Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI

Alter tat einen starken Zug aus seiner Pfeife, die sich auf die gemeinste Weise verstopft hatte, schraubte schimpfend das Rohr ab und setzte an dessen Stelle einen Gänsekiel ein. Dann steckte er die Pfeife wieder in Brand, sog einige Male am Mundstück und ließ eine Rauchwolke wie aus einem Schornstein steigen. Ich reckte ein wenig meine alten Knochen und erzählte weiter:

»Am nächsten Morgen komme ich also ins Bad, sehr zeitig, als die Leute noch nicht versammelt sind. Berl der Bader sitzt, von übereinandergetürmten Kübeln umgeben, und bindet Besen. Er betrachtet dabei die Blätter an den Ruten mit der ernsten Miene, mit der die Frauen Erbsen auszulesen pflegen. Nicht weit von ihm steht am Ofen Itzek der Kleiderhüter, ein Mann, der dieses Handwerk schon an die dreißig Jahre ausübt und dessen ganze Beschäftigung darin besteht, daß er mit verschränkten Armen dasteht, die Haufen Kleidungsstücke überwacht und ab und zu einem, der das Bad verläßt, ›Zum Wohl!‹ wünscht. Davon lebt der Mann. Er wirft beide Arme empor, gähnt, rechnet aus, wieviel Geld sein Weib für den Sabbat verlangen wird, wechselt mit Berl einige Worte über die schönen Einnahmen der letzten Zeit, schimpft auf die Bürger und nimmt sie der Reihe nach durch: dieser ist so, und jener so, es gibt eben nicht mehr solche Menschen wie einst, auch das Bad ist nicht mehr dasselbe wie vor Jahren. Weniger als einen Sechser zu geben, fiel einst selbst dem geizigsten Menschen nicht ein; und heute . . . Er spuckt aus und fügt hinzu: ›Heute mögen sie alle krepieren!‹

Berl und Itzek begrüßen mich mit einem freundlichen ›Gesegnet sei, der da kommt‹. Wir hatten uns ja schon lange nicht gesehen, und ich war ihnen wirklich willkommen. Wir beginnen ein Gespräch, reden über dies und das und zuletzt kommt die Rede auf Fischke. ›Wo ist‹, frage ich, ›unser Fischke?‹

›Fischke?‹ sagt Itzek, mit dem Kopfe nickend: ›Fischke ist heut ein großer Herr! Das wünschte ich, wenn es ihm nur nicht schadet, gar manchem Menschen! . . . Ja, dem Fischke geht es jetzt so, wie er es sich nicht einmal im Traume gewünscht hat!‹

Schließlich erzählte mir Berl der Bader folgende Geschichte:

›An einem Donnerstag gegen Abend habe ich alle Öfen ordentlich eingeheizt und lege mich, um auszuschnaufen, mit den anderen Leuten auf eine Bank im Bade hin. Außer uns lagen noch einige Nichtstuer da, die sich hier bei uns herumtreiben. Und wie wir so liegen und vergnügt miteinander reden, hören wir plötzlich, wie ein Wagen gefahren kommt und vor dem Bade hält. Wir machen uns nicht sehr viel daraus. Doch ehe wir uns umsehen, kommen drei eisenfeste, kräftige Kerle ins Bad und schreien aus einem Munde: – Guten Abend, Juden! Wo ist Fischke? Gebt uns Fischke her! – Da erschrak ich ein wenig: Was soll das heißen, daß die Leute in einem Atem nach Fischke verlangen? Aber gleich darauf überlegte ich mir, daß ich gar nicht so zu erschrecken brauchte: Fischke ist, Gott sei Dank, kein Dieb, große Geschäfte hat er nicht, und selbst wenn diese Kerle Rekrutenfänger sind, so braucht Fischke vor ihnen ebensoviel Angst zu haben, wie vor einem milchigen Messer. Fischke hat, Gott sei Dank, solche Vorzüge, daß man ihn unmöglich unter die Rekruten stecken kann!

– Ihr braucht Fischke? – rufe ich beherzt aus: – Er ist jetzt nicht da. Sagt mir aber, Vettern, wozu ihr den Fischke braucht, ich möchte es gerne wissen. –

Die Juden schauen einander an, dann tritt einer von ihnen vor und sagt mir: – Gut, wir wollen es Euch sagen, warum auch nicht? Wir brauchen uns dessen nicht schämen. Es ist eine durchaus jüdische Sache, die Geschichte verhält sich so:

– Ihr kennt doch die blinde Waise, die seit vielen Jahren vor dem Schultore am Alten Friedhof sitzt und mit dem bekannten Liedchen, das jemand für sie verfaßt hat, um Almosen bettelt? Diese blinde Waise wurde in diesem Jahre Witwe. Nun hatte sie Eile, sich wieder zu verloben, und zwar mit irgendeinem Träger; sie verpflichtete sich, ihn anständig zu kleiden und zu ernähren und ihm dazu noch etwas bares Geld zu geben. Heute sollte die Trauung gefeiert werden. Man hat ein feines Abendessen vorbereitet: Branntwein, Semmeln, Fisch und Braten und eine goldene Suppe von Geflügel, wie es Sitte ist bei jüdischen Kindern. Das alles kostet Geld. Wie alles fertig ist und die Braut aufgeputzt und verschleiert dasitzt und wie eine echte jüdische Tochter strahlt, geht man den Bräutigam zur Trauung holen. Der feine Kerl ist aber nicht zu Hause. Man wartet eine Stunde – er kommt nicht, man wartet noch eine Stunde – er kommt immer noch nicht. Er ist einfach verschwunden. Und was stellt sich heraus? Der Bursche, verbrennen soll er, hat sich die Sache überlegt. Seine Großmutter nämlich, die bei unserm reichsten Mann, gesund soll er sein, als Köchin dient, macht großen Krach und will diese Heirat nicht zulassen, weil sie ihrem Ansehen nicht entspricht. Sie ist ja schon so lange Köchin beim reichen Mann und verkehrt mit vielen angesehenen Bürgern, die zum reichen Mann durch den Kücheneingang ins Haus kommen. Sie versteht ganz vorzüglich Kugel zu machen, und ihre Chremslach lassen sich überhaupt mit nichts vergleichen. Das ist doch wirklich kein Spaß: Köchin beim reichen Mann, der in der Fleischsteuerpacht den größten Einfluß hat und dem der Schames in eigener Person den Essreg reicht; zu dessen Frau der Unter-Chasen am Purim in die Küche kommt, um die Megille vorzulesen, und in der Gebetspause am Rosch-Haschono die Vorbeterin, um ein Gläschen Zichorienkaffee zu trinken. Warum soll ihr der Enkelsohn auf ihre alten Tage solchen Kummer machen und ihr ganzes Ansehen vernichten? Nein, er will nicht, und wenn man ihn auch in Stücke schneidet. Schrei zu Gott – es hilft nichts. Er will von der Partie und der Braut nichts mehr wissen. – Nennt mich – sagt er – Knacknüßl und ladet mich zu Unessane-Tejkef. – Wir sind in der größten Verlegenheit. Es ist allen weniger um den Bräutigam als um das schöne Hochzeitsessen zu tun. Was fängt man mit dem schönen Braten und den Fischen an! Wir haben den ganzen Tag gearbeitet, sind herumgerannt, haben uns abgeplagt. Wir müssen ja auch etwas für die Heiratsvermittlung bekommen. Soviel Arbeit, soviel Mühe soll umsonst sein?! Das wäre zu schade! Wir haben lange nachgedacht, und da ist uns plötzlich Fischke eingefallen! Soll er uns aus der Klemme helfen. Soll Fischke der Bräutigam sein, kann es ihm schaden? Nun sind wir hergekommen, um ihn statt des Trägers zur Chuppe zu führen.

Und wie die Leute das alles erzählen, kommt Fischke ins Bad. Wir packen ihn auf der Stelle und machen keine vielen Worte: – Geh, Bursch, mit deinen kranken Füßen, hast genug gefaulenzt, geh zur Chuppe! – Und man machte es schnell und ließ Fischke überhaupt keine Zeit zum Nachdenken. Die Leute bekamen das gute Hochzeitsessen, sie aßen und tranken nach Herzenslust und ließen das junge Paar hochleben.

Fischke spaziert heute in dem feinen Kaftan herum, den der Träger hätte bekommen sollen, und es geht ihm ausgezeichnet. Seine Arbeit besteht darin, daß er jeden Morgen seine Frau, die blinde Waise, an ihren Platz am Alten Friedhof führt und gegen Abend von dort wieder abholt. Um seine Nahrung hat sich Fischke nicht zu kümmern. Seine Frau ist tüchtig und hat ein ständiges, sicheres Einkommen. Die Leute haben einander lieb und wissen aneinander nichts auszusetzen.‹

Dieses erzählte mir Berl, der Bader. Nun seht Ihr, Reb Alter«, sage ich ihm, »was für Dinge in der Welt möglich sind. Wie man bei uns Juden Krumme mit Blinden paart und wie man Ehen schließt. Und wozu alle diese Mühe? Damit sich die Vermittler anessen und antrinken können! So ist es beim gemeinsten Volk, so ist es bei den Armen und so ist es auch bei den Reichen. Auch bei den Reichen werden oft Partien geschlossen, die gar keinen Sinn haben; selbstverständlich wegen eines feineren Hochzeitsessens als bei den Armen. Aber nicht davon will ich sprechen. Seid unbesorgt, Reb Alter! Und wenn es Euch einmal nicht gelungen ist, einen Burschen mit einem andern Burschen zu verheiraten, so wird Euch ein anderes Mal was anderes gelingen. Laßt nur den Mut nicht sinken. Es macht nichts, so wahr ich lebe! Ich sehe ja, daß Ihr Euch auf die Sache versteht, daß Ihr sie gleich richtig angepackt habt. Ihr habt Euer neues Geschäft recht gut angefangen, ganz wie ein Landschadchen. Und was die beiden Burschen betrifft, so ist es nicht so schlimm . . . Beh! wenn Ihr jetzt einmal ein Mädel erwischt, so wird die Sache schon wie geschmiert gehen. Und wenn's auch eine Blinde, eine Stumme oder Krumme ist: Geh, Mädel, zur Chuppe! Der Drucker mahnt Geld, das Pferd will sein Fressen, ich muß meine eigene Tochter verheiraten, meine Frau ist, zur glücklichen Stunde, mit einem Sohn niedergekommen geh, Mädel, geh unter die Chuppe! . . .

Rückt ein wenig weiter weg, Reb Alter! Ihr schwitzt, unberufen, wie ein Biber! Schwitzt, schwitzt, es soll Euch wohl bekommen!«


 << zurück weiter >>