebt habe, war man mit mir sehr zufrieden. Zu dieser Arbeit habe ich getaugt. Wäre nicht meine unglückliche Heirat, hätte ich es dort sehr weit gebracht. Wenn du hier in Odessa wirklich ein Ansehen genießt, so tu mir den Gefallen, liebster, bester Jontel, und hilf mir an irgendeinem Bad unterzukommen. Sei mir ein Bruder, Jontel, und zeig mir, was du kannst!‹

›Jetzt kann ich dir auf deine Bitte noch gar nichts sagen‹, erwidert Jontel mit einem Lächeln. ›Sei so gut und schau dir zuerst die hiesigen Bäder mit eigenen Augen an. Dann wollen wir darüber sprechen.‹

Ich folgte diesem Rat und ging erst in ein Bad, dann in ein zweites und in ein drittes. Sie kamen mir alle sehr merkwürdig vor. Könnt Ihr Euch so ein Bad vorstellen?! Es ist darin hell und sauber wie in einer Wohnstube, und es stehen gute gepolsterte Bänke, so wahr ich Jude bin! Man sieht kein einziges Hemd hängen! Es ist wirklich zum Lachen! Nein, sage ich mir, an einem solchen Bad kann ich nicht sein. Hier fehlt mir die Freude, die ich am Glupsker Bad hatte. In Glupsk ist es ganz anders und sieht nach was aus. Dort halten sich viele Menschen auf und man liegt in großer Gesellschaft auf den Bänken. Man unterhält sich, man erzählt Geschichten und bespricht alles, was in der Welt vorgeht. Es ist so schön, so angenehm, ein wahrer Hochgenuß! . . . Ich habe noch verschiedene andere Bäder besucht, doch alle waren anders als das Glupsker Bad. Es riecht dort auch ganz anders als in unserm gemauerten Bad! Und ihre Mikwes sind einfach zum Lachen. Unser Mikwewasser läßt sich greifen, es hat eine andere Farbe, einen andern Geschmack und eine andere Dichtigkeit als jedes andere Wasser. Man fühlt sofort die Jüdischkeit heraus . . . In Odessa ist aber das Mikwewasser durchsichtig und gewöhnlich wie jedes andere Wasser, wie Trinkwasser . . .

›Nun, Fischke?‹ fragt mich Jontel mit einem Lächeln: ›Hast du dir die hiesigen Bäder angesehen?‹

›Ach‹, sage ich, ›es lohnt sich gar nicht davon zu reden. Bei euch ist ja alles toll. Dein Odessa ist für mich kein Ort.‹«


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