Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

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III

Alter Jaknhas konnte vor Hitze kaum atmen, Angstschweiß war ihm in die Stirn getreten. Er seufzte und ächzte so furchtbar, daß es mich am Herzen packte. Um ihn etwas aufzumuntern und auch um etwas zu reden und die Zeit totzuschlagen, fange ich mit ihm ein Gespräch an:

»Euch ist es wohl ordentlich heiß, Reb Alter?«

»Beh!« antwortet Reb Alter etwas unzufrieden und rückt unter dem Baume, wo es gar nicht so schattig ist, weil die Sonne durch die Zweige dringt, unruhig hin und her.

»Fühlt Ihr Euch schlecht vom Fasten, daß Ihr so ächzt?« versuche ich Reb Alter aufzumuntern; und ich beschließe, von ihm, auch wenn es mein Tod wäre, wenigstens ein Wort herauszubekommen.

»Beh!« sagt Alter und rückt wieder hin und her.

Mit diesem »Beh« wollte ich mich aber nicht begnügen. »Du bist«, denke ich mir, »ein eigensinniger Mensch! Macht nichts: du wirst schon zu reden anfangen. Schweiß und Hitze lasse ich sein und fange vom Geschäft an: das Geschäft ist das beste und einzige Mittel, einen Juden gesprächig zu machen. Wenn der Jude selbst im Todeskampfe ein Wort vom Geschäft hört, wird er lebendig, und der Todesengel kann mit ihm nichts anfangen. Selbst meinem ärgsten Feinde wünsche ich nicht, zu einem Kaufmann zu kommen, wenn dieser gerade an seine Geschäfte denkt. In einem solchen Augenblick vernichtet er einen jeden, selbst den besten Freund, selbst seinen leiblichen Bruder mit einem einzigen Blick . . .« Aber nicht davon will ich sprechen. Ich wende mich also an Alter mit den Worten:

»Ich glaube, wir werden ein Geschäftchen machen, Reb Alter! So wahr ich lebe: es ist gut, daß wir uns heute getroffen haben. Ach, was ich heute für Ware bei mir habe, das reinste Gold!«

Das Mittel wirkt. Alter wird sofort ein anderer. Er richtet sich ein wenig auf, spitzt die Ohren und blickt mich an. Und ich gebe ihm noch mehr von den belebenden Tropfen: »Diesmal machen wir das Geschäft um bares Geld. Ihr kommt ja vom Jarmolinetzer Jahrmarkt und müßt, unberufen, die Taschen voll Geld haben.«

»Taschen voll Geld – ja natürlich! Ein Herz voll Wunden habe ich«, ruft Alter wütend aus. »Ich sage Euch, Reb Mendel . . . Ein Mensch ohne Glück soll lieber gar nicht geboren werden . . . Geschäfte . . . Ich wollte neue Geschäfte machen! Ja, ein anderer an meiner Stelle . . . Aber bei mir fällt das Brot immer auf die Butterseite. Dieses Pech! Das Herz tut mir weh, wenn ich es erzähle. Die Nase schneuzen und es sich übers Gesicht schmieren – das ist alles, was mir übrigbleibt!«

Ich merkte schon, daß mit meinem Alter etwas nicht in Ordnung ist, daß er irgendein Pech gehabt hat. Und wo er schon einmal den Mund geöffnet hat, genügt der leiseste Druck, damit er neun Maß Rede hinschüttet. Ich hatte nichts dagegen. Also rückte ich fest an, und Alter legt sich ins Zeug und erzählt mir von seinem Unglück folgendermaßen:

»Ich komme also nach Jarmolinetz auf den Jahrmarkt gefahren. Und wie ich auf den Jahrmarkt komme, stelle ich mich, versteht Ihr mich, mit meinem Wagen hin und packe meine Ware aus. Also gut. So stehe ich da und warte auf Erlös. Mein Unglück hat mich wohl auf diesen Jahrmarkt getrieben. Ich steckte nämlich, nicht auf Euch gedacht, arg in der Klemme. Der Drucker mahnt von mir Geld. Nun, das ist noch nicht schlimm, soll er nur mahnen. Er will mir aber, versteht Ihr mich, keine Ware mehr geben! Meine ältere Tochter ist schon in den Jahren. Und ein Mädchen, versteht Ihr mich, muß heiraten. Zerbrech dir also den Kopf und such einen Bräutigam. Bräutigame gibt es genug, aber den richtigen Bräutigam, versteht Ihr mich, den gibt es nicht. Und nun muß es auch noch meiner Frau einfallen, einen Sohn zu kriegen, und wann? – ausgerechnet vor Pejssachl Versteht Ihr, was das heißt, wenn das Weib einen Sohn kriegt? Eine richtige Hochzeit, sage ich Euch!«

»Nehmt es mir nicht übel«, sag ich zu Alter, »wenn ich Euch unterbreche. Warum habt Ihr aber auf Eure alten Tage ein so junges Weib genommen, das jeden Augenblick ein Kind kriegt?«

»Gott sei mit Euch!« sagt Alter erstaunt, »ich mußte mir doch eine Hausfrau ins Haus nehmen. Woran denkt der Jude beim Heiraten? An nichts anderes! Er will doch bloß eine gute Hausfrau haben . . .«

»Warum habt Ihr Euch dann, Reb Alter, von Eurer ersten Frau scheiden lassen und ihr das Leben verdorben? Sie war doch eine gute Hausfrau!«

»Beh!« sagt Alter und verzieht das Gesicht.

»Eure erste Frau war ja, Gottlob, auch nicht unfruchtbar«, setze ich Alter noch weiter zu. »Wo habt Ihr die Kinder, nebbich, hingetan, wie?«

»Beh!« brummt Alter, kratzt sich die Pejes, winkt mit der Hand und seufzt tief auf.

»Beh« ist ein vorzügliches jüdisches Wort, das viele Bedeutungen hat und auf alle Fragen Antwort gibt. »Beh« kann man in einem Gespräch jeden Augenblick anwenden, und es wird immer passen. Der Jude kann sich mit dem »Beh« aus jeder Klemme helfen. Mit dem »Beh« bezahlt der Bankrotteur seine Schulden, wenn die Gläubiger ihm zusetzen. Das »Beh« steht dem Juden in der Not bei, wenn er mal, nebbich, als Lügner dasteht. Mit dem »Beh« fertigt er einen Menschen ab, der zwei Stunden lang auf ihn einredet und von dessen ganzer Rede er nicht ein einziges Wort gehört und verstanden hat. Mit dem »Beh« wird ein frommer Heuchler abgefertigt, wenn er eine bissige Anspielung macht; ein angesehener Bürger, wenn er einen üblen Streich spielt; ein Mensch, den man für anständig und ohne Hintergedanken hält, wenn es ans Licht kommt, daß er sich verstellt und die Nase voll Flöhe hat. Das Wort »Beh« hat also die verschiedensten und merkwürdigsten Bedeutungen, wie zum Beispiel: »Laß mich in Ruh«, »Lade mich zum Unessane-Tejkef«, »Von mir aus«, »Im Gegenteil« und noch vieles andere. Der kluge Jude errät immer gleich, was mit dem »Beh« gemeint ist, und faßt es immer im richtigen Sinne auf.

Alters letztes »Beh« war bitter und giftig. Es steckte darin etwas wie Reue, wie Sehnsucht, wie eine Selbstanklage. Sein häßliches Benehmen gegen seine erste Frau und ihre Kinder lag ihm sicher wie ein schwerer Stein auf dem Herzen. In jedem Unglück, das ihm zustieß, sah er wohl eine Strafe für sein Vergehen. Das konnte man seinem bitteren Seufzen und der Handbewegung deutlich anmerken; auch das Kratzen an den Pejes besagte soviel wie: »Beiße dich in die Lippen und schweig . . . Versinke in die Erde!«

Ich machte mir große Vorwürfe, daß ich Alters alte Wunden aufgerissen hatte. Das sieht einem Juden ähnlich: sich in eine fremde Angelegenheit einmischen und mit seinen Fragen dem anderen in die Seele hineinkriechen, wo sie ihm wehtut, wenn er, nebbich, heimlich die größten Schmerzen leidet. Außerdem ärgerte ich mich, daß meine ganze Mühe umsonst gewesen war. Alter war ja schon so schön ins Zeug gekommen und seine Zunge arbeitete wie ein Pendel; und da hatte ich ein Rädchen angerührt, so daß das Uhrwerk sofort stehenblieb! Und ich wandte wieder alle meine Mittel an, geizte nicht mit den belebenden Tropfen, und es gelang mir, den richtigen Schlüssel zu finden und die Feder von neuem aufzuziehen, so daß seine Zunge wieder zu arbeiten begann.


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