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Mit vollgepackten Eisschlitten, Äxten und Hanfleinen, Käschern, Körben und Sielen ging es auf den See hinüber nach der Dranshoper Seite.

Von dort sollte das Netz bis Bögerlant und am Tage darauf von da bis an das Börshooper Ufer gezogen werden. Die Eissporen waren an die hochschaftigen Stiefel geschnallt. So bewegte sich der Zug schwerfällig voran. Die Kinder liefen noch ein Stück mit und bekamen ihre Schelte, wenn sie sich an die Schlitten hängen wollten.

Jakob Tharden fuhr auf Schlittschuhen voraus mit Jürgen Pudmar und Stephan Holwe, den sie Steppe nannten, den Schwerenöter, der zwölf Bräute gehabt hat. Aber die dreizehnte wollte nicht locker lassen, hielt ihn fest und führte nun das Wort im Hause. Immer schon ist die dreizehn eine Zahl gewesen, die es in sich trägt. Steppe konnte davon ein Lied singen, doch er war guter Laune geblieben und zwinkerte über das Leben.

Auch diesmal gab er laut an, legte mit lustigem Wort dazwischen und streute seinen Scherz über die Arbeit. Mit Tharden und Pudmar zusammen bezeichnete er die Stelle, wo die Einlaßwuhne hinsollte, maß mit den Schritten die zwei Meter, und sie steckten zusammen die Löcher ab, die neunzehn zu neunzehn Metern ins Eis geschlagen werden mußten. Das war Arbeit für die Jungen und Kräftigsten. Stim Kaat hieb drauf los und Jan Mürk schob die losgeschlagenen Stücke unter die Eisdecke.

Stim Kaat hatte eine bissige Lust. Er schlug seinen Ärger ins Eis.

Zuerst hatte er wie Peter nicht mittun wollen, aber dann besann er sich. Per Stieven brauchte nicht einmal groß auf ihn einzusprechen. Stim Kaat war zu Mole Deep gegangen: »Du kannst Hilke mal mit einem Korb hinschicken. Ich werde für euch schon was zur Seite bringen«, hatte er gesagt.

»Du bist wenigstens vernünftig. Daran sollte sich Peter ein Beispiel nehmen.«

»Peter hat schon recht, Mutter. Mir kommt es schwer genug an.«

Nun haute er die Axt ins Eis, daß die Stücke um ihre Köpfe sprangen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und die Kälte fuhr darüber, daß es ihm wie Reif in den Wimpern hing. Er trieb Jan Mürk an, der ihm nicht genug schaffte. Jan verteidigte sich:

»Iß mal Tag für Tag Pellkartoffeln. Nichts weiter. Morgens schon, mittags und abends nochmal! Da weißt du, wo deine Kräfte bleiben.«

»Du denkst wohl, ich hab ein Schwein geschlachtet. Mensch, davon kann ich auch ein Lied singen.«

»Wine weint manchmal. Sie hats schon mit dem Magen. Bloß der Alte tut so, als gäbe es nichts Besseres als Kartoffeln. Aber das sagt er bloß so. Du weißt ja, wie er ist.«

»Ich sollte Jöken Mürk nicht kennen. Das glaub ich schon. Und wenn der bloß noch Steine zu fressen hätte, stolz wie'n Kaptän!«

Die Fischer kamen mit dem Netz und den langen Leinen. Andrees und Stieven waren dabei, es mit den Jageruten unter dem Eis auszubreiten. Der Garnsherr und Steppe drückten das Netz mit den Twelen herunter, damit es nicht anfror.

Mit schwerem Ruck zogen die Männer das Netz unter dem Eis entlang. Sechsundzwanzig Fischer waren es, von dem See und vom Strand, welche, die noch täglich ihre warme Suppe hatten und Fleisch, die aus selbstgedroschenem Korn ihr Brot buken, Schweine im Stall hielten und satte Kühe, und welche, die nicht wußten, was sie ihren Kindern auf den Tisch stellen sollten, die graues Brot aßen, und andere, die bloß noch Kartoffeln hatten, blau und verquiemt, und für die es ein Festtag war, wenn mal ein Fisch auf dem Teller lag. Aber jetzt zogen sie Schulter an Schulter und unterschieden sich durch nichts von einander. Sie hatten wetterfeste Jacken an und harte Stiefel und die Mützen waren wegen der Kälte tief über die Ohren gezogen. Von Zeit zu Zeit blieben einige stehen und schlugen die Arme zusammen, um sich warm zu machen. Die anderen hielten solange das Netz, und so lösten sie sich ab. Die Bauern von Bögerlant standen dabei, schwenkten ihnen die Schnapsflaschen entgegen und feuerten sie an. Sie hatten Säcke mitgebracht und wollten die Fischer beschwatzen, ihnen heimlich vom Fang was zuzustecken. Aber der Garnsherr achtete darauf und Jürgen Pudmar fuhr sie ärgerlich an. Es war ein weites Stück, ehe sie das Netz dreieckig zuzogen, und man mußte schon die Fackeln halten und die Laternen anzünden, als die zappelnden Barse und Plötzen, Bleie und Schleie in die Kisten und Körbe geworfen wurden.

Der Danziger stand schon mit Fuhrwerk bereit und zog mit vollgepacktem Wagen los. Es war ein reicher Fang gewesen. Die Fischer stapften munter den Gehöften zu. Alle Quälerei war vergessen, denn jetzt kam der Schnaps und jetzt kam das Essen.

Bei Karl Hingsten war die Tenne ausgeräumt und über Holzböcke lange Bretter gelegt. Daran saß man und löffelte die Suppe und zerschnitt die gebratenen Fische.

Stirn Kaat und Jan Mürk und ein paar von den Jungen waren noch auf dem See und trugen die Geräte zusammen. Stim Kaat beeilte sich nicht sehr, denn Hilke war noch nicht gekommen. Er hatte die Fische in einen Sack geworfen und unter einem Segeltuch versteckt. Jan Mürk war müde und so dösten sie beide hin. Die anderen hatten sich einer nach dem anderen heimlich davongemacht. Sie fürchteten wohl, daß sie an den leeren Tisch kämen.

Über das Eis kam jetzt eine Frau.

»Da kommt Hilke«, sagte Jan.

»Das ist sie nicht. Sie hat eine andere Gangart.«

Es war Hede Lorm. Sie trat langsam in den Fackelschein.

»Ihr seid ja noch draußen. Wo sind denn die andern? Macht ihr denn das allein?«

Die beiden Männer sahen erst jetzt, daß die anderen ihnen noch manche Arbeit gelassen hatten.

Sie machten sich verdrießlich daran. Stim Kaat wollte das Tau einwinden, doch der Frost saß daran und es war schwer zu regieren. Hede Lorm holte die Fackel und hielt sie so, daß das Seil sich erwärmte. Stirn Kaat und Jan zogen es nun an dem flackernden Schein langsam vorbei. Das Wasser tropfte auf Hedes Schuhe und Strümpfe. Sie achtete nicht darauf. Wenn ein Frösteln sie überfiel, stampfte sie mit den Füßen und trällerte dazu, als wäre es nicht die Kälte, sondern Tanzlust, was ihr da in die Glieder gefahren war. Dann blieb sie beim Singen und ihre Stimme klang wach und lockend über das Eis. Die Männer munterten sich an ihr auf. Schneller drehten sie das Kreuzholz der Winde, die außen am Schlitten befestigt war. Jan Mürk versuchte, Hedes Lieder mitzupfeifen. Es waren die Tanzweisen, die man sonntags bei Drüsel spielte. Aber die Töne froren ihm an den Lippen fest und es wurde nur ein heiseres Gezisch.

Als sie mit dem Seil zu Ende waren, sagte Hede Lorm: »Nun haben wir uns einen Schluck verdient!«

»Das soll wohl sein«, rief Stim Kaat und warf die letzte Axt auf den Schlitten, »aber zu denen da rein kriegen mich keine zehn Pferde.« Er wies mit dem Daumen auf die Höfe von Bögerlant, die helle Fenster hatten und aus denen Lachen und Rufe zuweilen herüberpolterten.

»Die sind in Fahrt«, sagte Jan, »wir wollen schon gleich mitmachen – wo kommst du her?« fragte er unvermittelt Hede, als fiele es ihm erst jetzt auf, daß sie so spät noch aufs Eis gekommen war.

»Harms hat mich mit Branntwein geschickt für die Fischer. Wir hatten noch in der Räucherei zu tun, weil doch Kog mit dem Wagen kam. Nach dem Abladen sagte ers mir. Ich war gleich dabei. Das ist mal eine Abwechslung. Die waren schon duhn drin. Wenn ihr nicht schnell macht, habt ihr das Nachsehen.«

Sie gingen zu dritt. Stim Kaat hatte den Sack genommen, darin die Fische für Mole Deep waren. Hilke konnte nun nicht mehr kommen. Es war schon zu spät dazu.

Auf dem harschen Weg mußten sie hinter einander gehen. Die Räderrinnen waren gefroren und man rutschte, wenn man in die Spuren kam.

Jan Mürk legte einen Schritt zu, denn man hörte schon deutlich Steppes Stimme, die über die anderen herausbrach und jedesmal ein dröhnendes Lachen emporwarf. Jan trug die Fackel, die nur noch matt leuchtete, nach Teer roch und herbem Rauch. Stim Kaat blieb ab und zu stehen, als könnte doch noch Hilke kommen und ihn suchen. Schließlich war Jan ein Stück voraus. Hede Lorm wartete, bis Stim Kaat wieder heran war.

»Ich leg die Fische nachher auf den Wagen unter den Sitz. Da sieht sie keiner«, sagte sie.

»Wo denn Fische?« fragte er verstimmt.

»Du brauchst mir doch nichts vorzumachen, Stim Kaat. Ich weiß doch, wie das ist. Denkst du, ich bin so eine, die gleich hinläuft? Oder glaubst du, ich trag was nach und warte bloß auf eine Gelegenheit?«

»Sie sind für Mole Deep«, sagte er offener, »Hilke wollte sie holen.«

»Die Fräulein sind nach Dranshop. Ich habe sie vorbeifahren sehen. Da muß sie wohl im Haus bleiben.«

Jan Mürk ging in den Hof. Er wandte sich noch einmal um und rief:

»Wo steckt ihr denn?«

Dann machte er das Tor auf und sie konnten für einen Augenblick hineinsehen. Sie sahen den langen Tisch mit den Männern darum, breit darüber gelegt mit aufgestützten Armen, oder lang zurückgelegt, den Rücken gegen die Wand gelehnt. Die aufgehängten Laternen am Balken schwammen in Ruch und Tabaksqualm wie dünne Mondscheiben.

»Tür zu«, schrie man. Jan sprang hinein. Das Tor knarrte zu.

»Gehst du nicht rein?« fragte Hede Lorm.

»Ich hab da nichts verloren. Bei Drüsel ist auch Platz. Man kann seins selbst bezahlen. Aber mach dir meinetwegen keinen Aufstand. Geh nur rein.«

»Was soll ich da drin? Das ist bloß für Mannsleute.«

Sie gingen weiter. Bis zur Wirtschaft war es noch ein ganzes Stück. Sie lag fast am Ende von Bögerlant an der Börshooper Straße.

»Ist er auch da?« fragte Stim Kaat.

»Harms? Ja! Der sitzt bei Karl Hingsten im Zimmer«, antwortete Hede Lorm, »ein paar Bauern sind noch da.«

»Er ist wohl zu fein für die Fischer. Denkt, er ist aus 'ner besseren Kiepe. Sein Vater hätte sich alle Finger geleckt bei solcher Gelegenheit.«

Hede ging nicht darauf ein. »Sie haben was zu reden. Da soll zum Frühjahr der Weg aufgebessert werden. Aber die Bauern wollen nicht ran. Der Danziger hat es mir erzählt. Er schimpft schon lange auf die Straße. Das ist eine Tortur für die Pferde, wenns geregnet hat.«

»Was gehen die Bauern seine Räucherpferde an? Die haben schon recht. Ihre vertragens ja.«

Auf dem Hof bei Drüsel stand der Wagen. Der Danziger hatte ausgespannt. Er war zweimal hin- und hergefahren zwischen dem See und der Räucherei. Nun sollte er auch noch etwas vom Abend haben und den Rest vom Fang nachher mitnehmen. Rode Harms wollte dann mitfahren. Hede Lorm warf den Sack unter den Wagensitz und schob den Plan darüber.

Stim Kaat ließ sie gewähren.

»Die fährt dir Rode Harms selbst nach Haus«, lachte sie.

»Schon gut«, sagte er, aber er amüsierte sich doch darüber.

»Ich besorgs schon, die sind dir sicher!«

»Dann wollen wir ein Glas trinken. Ich hab auch Hunger.«

Sie gingen in die Gaststube. An dem großen Rundtisch in der Mitte saß Jürgen Pudmar allein. Drüsel stand vor ihm, ein leeres Glas in der Hand, das er wieder füllen sollte. »Das war ein gutes Geschäft«, sagte er gerade.

»N' Abend«, rief Stim Kaat laut, »setzen wir uns da hin!«

Jürgen Pudmar sah auf. »N' Abend«, sagte er etwas erstaunt.

»Nicht drüben?« fragte Drüsel überrascht.

Stim Kaat hatte sich gesetzt. Er rückte den Tisch zu sich heran. Hede Lorm rückte nach.

»Zwei heiße Rum, aber ohne Wasser«, bestellte er. – »Ich komm gleich wieder«, sagte er zu Hede und ging hinaus. Er holte zwei japsende Schleie und warf sie auf das Nickelblech auf der Tonbank. »Mach uns die zurecht, Drüsel, und Kartoffeln dazu.«

Drüsel wog die Fische prüfend in der Hand, dann trug er sie in die Küche.

»Nun wolln wirs uns auch bequem machen«, sagte Stim Kaat so laut, daß es Jürgen Pudmar hören mußte. Hede Lorm stieß ihn an.

Der Rum dampfte in den Gläsern. Stim Kaat trank lange und mit behaglichem Grunzen, blies den heißen Atem gegen die Nase und trank wieder. Dann stellte er das leere Glas hin.

»Noch so einen Fingerhut voll, Drüsel!«

Der Wirt brachte die Fische herein. Sie dufteten gut und man aß lange daran. Hede Lorm lobte das Essen und hatte eine manierliche Art, die Gräten mit der Gabel vom Mund abzunehmen. »Da bekommt man auch wieder Hunger«, sagte Jürgen Pudmar und ließ sich Ölsardinen und eine Scheibe Brot geben.

Stim Kaat sah zu ihm hin. Gutes Essen macht verträglich. Er nickte Pudmar zu: »Das hat man sich verdient heute.«

»Wills meinen. Aber wenn die Ernte gut ist, drischt man gern.«

»Das soll gesagt sein! Da werden wir uns übermorgen unser Geld holen. Hoffentlich habt ihrs nicht zu billig losgeschlagen.«

»Keine Sorge. Wir haben alle Geld nötig.«

»So ists. Der Herbst war ja 'nen Schiet für uns vom Strand. Ihr habts besser getroffen. Die Aale waren gut dies Jahr.«

»Jeder hat seins zu tragen, Stim Kaat.«

»Stimmt! Die Kleine soll ja wieder krank sein bei euch. Andrees hats erzählt.«

»Das ist ein Unglück mit dem Kind. Es will nichts so recht helfen.«

»Ihr solltet mal Kiek Möns fragen. Die ist gescheit in sowas. Dem alten Mürk hat sie mal die Rose besprochen. Solltest hören, was Stieven so meint. Wenn ders mit seinem Reißen hat, geht er zu ihr und holt sich seine Salbe. Die kocht sie selbst. Neulich hat sie auch seine Alma wieder auf den Damm gebracht. Das Mädchen hatte die Hitze abends.«

»Das ist eine gute Idee mit Kiek Möns«, warf Hede Lorm ein, »meine Mute hat Gottseidank selten was, aber wenn, dann gehn wir sofort zu der Alten.«

»Ich muß es mal Martha sagen«, meinte Pudmar, »ihr könntet schon recht haben.«

Auch Drüsel wußte verschiedenes über die Heilkundigkeit von Kiek Möns und über die Naturkräfte überhaupt.

Sie saßen friedlich im Gespräch und prosteten sich zu, wenn Pudmar eine Lage bestellte. Hede Lorm bekam einen Pfefferminzschnaps, weil sie den gern trank.

Bis jetzt hatte sie sich im Gespräch zurückgehalten, nun redete sie öfter dazwischen, lachte und gab manches Gescheite dazu, daß Pudmar sich wunderte, da er bisher nur Abfälliges über sie gehört hatte.

Als er mal hinausgegangen war, sagte Stim Kaat zu Hede: »Schade, daß er sich so schlecht mit Mole Deep steht. Er kommt nicht drüber weg, daß die erste ertrunken ist. Marthas Mädchen hat er ja auch Mariechen genannt.«

Drüsel mischte sich hinein: »Das liegt ja alles bloß beim Alten. Mit seinem Sohn ist er auch auf Hauen und Stechen. Was man hier so alles hört. Ich sage immer, wenns in der Familie brennt, dann nutzt das schönste Haus nichts.«

Er hatte sich hingesetzt, die Beine breit auseinander und schlug mit beiden Händen auf die Knie, doch behielt er die Tür im Auge: »Kinder, das ist 'ne Welt. Der eine gönnt dem andern die Butter nicht. Wenn ihr wüßtet, was man hier so im Laufe des Tages hört. Da haben die Eltern die Kinder rausgeschmissen, und da wollen die Kinder wieder die Alten loswerden. Da ist hier der Brattke, der hinter der Mühle sitzt – na, ihr kennt ihn nicht, der hat den alten Großvater bei sich, ich sage immer, was ißt nun so'n Tapergreis schon, aber sie gönnen ihm nicht das Stückchen Brot mehr. Vorm Vierteljahr ist der krank geworden und der Arzt sagte, das ist so im Alter, das kann so noch seine fünf Jahre hingehen. Aber wenn er sich operieren ließe, dann könnte es ja sein, daß er wieder ganz gesund würde, aber in dem Alter wäre das 'ne Operation auf Leben und Tod, da könnte man für nichts garantieren. Nu, der Alte wollte nicht. Aber die Kinder haben ihm zugesetzt. Was sie sich dabei dachten? Was schon, der Alte geht drauf, fertig. Schwach genug war er ja. Aber was soll ich euch sagen, die Operation hat ihn doch wieder auf die Beine gebracht. Er läuft jetzt rum wie solch Wiesel. Aber nun ist da eine Hölle. Die Kuh haben sie verkaufen müssen, um die Arztkosten zu bezahlen. Das kriegt nun der Alte jeden Tag aufs Butterbrot. Ich sage immer, einem ollen Gaul gibt man das Gnadenbrot, aber wenn der Mensch alt wird und hat nichts hinter sich und schrammt nicht rechtzeitig ab, Kinder, das ist 'ne böse Sache.«

»Es ist alles wegen der Natur«, sagte Stim Kaat nachdenklich.

Im Flur waren jetzt Schritte. Drüsel schielte nach der Tür, stand auf und als Pudmar eintrat, sagte er laut: »Also 'ne Zigarre solls noch sein!«

Gleich hinter Jürgen kam der Danziger herein. Er hatte eine kleine Gesellschaft bei sich. Steppe, dessen Augen schon groß und glasig waren, Andrees, der vor sich hingichelte, und der hagere Per Stieven, der auch heute trotz Fisch und Branntwein sein Gesicht nicht frei bekommen hatte von Not und Sorge.

»Vier Distel«, rief der Danziger, »aber nicht so knapp einschenken, Drüsel, ich habe ein Metermaß in der Kehle.« »Der ist klug wie 'ne Biene, bloß Honig kann er nicht machen«, lallte Steppe.

»Nu man ran, Andrees, und nicht geniert.«

Steppe wollte sich nicht lumpen lassen und bestellte auch vier Schnäpse. »Fünf«, verbesserte er sich, »noch für Stim Kaat.« Er streifte Pudmar mit einem Blick: »Da wirds wohl nicht angenehm sein«, meinte er zu dem Danziger.

Sie standen vor der Tonbank und schwatzten. Ihre Köpfe waren nicht mehr klar und ihre Worte sprangen über jede Richtung hinweg, drehten sich in tausend Einfältigkeiten und verhedderten sich, daß keiner mehr wußte, welches sein Wort war und welches dem andern gehörte. Bloß Per Stieven schwieg. Wenn sie nicht ab und zu in ihren Bewegungen an ihn gestoßen hätten, würden sie gar nicht gewußt haben, daß er noch da war.

»Red auch mal nen Ton, Stieven«, rief Steppe.

»Ja, ja«, sagte Stieven, – weiter nichts, und die anderen lachten.

»Redet er immer so viel, Stim Kaat?«, fragte der Danziger.

Stim Kaat steht auf, stößt den Stuhl zurück und stellt sich mitten in die Gaststube. Seine Stimme ist von Rauch und Trunk rauh.

»Das will ich euch sagen, auf den laß ich nichts kommen. Er ist mein Freund, auch wo er nun bei Rode Harms ist. Da laß Spaß weg, Danziger! Wenn dir mal die Zähne lang geworden sind im trockenen Brot, dann wird dein Maulwerk auch nicht mehr so gehen. Aber du bist fix bei der Hand und kommst immer unter 'ne warme Decke. Wenn das eine nichts ist, dann machst du was anderes. Aber wem das nicht gegeben ist und wer das bißchen, was er vom Vater gekriegt hat, halten will, so'n dreckiges Boot und so'n lumpiges Netz und solche Kabache mit fauligem Stroh drauf, daß es durchregnet und an den Wänden runterläuft, und weiter hat der Mensch nichts und das will er nicht loslassen, weil er dran hängt, weil er von klein auf drin war – und das sag ich, da soll er noch lachen, und schwatzen, wenn er mal 'nen Schnaps kriegt. Du hast da keinen Gedanken für, das verstehst du nicht. Du hast ja deins verschludert, aber hier, der Per Stieven, guck ihn dir an, der ist so – und nicht anders, das sag ich!«

»So mußt du nicht reden, Stim Kaat«, braust der Danziger auf, »wenn der Mensch kein Glück hat, da ist nichts zu machen. Ich hab kein Glück gehabt, aber ich pfeif auf Glück. Hol der Teufel das Glück. Wenn er das Haus hat und das Boot, dann soll er den Kerl auch noch haben. Darum sauf ich. Und nun weißt dus.«

»Das soll sein«, schrie Steppe, »Drüsel, gieß ein. Zwölfe gehn vorbei und die dreizehnte hat einen. Und wie. Hol der Teufel die Weiber!«

Andrees schob den Kopf tiefsinnig von Schulter zu Schulter: »Der Mensch baut das Haus und der Seibeiuns setzt sich rein.«

Kog trat zu Hede Lorm, die noch ganz erschrocken dasaß: »Mach dich fertig. Wir fahren gleich.« Der Ärger zitterte noch in seiner Stimme.

»Und Rode Harms?« fragte Hede, »er wollte doch mitfahren. Du solltest doch so lange warten.«

»Die Fräuleins sind noch gekommen. Die sitzen doch zusammen bei Hingsten. Auf dem Rückweg haben sie den Lärm gehört und da waren sie neugierig. Wollten wohl mal lustige Fischer sehen. Er fährt mit ihnen im Schlitten nach Haus. Seinetwegen können wir los.«

Er ging in den Stall und schirrte die Pferde an.

Hede Lorm stand noch unschlüssig da. Sie wußte nicht, wie sie sich gegen Stim Kaat verhalten solle. Er lehnte am Schanktisch und achtete nicht weiter auf sie, schlug mit der flachen Hand auf das Blech und sagte immer wieder: »So ists und nicht anders.«

Hede Lorm ging schließlich hinaus.

Auf der Straße war jetzt Schellengeläut und ein Schlitten fuhr knirschend vor. Drüsel wurde lebendig. »Nanu? Noch Besuch! Das klingt ja wie Sterenbrinks.« »Dann wollen wir man gehen«, sagte Andrees und brach mit Steppe und Per Stieven auf.

Stim Kaat wandte sich um und stellte sich zu Pudmar an den Tisch. Im Flur waren schon Stimmen. Die Tür ging auf, die Sterenbrinks kamen herein mit Rode Harms. Noch auf der Schwelle rief Vrena: »Können wir bei Ihnen noch einen starken Kaffee trinken, Herr Drüsel?«

Der Wirt dienerte herum. »Selbstverständlich, meine Damen! Ganz frisch gebrannt.« Er lief in die Küche.

In der Ecke neben dem eisernen Ofen stand ein ausgesessenes rotes Plüschsofa. Der Tisch davor, der einzige mit einer Decke, trug eine gelbe Fahne, auf der »Stammtisch« gestickt war. Hier saßen immer die reichen Bauern von Bögerlant, spielten Skat und warfen die Groschen über den Tisch. Sonnabends trank da auch der Pastor seine halbe Flasche Mosel und erzählte mit den Bauern.

Nun saßen die Sterenbrinks daran und Rode Harms.

Stim Kaat hatte sie an sich vorbei passieren lassen. Er war keinen Schritt zurückgetreten. Die Hände in den Taschen, pfiff er vor sich hin.

»Setz dich doch zu uns, Jürgen«, rief Rode Harms. Pudmar nahm sein Glas und begrüßte die Damen.

»Dann kann man ja wohl gehen«, schrie Stim Kaat und schmiß die Tür ins Schloß. Er tappte über den dunklen Flur. Die Wut kochte in ihm. An der Treppe stieß er gegen Hede Lorm. »Da bist du ja, Stim Kaat, ich wollte bloß Gute Nacht sagen. Wir fahren.«

Er packte sie plötzlich an der Schulter und drängte sie gegen die Wand. Er fuhr über sie hin wie ein Raubfisch. Sie schlug ihn zurück.

Im Hof rief der Danziger. Sie lief hinaus, sprang noch verwirrt auf den Wagen, fiel gegen Kog. »Dann wolln wir mal«, lachte der, »jüh!« Und die Pferde zogen an.

Stim Kaat starrte dumm hinterher. »Du bist doch sonst nicht so zimperlich«, rief er ihr nach. Doch der Wagen zerknirschte die Worte.

Als Stim Kaat in die Scheune kam, schliefen die Fischer schon im Heu. Ab und zu lief ihnen eine Maus über das Gesicht. Dann hoben sich ihre Hände im Schlaf und schlugen danach. Sie lagen dicht aneinander gedrängt in den Kleidern, die sie tagsüber an hatten, und die nach Fischen rochen und Schweiß. Stim Kaat warf sich hin, wo noch Platz war.

Nach einem Weilchen öffnete Karl Hingsten die Scheunentür und sah herein. Er hielt die Laterne hoch und ihr dösiger Schein fiel über die Schlafenden.

Stim Kaat, schon im Halbschlaf, richtete sich hoch.

»Es trägt dir keiner was raus, Bauer.«

»Es ist bloß wegen Feuer«, entschuldigte sich Hingsten und schloß die Tür hinter sich. Die Höfe in Bögerlant lagen dunkel da. Nur bei Drüsel war noch Licht. ›Das geht da immer bis in die Nacht,‹ dachte Hingsten, ›der hat bald sein Schäfchen im Trocknen.‹ Er ging mißmutig ins Haus. Er hatte geglaubt, daß heute auch Pudmar kommen würde, und er hätte gern einmal ein Wort mit ihm geredet. Da war noch eine Wiese, eine gute Frühjahrs- und Herbstweide, die der Alte für sich behalten und verpachtet hatte. Sie lag neben der Räucherei und Rode Harms mußte, wenn er seine Anlagen vergrößern wollte, sie einmal erwerben. Karl Hingsten hatte gehört, daß an diese Erweiterung schon gedacht wurde und nun hieß es für den Sohn aufzupassen, daß er nicht zu kurz käme, denn der Alte würde bestimmt einen guten Preis für das Land herausschlagen. Hingsten hätte gern Jürgen Pudmar deswegen ins Verhör genommen und ihm von vornherein seinen Anspruch klar gemacht. Ohne Grobheit, so im Gespräch nebenbei, wie es sich bei einem Besuch macht. Aber nun war Pudmar nicht gekommen.

›Er wird bei Drüsel sein. Ob man noch einen Augenblick rübergeht?‹ Karl Hingsten stand unschlüssig am Fenster. Eine Uhr schlug und er fand, daß es zu spät war.

 


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