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In diesem Jahre putzte Hede Lorm zu Weihnachten einen Baum. Per Stieven hatte die kleine Tanne aus dem Wäldchen hinter Bögerlant geholt. Sie war rund gewachsen und nicht viel größer als Mute. Man hielt sie bis zum Heiligen Abend versteckt. Nun hingen bunte Papierringe daran und selbstgeflochtene Ketten aus roten und gelben Wollfaden. An die Spitze des Bäumchens war ein weißes Licht gesteckt worden, das wie einen Kragen einen Stern aus Silberpapier trug.

Am Weihnachtstage war auch zum erstenmal Besuch in Stievens Haus. Hede Lorm hatte Hilke und Stim Kaat eingeladen und später kamen noch Hannes Lietz und Wine. Man saß behaglich beieinander und besprach, was das Leben so mit sich brachte. Man sprach auch von der Heirat und man trank darauf. Per Stieven und Hannes Lietz mußten sich manchen derben Scherz von Stim Kaat gefallen lassen.

Als das Licht an dem Baum angezündet war, wurde man ernster. Mute konnte ein Weihnachtslied singen und die Frauen sangen es mit.

Stim Kaat stand neben Per Stieven und sagte zu ihm:

»Du tust ganz recht daran. Hede Lorm ist eine forsche Person. Sie ist akkurat und fleißig. Vielleicht mußt du sie ein bißchen an die Leine nehmen.«

»Da hab ich keine Angst drum«, antwortete Per Stieven.

Man wartete an diesem Abend auf Jöken Mürk. Er war aber zu Andrees gegangen und hatte seine Karten mitgenommen wie früher. Nun spielten sie in der Küche am Herd, während in der Kammer nebenan Mole Deep im Bett lag.

Jöken Mürk warf den Schellenbuben auf den Tisch.

»Da kommt der Fausthandschuh, Maat«, rief er und strich die Karten ein. Sie lachten beide darüber.

Andrees war am Heiligen Abend zur Weihnachtsmesse in der Kirche von Bögerlan gewesen. Als er zurückging, kam gerade Fenner angefahren. Er hatte alles ausverkauft, was er auf seinem Wagen gehabt hatte: bestreute Weihnachtskringel und Kerzen in allen möglichen Farben, Papiersternchen und Flitterzeug, auch viele kleine Sächelchen, die sich gut als Geschenke eigneten für die Frauen und Mädchen, auch die Halstücher für die Männer und die grellen Schlipse für die Burschen. Fenner klimperte vergnügt mit dem Geld in der Tasche und ließ Andrees aufsteigen. Sie sprachen über das, was der Pastor in der Kirche geredet hatte.

»Er meint«, sagte Andrees, »es wären nur die Hirten gekommen, aber ich glaube, daß doch wohl auch die Fischer vom heiligen See Genezareth dabei gewesen sind in jener Nacht. Sankt Petrus soll doch wohl auch ein Fischer gewesen sein.«

Fenner sagte dazu, was er über die Nacht von Bethlehem wußte, und so erzählten sie sich einfältig von dem Kind in der Krippe.

Als Andrees nach Hause kam, hatte ihm Hilke ein Paar neue Fausthandschuhe hingelegt, die sie selbst gestrickt hatte. Darüber freute sich Andrees, und er lobte die Arbeit.

Am Weihnachtsmorgen war er in aller Frühe mit einer Laterne an den Strand gegangen, um Bernstein zu suchen. Er hoffte ein größeres Stück zu finden, das er Hilke schenken könnte. Aber bei diesem Suchen und Wühlen zwischen den kleinen Steinchen am Strande hatte er den einen Fausthandschuh verloren. Da war er den Weg zurückgegangen und sah auf einmal eine zweite Laterne auf sich zukommen. Jöken Mürk war es, der für Wine nach einem Stückchen Bernstein suchte. Die beiden alten Männer hatten sich seit Monaten nicht mehr gesprochen. Nun standen sie sich an diesem Weihnachtsmorgen auf einmal am Strande gegenüber. Jöken Mürk hatte über die Hand, mit der er die Laterne hielt, einen dicken Fausthandschuh gezogen.

»Ich hab ihn eben gefunden«, sagte er erfreut, zog den Handschuh aus und zeigte ihn Andrees. »Es ist ein warmer Handschuh, er ist auch geschickt gemacht. Man kann ihn auf der rechten und auf der linken Hand tragen. Ich habs schon ausprobiert. So kann man beide Hände damit wärmen.«

Andrees hatte sofort gesehen, daß es sein Fausthandschuh war. Er hätte ihn gerne wiedergehabt, doch bekam er nicht fertig, es Jöken Mürk zu sagen. Auch beruhigte es ihn etwas, daß der Handschuh über beide Hände passen sollte. So ließ er Jöken Mürk den Fausthandschuh.

»Da hast du auch dein Geschenk, Kaptän«, sagte er.

Die beiden gingen nun zusammen am Strand entlang, schwatzten und vergaßen, weswegen sie so früh hinausgegangen waren. Dazu kam, daß sie plötzlich vom Wasser her ein leises Läuten hörten. Es waren Eisenten, deren Stimmen wie ferne Glocken klingen. Andrees und Jöken wunderten sich darüber, blieben stehen und hörten den Enten zu, bis ihnen der kalte Frühwind allzu arg zusetzte. Sie kamen mit brennenden Laternen heim und wenn sie auch kein Geschenk für Hilke und Wine mitgebracht hatten, so waren sie doch vergnügt und löffelten zufrieden ihre Suppe.

Nun saßen sie am Abend zusammen bei ihrem Kartenspiel, nannten sich wieder Kaptän und Maat und sahen hin und wieder nach Mole Deep, die mit offenen Augen still da lag.

So hatte man bei Per Stieven vergebens auf Jöken Mürk warten müssen. Schließlich dauerte es ihnen zu lange, und man setzte sich ohne ihn an den Abendbrottisch. Auch Alma war die Feiertage über zu Hause, denn Rode Harms und Vrena waren von Konsul Behnke eingeladen worden.

Rode Harms war nur ungern nach Dranshop gefahren. Er wäre lieber zu Hause geblieben und hätte sich ein paar ruhige Tage gegönnt. Nun sah er sich in dem Trubel eines gastlichen Hauses, darin Vrena sich wohlfühlte, tanzte und sich vergnügte.

Rode Harms war froh, als das Fest vorüber war, aber Vrena bat ihn, noch in Dranshop bleiben zu dürfen. So war er allein nach Haus gefahren.

Die Tage von Weihnachten bis zum Dreikönigstag, an dem ehemals die Bauern mit Lichtern den Heiligen entgegengingen, um ihnen den Weg zu zeigen, so daß man auch heute noch hin und wieder ein Blinken über den Feldern sieht, diese Tage nennt man die Zwölfen. Man soll an ihnen nicht viel arbeiten. Federn kann man wohl reißen und Häcksel schneiden, auch gerät das Korn gut, das man ausdrischt. Doch soll man das alles mit Maß betreiben. Es darf auch keine Wäsche auf der Leine hängen, und die Ketten am Vieh muß man kurz nehmen, damit Wod sich nicht darin verheddert. Man soll auch einen Halm hinlegen und einen letzten Apfel, so findet sein Schimmel zu fressen. Nachts aber ist es gut, die Vordertür und die Hintertür zur Diele offen zu lassen und eine Laterne anzuzünden, damit Wods Jagd nächtens hindurchfindet und seine wilden Hunde sich nicht im Hause verlaufen. Es ist vorgekommen, daß einer von Wotans Hunden sich nicht aus dem Haus fand. Ein ganzes Jahr lang hat er in der Kornkammer geheult, ohne daß man ihn sehen konnte, doch war das Fleisch, das man ihm hinlegte, morgens verschwunden. Erst in den Zwölfen des nächsten Jahres, als man alle Türen öffnete, hat er das Haus verlassen und ist wieder hinter Wotan hergestürmt.

Man soll auch an diesen Tagen nur essen, was Körner hat, Fischrogen, Mohn, Erbsen, Linsen und Hirsebrei. Das alles muß man bedenken in den Zwölfen, durch deren Nächte der wilde Jäger mit seiner Meute über die Dächer braust.

In früheren Jahren haben die Leute in Börshoop das alles beachtet. Sie wußten auch, daß vielerlei um sie war, was man nicht mit leiblichen Augen wahrnehmen konnte, das sich aber auswirkte zum Guten oder zum Bösen, je nachdem, wie man ihm begegnete. So hatte man sich mit allem verbunden gefühlt, und es war mancherlei Segen daraus entstanden. Denn das Gute liegt nicht bloß in der Arbeit der Hände, sondern auch die Gedanken müssen darüber liegen, und alles, was man tut, muß man zum Herzen seiner Erde hin tun, wie auch das Blut im eigenen Körper immer zum Herzen zurückfließt, selbstverständlich und nach einem großen Beschluß. Wenn man diesen Herzschlag nicht in allem spürt, ist man nur ein elender Kärrner, der seine Arbeit tut, um das Leben zu fristen. Wer aber über alle Arbeit hinweg auf die geheime Sprache seines Heimatpulses lauscht, gewinnt ihr ein anderes Gesicht ab, und sein Leben wird in die Breite wachsen und in die Höhe und er wird Wohlgefallen haben an allen Dingen.

Das hatte Kiek Möns früher oft gesagt, aber jetzt hielt sie ihren Mund darüber geschlossen, denn auch in Börshoop gab man nicht mehr viel darauf, sondern war froh, wenn der Fisch im Netz war und das Brot auf dem Tisch.

Kiek Möns jedoch bedachte für sich dies alles. So hatte sie, wie sie es von früher her wußte, am Abend nach dem Weihnachtsfest die Türen zur Diele geöffnet und die Laterne angezündet.

Es war schon zu später Stunde, als sie einen Schritt im Hause vernahm. In diesen Nächten saß sie gern länger auf als sonst. Nun hörte sie vom Flur her ihren Namen rufen und öffnete furchtlos die Stubentür.

In der Diele unter der Laterne stand Rode Harms.

Er war an diesem Abend bei Pudmar gewesen, um für Mariechen ein kleines Geschenk zu bringen. Er hatte gehofft, Martha zu treffen, aber sie war noch nicht von Hilke zurück. So erzählte er mit Pudmar, der müde auf dem Sofa lag.

»Du kannst mit dem Deinen zufrieden sein«, sagte Pudmar zu ihm, »man hätte nicht geglaubt, daß es so schnell einen solchen Aufschwung nähme. Du bist auch hinterher gewesen wie kein zweiter. Das muß man zugeben. Wollte Gott, ich könnte auch mit allem zufrieden sein. Das mit dem See ist ein harter Schlag. Man hört auch nichts von den Herren. Ich fürchte, wir werden gegen die Papiermühle klagen müssen. Wenn das wenigstens alles wäre. Doch hat man sich diesen Herbst geschunden auf den Feldern und es ist nicht viel übrig geblieben.«

»Du hättest den Gutsacker lassen sollen«, sagte Rode Harms, »es wird zuviel für dich. Wenn Christof Hingsten es nicht mehr kann, dann müßte man einen anderen suchen.«

»Auf dem eigenen schafft man gern«, antwortete Pudmar, »aber du weißt, wie das ist. Man möchte weiterkommen. Stillstand ist Rückgang. Vielleicht war es gar nicht die viele Arbeit, die einem zusetzte, sondern die Ungewißheit. Weiß man denn, für wen man die Arbeit auf dem Gut mitschafft? Wenn man die Möglichkeit hätte, es zu erwerben, dann ginge es einem mit der Gesundheit schon gut. Es sind ja immer die Gedanken, die einem zusetzen.«

»Du hattest doch auch deinen Vorteil vom Sterenbrinkschen Gut«, warf Rode Harms ein.

»Was ist schon dabei rausgekommen? Du weißt ja, wie die Ernte dort ausgefallen ist, da wars mit dem Naturallohn nicht weit her, und das Bargeld hatte sich Hingsten schon geholt.«

»Er wird es mit dir teilen«, beruhigte Rode Harms.

»Er denkt nicht daran«, ärgerte sich Pudmar, »weißt du, was er mit dem Geld anfangen will? Dafür soll ein Kronleuchter für die Kirche von Bögerlant gekauft werden. Er meint, seine Seligkeit hinge davon ab. So verrückt ist er schon.«

»Man soll einen Menschen nicht um die Seligkeit reden«, sagte Rode Harms, »wenn es sein Wille ist, laß ihn dabei. Er wird wissen warum, und es geht keinen andern was an. Du bist ja nicht auf das Geld angewiesen.«

Pudmar richtete sich auf und sah Rode Harms an.

»Du bist vorwärts gekommen, und ich will das auch, und die Pudmars haben ein Recht dazu. Ich habe es satt, hinter denen aus Bögerlant zu stehen. Das Unglück war, daß die Pudmars immer zu schwer im Entschluß gewesen sind. Sie ließen sich alles vor der Nase wegschnappen. Das weiß ich von meinem Vater noch her, und mit dem Großvater war es nicht anders. Was uns heute gehört, habe ich doch zum großen Teil rangeschafft. Das Land überm See und das Weizenstück. Was hier mit der Börshooper Seite los ist, weißt du doch auch. Ich hab es mir in den Kopf gesetzt, die Gutsäcker zu kriegen. Ich habe meine Pläne damit. Die Felder sind unrentabel bebaut. Der Großmeiler hat das damals falsch abgefaßt. Verludert ist es! Ein Fachmann gibt ihnen, so wie es ist, keinen Pfennig dafür. Natürlich muß man Geld in den Fingern haben für eine Anzahlung. Aber es ist jetzt knapp mit dem baren Geld. Anfangs hatte ich gedacht, daß der alte Hingsten ranginge. Doch der ist ja jetzt für nichts mehr zu haben.«

Pudmar setzte Rode Harms auseinander, wie er die Felder in Arbeit nehmen würde. Er zeichnete mit dem Finger auf die Tischplatte. Er redete sich in Eifer. Auf einmal war er nicht mehr der Börshooper Seefischer, der etwas Land besaß, sondern er war der Bauer, der sich Erde erobern wollte. Seine Müdigkeit war überwunden. Was seine Vorfahren versäumt hatten, wollte er einholen.

Rode Harms beobachtete ihn nachdenklich. Er erkannte jetzt, was Jürgen Pudmar durch all die Zeit launisch und verbittert gemacht hatte. Er begriff auch, warum dieser Mensch unter seiner Ehe mit der Fischerstochter leiden mußte, für deren Werte er kein Verständnis aufbrachte, weil für ihn nur Ansehen und Besitz Geltung hatten, wie es ihm von Marie Hingsten einmal eingebracht worden war.

Rode Harms dachte an Martha und es fiel ihm ein, daß sie es wohl besser haben würde, wenn sich Pudmars Pläne verwirklichten.

Er saß mit ihm in dem selben Zimmer, in welchem er im Herbst mit Martha gesessen hatte und es ihm aufgefallen war, wie tüchtig sie ihrem Hauswesen vorstand. Er entsann sich auch, mit welch klugem Verstand sie über die Börshooper Angelegenheiten damals sprach. Sie würde schon Pudmars Plänen gewachsen sein und sich in einen größeren Wirkungskreis hineinfinden.

»Neulich wollte ich schon einmal zu dir kommen«, sagte jetzt Pudmar, »ich habe Geld in Dranshop liegen, aber es würde für eine Anzahlung nicht reichen. Da hatte ich mir nun gedacht, daß du mir vielleicht die Restsumme besorgen könntest. Wir sind ja gute Freunde und es würde alles auf Heller und Pfennig zurückgegeben werden. Wir würden auch einen Zinssatz ausmachen. Ich denke, dabei könnte keiner von uns schlecht ankommen.«

Rode Harms sah vor sich hin. Man hat nebeneinander auf einer Schulbank gesessen. Man hat zusammen seinen Spruch aufgesagt, Schiffe geschnitzt und das Brot ausgetauscht. Dreißig Jahre ist das her und länger, denn Pudmar kam später auf die Schule nach Dranshop. ›Er hat mir mal eine Muschel geschenkt‹, dachte Rode Harms. ›Ich lag krank im Bett und da kam er herein. Es regnete draußen. Ich weiß es jetzt ganz genau. Ich hatte Fieber und er kam doch herein und schenkte mir eine Muschel. Das hat Jürgen getan. Die Muschel hat zu Haus immer auf dem Sims gelegen. Wo wird sie wohl geblieben sein?‹ Daran erinnerte sich Rode Harms jetzt.

»Du hast recht«, sagte er, »wir sind immer Freunde gewesen und es ist gut, wenn wir es unter uns besprechen. Meine Schwägerinnen wären das Gut gern los, das weiß ich. Neulich sagte mir meine Frau, daß Karla am liebsten nach Dranshop ziehen würde. Da ist ein Haus zu haben, das ihr sehr gelegen wäre. Mit dem Geld würden sie bei dir sicher sein. Wenn du glaubst, daß du aus den Äckern etwas machen kannst, dann wäre es wohl richtig, wenn du sie in die Hand bekämst. Was soll es schließlich auch einer bekommen, den man gar nicht kennt.«

»Du würdest mir also das Geld besorgen?« fragte Pudmar hastig.

Rode Harms überlegte noch ein Weilchen, dann sagte er langsam:

»Du sollst es haben. Ich muß sehen, daß ich es in Dranshop bekomme. Man kann ja das Geld nicht gleich so auf den Tisch zahlen.«

Pudmar gab ihm die Hand. Er zitterte dabei und vergewisserte sich noch einmal.

»Du kannst dich darauf verlassen«, sagte Rode Harms.

Auf der Straße traf Rode Harms Martha und sie sprachen zusammen. Mitten im Gespräch sagte Martha zögernd:

»Neulich wollte Pudmar zu dir kommen und sich Geld von dir besorgen für das Gut. Gib es ihm nicht. Er hat sich da etwas in den Kopf gesetzt, was er mit der Gesundheit nicht durchhält. Er ist ein ehrgeiziger Mensch und arbeitet sich zuschanden. Wenn er kommen sollte, mußt du ihm das mit dem Gut ausreden.«

»Wir hätten uns früher sprechen sollen«, antwortete Rode Harms betroffen, »ich hab ihm das Geld schon versprochen.«

Martha erwiderte nichts. Sie nahm das Tuch, das sie umgebunden hatte, fester zusammen. Dann ging sie weiter. Sie hatte einen herben, in sich gekehrten Gang.

»Ich habs gut gemeint«, rief Rode Harms ihr nach, aber sie ging wortlos auf das Haus zu.

Rode Harms hatte sich auf einen Abend bei Pudmars gefreut. Er war längere Zeit nicht mit Jürgen zusammengewesen, und es gab in der Fischerei manches, was einmal in Ruhe hätte beredet werden müssen. Aus Dranshop war er mißgestimmt zurückgekommen. Daran trug Vrena nicht allein Schuld. Wenn er früher Konsul Behnke besuchte, hatte es immer einen neuen Plan zu besprechen gegeben. Bald handelte es sich um eine Verbesserung im Betriebe, bald um eine Vergrößerung des Unternehmens. Jetzt gab es in dieser Beziehung nichts mehr zu erwägen. Alles ging geordnet seinen Gang, und man konnte über den jetzigen Umfang nicht ohne Schädigung des Ganzen hinausgehen. Rode Harms mußte sich also begnügen, nun einem Betriebe vorzustehen, in welchem Rädchen gewissenhaft in Rädchen griff. Nach der Zeit des Aufbaus, die ihn ganz erfüllt hatte, war eine Zeit der Ruhe für ihn gekommen, die ihn über alle Ungleichheit hinweg zu einer zufriedenen Reife geführt haben würde, wenn diese Ruhe in einer harmonischen Ehe ein festes Fundament gehabt hätte. Man kommt nicht gern in ein kaltes Haus, besonders dann nicht, wenn der Weg, den man hinter sich hat, nicht mit warmen Wetter gesegnet war. So ging es Rode Harms, und da er nach seiner Arbeit kein häusliches Leben fand, sehnte er sich nach einer Aufgabe, die seine Zeit über das geschäftliche Maß hinweg auszufüllen vermochte.

Rode Harms hatte gehofft, an diesem Abend in einer friedlichen Stunde einmal von all diesen Gedanken losgelöst zu sein. Nun mußte er erkennen, daß bei Pudmar die gleiche Saite angeklungen hatte. Auch Jürgen wünschte sich über das ihm Bestimmte hinaus, weil er in seiner Ehe mit Martha keinen Ausgleich zu finden vermeinte. In zwei Bezirken rundet sich das Leben des Mannes, in seinem Arbeitskreis und in dem Kreis seiner Ehe. Nur wenn diese beiden sich wohltunlich ineinander fügen, gibt es ein gutes Gedeihen.

Das erkannte Rode Harms heute tiefer als je. Niedergestimmt ging er in dieser Stunde durch Börshoop. Zuweilen sind Abende, die einem Boot mit mattem Segel gleichen, ziellos scheinbar, als gäbe es keinen Hafen, der wartet. An solchen Abenden treibt man planlos hin.

So war Rode Harms zu Kiek Möns getrieben worden. Es ist Licht im Haus und die Türe ist offen, beinahe so, als wäre es in diesem Augenblick für einen bereitet.

Rode Harms stand unter der Laterne im Flur.

»Du hast lange nicht hergefunden«, sagte Kiek Möns.

»Ich komme von Pudmar«, antwortete Rode Harms, »und sah bei dir noch Licht. Auch die Tür war offen, da bin ich hereingekommen.«

»Wen diese Nacht herweht, soll willkommen sein«, erwiderte Kiek Möns.

Sie gingen in die Stube.

Man sagt, daß im Dranshoper See ein Dorf versunken wäre. Das ist schon viele Jahre her. Damals stand an der Stelle, wo jetzt Dranshop liegt, ein Kloster, dessen Glockenturm eine vergoldete Haube hatte, so daß er den Seefahrern als Wahrzeichen diente. Auch war zu jener Zeit der Zugang zum Meer so breit und tief, daß auch große Schiffe auf den See gelangen konnten. So war mancherlei Kunde von der Welt in das Dorf gekommen. Es war auch erzählt worden, daß es Fische gäbe, die schwerer und blanker wären als die, welche die Fischer in ihre Netze bekamen. So machten sich eines Tages die Fischer auf, um diese Fische zu suchen. Sie fuhren auf das Meer hinaus und wurden von einem Sturme verschlagen. Am Tage nach diesem Sturm war eine völlige Windstille, und die Fischer wußten nicht, wo sie sich befanden. Auf einmal sahen sie, daß sie in einer Hafenstadt waren, die prächtige Häuser hatte und deren Bewohner schön gewachsen und reich gekleidet waren. Die Fischer sahen das alles mit Staunen. Plötzlich kam ein Krieger in silberner Rüstung auf sie zu. Er fragte sie etwas in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Er wiederholte seine Frage in einer anderen Sprache, aber auch darauf konnten sie keine Antwort geben. Als er sie in einer dritten Sprache anging und sie auch darauf schwiegen, denn sie hatten nur ihre heimische Mundart, wurde er unwillig und verwies sie aus dem Hafen. Sie zögerten aber, seinem Befehle nachzukommen. Da rief er Bewaffnete herbei, so daß die Fischer eiligst die Segel setzten und davonfuhren. Nach langer Fahrt fanden sie nach ihrem Dorf zurück. Als sie es klein und ärmlich am Ufer liegen sahen, sagten sie: »Das kann nicht unser Dorf sein, dazu sind die Häuser zu niedrig. Auch haben sie keinerlei Schmuck.« Ihre Frauen standen am Steg und winkten, aber die Fischer sagten: »Das sind nicht unsere Frauen. Diese Frauen sind mager und die Armut hat sie häßlich gemacht.« Als sie dies sagten, war eine Stimme über dem Wasser. Diese Stimme rief: »So wollt ihr euer Dorf nicht haben?« Die Fischer blieben dabei: »Es kann nicht unser Dorf sein. Wir wollen es nicht haben.« Da stieg über dem Wasser, wo die Stimme gewesen war, ein Nebel auf, und als er sich zerteilte, war das Dorf verschwunden. Nur dort, wo der Steg gewesen war und die Frauen gestanden hatten, erhoben sich ein paar Weidenbäume. Von diesem Tage an müssen die Fischer ruhelos über den See fahren und nach ihrem Heimatdorfe suchen.

Rode Harms saß Kiek Möns gegenüber. Sie redeten nicht viel in dieser Stunde. Rode Harms hörte auch nicht sonderlich auf das, was Kiek Möns sagte. Es war ihm, als vernähme er eine zweite Stimme, die mit ihm spräche:

›Zwischen diesen Wänden bist du zu Hause gewesen. Hier wurdest du in Liebe empfangen und in Liebe geboren. Du hast geglaubt, deinen eigenen Weg gehen zu müssen, aber auf diesem Wege redet man in Sprachen zu dir, die nicht die Sprache deines Herzens sind. So kannst du ihnen von deinem Blut aus keine Antwort geben. Der Weg voran, das ist das leichteste. Das Gold ist billig und der marmorne Palast, aber der Weg zurück, das ist das Große.‹

Rode Harms senkte den Kopf. Er sagte zu Kiek Möns:

»Die Truhe von meiner Mutter steht noch hier. Ich habe sie nicht holen lassen, weil man in all der Zeit nicht recht zur Ruhe gekommen ist. Aber nun will ich es tun.«

Kiek Möns antwortete nichts. Sie lauschte zum Fenster hin. Vom Meere her kam ein Heulen, das lauter wurde, anschwoll und im Sturm über das Haus fuhr. Die Türen zitterten nach. Aus der Ferne hörte man noch ein letztes Geheul.

»Man sitzt gut bei dir, Kiek Möns«, sagte Rode Harms. »Ich hätte nicht gedacht, daß wir heute noch Sturm bekommen.«

»Man kann in diesen Nächten nichts voraussagen«, antwortete Kiek Möns, »manchmal verspätet er sich, aber er kommt.«

Sie öffnete die Stubentür. Der Flur war dunkel, das Licht in der Laterne erloschen. Sie zündete das Licht wieder an und schloß die Türen zur Diele.

»Die Truhe steht noch am gleichen Fleck«, sagte sie jetzt.

Sie gingen in die Kammer hinein.

»Es ist manches darin, das man noch brauchen kann«, sagte Rode Harms und hob den Deckel. Er nahm den Mantel seines Vaters heraus und breitete ihn aus. Es war ein langer warmer Mantel.

»Der wird einem guttun bei solchem Wetter«, sagte Rode Harms.

Der Sturm schien zurückgekommen zu sein. Es brauste um das Haus und die Fenster klirrten.

Rode Harms zog den Mantel seines Vaters an. Kiek Möns half ihm umständlich dabei.

Als er ging, war er sehr in Gedanken. Der Sturm trieb die Wolken von den Sternen fort.

»Rode Harms ist wiedergekommen«, sagte Kiek Möns und stand noch lange auf der Schwelle.

 


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