Mendele Moicher Sfurim
Fischke der Krumme
Mendele Moicher Sfurim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII

Dieser herrliche Morgen könnte einem jüdischen Dichter genug Material zu einem schönen Gedicht liefern. Zu einem Gedicht von vier verheirateten Juden, die mit aufgeknöpften Westen im grünen Gras liegen, sich ihres Daseins freuen und schweigen; auch von der strahlenden Sonne, der schönen Natur, den Tautropfen, Vögeln und Pferden. Er könnte auch noch manches aus dem Eigenen hinzufügen: eine Schafherde, die am Sumpfe weidet, ein helles Bächlein, aus dem Hündinnen ihren Durst stillen; er könnte uns auch Flöten in den Mund geben, damit wir wie die Hirten ein Loblied auf die Braut des ›Hohenliedes‹ blasen. Hirtentaschen brauchte er uns nicht zu geben: wir haben unsere eigenen Säcke. Aber nur bis hierher, verehrter Herr Dichter, und nicht weiter! In meiner Seele herumwühlen, Euren Senf dazugeben, das dürft Ihr nicht! Das könnt Ihr bei andern machen . . . Meine Gedanken will ich lieber selbst wiedergeben.

Ich liege also in dieser Gesellschaft im Grase, habe die Augen offen und freue mich. Worüber? Das weiß ich selbst nicht. Mir ist so wohl ums Herz, ganz ohne Worte. Ich trällere dabei, aber durchaus nicht mit der Absicht, ein Konzert zu geben, sondern einfach so . . . So pflegt der Jude ohne Worte und ohne Gedanken zu trällern, wenn die Nahrungssorgen ihn für eine Weile in Ruhe lassen. So trällert auch eine ganze Gesellschaft Juden, wenn sie an einem Feiertag oder einem Sabbat nach dem Kugel in ihren Schlafröcken spazieren gehen, wobei die einen die Quasten der Schlafröcke oder die Bärte drehen und die andern die Hände im Rücken halten.

Auch Chajim-Chane trällert mit strahlendem Gesicht. Plötzlich steht er auf, packt sein Bärtchen mit der Hand, beleckt sich die Lippen und sagt zu mir:

»Nun, Reb Mendele, es ist Zeit zu fahren, wie?«

»Ihr wollt schon heimfahren?« frage ich und stehe gleichfalls auf. »Nun, fahrt glücklich heim!«

»Was?!« Chajim-Chane sieht mich erstaunt an. »Und Ihr, Reb Mendele? Wollt Ihr nicht mitfahren? Es war ja ausgemacht!«

»Wie kann ich mitfahren?« antworte ich, auf alle meine Leute zeigend.

»Wir bitten, wir bitten!« sagt Chajim-Chane: »Sollen sie alle auch mitkommen. Meine Chaje-Trajne macht heute Krapfen. Es wird für alle reichen.«

»Schönen Dank!« sage ich, mich verbeugend. »Ich hab aber keine Zeit. Ich muß ja auch ans Geschäft denken. Grüßt Euer Weib gar freundlich von mir.«

»Gott sei mit Euch, Reb Mendele! Mein Weib wird mich . . .« Chajim-Chane wollte sagen: »erschlagen«, unterbrach sich aber und sagte in großer Aufregung: »nicht ins Haus lassen, wenn ich ohne Euch komme! Sie hat mit mir heute nacht die ganze Sache besprochen. Versteht Ihr mich? Sie rechnet so bestimmt auf Euch . . . Chassje-Grunje meine ich . . . Versteht Ihr mich?«

»Ich verstehe, ich verstehe . . . Man muß aber etwas Geduld haben. Auch mein Weib wird mich . . . nicht ins Haus lassen, will ich sagen, wenn ich die Sache nicht zuvor mit ihr bespreche. Versteht Ihr mich? Was soll ich tun, Reb Chajim-Chane?«

Chajim-Chane stand wie geohrfeigt da. Man konnte ihm ansehen, wie ihm das Herz blutete. Sein Gesicht hatte sich ganz verändert.

»Tut mir den Gefallen, kommt mit!« fleht er mich an. »Und wenn Ihr nicht kommen wollt, so gebt mir wenigstens einen Brief für Chaje-Trajne: mir wird sie es ja nicht glauben. Sie wird sagen, daß ich ein Schlemiel bin . . . Versteht Ihr mich? Schreibt ihr einige Worte, der Rebbe wird ihr den Brief vorlesen. Ich bitte Euch darum!«

Was soll ich machen? Es gilt doch, eine Seele zu retten. So ein Mann verdient zwar solche Behandlung. Soll er aber seine Ohrfeigen nicht um meinetwillen bekommen. Ich hole aus meinem Ranzen einen Bleistift, reiße aus einem Gebetbuch das erste leere Blatt heraus, lehne mich an den Bock und schreibe folgende Worte:

»An die vornehme, treffliche und keusche Frau Chaje-Trajne, die Freundin meines Fleisches, sie möge leben und gesund sein, Amen!

Ich tue Euch kund, daß ich, Gott Lob und Dank, bei bester Gesundheit und heil an allen Gliedern bin. Der Herr, gepriesen sei Er, möge Seine Gnade uns auch fernerhin erhalten, auf daß wir voneinander tröstende Botschaften in großer Freude, in Reichtum und Ehren und leichten Herzens zu hören bekommen. Amen, Sela. Ich grüße Eure Kinderchen – mögen sie viele Tage und Jahre am Leben erhalten bleiben! – Insbesondere bitte ich aber Eure Tochter, die Jungfrau Chassje-Grunje, leben soll sie, um Gottes willen gar freundlich zu grüßen.

Und ferner tue ich Euch kund, daß ich alle meine Ware, Gott sei Dank, vorgefunden habe und auch die Wagen an ihrem Platz. Und zweitens teile ich Euch mit, daß auch die Pferde wieder da sind. Reb Alter Jaknhas hat sie aus den Händen der Diebe befreit. Das habe ich nur den frommen Verdiensten meiner Väter zuzuschreiben. Große Wunder sind vor unseren Augen geschehen. Wir verdienen gar nicht diese Gnade des Himmels. Euer Gatte, sein Licht möge leuchten, wird Euch die Sache mit allen Einzelheiten erzählen. So etwas sollte man wirklich in die Chronik eintragen.

Ich bitte Euch, Chaje-Trajne, wie eine Mutter um Vergebung, daß ich es wage, ein Wort für Euren Mann einzulegen, der großen Kummer davon hat, daß ich heute gegen unsere Verabredung nicht zu Euch kommen kann. Habt Erbarmen mit ihm: verkürzt ihm nicht das Leben und straft ihn nicht dafür, daß ich mein Wort nicht halte und heute nicht zu Euch komme. Euer Mann verdient, so wahr ich lebe, das größte Mitleid. Er hat sich viel Mühe gegeben und hat die größten Loblieder auf Euch gesungen, besonders aber auf Eure treffliche Tochter, die ich gar freundlich zu grüßen bitte. Jedenfalls hat er seinerseits alles getan, was ein Mann und ein treubesorgter Vater nur tun kann . . . Versteht Ihr mich? Er hat mich sogar mit Krapfen und anderen guten Sachen zu verlocken versucht. Aber Geschäft ist doch wichtiger als alles. Dem Geschäft zuliebe muß ich selbst auf die Krapfen verzichten. Zweitens habe ich ja auch meine eigene Frau; Ihr versteht doch, was ich damit sagen will! Was ist der Mann ohne seine Frau? Ich hoffe zu Dem, Der ewig lebt, daß wir uns, so Gott will, in Freuden wiedersehen und bei Euch Krapfen essen, und vielleicht auch Lebkuchen . . . Versteht Ihr mich? Indessen soll aber Euer Mann, nebbich, nicht für mich leiden. Er verdient wirklich Mitleid! Ich schicke Euch durch Euren Mann folgende Geschenke: ›Eine neue Tchine um Lebensunterhalt‹, ›Tchines zum Lichtbentschen und Neumondbentschen‹, ›Tchine der heiligen Mütter Sarah, Riwke, Rochel und Leë‹ und ›Eine nagelneue Tchine zum Kapores-Schlagen‹. Auch schicke ich Euch die ›Reine Quelle‹, ein Buch, in dem sich jede Frau auskennen sollte, um alle darin verzeichneten Gesetze zu befolgen. Ihr werdet daran große Freude haben. Auch Eure Tochter, die Jungfrau Chassje-Grunje, wird sich freuen.

Chaje-Trajne! Ich habe eine Bitte an Euch. Als Eure Wanzen, nicht gedacht soll ihrer werden, mich letzte Nacht so furchtbar peinigten, zog ich meine wollenen Socken aus und vergaß sie in der Eile auf Eurer Pritsche. Wenn Ihr sie findet, so gebt sie, bitte, Eurem Mann, und er möchte sie in Gesundheit tragen. Das ist ein Geschenk von mir. Seid mir gesund und grüßt von mir noch einmal Eure lieben Kinderchen, insbesondere aber Eure Tochter, die Jungfrau Chassje-Grunje, leben soll sie. Und vergeßt um Gottes willen Euren Mann nicht. Euer Mann hat, nebbich, ein schweres und bitteres Leben. Und meine Peitsche, die ich in Eurer Kammer vergessen habe, schenke ich dem Rebben. Er wird sie brauchen können . . . Von mir, der Euch und Eure Kinderchen und insbesondere Eure Tochter, die Braut, gar freundlich grüßt. Der unwürdige Mendele, der Bücherhändler.«

Als ich diesen Brief Chaje-Trajnes Mann vorlas, war er überglücklich und freute sich über die süße Sprache. Bei jedem Wort schlug er sich mit der Hand auf die Stirne, ganz erstaunt darüber, daß ein Mensch so etwas zustandebringen kann, und rief immer wieder aus: »Diese herrliche Sprache! Süß wie Zucker, so wahr ich Jude bin! . . .« Wir nahmen voneinander freundlich Abschied, und er fuhr leichten Herzens davon.


 << zurück weiter >>