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Christof Hingsten hatte die Leitung auf dem Gut übernommen. Jetzt würde man sehen, was er noch leisten könnte. Eine Musterwirtschaft sollte es werden. Er fegt wie ein Donnerwetter in den vermeintlichen Müßiggang. Die Mägde zittern vor ihm und die Knechte ballen die Faust in der Tasche.

Mit dem Großknecht gibt es schon am ersten Tage einen Auftritt.

»Das soll mir einer nachreden, daß man hier faulenzt! Da müssen Sie kommen, was? Aber das will ich Ihnen sagen, mit dem Maul wird noch kein Acker gepflügt.«

»Also rebellsch seid ihr«, schreit Hingsten, »der feine Herr Großmeiler ist beim Teufel. Jetzt gehts anders lang, verstanden?«

Der Großknecht warf ihm die Arbeit vor die Füße.

»Sollst nochmal froh sein, wenn du hier Schweinsdreck fahren darfst«, droht Hingsten ihm nach. Doch der andere zeigt ihm den Hintern, und es ist ein gelles Gelächter bei den Mägden, bis Hingsten sie auseinandertreibt.

Er arbeitet wie ein Pferd. Morgens vor Tag ist er auf, und abends spät fällt er todmüde mit Stiefeln ins Bett. Die Leute kriegen Respeckt vor ihm, weil er mit zupackt, wo eine Arbeit ins Stocken gerät. Überall ist er und nichts entgeht ihm.

»Satan«, sagen von ihm die Knechte, aber Anerkennung steckt darin und tolpatschige Bewunderung, denn Hingsten kann auch nobel sein. Er spendiert eine Zigarre nach Feierabend, und wenn man sich besonders arg geplackt hat, auch einmal einen Schnaps.

Die Felder und Wiesen nach Bögerlant hin haben die Sterenbrinks gut verpachtet. Zum Ärger des alten Hingsten hat sein Sohn Karl den größten Teil an sich gebracht. Er wollte auch das Weizenstück haben, das jetzt Pudmar mit bewirtschaftet, und er hatte durch sein Gebot den Pachtpreis in die Höhe getrieben. Schließlich ließen es die Sterenbrinks doch Pudmar, aber er mußte sich damit abfinden, daß er nicht mit so billigem Zins angekommen war, wie er gehofft hatte. Für Christof Hingsten war durch Rode Harms ein günstiger Vertrag aufgesetzt worden. Die Sterenbrinks kamen dabei zu ihrem Recht, aber auch der alte Christof konnte zufrieden sein.

Als man bei der Aussaat der Gerste war, kam eines Tages Pudmar auf das Gut. Die Knechte waren auf den Feldern und der alte Hingsten wollte gerade zu ihnen hinausfahren.

»Du kommst mir schlecht zu paß, Jürgen«, sagt er, unwillig über die Störung.

Er hatte sich, seitdem er auf dem Gut war, nicht mehr bei Pudmar sehen lassen. »Hier gibt es soviel Arbeit, daß man reinweg zu nichts mehr kommt.«

»Mariechen weint schon nach dir«, sagt Pudmar. »Ich soll dir das von ihr geben.«

Er wickelt ein buntes Zopfband aus und gibt es Hingsten.

»Sieh einer an«, sagt der gerührt, »ich muß doch nächstens mal wieder zu euch kommen.«

»Zum Sonntag bäckt Martha, vielleicht paßt es dir da«, lädt Pudmar ihn ein.

»Wie gehts denn jetzt mit Martha?« fragt Hingsten.

»Ich denke, sie kann zufrieden sein«, meint Pudmar, »ich habe ihr neulich aus Dranshop blauen Stoff für ein Kleid mitgebracht, der hat bare fünf Taler gekostet. Jetzt, wo ab und zu Fräulein Sterenbrink bei uns mit rankommt, muß ja Martha auch ein bißchen instand sein.«

»Haltet euch das Fräulein warm«, rät Hingsten, »es kann nur von Vorteil sein, wenn ihr euch gut mit ihr steht. Sie scheint ja jetzt alles allein auf der Schulter zu haben. Frems hat mir neulich erzählt, daß sie die Syrrha vielleicht in ein Sanatorium bringen müßten. So herunter ist sie mit ihren Nerven seit damals. Und was man von der Karla hört, die muß ja ein Deiwel sein, Sie sollen sich freuen, daß Hilke noch bei ihnen aushält.«

»Mir wärs lieber, sie hätten wen anders«, sagt Pudmar unmutig, »ich bin froh, wenn das Mädchen zum Herbst heiratet und ihr Dienst da aufhört. Das gibt dann ein klares Verhältnis zwischen uns und den Sterenbrinks. So denken sie auch immer, man ist ihr Dienstbote. Aber du wolltest ja damals, daß ich Martha heirate. Wir Pudmars hätten uns schon wo anders hinsetzen können.«

»Martha ist tüchtig, das muß man ihr lassen«, verteidigt sich Hingsten, »das ist für einen Bauernhof mehr wert als ein dicker Name. Und so eine wie meine Marie, wo alles bei einander ist, Geld, Reputierlichkeit und Fleiß, hättest du doch nicht wiedergefunden. Wenn du bloß gekommen bist, um das wieder zu sagen, hättest du dir den Weg nicht zu machen brauchen. Einen, der statt anzuklopfen mit dem Stiefel gegen die Tür haut, sieht man nicht gern.«

»Wie du es gleich auffaßt«, lenkt Pudmar ein, »aber manchmal frißt es an einem, und dann sagt man es so hin.«

»Ich meine, du kannst dich nicht beklagen«, sagt Hingsten freundlicher, »ich halte dich doch wie meinen Schwiegersohn, als wenn Marie noch da wäre. Ich tue es gern, denn ich weiß, wie sie an dir gehangen hat. Ihr wart ja ganz vernarrt in einander. Du mußt dich darüber nicht grämen, solch Glück kommt immer bloß einmal. Nachher muß man auch so mit dem Leben fertig werden. Ich habe auch manches schlucken müssen. Du weißt doch, wie ich den Hof in Bögerlant heraufgebracht habe. Aber du weißt nicht, wie es da aussah, als ich ihn übernahm. Da lag viel Geld drauf. Das habe ich oft zu hören gekriegt, damals, als ich heiratete. Nun ist ja alles gut und wir wollen das begraben sein lassen.«

»Ich wollte mir den Hof hier mal in Ruhe ansehen«, sagt Pudmar ablenkend, »aber du hast wohl jetzt keine Zeit.«

»Nun, wenn du dir den Weg schon gemacht hast, dann können wir mal rumgehen, komm«, fordert ihn Hingsten auf.

Sie gehen durch das Wirtschaftsgebäude, durch die Scheunen und Stallungen. Pudmar lobt alles, um dem Alten einen Gefallen zu tun.

»Akkurat sieht das aus, das muß man lassen«, sagt er.

»Was meinst du, wie ich da Ordnung reinbringen mußte«, übertreibt Hingsten, »das sah aus, als hätte der Teufel hier Hochzeit gehalten. Die Fräulein müssen sich aber auch reinweg um nichts gekümmert haben, sonst müßten sie längst gemerkt haben, was mit dem Großmeiler los war. Bis jetzt haben sie sich auch noch nicht sehen lassen. Es hätte sich wohl gehört, daß sie mal in Augenschein nehmen, wie ich ihnen das hier hochbringe.«

Sie gehen hinüber nach dem Gutshaus. Es ist ein einfaches geräumiges Gebäude mit hellen Zimmern und einem großen Speisesaal. Die Möbel sind verhängt.

»Da wohnt ja nun weiter keiner drin als die Motten«, sagt Hingsten. »Schade, aber was soll ich damit anfangen. Meinst du denn, ob sie bald einen Käufer finden? Das war eine schöne Mitgift, aber jeder wird sich hüten, darauf anzubeißen. Man setzt sich nicht gern gleich drei Läuse in den Pelz.«

»Hoffentlich hat es mit dem Verkauf noch lange Beine«, sagt Pudmar, »und es wird ja auch zu viel angeboten. Es müßte doch auch einer sein, der schon mit Land und Menschen hier ein bißchen vertraut ist. Ein Fremder kann hier auf Granit beißen, das weißt du doch. Dem machen sie manches zum Tort. Ich habe schon gedacht, das wäre was für uns. Aber soviel Geld kann man ja nicht flüssig machen. Und dann ist es wohl doch zu nobel für uns.«

»Ich meine, wir brauchen uns nicht hinter den Sterenbrinks zu verstecken«, ärgert sich der Alte, »ein Hingsten paßt ganz gut auf den Hof hier.«

»Ja ja«, meint Pudmar schlau, »was Karl hat, ist auch nicht geringer. Er hat ja einen ganzen Sack voll jetzt von den Sterenbrinks gepachtet. Einen langjährigen Vertrag soll er haben. Ich nehme an, daß er das alles mal kauft.«

»Er soll lieber sehen, daß er das Alte zusammenhält«, braust Hingsten auf, »der denkt auch, Speck in Butter braten und dann noch mit Löffeln essen. Ich wills ihm nicht wünschen, denn er ist ja schließlich mein Sohn, aber wenn der noch mal mit ner kiefernen Deichsel fährt, dann solls mich auch nicht wundern! Will sich denn Rode Harms hier nach einem Käufer noch umsehen, oder wollen es die Fräulein vorläufig so lassen? Das könnte ja auch sein«, wendet er sich ruhiger an Pudmar.

»Wenn sie einen finden, der ordentlich zahlt, mußt du runter, das haben sie dir doch gesagt. Wozu fragst du denn da?«

»Ich meinte bloß, wo du doch mit Rode Harms gut Freund bist, könntest du es ihm da nicht stecken, daß er sich wegen des Verkaufs keine Umstände macht? Er soll mal herkommen, dann wird er sehen, daß sich die Fräulein nicht schlecht bei mir stehen. Paß mal auf, wie rentabel dieser Sommer wird. Was wir gearbeitet haben, wenn da alles gut geht, das gibt eine Ernte. Das wird eine Goldquelle hier, sollst mal sehen. Willst du mitfahren, dann wirst du staunen, wie die jetzt auf den Feldern schaffen. Hier gibts keine Fackelei. Das ist mal gewesen. Komm, fahr mit.«

Sie fuhren zuerst die Straße nach Dranshop entlang und bogen dann in den breiten Feldweg ein, der ins Land führte. Sie hatten die weite Fläche des Sees im Rücken, und wenn sie sich umwandten, sahen sie die braunen Segel der Seefischer.

Hingsten machte Pudmar auf die einzelnen Feldstücke aufmerksam, die zu dem Gut gehörten, und auf denen die Knechte arbeiteten. Hier wurde mit dem Stelzpflug das Land umgeworfen, dort fuhr man mit schwerer Egge darüber und ein Stück hin griff der Grubber in den leichten steinfreien Boden.

»Da müßt ihr nochmal mit der Ringelwalze ran«, rief Hingsten dem Knecht über einen Ackerstreif zu.

»Roggen gibt das! Da säen wir Krallenklee ein.«

So erklärte er Jürgen seine Felder. Er tat, als gehörte ihm das alles: diese Getreidefelder, noch braune Märzerde, aber in seinen Gedanken schon blühend und schwer im Korn.

»Das gibt eine Gerste, was? Da hatten wir Rüben vorher Da der Hafer, sieh mal an, und da Weizen! Raps haben wir da als Vorfrucht gehabt. Und das sind Kartoffeln, guter lehmiger Sand, und im Herbst tief gepflügt, und dort der Klee, gut überwintert, was? Da drüben das Feldstück, da freut sich das Vieh, solch Gemenge! Hafer, Peluschke und Zottelwicke. Ackererbsen kommen noch rein, da werden sie sich das Maul lecken.«

Er redete hitzig auf Pudmar ein, und es war doch nichts weiter zu sehen als umgebrochene Erde, über die hier und da ein erster früher Sonnenstaub sickerte.

Sie fuhren im großen Bogen zurück.

»Was habt ihr denn da für ein Schloß?« ruft Pudmar plötzlich und zeigt auf ein verfallenes Haus, das wie zerbrochen von vielen Schicksalen mit toten Fenstern vor sich hinstiert.

»Das werden wir mal abreißen«, antwortet Hingsten, »sowas ist bloß für Gesindel. Die Weiber fürchten sich davor, es werden dumme Geschichten davon erzählt. Ich bin nicht für solchen Unsinn, aber es gibt doch noch ein paar, die dran glauben.«

»Es wird schon seine Bewandtnis haben«, sagt Pudmar. »Du weißt ja, wie es bei uns alle fünfzig Jahre ist. Man kann das doch mit dem See zurückverfolgen.«

Er schweigt, erschrocken, über solche Dinge gesprochen zu haben. Das Pferd geht langsam. Hingsten treibt es nicht an. Er hat die Mütze abgenommen, als wäre sie ihm auf einmal zu eng, und er greift in den Rockkragen und bewegt über der Hand schwer den Kopf, als säße ihm etwas Unangenehmes im Genick.

»Du meinst also, das gäbs?« fragt er Pudmar, »wir haben das von euch bis zu dem Tag nicht gewußt, bis der See Marie holte. Dann hätte sie also nicht zu ertrinken brauchen, wenn sie nicht auf euren Hof gekommen wäre. Es ist wohl doch vielerlei, was man nicht begreift.«

Sie fahren schweigend weiter. Erst kurz vor dem Gutshaus sagt Pudmar:

»Wer denkt auch, daß es gerade den trifft, den man am liebsten hat?«

»Wir wollen nicht davon reden«, sagt Hingsten, »man braucht die Gedanken zur Arbeit. Das andere kommt früh genug. Ich werd euch mal besuchen. Man ist hier doch allein, aber vorm Stillen Freitag wirds wohl nicht werden.«

 

Ostern fiel früh in dem Jahre. Zu Palmsonntag hatte Kiek Möns die Stube mit grünen Weidenruten von Mute ausfegen lassen. Kinderhände sollen das tun. So werden Krankheiten abgewendet.

Als die Ruten dann später im Feuer knisterten, tanzte Mute herum:

»Nun wirst du noch lange leben, Kiek Möns.«

Sie wollte auch zu Hause die Krankheiten wegfegen, und Hede Lorm freute sich, wie geschäftig ihre Kleine dabei war. Sie schickte sie auch zu Mole Deep hinüber, die viel auf solche Dinge gab.

Seit jenem Fischzug im Winter, wo Hede Lorm die Fische versteckt und am nächsten Morgen zu Deeps gebracht hatte, weil es Stim Kaat aus dem Sinn gekommen war, hatte sie sich öfter dort eingestellt. Stim Kaat war ihr gegenüber einsilbig und vor Hilke tat er so, als wäre Hede Lorm eine Person, die was Feineres vorstellen wollte, aber im stillen wurmte es ihn, daß sie ihn damals zurückgestoßen hatte, und er würde es ihr gerne heimgezahlt haben.

In der Osterwoche waren Peter Deep und Jan Mürk viel mit dem Boot draußen, denn niemals ist der Fischfang gesegneter als in den Nächten vor Ostern. Sie hatten alle Hände voll zu tun, und auch Jöken Mürk kam herüber, um Andrees zu helfen.

»Genug Arbeit da, Maat?« rief der alte Mürk schon von weitem.

»Jawoll, Kaptän«, meldete Andrees und freute sich, daß er Hilfe bekam.

»Wollen das Schiff flottmachen«, rief Jöken Mürk und ging mit soviel Umstand an die Arbeit, daß er vor lauter Anfang nicht zum Ende kam.

Auch Wine war jetzt oft bei Mole Deep und half beim Leermachen der Netze. Sie war fleißig, und Moole Deep hätte gerne gesehen, wenn Peter mehr auf sie acht gegeben hätte. Wine hing wohl oft an seinen Augen, aber er ging gleichgültig an ihr vorbei.

Er war in dieser Woche stiller als sonst, und die Mutter schob es auf die anstrengenden Fahrten. Nachts fuhr er mit Jan hinaus, und sie kamen erst am Vormittag zurück. Die kleinen Netze brachten sie gleich wieder mit, aber die starken Garne blieben zwei Tage im Meer, weil sie sich in ihrer ganzen Ausdehnung erst lagern mußten, um keinen Fisch mehr hindurchzulassen.

Stim Kaat kam nur selten. Er fuhr mit Per Stieven, denn sie wollten diese günstige Zeit des Fischfangs ausnutzen. Dazu kam noch ein anderes Ereignis. Alma wurde konfirmiert. Sie benahm sich wie eine kleine Madame, lief geschäftig umher und hatte sich von Stim Kaat und ihrem Vater Geld geben lassen, um einen Kuchen zu backen. Mit Hede Lorms Hilfe hatte sie sich auch ein schwarzes Kleid geschneidert aus dem Tuchrock ihrer verstorbenen Mutter, der in der Truhe aufbewahrt worden war. Da Alma nur klein war, reichte der Stoff aus und sie war stolz, als sie sich in dem selbstgefertigten Kleid zum erstenmal präsentierte.

In der Nacht vor Palmsonntag waren Per Stieven und Stim Kaat hinausgefahren, aber sie hatten sich sehr beeilt und waren frühzeitig zurück, um sich in aller Ruhe für den Kirchgang rüsten zu können. Stieven hatte von seiner Hochzeit her noch einen langen Gehrock und einen hohen Hut. Alma fand, daß die Sachen noch wie neu wären und war stolz auf ihren Vater, an dessen Seite sie mit ernstem Gesicht und zierlichen Schritten ging.

Am Nachmittag kamen Mole Deep und Hilke und brachten kleine Geschenke. Hede Lorm hatte für Alma eine dünne Kette mit einem Kreuz daran besorgt, die dem Mädchen ganz besonders gefiel und die sie von diesem Tage an nicht wieder vom Hals ließ. Sie hatte Gerstenkaffee gekocht und schnitt den Kuchen auf. Sie achtete darauf, daß keiner der Gaste zu kurz käme. Über das schwarze Kleid hatte sie die alte Warpschürze gebunden, aber sie legte sie jedesmal ab, wenn sie für einen Augenblick am Tisch saß, um sich als Mittelpunkt der Feier zu fühlen.

Zum Gründonnerstag kochte sie eine Suppe aus sieben Kräutern. Sie tat sehr geheimnisvoll damit. Mute hatte es ihr gesagt, die es wieder von Kiek Möns wußte. Aber die Männer merkten es nicht, sie wunderten sich nur, daß es einmal eine andere Suppe gab als Buttermilch mit Zwiebeln.

»Ich will mit Hilke Osterwasser holen«, verkündete Alma, »vielleicht sehen wir die Sonne tanzen.«

»Denkst auch schon ans Heiraten, du Küken«, lachte Stim Kaat.

Alma schlug mit dem Löffel nach ihm. Sie neckten sich oft. Wenn sie dann über ihre Späße lachten, stimmte sogar Per Stieven manchmal mit ein. Es war die einzige Freude, die er hatte.

In dieser Osterwoche kam auch Simon Gülke einmal zu ihnen. Er holte aus seiner Rocktasche sechs Eier hervor, die wollte er für seinen Sohn Helmut färben und ihm zu Ostern verstecken.

»Ich wills hier bei dir machen, Alma, Helmut kriecht mir immer hinterher, und er solls doch vorher nicht sehen.«

Sie kochten die Eier und taten Zwiebelschalen hinzu, damit sie schön braun würden. Alma legte noch zwei in das kochende Wasser, eins für ihren Vater und eins für Stim Kaat. Sie wollte auch noch eine Blume darauf malen, und wenn es gelingen würde, einen Hasen mit langen Ohren, der im Kraut sitzt.

»Verdirb es nur nicht«, sagte Gülke besorgt, »sieh einmal, wie sie glänzen. Es wäre schade drum.«

Er hatte mit einer Speckschwarte darüber gerieben. Man konnte sich beinahe darin spiegeln. Er tat die Eier in einen Beutel und legte sie in die Truhe.

»Ich hole sie mir Ostern früh, hier sind sie am sichersten.«

Am Gründonnerstag kam auch Fenner mit seinem Wagen und bot Mehl aus. Da man an den Fischen etwas verdient hatte, so kauften die Frauen. Bei Holwe und Völz und auch bei Mole Deep wurde der Backofen wieder in Gang gebracht. In all den kleinen Häusern roch es angenehm und man fühlte sich gut und beinah ein wenig wohlhabend.

Am Karfreitag abend hatten Andrees und Stim Kaat noch Besonderes vor. Sie fuhren mit dem Handwagen zu Rode Harms' Neubau. Sie hatten gewartet, bis es dunkel war, und sie brauchten nun keine Sorge zu haben, daß sie jemand träfen, denn am Stillen Freitag sitzt man abends zu Haus. Es ist keine Musik bei Drüsel. Die Wege sind leer und das junge Volk drückt sich nicht in den dunklen Büschen hinter der Räucherei herum. Andrees hatte das alles bedacht, und so kamen sie ungesehen mit ihrem Wagen auf die Wiese, wo jetzt Steine aufgeschichtet standen.

»Das macht hier gute Fortschritte«, lobte Andrees. Stim Kaat packte, ohne sich zu beeilen, Stein um Stein auf den Wagen.

»Ich denke, Stucker fünfzig werden für heute genug sein. Wir können ja nochmal fahren oder wir nehmen große Feldsteine als Unterbau.«

Andrees stimmte zu:

»Das soll ein Räucherofen werden, wie ihn sich Rode Harms nicht besser wünschen kann. Ich habe mir schon meine Gedanken dazu gemacht. Man muß ihn oben im Fang spitz zugehen lassen, dann hält er den Rauch fest und der Wind kann nicht so reinblasen. Ich will dir das zu Haus mal aufzeichnen. Es ist schon gut, wenn man sich vorher einen Plan macht.«

Sie fuhren achtsam zurück und hatten für alle Fälle ein altes Netz darübergeworfen, das man nicht mehr brauchen konnte. Mole Deep hatte es ihnen mitgegeben.

Als sie den Weg zu den Dünen herunterfuhren, blieb Andrees stehen und rieb sein Bein.

»Wenn bloß das Wetter nicht umschlägt«, sagte er, »ich merke schon sowas.«

Stim Kaat fuhr vergnügt bei Mole Deep vor:

»Nun wird er wohl eine Etage niedriger bauen müssen.«

»Machts bloß nicht zu schlimm«, sagte Mole Deep, aber sie freute sich über die schönen neuen Steine, die vorläufig im Schuppen verstaut wurden.

»Ich denke, so zum Mai werden wir mit dem Bau anfangen«, meinte Andrees, »da ist es warm und man kann in Ruhe an die Sache gehen.«

»Dann kommt nur rein und stärkt euch«, lud Mole Deep sie ein. »Peter hat sich schon hingelegt. Er war müde.«

In der Herdecke saß Jöken Mürk.

»War auf ein Spielchen gekommen, Maat«, sagte er, »Jan ist auch schon ins Bett gekrochen und Wine ist noch zu Gülkes gegangen. Da saß ich allein und timpelig zu Haus. Dachte, gehst noch zu Andrees. Aber der Vogel war ausgeflogen. Nun hab ich mit Mole Deep geschwatzt.«

»Ich bin gleich parat, Kaptän.« Andrees zog die oberste der vier Strickwesten aus: »Sonst kommt man zu sehr in Hitze.«

Er setzte sich zu Mürk und hielt die Knie dicht vor das Herdloch:

»Die könnens brauchen, die Wärme. Ich glaube, wir kriegen anderes Wetter. Es reißt mich seit einer Stunde.«

Jöken Mürk mischte schon die Karten: »Vor Ostermontag schlägts nicht um, ich kenn mich aus, Maat. Wär auch schade mit dem Fischfang.«

Stim Kaat rieb sich die Nase.

»Kriegst noch was Neues zu erfahren«, sagte Mole Deep.

»Solls Gutes sein«, rief Jöken Mürk aus seiner Ecke.

»Das Gute kann ein Zwerg tragen«, sagte Andrees, »so ists doch. Alle Mann ins Boot, Kaptän!« Und er warf Trumpf As auf den Tisch.

»Weg damit!« schrie der alte Mürk ärgerlich und mischte die Karten von neuem.

Später kam Hilke unverhofft.

»Nur auf einen Augenblick«, sagte sie. Man sah ihr an, daß sie ihre Nachricht nicht schnell genug loswerden konnte.

»Was denn?« fragte Mole Deep atemlos.

»Rode Harms hat sich mit Fräulein Vrena verlobt. Heute. Gegen Abend ist er gekommen. Da haben sies den Schwestern gesagt. Frems mußte Wein raufholen. Sie heiraten bald. Ich muß gleich wieder fort. Wollte es euch bloß sagen. Das hätte keiner gedacht! Frems ist ganz außer sich vor Freude.«

»Aber wie ist denn das gekommen?« fragte Mole Deep verdattert. Sie stand noch immer vor ihrem Stuhl und vergaß sich zu setzen.

Stim Kaat lachte: »Der verstehts, was? Der machts richtig! Dem geht der Kopf nochmal durch den Schornstein.«

Andrees hielt die Karten offen in der Hand. Er saß sprachlos da.

»Spiel weiter, Maat«, knurrte Jöken Mürk, »was ist schon los? Da heiratet einer, hast es doch gehört!«

Seitdem er sich von Rode Harms vernachlässigt fühlte, hatte er sich mehr und mehr von ihm abgewandt. Schließlich tat er so, als gäbe es gar keinen Rode Harms.

»Fräulein Vrena hats selber gesagt, als sie in der Küche war. Frems hatte neulich schon mal eine Andeutung gemacht, aber ich habs nicht ernst genommen. Nachher muß er mir alles einmal erzählen. Er scheint ja Bescheid zu wissen«, sagte Hilke schon halb aus der Tür.

»Solch Kutscher ist auch was Rechts«, warf Jöken Mürk dazwischen.

Mole Deep ging noch immer kopfschüttelnd hinter Hilke her. Draußen fragte sie: »Und was sagt denn Fräulein Karla dazu?«

»Die sitzt da wie sieben Tage Regenwetter«, antwortete Hilke, »er paßt ihr wohl nicht, aber was soll sie tun?«

Als Mole Deep wieder in die Küche kam, sagte Stim Kaat voll Ärger: »Nun wird er wohl jeden Tag bei den Fräuleins sitzen und Hilke muß ihn mitbedienen. Das paßt mir grade.«

Mole Deep wollte ihn beruhigen, aber ihre Wunderlichkeit brachte ihn noch mehr in Harnisch.

»Du hast schon einen Respekt vor ihm, Mutter, aber für mich ist er soviel, wie in den Ofen geblasen. Hilke bleibt nicht bei den Fräuleins, das sag ich! Sollen sie sich eine andere suchen, die dem die Stiefel putzt.«

»Hilke denkt doch, daß sie da noch was zur Aussteuer bekommt, wenn ihr heiratet«, meinte Mole Deep.

»Das werden wir auch noch entbehren können!« Stim Kaat warf die Tür zornig hinter sich zu.

In dieser Nacht schlief Mole Deep unruhig, aber die späte Aufregung über Hilkes Nachricht konnte nicht allein daran schuld sein. Sie träumte, daß Peter noch ein kleiner Junge wäre, und daß es draußen in Strömen regnete. Alle Wege waren überschwemmt, und man mußte die Türe verrammeln, damit die dicke schwarze Flut nicht in die Stube drang. Peter war barfüßig hinausgelaufen und planschte durch das trübe Wasser. Mole Deep rief und schrie nach ihm. Sie wollte ihm nachstürzen, aber die Flut stemmte sich gegen die Tür. Auch das Fenster bekam sie nicht mehr auf, denn der Regen preßte sich wie eine steinerne Wand dagegen. Sie sah Peter weiter und weiter laufen. Er war nur noch so groß wie ein Löffel, und er wurde noch kleiner, wie ein Fingerhut nur, und dann sah sie ihn gar nicht mehr.

Am Morgen war sie so erschrocken über ihren Traum, daß sie zu nichts zu gebrauchen war. Sie jammerte, als Jan Mürk kam, um mit Peter hinauszufahren. Aber die See war glatt und es war ein selten klarer Tag, und so beruhigte sie sich schließlich.

Die beiden kamen auch zeitig zurück, und als Peter seine Mutter sah, die unruhig am Strande stand, winkte er ihr zu und rief:

»Nun können wir Ostern feiern!«

Aber am Ostersonntag wurde die See bewegt.

Mole Deep war nach Tisch zu Martha gegangen, ungern nur, aber Hilke hatte ihr zugesetzt:

»Du mußt dich doch mal um Mariechen kümmern, es ist dein Enkelkind, da gehört es sich, daß du wenigstens Ostern dich sehen läßt.«

Mole Deep hatte Kuchen eingepackt und eine Tasse mit einem Rosenstrauß darauf. Die hatte sie einmal als Kind bekommen und immer in Ehren gehalten. Nun sollte Mariechen sie haben.

Martha freute sich, als ihre Mutter kam. Sie bat Mole Deep auch gleich, über Abend zu bleiben. Jürgen war nach dem Gut herausgefahren, denn der alte Hingsten war Karfreitag nicht gekommen. Martha hatte aufgeatmet, als ihr Mann fort war. Die Nachricht von Rode Harms' bevorstehender Heirat mit Fräulein Vrena hatte ihn so wortkarg und verbissen gemacht, daß man gar nicht mit ihm fertig werden konnte. »Das hätte man auch haben können, solche Prinzessin«, mit diesen Worten war er davon gegangen.

Mole Deep tröstete Martha:

»Wir wollen erstmal abwarten, was da wird. Pudmar wird schon einsehen, daß das nicht alles Gold ist. Er hat seinen Kopf voll mit der großen Wirtschaft und redet so da hin, da mußt du nichts drauf geben. Kümmere dich um dein Haus und die Küche und paß auf, daß das Essen immer gerät. Mit der Zeit wird er schon einsehen, daß er nicht besser ankommen konnte als bei dir.«

Martha ging heute gern auf die Zuspräche ihrer Mutter ein, denn sie hatte schon gefürchtet, den Ostertag allein verbringen zu müssen. Sie war so betulich um Mole Deep, daß die ganz gerührt war und sagte:

»Ich kann mich weiß Gott nicht beklagen. Ihr drei, Peter, Hilke und du seid doch recht brave Menschen. Manchmal denke ich nur, ihr müßtet ein bißchen mehr zusammenhalten.«

Auch Hilke hatte sich auf das Osterfest gefreut, aber im letzten Augenblick hatte sie sich mit Stim Kaat erzürnt. Er verlangte, daß sie ihren Dienst bei den Sterenbrinks aufgäbe.

»Wie werde ich das denn gerade jetzt tun?« antwortete sie auf seine Vorhaltungen, »im Herbst ist ja sowieso Schluß, wenn wir heiraten. Das kostet doch was, und ich will mir noch ein paar Pfennige bis dahin sparen. Mir wird schon kein Stein aus der Krone fallen, wenn ich Rode Harms auch mal einen Teller hinstelle. Ihr seid ja ganz verrückt gegen ihn. Ich habe immer schon meinen Ärger, wenn ich das von Peter höre, und nun kommst du auch noch mit solchen Dummheiten.«

Sie ließ ihn stehen, so zornig wurde sie, weil er hartnäckig auf seinem Verlangen bestand. Er redete maßlos gegen Rode Harms und gefiel sich in Übertreibungen, so, als wäre der nichts Besseres als ein Aussauger und Nutznießer. Er wollte nicht gelten lassen, daß Rode Harms auch selber arbeitete und gut bezahlte. Lange noch als Hilke fort war, schimpfte er vor Andrees darüber. Endlich ging er zu Drüsel. Es war das erste Mal, daß er sonntags sich in der Wirtschaft sehen ließ, aber er wollte seinen Ärger vertrinken und Hilke zeigen, wer Herr im Hause wäre.

Sie saß bei Frems in der Küche und wartete, daß er kommen möchte, aber er hatte sich im Tanzsaal zu Hede Lorm gesetzt, lachte, trank und sprach groß.

Jan Mürk kam an diesem Nachmittag nicht. Er hatte für Pudmar eine Arbeit auf dem See übernommen. So saß Hede Lorm allein am Tisch, als Stim Kaat kam. Er hatte nicht erst lange gefragt, sondern seinen Stuhl an ihren Tisch ge rückt und sie tanzten zusammen, wenn die blecherne Musik durch den kahlen grüngetünchten Saal trompetete. Man machte ihnen Platz, wenn sie sich vorüberschoben, denn Stim Kaat hatte noch seinen Ärger über Hilke und der saß ihm im Schritt und tanzte mit, und drehte Hede Lorm rechts rum und links rum, wirbelnd, daß sie atemlos ihm im Arm hing unter seinem breiten zornigen Lachen. ›Auch dir werd ichs zeigen,‹ denkt er, ›hast mich einmal zurückgestoßen. Ich wills euch lehren, ihr Weibsvolk.‹ Die Musik knarrte, knallte und rumpelte und die Paare stampften über den Holzboden, daß die Dielen schwankten und das Bier in den Gläsern schlepperte.

Heute ist Ostern. Zum Frühling geht es. Die Tage werden länger, das Meer ist offen und der Fisch ist gekommen.

Aber mitten im Tanz war plötzlich ein Stocken, nur eine Sekunde lang. Die jungen Fischer horchten. Der Sturm war aufgesprungen und fuhr über das Dach. Von fern kam ein Rollen. Sie horchten. Die See wurde laut.

Peter Deep kam vom Strande. Er sagte zu Andrees:

»Es gibt Sturm. Wir haben das Netz noch draußen. Wir müssen es reinholen.«

Andrees sah nach dem Himmel:

»Das gibt heute nichts, Peter. Ich kenne mich aus. Wenns Sturm gibt, kommt der erst morgen.«

Peter ging den Steg hoch, durch das Kiefernwäldchen zu Jan Mürk. Aber der war auf dem See. Er sah ihn im Boot, wie er Reusen auslegte. Der alte Mürk hatte sich neben Peter gestellt und lobte Jan:

»Ein fleißiger Junge, er macht sich keinen Feiertag. Es ist für Pudmar. Da verdient er sich ein paar Groschen.«

Sie sahen das Boot langsam weitergleiten. Der See war ruhig und über dem Dranshoper Ufer lag Sonne. Vom Meere her hörten sie härter den Wellenschlag. Sie sahen sich an. Jöken Mürk sagte verwundert:

»Das bringt was.«

»Das große Netz ist noch draußen«, antwortete Peter, »darum kam ich. Ich wollte Jan holen.«

»Er kommt ja bald zurück«, sagte Jöken besorgt, »ihr müßt gleich das Netz holen. Das war ein großer Schade, wenns verloren ginge. Man hat kein Geld für'n anderes. Aber vielleicht wirds nicht so schlimm. Ruf doch mal Jan.«

Peter rief durch die hohle Hand über das Wasser. Jan hörte es nicht.

»Ich schick ihn gleich hin«, sagte Jöken Mürk noch.

Als Peter über die Düne ging, waren weiße Schaumköpfe am Horizont, nicht größer als Möwen. Doch sie wuchsen und sprangen wie große Fische näher. Sie wälzten sich schon gegen den Strand.

Peter lief zu Andrees.

»Wir müssen gleich raus, sonst ists zu spät. Jan ist noch auf dem See«, rief er.

Andrees weigerte sich.

»Das schaffen wir beide nicht mehr. Laß das Netz draußen. Es wird schon nichts mit passieren.«

»Nein, nein«, schrie Peter, »komm.«

Doch er konnte Andrees nicht dazu bewegen. Er lief zurück zu Mürk. Die Wellen peitschten jetzt schon und der Sturm saß hinter ihm her.

Jan hatte gerade angelegt.

»Macht schnell«, schrie Jöken Mürk, »sonst ist das Netz hin. Habt ihrs denn weit draußen?«

Die beiden antworteten schon nicht mehr. Sie dachten nur noch eins: das Netz, und daß es nicht losgerissen werden dürfte. Ohne Netz sein, heißt hungern.

Peter war mit ein paar Sätzen im Haus. Er suchte die langschäftigen Stiefel. Sie hingen nicht am gewohnten Platz. Er rief, schrie, er brüllte: »Andrees!«

Aber Andrees war nicht da.

Peter durchwühlte die Küche. Jan half ihm suchen. Schließlich fanden sie die Stiefel im Herdkasten versteckt.

Sie liefen zum Strand. Sie machten das Boot frei. Sie sprangen hinein. Die Wellen türmten sich vor ihnen.

Mitten im Gespräch horchte Mole Deep auf. »Was hast du?« fragte Martha.

»Horch«, sagte sie und zitterte etwas. Doch hörten sie nichts.

Plötzlich aber ist Andrees in der Tür.

»Die See ist laut und Peter will rausfahren. Er ist zu Jan Mürk und holt ihn. Ich hab ihm gesagt, er solls lassen, aber er will nach dem Netz. Komm du und sags ihm. Es ist noch nicht zu spät. Er kann nicht fahren, ich hab ihm die Stiefel versteckt.«

Mole Deep springt vom Stuhl auf. Sie läßt alles stehen und liegen. Sie läuft hinaus. Sie hat sogar ihr Tuch vergessen. Nun reißt der Sturm ihr weißes Haar. Andrees ist weit zurück. In der Tür, ängstlich, steht Martha und sieht hinterher.

Jöken Mürk stapft langsam den Dünensand hinab. Er hat zu Hause das Federbett auf den Stuhl am Ofen gelegt, damit Jan es warm hat, wenn er zurückkommt. Man freut sich darüber. Das weiß man ja von sich selbst. Man ist ja selber oft im Sturm draußen gewesen. Hinter Schweden und so.

Jöken Mürk steht am Strand. Er muß sich in Acht nehmen, denn die Wellen greifen lang aus. Es ist auch dunkler geworden und man sieht das Boot nicht. Auf einem Wellenberg treibt etwas her wie ein Baumstamm. Es schießt hinauf und hinunter und liegt auf einmal dicht vor Jöken Mürk. Es ist kein Baum. Ein Ruder ist es. Er beugt sich darüber. Er kennt es.

Das Entsetzen hält ihn sekundenlang gebückt, sitzt auf »einem Rücken und läßt ihn nicht hoch. Mit einem Ruck reißt er sich zusammen. Sein Blick auf das Meer ist nur Angst. Er wagt gar nicht hinzusehen. Er stolpert den Sand empor. In seinem Munde ist nur ein Schrei: »Das Boot!«

»Das Boot!« schreit er über die Düne. Mole Deep weiß nicht, wer schreit. Sie hört nur: »Das Boot!«

Sie stürzt den Dünenweg hoch. Oben, plötzlich, steht ein Mann. Ist es Jöken Mürk oder ein anderer, sie weiß es nicht. Sie sieht nur, daß da Arme wie Mühlenflügel bewegt werden und daß sich im Kreisen dieser Arme immer wieder nur ein Wort gebiert: »Das Boot!«

Mole Deep versagen die Knie. Sie läßt sich fallen. Sie kriecht die Düne hinauf wie ein Tier. Sie wimmert und winselt. Sie bleibt vor den Füßen des schreienden Mannes liegen.

»Das Boot«, schreit es noch immer.

In Börshoop ist nur dieser eine Ruf. Die Fischer laufen an den Strand, die Frauen. Sie haben sich um den alten Mürk geschart, und um Mole Deep, die nach Stirn Kaat ruft, denn sie weiß, daß er der einzige wäre, der ihr den Sohn vielleicht wiederbrächte. Aber Stirn Kaat ist nicht da. Das Boot, das sie zu Wasser bringen wollen, wird immer wieder zurückgeworfen.

»Es hat keinen Zweck«, sagt Jakob Tharden. »Sie sind hinüber.«

Er zeigt auf das Meer, das gewaltig aufsteigt, so als wollte aus seinem geheimnisvollen Dunkel ein Fabeltier jäh sich herausstoßen, das aus versunkenen Wäldern noch einmal in riesigem Ausmaß in das Land brechen will.

Jakob Tharden hat die Mütze vom Kopf genommen, die anderen Fischer tun es ihm nach.

Über Börshoop hingen die Wolken schwer bis zum dritten Tag.

 


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