Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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IX

Das Wirtshaus war außen von allerlei Wagen und Fuhren belagert. Zum Teil lag in ihnen nichts als etwas Stroh, zum Teil waren sie voller Sachen, wie solcher, die unverkauft geblieben, so auch solcher, die auf dem Jahrmarkte neu angeschafft worden waren. Aus einem Sack steckt ein Schwein seine schöne Schnauze heraus und schreit so fürchterlich, daß einem der Kopf zerspringt. Hinter einem Wagen, der mit neuen Spaten, irdenen Töpfen und Töpfchen beladen ist, steht eine rotgefleckte Kuh. Sie ist mit einem Horn an den Wagen gebunden und sucht sich mit allen Kräften loszureißen, um möglichst schnell in den Stall zu ihren Freundinnen zu kommen und ihnen zu melden: »Es ist gut abgelaufen, sie sind mich doch nicht losgeworden . . . Gelobt sei der Schor-Habor! Wir sehen uns also doch noch beim besten Wohlsein wieder! . . .« Ein Paar graue, feiste, sehr schöne Ochsen stehen unter dem gleichen Joch, machen ernste Gesichter und wiederkäuen mit großem Appetit. Sie unterbrechen diese Beschäftigung für keinen Augenblick, wie wenn es eine sehr ernste und wichtige Sache wäre und sie sich in ihren Ochsenköpfen etwas ungemein Kluges überlegten. Die Ziege des Pächters ist derweil auf einen Wagen gestiegen; sie steckt den Kopf in irgendeinen Sack, zieht ihn wieder mit vollem Maul heraus, kaut etwas, schüttelt den Bart, wedelt mit dem Schwänzchen und sieht sich schnell nach allen Seiten um. Ein alter, lahmer, ausgemergelter Dorfhund, der in seinen alten Tagen von Almosen lebt und obdachlos ist, kommt langsam heran, bleibt mit großem Respekt stehen, macht dann noch einige Schritte, schnuppert mit der Nase, erwischt einen trockenen, abgenagten Knochen und läuft mit seinem Fund etwas zurück. Er streckt sich auf der Erde aus, legt den Kopf auf die Vorderbeine und beginnt am Knochen zu nagen. Das Pferd dort vor dem anderen Wagen, dem es zu dumm geworden ist, so lange müßig an einem Ort zu stehen, zu duseln und die Schnauze und die Ohren zu bewegen, beschließt, einem Paar eingespannter Ochsen, die gerade ihr Abendessen verzehren, einen Besuch abzustatten. Ein Rad seines Wagens bleibt aber unterwegs an der Achse eines anderen Fuhrwerks hängen und wirft es beinahe um. Das Pferd von jenem anderen Wagen springt zur Seite und tritt einem dritten Pferde aufs Bein. Dieses wiehert und bäumt sich. Die Ziege erschrickt, springt vom Wagen und tritt dem Dorfhund auf den Schwanz. Der Hund humpelt auf seinen drei Beinen erschrocken davon und heult zehnstöckige »Schalscheles«.

Mit großer Mühe dränge ich mich zwischen allen diesen Fuhren durch, sehe mich dabei immer um, ob ich hier nicht das, was ich suche, entdecke, und trete schließlich ins Wirtshaus.

Was im Wirtshause vorgeht, erfasse ich ganz allmählich, eines nach dem andern, und nicht auf einmal. Den ersten Willkommengruß bekommt meine Nase zu spüren. Schon auf der Schwelle empfing mich ein schwerer, durchdringender Geruch von Branntwein, schlechtem Tabak und Menschenschweiß. Während meine Nase auf diesen Gruß mit einem schallenden Niesen antwortet, kommen meine Ohren an die Reihe. Ein betäubendes, entsetzliches Gemisch von hohen und tiefen, hellen, heiseren und grunzenden Stimmen dringt in sie ein. Und wie die Nase und die Ohren das ihrige schon abbekommen haben, kommen meine Augen in Behandlung. Nachdem sie eine Weile im Dunkeln im dichten Menschengedränge, ohne auch die Spur eines Gegenstandes zu erkennen, herumgeschweift haben, erblicken sie plötzlich einen langen Tisch; auf dem Tische brennt in einem irdenen Leuchter eine Talgkerze mit grellroter Flamme, um die herum sich in dem Dampf und Rauch, der die Stube füllt, grün-blau-gelb-graue Kreise gebildet haben. Allmählich tauchen aus diesem Nebel einzelne Nasen, Bärte, Bärtchen, Schöpfe und ganze Gesichter von Männern und Frauen auf. Ganze Gruppen von Menschen werden sichtbar. Zum Teil haben sie erst drei, vier Gläschen Schnaps getrunken und halten sich noch auf den Beinen. Zwei Betrunkene liegen sich etwas abseits in den Armen und schimpfen auf einander vor lauter Liebe mit den wüstesten Schimpfworten. Vor ihnen steht ein Frauenzimmer mit bloßen Füßen, kurzem Rock und gesticktem, weit ausgeschnittenem Hemd; sie freut sich offenbar über die beiden, klopft bald dem einen, bald dem anderen liebevoll auf den Rücken und redet ihnen zu: »Es ist genug! Geht heim!« Das betrunkene Paar aber schimpft vor lauter Liebe noch wüster, umarmt sich noch inniger und fällt schließlich um. Andere sitzen auf langen Bänken und haben Flaschen und Speisen vor sich stehen. Zwei dicke Kerle trinken einander zu und sind, wie man so sagt, in heiterer Stimmung. Einer, der offenbar großer Liebhaber des bitteren Tropfens ist und sich hier im Wirtshause wohl ständig aufhält, raucht seine Pfeife und trinkt bald dem einen, bald dem anderen zu, obwohl die Betreffenden sich nach ihm nicht einmal umsehen. Und ganz zuletzt entdecke ich eine lebhafte jüdische Frau in abgeschabter Felljacke, mit einem Tuch auf dem Kopf: es ist die Frau des Schenkers in eigener Person. Der Tisch vor ihr ist mit Fäßchen, Flaschen, Gläsern, Gläschen, Kränzen von Kringeln, gekochten Eiern, gedörrten Fischen und Stückchen versteinerter Leber besetzt. Ihr Mund steht keinen Augenblick still, und ihre Hände werden nicht müde, bald mit dem einen, bald mit dem anderen zu reden, bares Geld einzukassieren und herauszugeben, Pfänder anzunehmen und mit Kreide Striche und Ringel bald auf des einen, bald auf des anderen Rechnung zu setzen.

Ich geh zwischen allen diesen Leuten herum, versuche mit dem einen und mit dem andern zu reden und erfahre gar nichts.

Das Wirtshaus leert sich, und die Gäste fahren heim. Ich gehe auf die Schenkwirtin zu und halte dabei die Peitsche sichtbar unter dem Arm: ich weiß, daß die Schenkwirtinnen allen Kutschern gut gesinnt sind und sie mit Branntwein, Essen und andern Dingen zu bestechen pflegen, damit sie bei ihnen mit ihren Fahrgästen einkehren. Die Peitsche diente mir sozusagen als Fürsprecher und verlieh mir Gnade in der Wirtin Augen. Und zwischen uns begann folgendes Gespräch:

»Guten Abend!« – »Gutes Jahr!« – »Wo ist Euer Mann?« – »Was braucht Ihr meinen Mann?« – »Einfach so!« – »Sagt es mir, vielleicht könnt Ihr auch mich brauchen?« – »Gut, von mir aus.« Wir kommen ins Gespräch, und ich erzähle ihr recht ausführlich vom Unglück, das mir zugestoßen, und von der üblen Lage, in der ich mich befinde. Sie hält den Kopf in die Hand gestützt und zwei Finger auf der Wange, seufzt voller Mitgefühl und sagt immer wieder: »Nein, so was! Nein, so was!« Ich tue ihr den Gefallen und erzähle ihr, wer ich bin, wie ich heiße und womit ich handle; sie ihrerseits überschüttet mich mit Worten und erzählt mir jede Kleinigkeit, die sie auf dem Herzen hat: von ihrem Mann, dem Pechvogel, von den Kindern und vom Geschäft . . . Und so werden wir miteinander gut bekannt. Wir stellen auch fest, daß wir miteinander entfernt verwandt sind: sie heißt Chaje-Trajne meiner Großtante großmütterlicherseits zu Ehren. Groß ist die Freude! Sie erkundigt sich nach meinem Weib, nach meinen Kindern und nach jedem einzelnen. Und wie ihr Mann heimkommt, teilt sie ihm in einem Atem mit: »Wir haben einen Gast . . . Einen lieben Gast, Reb Mendele, den Bücherhändler! . . . Er ist mein Verwandter!« Und sie stemmt die Hände in die Hüften und wendet sich stolz an ihren Mann:

»Meinst du vielleicht, daß du mich aus einem Stalle heraus geheiratet hast?! Ich brauche mich, Gott sei Dank, vor anderen nicht zu schämen. So wahr ich lebe, du kannst auf meine Familie stolz sein!«

– Schöpfer der Welt! – denke ich mir – Saul suchte eine Eselin und fand ein Königreich, und ich suchte ein Pferd und fand eine Chaje-Trajne? . . . –

Chaje-Trajnes Mann hat eine lange Nase; sein dünnes Bärtchen, Pejes und Brauen sind hell wie Flachs. Wenn er schweigt, kaut er an seiner Zunge, und ehe er etwas sagt, beleckt er sich die Lippen, so daß man bei seinem Anblick den Sinn des Wortes »Leckisch« versteht. Wie er mich begrüßt, stammelt er etwas, was ich gar nicht verstehen kann, und seinem ganzen Benehmen merke ich bald an, daß er ein Pantoffelheld ist und das bitterste Leben hat. Wie ich später erfuhr, heißt er in der ganzen Gegend »Chajim-Chane Chaje-Trajnes«, sie aber heißt: »Chaje-Trajne der Kosak«.

»Wo hast du dich herumgetrieben?« nimmt Chaje-Trajne ihren Mann ins Gebet. »Wo hat dich, du Pechvogel, der Teufel herumgetragen? Hast du's gehört? Wie kann man nur sein ganzes Haus und die ganze Wirtschaft so im Stiche lassen? . . . Macht nichts, Reb Mendele ist von der Familie, und vor ihm kann man es sagen, was für eine Strafe Gottes du bist. Schaut ihn nur an, wie er wie ein Lehmgötze dasteht und seine Zunge kaut!«

»Du hast mich doch selbst zu Gabriel nach einem Sack Kartoffeln geschickt! Ja, du selbst hast mich geschickt!« verteidigt sich Chajim-Chane, nachdem er sich die Lippen beleckt hat.

»Der Rebbe, der feine Rebbe war wohl krank, den Sack Kartoffeln zu bringen, essen kann er aber für zehn?«

»Der Rebbe ist doch mit der Kuh und dem Kalb auf die Weide gegangen!« erklärt Chajim-Chane seinem Weib.

»Schweig schon, schweig, kaue dir lieber die Zunge!« sagt Chaje-Trajne mit einem bösen Blick auf ihren Mann. Und dann wendet sie sich an mich und rechnet mir vor, was sie von jedem einzelnen auszustehen hat. Wenn sie nicht wäre, hätte man das ganze Haus längst auf den Kopf gestellt. Bei jedem zweiten Wort sagt sie aber: »Macht nichts, vor Euch darf man wohl wie vor einem Vater alles sagen: Ihr gehört ja zur Familie, Reb Mendele!«

Ich mache den Friedensstifter und verwende mich für Chajim-Chane. Des lieben Friedens willen lüge ich sogar und beschuldige alle Männer, darunter auch mich selbst, und rühme alle Weiber, besonders aber Chaje-Trajne: wenn sie nicht wäre, so wäre die Welt keine Welt. Chaje-Trajne wurde etwas milder.

»Gesund sollt Ihr mir sein, Reb Mendele!« sagt sie mit strahlendem Gesicht und wendet sich gleich darauf schon viel milder an ihren Mann:

»Genug schon, die Zunge zu kauen! Wisch lieber die Gläser und Teller ab, von denen die Esaus gefressen haben. Reb Mendele hat sicher Hunger!« sagt sie, sich von ihrem Platz am Schenktisch erhebend. »Ich habe ja auch selbst Hunger. An den Markttagen essen wir immer so furchtbar spät zum Abend. Wir haben einfach keine Zeit. Kommt doch zu uns in die Stube, wir bitten Euch schön darum!«

Gleich aus der Schenke kommt man in eine finstere Kammer; der Türe gegenüber liegt eine andere Kammer, links tritt man aber in eine große niedrige Stube ohne Diele, mit kleinen Fenstern. Die Scheiben sind zum Teil gesprungen, zum Teil aus kleinen Stückchen zusammengesetzt und zum Teil ganz zerschlagen. Nur in einem versteckten Winkel ist noch eine ganze Scheibe übriggeblieben, die wie der letzte Zahn einer Greisin zittert und leise zu klagen scheint: »Es ist so traurig!« An der Fensterseite der Stube stehen ein Tisch und zwei ungestrichene Holzbänke. Am andern Ende prangt ein Bett, auf dem sich, unberufen, ganze Berge von großen, mittleren, kleinen und ganz kleinen Kissen bis zur Decke türmen. Am Ofen steht eine breite Bank, die nachts als Bett dient. An den Wänden hängen mit Spinngewebe überzogene und von Fliegen und Küchenschaben beschmutzte Bilder. Durch den Schmutz hindurch erkennt man einen Misrach mit Kaninchen und seltsamen Tieren: – halb Ziege und halb Hirsch, halb Löwe und halb Esel, halb Leopard und halb Otter. Ein langer, wie ein Unteroffizier gekleideter Haman hängt an einem Galgen, der ihm kaum bis an die Achsel reicht, so daß der Galgen eher auf ihm hängt! Neben ihm steht Mordechai in einem Straimel, Kaftan, Gürtel, Schuhen und Socken, mit Pejes an den Schläfen. – Um ihn herum drängen sich bärtige Juden mit langen Nasen; sie halten Weinbecher in der Hand und rufen: »Zum Wohl, Reb Mordechai!« Hamans Frau mit dem Topf ist aber von den Fliegen gar übel zugerichtet: von ihr kann man nur ein Stück Gesicht erkennen. Auch Napoleon ist, nebbich, in jüdische Hände gefallen. Ach, was sie aus ihm gemacht haben! Er hängt zwischen Potiphars Frau, einer abscheulichen Mißgeburt, die den armen Joseph am Rocke schleppt, und einem schmalen, schmierigen, schiefen Spiegel, hinter dem ein trockener Lulew und alte, abgeschlagene Hejschanes stecken.

In der Stube macht sich ein breites Mädel mit Backen, so dick wie zwei Krapfen, emsig zu schaffen; sie hat sehr wenig Haare auf dem Kopfe und zwei dünne Zöpfchen hinten hängen. Sie hält die Arme steif wie zwei Deichselstangen vor sich ausgestreckt und bewegt sich wie auf Schlittenkufen, ohne die Füße vom Boden zu heben. Der Kopf eilt dabei dem übrigen Körper voraus. In den Händen hat sie ein Tischtuch und Teller und deckt den Tisch. Chaje-Trajne flüstert ihr etwas ins Ohr, und sie wendet ihre Deichseln um und gleitet, den Kopf wieder vorgestreckt, hinaus. In einer Ecke balgen sich an die vier kleine Kinder, Mädchen und Jungen, wegen eines kleinen Hundes, der so furchtbar winselt, daß einem Hören und Sehen vergeht. Chaje-Trajne fällt über sie her, kneift den einen, zupft den andern und wirft den Hund hinaus. Die Kinder zeigen einander Feigen und verteilen sich in allen Ecken der Stube. Bald darauf erscheint Chajim-Chane mit einem großen Topf Sahne. Chaje-Trajne nimmt ihn ihm aus der Hand, macht sich damit etwas zu schaffen und fordert uns auf, uns die Hände zu waschen.

Ein kleiner Junge ohne Rock und Stiefel, in Höschen und Arbe-Kanfes kommt voller Freude hereingelaufen: der Rebbe hat im Stall einen jungen Spatz gefangen! . . . Alle Kinder sind vor Bewunderung ganz starr und stehen mit gereckten Hälsen da. Ehe sie zu sich gekommen sind, tritt in die Stube ein junger Mann mit geschwollener Nase und dicken Lippen. Er wäscht sich über dem Mülleimer die Hände, setzt sich an den Tisch und steckt sich sofort ein großes Stück Brot in den Mund; er tut alles, ohne jemand anzublicken, in solcher Eile, als hätte er Angst, daß man ihm alles wegißt. Indessen erscheint das dicke Mädel mit den Krapfenbacken, sabbatlich geputzt, wieder in der Stube und setzt sich an den Tisch. Chaje-Trajne sagt mir, mit dem Finger auf das Mädel zeigend: »Das ist meine Älteste, Chassje-Grunje.« Die Gesellschaft ißt zuerst sehr manierlich; allmählich wird es aber lebhafter und lauter: zehn Löffel greifen zugleich in die gleiche Schüssel und fahren dann in zehn Münder, die mit großem Appetit, ein jeder auf seine Manier, schlingen und schlürfen. Es ist eine große Eile und Überstürzung, man hört nur schlucken und schlingen. Meine neu entdeckten Verwandten nötigen mich in einem fort: »Esset, lasset Euch nicht lange bitten!« Und ich schlürfe auf meine Manier. Der junge Mann mit der geschwollenen Nase ist nicht faul: er ißt für zehn und ruht nicht, ehe er den auf dem Boden der Schüssel gemalten Vogel erreicht. Wie er mit der Arbeit fertig ist, seufzt er aus der Tiefe seines Bauches auf und sieht sich mit seinen gläsernen Augen um. Dann erhebt er sich von seinem Platz, streckt mir seine Hand entgegen und sagt: »Friede sei mit Euch! Ihr kommt mir bekannt vor! Wie heißt Ihr?« Ich sage ihm meinen Namen, und er springt vor Entzücken auf:

»Reb Mendele! . . . Reb Mendele, der Bücherhändler! Psst! Das ist doch kein Spaß! Wer kennt nicht Reb Mendele? Ich hatte einmal in Glupsk die Gnade, bei Euch ein Gebetbuch zu kaufen.«

»Reb Mendele ist mein Verwandter«, sagt Chaje-Trajne mit Stolz und schmilzt schier vor Freude. Dann zeigt sie auf den jungen Mann und sagt: »Das ist unser Rebbe! Nun Hejschaikele«, wendet sie sich an den Jungen ohne Rock, »Reb Mendele will hören, was du kannst. Schäm dich nicht, der Onkel wird dich nicht fressen.«

Hejschaikele bohrt mit dem Finger in der Nase, blickt mürrisch auf die Seite, zuckt die Achseln und sagt: »Ich säme mich, ich säme mich! . . .«

»Wie alt ist Euer Hejschaikele, leben soll er?« frage ich die Mutter.

»Mein Hejschaikele, leben soll er, ist im Frühjahr Bar-Mizwe geworden«, antwortet die glückliche Mutter.

»Nun, Hejschaikele«, sag ich, den Jungen in die Backe kneifend, »schäm dich nicht, sag, was haben wir diese Woche für eine Ssedre?«

»Sag! Sag!« bestürmt man Hejschaikele von allen Seiten. Er glotzt und schweigt.

»B . . . b . . .« beginnt der Rebbe mit den dicken Lippen.

»B . . . b . . . behai!« platzt Hejschaikele mit einem Blick auf seinen Rebben heraus.

»Nein, Bolok, Bolok«, sage ich ihm vor und richte an ihn eine neue Frage: »Was hat Bolok sagen lassen?«

Der Rebbe leckt sich den Finger, um den Schüler auf den richtigen Weg zu führen.

»Lecken!« schreit Hejschaikele mit großem Eifer.

»Wer? Wer?« dringt der Rebbe auf seinen Schüler ein und glaubt, daß dieser schon auf dem richtigen Wege sei: »Wer?«

»Der Rebbe!« ruft Hejschaikele sehr laut aus.

»Du verstopfter Kopf!« ereifert sich der Rebbe. »Wer, sagt Bolok, tat lecken?«

»Die Juden!« sagt Hejschaikele schnell mit seiner quietschenden Stimme.

»Ja, die Juden, die Juden, Hejschaikele!« sag ich, ihm die Wange streichelnd. »Sehr gut! Du weißt es.«

Die Mutter ist überglücklich. Sie hält die Hände auf dem Magen gefaltet und strahlt vor Freude. Selig ist der Leib, der einen solchen Schatz geboren hat! Der Vater kaut die Zunge und freut sich ebenfalls.

Nach dem Essen bringt Chaje-Trajne die Rede auf meine Angelegenheit: »In einigen Stunden muß mein Janko mit den Pferden heimkommen. Dann werdet Ihr Euch, Reb Mendele, auf das eine Pferd setzen, mein Mann setzt sich auf das andere, und Ihr werdet die beiden Wagen mit den Waren herbringen. Das weitere werden wir dann schon sehen. Inzwischen könnt Ihr Euch etwas hinlegen: da habt Ihr ein Bett mit einem Überbett.«

»Ich danke schön!« sage ich ihr. »Wenn ich einmal in diesem Bett liege, wird es schwer fallen, mich von dort wieder herauszuziehen. Gott allein weiß, wie lange ich schlafen werde; die Zeit ist aber jetzt viel zu teuer. Ein anderes Mal, so Gott will, wenn ich mit Weib und Kindern zu Euch zu Gaste komme, dann, seht Ihr, werde ich von Euch Abschied nehmen und mich für eine lange Zeit in den Abgrund dieses Bettes stürzen.«

»Wir bitten darum, wir bitten darum!« sagt Chaje-Trajne sehr freundlich. »Und zwar wirklich mit allen Kindern! Bringt auch Eure Jachne-Sossje mit. Aber jetzt könnt Ihr Euch doch wenigstens mit einem Kissen in die Kammer zurückziehen.

Schlaft wohl!« wünscht sie mir zum Abschied. »Seid unbesorgt, mein Mann wird Euch ganz früh, um die Stunde, wenn der Ochs auf die Weide zieht, wecken.«


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